„Big John“ Thompson: Head Hoya
In einem Longread erzählen wir die gesellschaftlich lehrreiche Geschichte von Trainerlegende John Thompson und den Georgetown Hoyas.
In den 1980er Jahren galt er vielen als „Idi Amin of College Basketball“, seine landesweit bekannten Georgetown Hoyas als „Beast of the East“. Für andere war er ein Vorkämpfer und Vorbild. Coach John Thompson polarisierte und provozierte. Zeit zur Einordnung einer Reizfigur und übersportlichen Persönlichkeit.
Als John R. Thompson Jr. mit Anfang dreißig als Cheftrainer der Georgetown Hoyas eingestellt wurde, war Aufbauarbeit angesagt, die Zukunft ungewiss. Lediglich drei Siege hatte das Team aus Washington, D.C. 1972 erzielt. Nur drei Jahre später nahmen die Hoyas unter Thompsons Regie zum zweiten Mal nach 1943 am NCAA-Turnier teil.
In den 80er Jahren dominierten die Hauptstädter die leistungsstarke Big East Conference. Zwischen 1982 und 1985 erspielten sie eine eindrucksvolle Bilanz von 121 Siegen und 23 Niederlagen, und zogen dreimal ins Finale um die Collegemeisterschaft ein. Gegen Akeem Olajuwon und Clyde Drexlers Houston Cougars, die sogenannten „Phi Slama Jama“, holte das Team um Patrick Ewing 1984 den Titel.
14 Mal in Folge nahmen Coach Thompsons Mannschaften an der in den 80ern aufblühenden March Madness teil. Als der dreimalige „National Coach of the Year“ Anfang 1999 schließlich mit 57 Jahren zurücktrat, hatten seine Hoyas mehr als 70 Prozent ihrer Partien gewonnen, er nur seine erste Saison als Head Hoya mit einer negativen Bilanz abgeschlossen.
Der Hall-of-Fame-Coach (aufgenommen 1999) hatte in Georgetown sonach nicht nur eine Kehrtwende eingeleitet, sondern ein Basketballprogramm etabliert, das national als Powerhouse galt. 26 Hoyas wurden während seiner Amtszeit in der NBA-Draft ausgewählt; acht von ihnen in der ersten Runde. Darunter vier Hall of Famer und zwei NBA-Starter.
Ewing (1985) und Allen Iverson (1996) waren Nummer-eins-Picks. Alonzo Mourning (1992) wurde an Position zwei, Dikembe Mutombo (1991) sowie Flügelspieler Reggie Williams (1987) jeweils an vierter Stelle gezogen. All-Star-Aufbau Eric „Sleepy“ Floyd (siehe Titelfoto) war 1982 die 13. Wahl.
Auch ist die von „Big John“ begründete Big-Man-Schule leicht ersichtlich. Das Defensivtriumvirat, bestehend aus „Pat“, „Deke“ und „Zo“, steht dafür Pate. Jerome „Junkyard Dog“ Williams und Othella Harrington (beide 1996) sowie später Roy Hibbert (2008) und Greg Monroe (2010) seien in dieser Hinsicht ebenso genannt.
Imposant ist zudem der akademische Fakt, dass 76 von 78 Thompson-Protegés, die über vier Jahre an der Hochschule verblieben, ihren Collegeabschluss machten. Dies bedeutet eine Graduierungsrate von 97 Prozent.
Doch erzählen bloße Zahlen und bekannte Namen nur eine oberflächliche Wohlfühlgeschichte. Gewiss, sie stellen Thompson in den Kernbereichen Sport und Bildung ein exzellentes Arbeitszeugnis aus. Die gesellschaftliche Bedeutung, die übersportliche Dominanz und Relevanz des Erfolgstrainers und seiner Mannen, erfassen und erklären sie hingegen nicht. Denn in den USA der 80er Jahre herrschten andere Wahrnehmungen und Wahrheiten vor, die es auszubuchstabieren gilt.
Too black, too strong
Seinerzeit waren „Big John“ und die Hoyas alles andere als gerne gesehen, vielmehr umstritten. Besonders in der weißen Mehrheitsgesellschaft. Galt doch Georgetown als das schwarze Team der 80er.
