Connie Hawkins: Spiel des Lebens

Lange bevor in der Basketballkultur die Rede von einzigartigen Einhörnern aufkam, flog „The Hawk“ über das Spielfeld und zeigte seine Fabelhaftigkeit. Eine Würdigung eines fast verhinderten Vorreiters.

Am 6. Oktober dieses Jahres ist Connie Hawkins im Alter von 75 Jahren zu früh verstorben. Sein krankheitsbedingter Tod (infolge eines Krebsleidens war er seit Jahren gesundheitlich geschwächt gewesen) ist nun ein trauriger Anlass, um ihn hier zu würdigen. Gleichwohl gibt es sehr gute Gründe, die Erinnerung an Hawkins wachzuhalten und seine (über-)sportliche Bedeutung herauszustellen.

Augenfällig ist zunächst, dass der Basketball-Hall-of-Famer (1992) lediglich 499 Partien in der NBA absolvieren konnte. Allerdings wurde er weder durch seine physische Konstitution ausgebremst (siehe Bill Walton und Yao Ming), noch fiel er einem tragischen Unfall zum Opfer (wie Maurice Stokes und Dražen Petrović). Vielmehr waren es die US-amerikanische Mehrheitsgesellschaft und das weiße Basketball-Establishment, die ihn in seinen besten Jahren zum Paria machten.

Noch bevor Hawkins seine Collegekarriere überhaupt starten durfte, musste er die University of Iowa 1961 unvermittelt verlassen. Der Grund? Ihm wurde die Involvierung in einen Wettskandal vorgeworfen, wodurch er in seiner Reputation nachhaltig geschädigt wurde. Kein NCAA-Team nahm den 19-Jährigen in der Folge auf, die NBA überging ihn später in der Draft und sperrte ihn offiziell aus. Genauso erging es Roger Brown, dreifacher ABA-Champ und -All-Teamer mit den Indiana Pacers, dem eine NBA-Karriere verwehrt blieb – während viele weiße Spieler unbehelligt davonkamen. Die Ausnahme war dabei Trainerlegende Doug Moe.

Wie Brown und Moe konnte Hawkins wohlgemerkt nie ein signifikantes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Auch kam keine Anklage gegen ihn zustande. Denn mit dem Wettbetrug um Jack Molinas hatte er schlicht nichts zu tun. Jedoch reichte in den frühen 1960er Jahren (und nicht nur damals) die Rede von schwarzer Ungehörigkeit aus, um eine hoffnungsvolle Karriere, ja ein Leben zu erschüttern. (Siehe auch der College-Wettskandal von 1951, dessen Folgen zuvorderst afroamerikanische Talente wie Sherman White und Ed Warner tragen mussten.)

Zur Einordnung: Wie die meisten Teenager wollte Hawkins seinerzeit einfach arglos den Ballsport ausüben, der sein Leben ausmachte. Er war ein schüchterner und sozial unsicherer Heranwachsender, zumal Halbanalphabet. Ein junger, unterprivilegierter Afroamerikaner, der von weißen New Yorker Polizeibeamten zwei Wochen zu Unrecht festgehalten, solange verhört und eingeschüchtert wurde, bis er ein nicht haltbares „Geständnis“ abgab.

„Es war verheerend“, sagte Hawkins später. „Ich war unschuldig, aber niemand hörte mir zu. Und da ich aus einer armen Familie kam, dachte niemand auch nur daran, einen Anwalt zu engagieren, um dagegen anzugehen. Wir waren eben nicht sehr weltklug.“

Bed-Stuy – Do or Die

Cornelius Lance Hawkins war in den 1940er und 50er Jahren in ärmlichen Verhältnissen in Bed-Stuy, Brooklyn, aufgewachsen. Ein lange vernachlässigtes Viertel und historisch ein Zentrum afroamerikanischer Kultur, das neben Doppel-Hall-of-Famer Lenny Wilkens (als Spieler und Coach) auch Ikonen wie Jay-Z und Biggie Smalls hervorgebracht hat.

Hawkins galt frühzeitig als lokales und bald landesweites Basketballphänomen. Nicht nur an der Boys High School, sondern auch auf dem Asphalt brillierte der Ausnahmeathlet, der bereits im Alter von elf Jahren den Druckkorbleger beherrschte. Vor allem durch seine Auftritte am New Yorker Rucker nährte der Youngster seinen Ruf als Playground-Legende (und mit ihm Roger Brown). So hatte sich Hawkins durch den Sport ein Selbstwertgefühl erarbeitet, das durch das erfahrene Unrecht jäh gemindert wurde.

Mangels Alternativen machte der Brooklynite seine ersten Profischritte in der kurzlebigen American Basketball League (1961-63) für die Pittsburgh Rens. Mit 27,2 Punkten und 13,2 Rebounds pro Partie dominierte der 2,03 Meter große Forward und avancierte zum Topscorer und MVP der Liga. Notgedrungen ging Hawkins anschließend mit der Showtruppe der Harlem Globetrotters auf Welttournee. Während er seine eindrucksvolle Athletik zur Schau stellte, suchte er zugleich den Zugang zur NBA mit Hilfe wohlwollender Anwälte einzuklagen.

