Berlin gegen München: Navigation durch die BBL-Finals
ALBA BERLIN und der FC Bayern München haben bisher je ein Spiel der BBL-Finals gewonnen. Was fällt spielerisch auf? Und wo könnten beide Teams taktisch anknüpfen und ansetzen?
Andrea Trinchieri scheint derzeit ein Lieblingswort zu haben. Nicht „process“, nicht „Load Management“, sondern „navigate“. So erklärte der Head Coach des FC Bayern München nach dem ersten BBL-Playoff-Spiel gegen die HAKRO Merlins Crailsheim: „Eines der beide Teams muss in die Serie eintreten und den ersten Zug tätigen. Dann navigierst du durch die Serie.“
Bereits zu Beginn der EuroLeague-Playoff-Serie gegen Mailand hatte sich Trinchieri derart geäußert. Und nach dem zweiten BBL-Final-Spiel gegen ALBA BERLIN machte Trinchieri bei Magenta Sport deutlich: „Back-to-back ist für uns alle etwas Neues – wir versuchen, zu navigieren.“
Wie navigieren also die beiden Teams bisher durch die Endspielserie? Was sticht heraus, wer trumpft auf, und welche taktischen Mittel nutzen Münchens Andrea Trinchieri und Berlins Aíto?
(Individuelle) Qualität trotz „back-to-back“
Die „back-to-back“-Spiele sind nicht nur etwas Neues, sondern vor allem etwas extrem Herausforderndes – doch trotz dieser physischen wie psychischen Belastung kann sich die Endspielserie bisher sehen lassen. Dass die Finals zwischen ALBA BERLIN und dem FC Bayern München defensivgeprägt sein würden, davon war auszugehen. Neben Spannung und zwei Partien mit Crunchtime-Gehalt gibt es sowohl taktische Feinheiten als auch individuelle Klasse.
So drückte Maodo Lo dem ersten Spiel seinen Stempel auf, oder besser gesagt: den letzten 84 Sekunden. Denn in dieser kurzen Zeitspanne tanzte sich Lo zu neun Punkten – per Drive und Pullup-Dreier gleichermaßen – und führte die Berliner so zum 89:86-Erfolg. Interessant war, dass die Münchener in dieser Phase nicht switchten – eigentlich ihr Markenzeichen. Auf der Gegenseite blockte Ben Lammers übrigens den Dreier von Vladimir Lucic, der den Ausgleich bedeutet hätte, indem der Center die Münchener Aktion ballabseits switchte.
Wieviel Poesie in Los Bewegungen steckt, wurde wieder einmal ersichtlich. Und wie in der BBL-Finals-Vorschau angeschnitten, wusste Lo die Pick-and-Roll-Defense der Bayern zu attackieren sowie als beste Eins-gegen-Eins-Option Berlins zu übernehmen.
In der zweiten Partie ließen die Münchener Lo jedoch nicht mehr so einfach auf seine rechte Seite kommen. Während der Berliner Guard nicht über sechs Zähler und eine schlechte Quote von 18,2 Prozent aus dem Feld hinauskam, avancierte Vladimir Lucic zum Matchwinner. Neun Punkte erzielte Lucic in den letzten 4:04 Minuten und legte zudem in den Schlusssekunden auf D.J. Seeley auf. Mit 26 Zählern stellte der Forward sogar einen neuen persönlichen BBL-Karrierebestwert auf.
Lucic überzeugt dabei, wie schon oft in dieser Saison, mit irrem Shotmaking. Bei Einwürfen an der Seite macht sich Lucic beispielsweise per bloßem Cut frei, um dann einen Dreier off-balance einzunetzen. In dieser Saison ist Lucic – zusammen bzw. knapp hinter Paul Zipser – die beste Münchener Option nach ballfernen Blöcken. Dass Lucic diese Offensivlast schultert, während er in der Defense von der Eins bis zur Vier, von Maodo Lo bis zu Luke Sikma, alle möglichen Spielertypen verteidigt, ist grandios und zementiert seinen Status als bester BBL-Spieler der jüngeren Vergangenheit.