Die ausschließlich afroamerikanische Meistermannschaft um „Hoya Destroya“ Ewing war wie ihr Coach hochgewachsen und knallhart. Viele sahen sie klischeebeladen als „Thugs“. Als aufgebrachte und unbeherrschte junge schwarze Männer, die sich um den finster dreinblickenden 2,08-Meter-Hünen scharten. Stets mit weißem Frotteehandtuch über die Schulter drapiert, ging dieser an der Seitenlinie geräuschvoll auf Patrouille. Der meinungsstarke und machtbewusste Head Hoya, der eine enorme Präsenz ausstrahlte und sich nichts bieten ließ, fungierte als Enigma und Reizfigur.
Hinzu kamen die hyperaggressive Verteidigung und die physische Intensität, die Thompson von seinen Spielern konsequent einforderte und diese rigoros ausagierten. Gezielt wurden die Gegner eingeschüchtert, Ballverluste forciert und geblockte Würfe demonstrativ als „Rejections“ ins Publikum geschickt und die Bretter hartnäckig dominiert. Auf diese Weise entfachten Ewing & Co. eine sogenannte „Hoya Paranoia“.
Gruppiert um einen herausragenden Ringbeschützer als Herzstück der Defensivmannschaft, setzte „Big John“ bewusst auf übersehene Spieler aus teils schwierigen Verhältnissen. Auch weil sie Wettkampfhärte mitbrachten und etwas zu beweisen hatten. Zum Beispiel Center Ed Spriggs, zuvor ein Postangestellter in D.C. Oder ein unapologetischer Enforcer wie Power Forward Michael Graham.
Derweil schirmte Thompson seine Schützlinge vor dem Zugriff der Medien und anderen Außeneinwirkungen ab. Freshmen durften keine Interviews geben, höhere Semester maximal 15 Minuten Rede und Antwort stehen. Dabei pushte er sie hinsichtlich ihrer spielerischen, akademischen, sozialen und persönlichen Entwicklung. Nicht wenige Beobachter und Berichterstatter hielten den kontrollbewussten, unnahbaren Coach für einen schwarzen Separatisten.
So sorgte ein afroamerikanisch dominiertes Programm – situiert im durch weiße Männer beherrschten Collegesport, Teil einer überwiegend weißen, jesuitischen Elite-Universität, gelegen in einem exklusiven Wohnviertel am Potomac River und inmitten der mehrheitlich schwarzen Hauptstadt – seinerzeit für diverse Irritationen und Interpretationen. Vor allem außerhalb von Washington.
Entsprechend war von einer „Ansammlung von Schlägertypen“ und von „dreckigem Basketball“ die Nachrede. Und auch offen rassistische Anfeindungen und Attacken blieben nicht aus. Zuvorderst musste Ewing, der als prototypischer Hoya kaum lächelte und schüchtern mit jamaikanischem Akzent sprach, als Prügelknabe herhalten und reichlich Hetze wegstecken. Es folgen Bananen aufs Spielfeld. Schmähschilder („Ewing Can’t Read“) wurden hochgehalten und Drohungen artikuliert.
Nicht wenige Weiße assoziierten das Schwarzsein der Hoyas auf stereotype Weise mit Dummheit, Primitivität und bedrohlicher Körperlichkeit. Nicht umsonst galten die sogenannten „rebellischen Ringer“ als „Beast of the East“. Überdies war gar von Betrug die Rede, da Ewing und seine afroamerikanischen Mitspieler nicht für den Universitätszugang befähigt und berechtigt seien …
Für andere, Afroamerikaner und Jüngere, verkörperten die erfolgreichen Hoyas hingegen schwarzen Stolz und Selbstermächtigung. Sie waren das Team des schwarzen Amerika. Ein attraktives und innovatives Programm, die Protagonisten cool, frisch und hip. Denn die auf großer Bühne sichtbaren Vorkämpfer und Vorbilder – bisweilen trugen sie ihre Heimspiele im Capital Centre der Washington Bullets aus – setzten mit ihrem selbstbewussten Auftreten und ihrer schwarzen Ästhetik ein gefeiertes Statement.
So war es ein angesagter Style, wie Ewing ein T-Shirt unter dem Trikot zu tragen. Grahams Glatze war vor Michael Jordan Avantgarde. Hinzu kamen graublaue Nike Terminators, Starter-Baseballjacken und Hoodies mit der ikonischen Georgetown-Bulldogge sowie Hoyas-Caps und -Jerseys mit Kente-Muster. All dies war in den 80s und 90s ein modisches Must-Have. Zumindest im urbanen Raum. Hoya Gear war demnach „Hip-Hop & Hood Gear“.
