Health is Wealth
Das gesundheitliche Wohlergehen ehemaliger Profis steht selten im Fokus. Indes hat sich dies in der NBA beachtlich geändert. Dem Zusammenspiel von Liga und Spielergewerkschaft sei Dank.
Wenn von Spielergesundheit die Rede ist, werden medial zumeist Verletzungsmiseren erörtert. Oder es werden Debatten um Ruhe- und Regenerationspausen geführt sowie Rückkehrgeschichten erzählt. Hinzu kommen flüchtige Nachrufe, wenn einstige Profis – nicht selten vorzeitig – versterben. Das gesundheitliche Wohlergehen der Ehemaligen (die anders als die Aktiven keine primären Geschäftsobjekte darstellen) steht derweil kaum im Fokus.
Doch hat sich dies in den letzten Jahren geändert. Zumindest seitens der beiden Tarifpartner, der NBA und der Spielergewerkschaft NBPA. Denn auch für Ex-Profis gilt seit der Saison 2016/17 „NB(P)A Cares“.
So haben Arbeitgeber und -nehmer seinerzeit gemeinsam ein millionenschweres Gesundheitspaket an den Start gebracht, das all die zurückgetretenen Spieler bevorteilt, die mindestens drei Jahre NBA-Erfahrung vorweisen können. Zur Einordnung: Eine NBA-Karriere dauert derzeit im Schnitt rund fünf Jahre.
Im Hinblick auf die großen Profiligen Nordamerikas bedeutet diese Fürsorgeinitiative, die zuvorderst auf eine reichweitenstarke Krankenversicherung abzielt, ein begrüßenswertes Novum – eines, das zur Norm werden darf.
Kofinanziert von Liga und Gewerkschaft, beinhaltet das Paket neben einem ausgeweiteten Versicherungsschutz – der bei verminderter Selbstbeteiligung medizinische Versorgung, Krankenhausaufenthalte, Arzneimittel sowie je nach Laufbahnlänge auch Ehepartner und Kinder einschließt – Pensionszunahmen und Bildungszuschüsse. Diese Maßnahmen sollen das langfristige Wohlergehen und den Karriereübergang der Ehemaligen zusätzlich befördern.
Realisiert wurde dieser umfassende Fürsorgevorstoß durch Gewerkschaftsbossin Michele Roberts im Dialog mit Commissioner Adam Silver. Zumal das starbesetzte NBPA-Exekutivkomitee um die Spielervertreter Chris Paul (Präsident) und LeBron James (Erster Vizepräsident) sowie Hornets-Eigner Michael Jordan das Vorhaben entscheidend vorangetrieben hatten.
So sieht sich die gerne als Familie beschworene Association endlich in der Pflicht, für die vorherigen Spielergenerationen substanziell Sorge zu tragen. Also den verdienten Vorreitern nach dem Karriereende etwas zurückzugeben.
Verlorene und gerettete Leben
Der Handlungsgrund dafür lag nicht zuletzt in den gehäuften wie vermeidbaren Todesfällen vormaliger Profis begründet. Allein im Jahr 2015 verstarben Anthony Mason (48 Jahre), Jack Haley (51), Christian Welp (51), Jerome Kersey (52), Darryl Dawkins (58) und Moses Malone (60) infolge kardiovaskulärer Probleme. Seit der Jahrtausendwende sind mehr als 50 Ex-Profis infolge von Herzerkrankungen vorzeitig verstorben.
Hall of Famer Nate „Tiny“ Archibald, der sich im Juni dieses Jahres erfolgreich einer Herztransplantation unterzog, gibt entsprechend zu bedenken: „Wissen Sie, wie viele Leben wir verloren haben – wie es etwa Connie Hawkins ergangen ist? … Ich meine Starspieler: Wilt Chamberlain, Moses Malone, Darryl Dawkins und so fort.“
Die unter Michele Roberts seit 2014 neu ausgerichtete NBPA machte „Gesundheit“ daraufhin zum Thema und stellte mit dem ligaweit angesehenen Sportmediziner Joe Rogowski 2015 erstmals einen verantwortlichen Experten ein. Zudem bietet die Gewerkschaft seit 2016 in vielen NBA-Städten für ehemalige Spieler kostenfrei Herzscreenings sowie umfassende fachärztliche Untersuchungen und Gesundheitsberatungen an.