Luke Sikma als Angriffspunkt der Berliner Defense?
Lucic untermauert dies auch mit seiner Vielseitigkeit. Auf Grund des personellen Engpasses bei den Bayern, vor allem auf den großen Positionen, spielt Lucic bisher ausschließlich auf der Vier – und bestimmte dabei das Matchup gegen Luke Sikma im zweiten Final-Duell. Es mag absurd klingen, Sikma als Angriffspunkt der Berliner Verteidigung festzumachen – doch genau das schienen die Bayern mit folgendem Schachzug zu tun:
Andrea Trinchieri ließ Lucic als Power Forward sehr häufig Pick-and-Rolls als Ballführer laufen. Als Big Man verteidigt man solche Aktionen kaum – wenn, dann erst nach bzw. mit dem Ball-Screen, wenn also geswitcht wird. Folgendes Video zeigt Lucic als Ballhandler im Pick-and-Roll, meist gegen Sikma, aber auch einmal gegen Niels Giffey.
Des Weiteren machte Sikma, zusammen mit Tim Schneider, keine gute Figur, als James Gist in einer Sequenz einen Back-Screen für Lucic stellte – dann aber selbst zum Korb cuttete und frei zum Abschluss kam.
Randnotiz: Man achte in der ersten Aktion auf Jalen Reynolds. Nach dem Ball-Screen blockt der Münchener Center tiefer stehend in der Zone seinen eigenen Gegenspieler aus. Dieses Sealen sah man vom Center auch in der zweiten Hälfte bei einem Drive von Wade Baldwin. In dieser Saison hat Reynolds hin und wieder so seinen Mitspielern den Weg freigeblockt. Daniel Theis, der sich damit in der NBA einen Namen gemacht hat, lernte dies übrigens unter Andrea Trinchieri zu gemeinsamen Bamberger Zeiten.
Auch, und vor allem, in der Crunchtime forcierten die Bayern jene Aktionen mit Lucic als Ballhandling-Vierer. Sowohl den Clutch-Dreier als auch -Layup netzte Lucic gegen Sikma auf diese Weise ein. Besonders die letzte Aktion verdient Aufmerksamkeit – ließ Trinchieri nach der Auszeit doch ein Inverted Pick-and-Roll laufen, also eine Aktion, in der der kleine und große Spieler die Rollen tauschen. So stellt D.J. Seeley den Ball-Screen an der komplett freien Seite. Eigentlich hätte Lucic in diesem Spielzug per Hand-Off den Ball an Seeley übergeben.
Berliner Adjustment: Jayson Granger im Low-Post
Man merkt Luke Sikma seine längere Verletzungspause nicht nur defensiv, sondern auch offensiv etwas an. Die flüssigen Spielmacherqualitäten vom High-Post oder der Dreierlinie sind (noch) nicht auszumachen. Dafür versteht es Sikma bisher, ab und an Mismatches im Low-Post zu forcieren. Der 2018er MVP könnte ruhig noch häufiger das Spiel mit dem Rücken zum Korb suchen und dort selbst abschließen. Vor allem hinsichtlich der Münchener Personalsorgen.
Das Berliner Offensivsystem ist dafür bekannt, dass vor allem die Flügelspieler immer wieder an den Zonenrand gehen: Wie in der Preview angeschnitten, tun dies vor allem Niels Giffey und Simone Fontecchio. Jedoch kommen die beiden Forwards dort bislang noch nicht konstant genug zum Zug. Denn die Bayern-Defense versteht es sehr gut, die Anspiele in den Low-Post zu erschweren bzw. gar nicht erst zu ermöglichen – indem die Münchener fronten.
Immer wieder hat man gesehen, dass die Berliner dennoch das Lob-Anspiel versuchen – obwohl sich die Münchener Defense zusammenzieht und die Zone dichtmacht. Einige Ballverluste sind daraus resultiert. In der folgenden Sequenz machten dabei Jalen Reynolds und Robin Amaize den Schritt in die Zone, nachdem sich Wade Baldwin in einem Mismatch gegen Niels Giffey konfrontiert sah.