(Nebenbei: Thompson ist seit 1991 Direktoriumsmitglied von Nike. Er war einer der ersten Coaches, die dafür bezahlt wurden, dass ihre Teams den Swoosh tragen.)
Lern- und Lehrjahre
Ein halbes Jahrhundert zuvor wuchs Thompson Jr. mit seinen drei Geschwistern im rassengetrennten District of Columbia auf. Sein Vater John, der weder lesen noch schreiben konnte, arbeitete als Handwerker. Seine Mutter Anna, eine ausgebildete Lehrerin, war wie so viele schwarze Frauen notgedrungen als Hausangestellte tätig. Ihren Jüngsten schickten sie auf eine katholische Schule. Dort sollte er eine gute Ausbildung erhalten.
Bildung galt wie in so vielen afroamerikanischen Familien als Aufstiegshoffnung. Nur wurde John Jr. wie so viele schwarze Kinder aufgrund von Lernschwierigkeiten prompt als geistig zurückgeblieben abgestempelt. Eine einprägsame Negativerfahrung.
Nach dem Wechsel an eine öffentliche Schule zeigte er sich lernbereit, wissbegierig und sportinteressiert. Als 13-Jähriger war er bereits zwei Meter groß, der Basketball naheliegend. Lokalheld Elgin Baylor fungierte zunächst als sein Vorbild, der Ballsport bald als seine große Liebe. Die Archbishop Carroll High School führte der stille und schüchterne Center mit dem gelegentlich aufbrausenden Temperament zu zwei Stadtmeisterschaften (1959, 1960).
Anschließend entschied sich der gefragte Rekrut für das dominikanische Providence College in Neuengland; die Alma Mater von Lenny Wilkens. Seine Mutter mochte die religiöse Disziplin, er die vielversprechende Chance, später als Territorial Pick von den Boston Celtics gedraftet zu werden. Red Auerbach, der Macher der NBA-Abomeister, welcher auch aus D.C. stammte, sah ihn als zukünftigen Backup für Franchise Player Bill Russell, Thompsons Idol.
In Providence fügte sich Thompson in die überwiegend weiße Sozialumgebung ein. Mit seinen Teamkollegen kam er gut aus. Zumal er abseits des Sports mit älteren Euroamerikanern enge Freundschaften schloss, die ihm als „Ersatzeltern“ dienten und seine Weltsicht erweiterten. Sie charakterisierten ihn als aufmerksam und empfindsam, argwöhnisch und diszipliniert.
Auf dem Parkett bestach Thompson durch sein Wurfgefühl und eine gute Spielübersicht. Seine langsamen Beine und Füße bereiteten dem stämmigen Big Man indes Probleme, Schritt zu halten. Ein entscheidender Nachteil, der seine Profiqualität minderte.
So absolvierte er in der NBA über zwei Jahre (1964-1966) als Russells Ersatzmann lediglich 74 Saisonspiele, in denen er durchschnittlich auf je 3,5 Punkte und Rebounds kam. Zwei Titelgewinnen saß Thompson als Bankwärmer bei (sechs Kurzeinsätze in den Playoffs); wobei er die einschüchternde Verteidigungsarbeit, mentalen Prinzipien und das exzellente Rollenverständnis der Celtics verinnerlichte.
1966 wurde „Big John“ in der Expansion Draft von den Chicago Bulls ausgewählt. Er entschied sich jedoch gegen ein unstetes Dasein als marginaler NBA-Profi und für eine Rückkehr nach D.C. Im Gepäck hatte er seinen Collegeabschluss in VWL und Pädagogik sowie die Lernerfahrung defensiver Dominanz und keltischer Spielkontrolle. Einsichten, die er schon bald vermitteln sollte.
Im District begann Thompson seine Trainerkarriere an der katholischen St. Anthony’s High School. Diese formte der ehrgeizige Wettkämpfer binnen sechs Jahren zu einem Basketball-Powerhouse. 1972 klopfte schließlich die katholische Eliteuni an, die ihm im noblen Georgetown einen Wiederaufbaujob mit viel Gestaltungsfreiheit anbot. „Big John“ nahm die Herausforderung entschlossen an.