Seine Zeit bei den „Globbies“ (1963-67) betrachtete Hawkins in der Rückschau als einprägsame, weil bereichernde Welterfahrung. Derweil seinerzeit der Gerichtsprozess gegen die NBA lief, wechselte Hawkins erneut nach Pittsburgh. Nun zu den Pipers, in die 1967 neu formierte American Basketball Association. „Wenn ich nicht in der ABA gespielt hätte, hätte ich keinen Job gehabt“, ordnete Hawkins später ein. „Diese Möglichkeit half mir und gab mir einen anderen Spielstil.“

In der innovativen Konkurrenzliga, wo das offene, schnelle Spiel (inklusive Dreipunktewurf und Dunkshow) vorherrschte, gewann er in seiner Premierensaison auf Anhieb die Meisterschaft und wurde 1968 zum Liga- und Playoff-MVP gewählt. Dabei führte der Topscorer der ABA (26,8 PpG) sein Team auch bei den Rebounds (13,5) und Assists (4,6) an. Eine statistische Allround-Leistung, die bis dahin in der NBA nur vier Ausnahmekönnern gelungen war (Maurice Stokes, Dolph Schayes, Elgin Baylor und Wilt Chamberlain).

Free at Last, Free at Last

Dass der Wettskandal-Paria in ihre Liga gehörte, schien nun auch der NBA-Führung auf. 1969 einigte sie sich schließlich mit Hawkins, der eine Millionenzahlung und endlich die ersehnte Spielberechtigung erhielt. Ein Münzwurf zwischen den neu gegründeten SuperSonics (1967) und Suns (1968) entschied über die Rechte am 27-jährigen „Rookie“, den jedoch vermehrt Knieprobleme plagten. All die Jahre auf hartem Asphalt und in schlechten Hallen sowie die Reisestrapazen machten sich demnach bemerkbar.

In Arizona war Hawkins daher nicht mehr der alles überstrahlende Akteur früherer Tage, den die NBA-Franchises und ihre Fans verpasst hatten. Dennoch gehörte er zu den besten Profis der Liga. Als erster Suns-Spieler wurde er 1970 ins All-NBA-First-Team gewählt. Phoenix verbesserte sich zudem um 23 Saisonsiege und nahm erstmals an den Playoffs teil, in denen der Spätberufene gegen das Superteam der Lakers über sieben Partien beachtliche Zahlen markierte (25,4 PpG, 13,9 RpG, 5,9 ApG).

Hawkins war nach Jahren der Exklusion „der glücklichste Mensch auf Erden“. Entsprechend betonte er: „Als ich ein NBA-Spieler wurde, habe ich nie mehr zurückgeschaut.“ Er war also keineswegs verbittert – stattdessen „einfach froh, dass ich spielen konnte“.

Und er erfuhr Wertschätzung. Jerry Colangelo, damals General Manager der Suns, ließ nach Hawkins Tod verlauten: „Wir haben eine Legende verloren. Einen Spieler, für den ich eine tiefe Zuneigung empfand und der uns [als Team] bekanntgemacht hat.“ Wäre ihm der gerade Weg in die Liga gewährt worden, meint der Franchise-Architekt der Suns, hätte er „einer der zehn oder 15 besten Spieler aller Zeiten sein können“.

Bevor Hawkins seine verkürzte Karriere (nach Gastspielen bei den Lakers und Hawks) 1976 mit 33 Jahren beendete, agierte er in Arizona drei weitere Saisons auf All-Star-Niveau.

Auszeichnungen und Statistiken sind indes nicht das Vermächtnis von „The Hawk“. Vielmehr war es sein Spiel, das ihn zur Ausnahmeerscheinung und stilbildenden Avantgarde machte. Denn noch vor Julius Erving brachte Hawkins Athletik und Ästhetik einprägsam in Einklang und das erdgebundene Spiel in die Luft. Eben wie ein anmutiger Falke flog der agile Highflyer über das Feld. Akrobatische Dunks, aber auch elegante Layups und den durch ihn popularisierten Fingerroll erhob „The Hawk“ zur Kunstform.

„Er war einer der ersten Spieler, die über Ringniveau agierten“, bedeutet Colangelo. „In puncto Ausstrahlung und Können auf dem Court gab er gewissermaßen den Ton an. Auch für die, die ihm nachfolgten, insbesondere Julius Erving.“

So verkörperte der sprunggewaltige Überathlet das offene, schnelle Spiel. Er besaß die nötige Länge, Spannweite und mit seinen enormen Händen eine exzellente Ballkontrolle. Eindrucksvolle Ball Fakes gehörten genauso zu seinem Repertoire, wie resolute Rebounds und punktgenaue Pässe auf cuttende Mitspieler. Zumal Hawkins abseits seiner Spielübersicht ein passabler Schütze war, der gerne den Turnaround Jumper einnetzte. Nicht zuletzt amtierte der uneigennützige Alleskönner (zumindest zu seiner Hochzeit) als beweglicher und blockstarker Verteidiger.

Lange bevor in der Basketballkultur die Rede von einzigartigen Einhörnern aufkam, ließ „The Hawk“ das Spiel sonach in vielerlei Hinsicht leicht aussehen. Als solch einen elektrifizierenden Ausnahmespieler – zugleich als bescheidenen, herzlichen und humorvollen Menschen, der nicht nachtragend war – sollten wir Connie Hawkins erinnern.