Besser machte es im ersten Viertel der zweiten Begegnung Peyton Siva: Der Point Guard cuttete von der Weakside zum High-Post und drückte ab. Nihad Djedovic war mit einem Schritt schon zur Hilfe für Baldwin gegen Lammers gegangen und somit etwas spät bei Sivas Wurf.
Die Berliner sollten also häufiger den High-Post besetzen, um so den Passwinkel auf den Post-up-Flügelspieler zu vereinfachen. Ein Element der Berliner Offensive – der Cut aus der Strongside-Ecke – könnte man ebenfalls ruhig noch häufiger sehen, birgt diese Aktion doch einen gewissen Überraschungsmoment.
Dennoch hat Aíto schon eine Veränderung vorgenommen: und Jayson Granger häufig in den Post geschickt. Laut InStat nahm Granger in der kompletten BBL-Hauptrunde nur zehn Abschlüsse nach dem Post-up, in der Viertelfinal- und Halbfinal-Serie sogar keinen einzigen. Doch gegen die Münchener Guards, wie vor allem Zan Mark Sisko, scheint Granger seine physischen Vorteile auszuspielen: entweder, um selbst zu punkten, oder bei der Hilfe Ben Lammers in der Mitteldistanz in Szene zu setzen.
Berlin mit zwei Ballhandlern
Wie in der Preview erwähnt, ist die Münchener Pick-and-Roll-Defense zu attackieren. Und dafür benötigt man natürlich Ballhandler. Die Berliner agieren in den Playoffs sehr gut, wenn sie zwei davon im Backcourt haben. Im ersten Spiel griff Aíto jedoch kaum darauf zurück – verständlich, denn mit Peyton Siva setzte einer der drei Ballhandler aus. So teilten Maodo Lo und Jayson Granger nur die letzten 57 Sekunden gemeinsam das Parkett.
Anders in der zweiten Partie: Ganze 16:04 Minuten standen zwei Ballhandler gemeinsam auf dem Feld, die Berliner wiesen dabei einen Plus-Minus-Wert von +6 auf. Vor allem die Kombination Siva / Lo agierte stark (+8 in 7:25 MIN). Die beiden Guards begannen auch das vierte Viertel – doch ab der 5:22-Minute-Marke nutzte Aíto nicht mehr die Option der zwei Ballhandler.
Wird dies im Rest der Saison anders sein? Könnten die Berliner im Serienverlauf vielleicht generell kleiner spielen? Und beispielsweise eine Formation mit zwei Ballhandlern, Eriksson auf der Drei, Fontecchio auf der Vier und Sikma auf der Fünf aufstellen?
Das Matchup zwischen Fontecchio und Lucic ist ein natürliches, Sikma müsste in der Verteidigung dann nicht gegen einen Ballhandling-Vierer wie Lucic ran. Die Größenvorteile in Form ihrer Post-up-Flügelspieler kann Berlin bisher eh kaum ausnutzen.
Besagte Lineup stand in dieser Saison … noch nie gemeinsam auf dem Feld! Jedoch ließ Aíto ab und an durchaus Fontecchio auf der Vier mit drei Guards auflaufen. Solche Formationen samt einem Rotations-Center (also Kresimir Nikic ausgeklammert) stehen laut InStat bei überragenden +17 in 10:25 Minuten!
Solche Formationen könnten zudem auch mehr auf das Tempo drücken. Wobei die Berliner Pace in den Finals (74,0) im Vergleich zur Hauptrunde (74,3) bisher gar nicht so sehr gesunken ist. Dennoch passiert in der Early Offense häufig Gutes aus Berliner Sicht.
Münchener Adjustment: Off-Ball-Switches
Das Münchener Markenzeichen der Switching-Defense war im ersten Spiel noch nicht auszumachen. Überhaupt fällt die Münchener Verteidigung ab und an mit einer gewissen Unentschlossenheit bzw. Misskommunikation auf, ob geswitcht werden soll oder nicht – zumindest in Aktionen am Ball. In der zweiten und vierten Sequenz des folgenden Videos kommen die Berliner dabei in der Early Offense zu einem offenen Abschluss – wenn sich also die Münchener Halbfeld-Defense noch nicht komplett sortiert hat.