„[Die Gewerkschaft] ist überall in den USA präsent“, weiß Archibald zu berichten. „In Orlando, in L.A. – hier in New York [am Hauptsitz der NBPA] werden allein 300 Jungs aus New York [State], New Jersey und Connecticut versorgt.“
Archibald, der 14 Profijahre in der NBA verbrachte und die Liga 1972/73 bei den Punkten (34,0) und Assists (11,4) anführte, nutzte als einer der ersten Ehemaligen die geschaffenen Fürsorge- und Vorsorgeangebote. So fand sich der Mann aus der South Bronx Ende 2016 in den New Yorker Räumlichkeiten der NBPA ein, um sich durchchecken zu lassen.
Dabei ging es dem einst pfeilschnellen und dribbelstarken Aufbau-Dynamo, der das Terrain für scorende Leichtbau-Guards bereitet hatte, körperlich nicht schlecht. (Abgesehen von den Folgeschmerzen eines erlittenen Achillessehnenrisses, einer getrennten Schulter sowie arthroskopischer Eingriffe an beiden Knien.) Im Gegensatz zu vielen Vormaligen hatte der heute 69-Jährige keine gravierenden orthopädischen Probleme davongetragen. Auch litt er nicht wie ein Großteil der Ex-Profis unter Bluthochdruck, Prediabetes oder Adipositas.
Dennoch ließ sich der fit gebliebene Pensionär vorsorglich untersuchen. Aus Gründen: „Um mich herum verstarben zu viele Spieler, und sie waren alle jünger als ich.“
Die Routineuntersuchung brachte für Archibald jedoch keine Entwarnung, sondern einen Schock. Zunächst wurde bei ihm ein irregulärer Herzschlag und sodann eine Amyloidose festgestellt. Ein krankhafter Ablagerungsprozess, der zu einer raschen Verschlechterung der Pumpleistung des Herzens und letztlich zum Organversagen führen kann. Also eine lebensbedrohliche Erkrankung, von der überproportional Afroamerikaner, vor allem Männer betroffen sind – oft ohne es zu wissen.
Der fünffache All-NBA-Spieler, der 1981 mit den Celtics die Meisterschaft gewann, merkt hierzu an: „Da wir als schwarze Menschen nicht alle über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen, wissen wir, dass wir [für medizinische Leistungen] bezahlen müssen … nicht wie ehemalige Spieler wie ich, die nun all dies [weitgehend] kostenfrei erhalten. Und wenn du nur wenig Geld hast, wirst du eben entsprechend selten zum Arzt gehen.“
Im Gegensatz zum Großteil der afroamerikanischen Bevölkerung profitiert Archibald sonach von den neu implementierten Gesundheitsleistungen – und gewiss auch von einem gleichermaßen lebensrettenden Spenderherz. „Die Spielergewerkschaft hat gemeinsam mit der NBA wirklich etwas bewirkt. Dafür haben wir [Ehemalige] zu danken“, betont Archibald.
„Ich möchte mich vor diesen Jungs [Chris Paul & Co.] verbeugen, die in ihre Zukunft geschaut und gesagt haben: ‚Früher oder später werden wir diejenigen sein, die vielleicht Hilfe benötigen.‘ Mit dieser Einstellung und all dem eingebrachten Geld haben sie einige unserer Leben gerettet. Es hat mir das Leben gerettet. Ich habe eine zweite Chance im Leben bekommen.“
Besser spät als nie
Keine Selbstverständlichkeit. Denn zuvor standen die Wegbereiter der heute prosperierenden Profiliga medizinisch gesehen häufig auf verlorenem Posten. Obwohl sie von der NBA eine Pension erhielten, mussten Ehemalige alleine für ihre Krankenversicherung aufkommen. Doch konnten sie sich die teure Versicherung, auch aufgrund ihrer sportbedingt dicken Krankenakten, meist nicht leisten.