Seinerzeit startete die weiße Hochschule gerade eine „Diversitätsoffensive“. Dabei wurden etwa Aufnahmeprogramme für unterprivilegierte Schüler implementiert. Solche Maßnahmen sprachen den Neutrainer an. Ging es ihm neben dem sportlichen Erfolg doch stets um die Schaffung von Bildungszugängen und -abschlüssen.
So rekrutierte Thompson gezielt benachteiligte Afroamerikaner. Alldieweil er Mary Fenlon (eine frühere Nonne, die an der St. Anthony’s HS Latein und Englisch unterrichtet hatte) als Bildungsberaterin und -koordinatorin einstellte. Damit schuf er eine Stelle, die es im Collegebasketball bis dahin nicht gegeben hatte. Unter Fenlons Aufsicht – von 1972 bis 1999 saß sie auf der Bank der Hoyas und war auch anderweitig omnipräsent – wurden die akademischen Leistungen fortan fokussiert.
Unterdessen gelang Thompson die sportliche Kehrtwende auch deswegen, weil er als Menschenkenner verteidigungswillige Teamspieler und übersehene Talente wie „Sleepy“ Floyd erkannte. (Der Point Guard reifte später in der NBA zum All-Star und legte in seiner Auswahlsaison 18,8 Punkte, 10,3 Assists und 1,8 Steals auf.)
Entsprechend baute Thompson ein lokalorientiertes Recruiting-Netzwerk auf. So stammen zahlreiche Hoya-Alumni (u.a. David Wingate, Charles Smith IV und Zo Mourning) aus dem „DMV“. Also der DC-Maryland-Virginia-Region. Hinzu kamen wechselseitig fruchtbare Trainerfreundschaften. Etwa zu den raren schwarzen Head Coaches wie John Chaney, Nolan Richardson und George Raveling.
Ein weiterer Erfolgfaktor war Thompsons Präsenz und Prinzipientreue. Von seinen Rekruten forderte er unbedingte Loyalität und Disziplin ein. Im Gegenzug behandelte und beschützte er sein Team wie eine Familie. Seine Spieler hatten immensen Respekt, zuweilen berechtigte Angst, vor der imposanten Autoritätsperson.
Denn John Thompson griff durch. 1975 setzte er seinen (weißen) Topscorer Jonathan Smith auf die Bank, weil dieser den Unterricht geschwänzt hatte. Die Hoyas verloren sechs Spiele in Serie. Studenten entrollten daraufhin ein Banner mit der Aufschrift: „Thompson, the Nigger Flop, Must Go!“ „Big John“ ließ sich aber nicht einschüchtern. Mit seinem Team gewann er elf der nächsten zwölf Partien – und zog mit den Hoyas nach 32 Jahren wieder ins NCAA-Turnier ein.
1981 gelang ihm schließlich ein transformativer Coup, als er Patrick Ewing für Georgetown gewinnen konnte. Der sozial unsichere Sevenfooter, der als nächster Bill Russell galt, aber in Boston mit rassistischen Anfeindungen und Lernschwierigkeiten rang, fühlte sich von Coach Thompson verstanden und als Mensch geachtet. Wiederholt trat dieser als Vaterfigur für seinen geschätzten Protegé und die Interessen all seiner Ziehsöhne couragiert ein. Nicht selten zum Leidwesen des Mainstreams, der die abgeschirmten Hoyas als „Outcasts of College Basketball“ brandmarkte.
Top Dog
Die weiße Öffentlichkeit warf dem ersten afroamerikanischen Meistertrainer der NCAA Division I vieles vor. Doch wusste sich der heute 76-Jährige stets zu wehren. „Wenn mich jemand attackierte, ließ ich mir das nicht gefallen“, betont Thompson, der als Pionier zu den wenigen nicht-weißen Cheftrainern im Division I Basketball gehörte (fünf Prozent zur Mitte der 80s).
Ich sollte dankbar sein, weil ich einer der ersten afroamerikanischen Coaches war. Ich sollte dasitzen und sagen: ‚Oh, vielen Dank für den Job, lieber weißer Mann.‘ Gott hat mich menschlich und gleich gemacht. Nun sollte ich dankbar dafür sein, gleichberechtigt und als Mensch behandelt zu werden?