In der Final-Vorschau wurde die Frage aufgeworfen, ob die Bayern auch ballabseits mehr switchen würden – um so den Berlinern deren Stärke aus Off-Ball-Screens und Mannbewegung zu nehmen. Und im zweiten Spiel sah man dies durchaus häufiger – wie im patentierten Berliner Einwurf-Spielzug an der Seite, bei dem der Einwerfer per Cross-Screen in der Zone in Szene gesetzt werden soll.
Andrea Trinchieris Schachzüge und Inspirationen
Schon häufiger wurde an dieser Stelle die Münchener Offensive dieser Saison thematisiert: als eine etwas antiquierte (auf Grund vieler Post-ups, weniger Dreier, dafür langer Zweier), als eine mit nicht derart dickem Playbook, wie man es von Andrea Trinchieri kennt.
Doch im Playoff-Verlauf gefällt Trinchieri mit dem ein oder anderen Schachzug in der Offensive. Als die HAKRO Merlins Crailsheim beispielsweise im Viertelfinale erneut ihre Verteidigung in eine 2-3-Zone umwandelten, nachdem der Ball bei den Bayern in den Post gegangen war, ließ Trinchieri einen Spielzug laufen, der dafür wohl erst implementiert worden ist – ein Schütze wie Paul Zipser rotierte dabei zur Spielfeldmitte und nutzte einen Off-Ball-Screen.
Da Münchens Gegner unterschiedliche Methoden einsetzen, um die bayerischen Big Men im Post nicht zum Abschluss kommen zu lassen (Ludwigsburg und Berlin doppeln), werden eben die Flügelspieler in den Post geschickt. Anfang des vierten Viertels der zweiten Partie taten die Bayern dies häufig gegen Lo und Siva – mit unterschiedlichem Erfolg. Derweil lässt Trinchieri hin und wieder Inverted Pick-and-Rolls laufen – nicht nur mit Lucic, auch schon mit Jalen Reynolds. Und Trinchieri scheint sich auch von anderen Coaches inspirieren zu lassen.
In der ersten Partie packten die Berliner mit Christ Koumadje erneut ihre 2-3-Zone aus, die die Albatrosse auch gegen ratiopharm ulm spielten. Dabei ließ Ulms Trainer Jaka Lakovic – als Adjustment – im zweiten Spiel ein Play laufen, bei dem zwei Offensivspieler einen Ball-Screen an die Innenseite der beiden vorderen Verteidiger der Zone stellen. Ein Spielzug, der viel im College-Basketball zu sehen ist und den auch schon Mavs-Coach Rick Carlisle genutzt hat. Und genau dieses Play packte Trinchieri auch im Auftaktspiel gegen Berlin aus (auch wenn Baldwin gar nicht durch die Mitte zieht, was er tun sollte).
Weniger Inspiration, aber dennoch eine erwähnenswerte Randnotiz: Die Berliner sind unter Aíto bekannt für ihre „Next“-Defense im Pick-and-Roll. Dabei rotiert der Verteidiger am Flügel von der ballstarken Seite zur Spielfeldmitte, wenn der Ballhandler zieht – um zusätzlich Druck zu machen. Ansätze davon sieht man auch bei anderen Teams, bei den Bayern – mit ihrer Switching-Defense – hingegen weniger. Und dennoch agierte James Gist in der Crunchtime des zweiten Spiels auf diese Weise. Durch seine Rotation forcierte Gist so den Fehlpass von Maodo Lo.
Sollte man bei den Bayern im Serienverlauf ein Alley-Oop-Play aus einem in der Zone gestellten Back-Screen sehen – man sollte sich nicht wundern. Auch wenn die Defensiven die Serie prägen, auch wenn die Kraftreserven im Serienverlauf noch mehr an Bedeutung gewinnen werden, aus taktischer Sicht verspricht die Final-Serie bisher doch einiges. Wie es auch sein sollte.