Zur Info: Das NBA-Durchschnittsgehalt betrug Mitte der 50er Jahre 8.000 US-Dollar, 1968 20.000 Dollar. Ein Ausnahmespieler wie Oscar Robertson erhielt in den 60er Jahren ein garantiertes Jahressalär, das 70.000 Dollar nicht überschritt. 1976 lag das Mindestgehalt bei 30.000 Dollar.
Auch wegen fehlender Sensibilisierung (später mehr dazu) vermochten zurückgetretene und alleingelassene Spieler Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrzunehmen. Kostspielige Eingriffe konnten sie oftmals nicht vornehmen lassen. Vielfach standen Ex-Profis über Dekaden hinweg also unterversorgt da (wie weiterhin so viele ihrer amerikanischen Landsleute), wodurch ihre Lebensqualität und Lebenserwartung litt und leidet.
Earl Monroe beispielsweise verfügte bis 1990, als der Kreativspieler in die Basketball Hall of Fame aufgenommen wurde, über keine Krankenversicherung. Eine notwendige Hüftoperation musste warten. Heute geht der 73-jährige Versicherte gebeugt mit Gehstock, in seinen Bewegungen ist er eingeschränkt.
32.411 Minuten auf dem Hartholz für Bullets und Knicks (1967-1980) haben nachhaltig Spuren hinterlassen: Beide Knie, der linke Fuß und Knöchel bedurften während seiner Karriere chirurgischer Eingriffe. Geschätzt für seine einst schöpferische Anmut und spielerische Eleganz, hatte „The Pearl“ so bereits zu Glanzzeiten stets mit Schmerzen zu kämpfen.
Und aus schmerzhafter Selbsterfahrung weiß der vierfache All-Star, dass sich die Gesundheitsprobleme nach dem Rücktritt (auch altersbedingt) intensivieren. 47 Operationen hat Monroe seither über sich ergehen lassen. Von den Füßen über die Knie und Hüften bis zum Nacken zieren die von den zahlreichen Eingriffen zurückgebliebenen Narben seinen Körper.
Gleichwohl versucht der NBA-Champion von 1973 durch spezielle Workouts, gepaart mit Chiropraktik, Massage und Physiotherapie, in Bewegung zu bleiben. „Ich will einfach natürlich aussehen und meinen Nacken normaler bewegen können“, pointiert Monroe. „Ich möchte diese Schmerzen überwinden und endlich wieder anständig gehen können.“
Dabei ist der ikonische Playground-Star sich dessen bewusst, dass er trotz seiner körperlichen Einschränkungen noch immer besser gestellt ist. Als viele Ehemalige, die nicht seine Bekanntheit und sein Ansehen genießen. Oder als einstige Größen wie Chamberlain und Malone, die schon nicht mehr am Leben sind …
Und auch wenn das Gesundheitspaket der NBPA und NBA für zahlreiche Basketballpensionäre zu spät kommt, darf dieses im Sinne der dankbaren Begünstigten mit Monroe wertgeschätzt werden: „Die neue Absicherung? Gott sei Dank! Ich denke, Michele und die Spieler haben einen großartigen Job gemacht.“
Langer Weg
Monroes Zeitgenosse, „Tiny“ Archibald, findet für die Arbeit der Spielergewerkschaft ebenfalls lobende Worte; wobei er zugleich den langen Weg im Blick hat. „Sie tun das seit den Tagen von Oscar [Robertson], Dave DeBusschere, Archie Clark, Dave Cowens und Dave Bing. Sie sind die Stammväter der Spielergewerkschaft.“ (Zudem sollten die Gründerväter der NBPA, Bob Cousy und Tom Heinsohn, benannt sein). Eine Pioniertruppe, deren frühe Arbeitskämpfe bereits auf einen Plan für die Altersversorgung sowie eine bessere medizinische Versorgung abzielten.
Archibald fügt an: „Einer ihrer Leitsätze besagte: ‚Wir müssen uns um unsere Jungs kümmern, denn wir verlieren zu viele von ihnen.‘ Nicht zuletzt, weil wir [Spieler] zu keiner Zeit über eine gute Krankenversicherung verfügt haben.“
Als Schlüsselspieler bezeichnet die New Yorker Ballsport-Legende dabei den langjährigsten Präsidenten der NBPA (1965-1974): Hall of Famer Oscar Robertson, der seinerzeit resolut mehr Spielerrechte und bessere Arbeitsverhältnisse einklagte, eine starke Interessengemeinschaft formte und damit in der Liga ein Aufbrechen der Machtverhältnisse bewirkte.
„Es war The Big O, der voranging und unsere Sache unnachgiebig vorantrieb“, sagt Archibald voller Anerkennung. „Er hat sich dann auch mit den Youngstern, den [NBA-]Stars von heute getroffen und sie davon überzeugt, dass sie etwas tun können. Und sie haben es getan.“
Derweil ist es nicht allein richtig und wichtig, dass die heute überaus privilegierten und meist gut situierten NBA-Profis im Sinne eines Generationenvertrags für die Vorarbeiter und Vorkämpfer eintreten. Sondern eben auch, dass die ehemaligen Spieler im Zuge eines kultivierten Gesundheitsbewusstseins diese Hilfeleistungen wie Archibald annehmen. „Sie müssen wissen, dass die NBPA versucht, uns zu helfen“, betont der 69-Jährige. Er fordert seine einstigen Spielerkollegen als Fürsprecher daher dazu auf, am Programm teilzunehmen und sich in Anbetracht ihrer geschundenen Körper untersuchen zu lassen.
Hierbei ist Archibald es leid, sich die Ausreden vieler Ehemaliger anzuhören. „Als die Spielergewerkschaft [in New York] ihre Türen öffnete und all die Ärzte versammelte, die EKGs, Ultraschall- und Blutuntersuchungen anboten, waren von den 300 Jungs [aus dem Einzugsgebiet] gerade einmal drei am Start. Und es ist kostenlos!“
Später wurden mit Archibalds Zutun Email-Einladungen an 70 Ex-Profis versandt – nicht einmal zehn von ihnen fanden sich zum Checkup ein. „Sie denken, es sei nicht wichtig und sagen: ‚Ich brauche keine Untersuchung. Ich fühle mich gut‘“, erklärt der Mann aus der South Bronx.
„Ich sehe das so – und das ist kein Statement, sondern mein persönliches Empfinden“, schließt Archibald an: „Im Falle der zurückgetretenen Spieler handelt es sich darum, was gemeinhin Machotum genannt wird. Diese Jungs denken, dass mit ihnen niemals etwas nicht in Ordnung sein könnte … Viele von uns denken, dass sie einen schützenden Panzer haben.“
Jene Illusion vom unerschütterlichen Profiathleten, dem nichts und niemand etwas anhaben könne, gilt es sonach zu zerstreuen. Ein Trugbild, das sich kultürlich auch aus einer weithin vorherrschenden Vorstellung von Männlichkeit speist, die um wetteifernde Alpha- und Supermänner kreist, welche keine „Schwächen“ zeigen sollen und wollen.
Für Ehemalige, die sich nach dem Karriereende zudem oftmals abgetrennt und außen vor fühlen, ist es demnach kein Selbstläufer, das hilfreiche Gesundheitsangebot der NBPA zu nutzen. Denn dazu müssten sie sich auch ihre eigene Verletzlichkeit eingestehen und sich mit den schmerzlichen Nachwirkungen des Profisports auseinandersetzen.
Aus Archibalds Sicht sollten sie sich die Spieler seiner Ära die keineswegs unausweichlichen Schicksale einiger ihrer Zeitgenossen genau anschauen. Um zu begreifen, dass ihrerseits Handlungs- und Nachholbedarf besteht.
Der sechsfache All-Star stellt daher heraus: „Ich möchte nicht über meine Stats und den Hall-of-Fame-Stuff sprechen – das wissen wir ohnehin alle bereits. Und [meine Karriere] hat mir auch kein Herzleiden verschafft. Dafür habe ich erfolgreich ein neues Herz und ein zweites Leben erhalten. Das ist es, was ich sagen will.“
Eine Botschaft, die weithin Widerhall finden und als Beispiel zögerliche oder in Stille leidende Ehemalige ermutigen sollte.