Nein, Unterwürfigkeit war Thompsons Sache nicht. Vielmehr hinterfragte er seinen Erfolg. Den damit verbundenen Erwartungen und Wahrnehmungen erteilte er eine Absage.
„Wenn ich erfolgreich bin, bedeutet das, dass Schwarze coachen können. Wenn ich scheitere, bedeutet es, dass sie es nicht können“, stellte er 1984 kritisch heraus. „Das ist Schwachsinn, aber für Weiße ist es bequem, das zu glauben, also tun sie es. Dann sind sie aufgebracht, weil ich nicht das Erwartete tue. Ich bin nicht dankbar dafür, was sie als meinen Erfolg wahrnehmen. Sie können das nicht verstehen.“
Viele Siege und Dollars – die er als seinerzeit bestbezahlter und sichtbarster schwarzer Coach gleichwohl ansammelte – verwarf er als Erfolgskriterien. „Aber, wenn ich ein paar Dinge, auch nur ein wenig verändern kann, indem ich die Position nutze, die mir gegeben wurde und sage: ‚Nein, das ist falsch‘, dann kann ich mich vielleicht später einmal gut fühlen.“ Er ergänzte: „Mag sein, ich verändere nichts; und ich weiß, dass ich manche Leute verärgere, aber damit kann ich gut leben. Das ist das Wichtigste für mich.“
Solch herausfordernde Aussagen brachten Thompson in den 80ern den Ruf eines Unruhestifters ein. Manchen erschien der unbequeme Head Hoya gar als „Idi Amin of College Basketball“. Eine groteske Zuschreibung, wie er später kopfschüttelnd anmerkte:
Idi Amin [ein ugandischer Diktator] tötete Menschen. Und das war noch eines der netteren Dinge, die sie über mich sagten.
Auch aus Selbstschutz stellte Thompson eine notorische Persona zur Schau, die er rückblickend als eine „berufsbedingte Anpassung“ an die Umgebung sah, in der er lebte. An eine Gesellschaft, in der ihm vorgeworfen wurde, dass er ein Rassist sei, der nur schwarze Spieler rekrutiere und Menschen vorsätzlich einschüchtere. Indes galten harte weiße Trainer ausschließlich schwarzer Teams nicht selten als Wohltäter und gefeierte „Top Dogs“ …
(Im Übrigen: 1988 coachte Thompson die Olympia-Auswahl der USA, welche mit Topscorer Dan Majerle allein einen weißen Spieler und die beste Defensive aufbot, aber der Sowjetunion knapp unterlag und „nur“ Bronze gewann. Das nachfolgende „Dream Team“ war die Konsequenz dieses Abschneidens.)
Thompson fasste sein damals kontroverses Auftreten wie folgt treffend zusammen:
Was sie beunruhigt, ist die Tatsache, dass ich nicht tue, was sie von mir erwarten. Ich bin nicht ‚dankbar‘ für meinen Erfolg. Weiße fühlen sich durch Schwarze eingeschüchtert, die nicht lächeln. Wenn du nicht lächelst, singst oder betest, sehen sie dich als rebellisch an. Weiße sprechen gerne über gute Schwarze, jedoch nicht über intelligente schwarze Menschen. Das passt nicht in ihr Bild.
Überdies brachte sich der Head Hoya gesellschaftspolitisch ein, indem er das Wort ergriff und Missstände anprangerte. „Wenn ich Dinge in der weißen Gesellschaft kritisiere, sagen sie, dass ich die weiße Gesellschaft hasse. Das ist nicht wahr“, pointierte Thompson. „Wenn ich aufgrund eines rassistischen Schilds aufbrause, aufstehe und etwas aussage, was sie nicht hören wollen, werde ich als verbitterter schwarzer Mann wahrgenommen. Ich bin nicht verbittert, aber meine Position gewährt mir eine Plattform.“
Seine gesellschaftliche Sichtbarkeit und hörbare Bassstimme versuchte Thompson sonach zu nutzten, um einen sozialen Unterschied zu machen. Erwartbar stieß er im weißen Amerika damit auf wenig Gegenliebe. Denn „Big Johns“ emotionale Ausbrüche befeuerten die stereotype Wahrnehmung, mit der er sich konfrontiert sah.
Als Patrick Ewing 1982 während der March Madness eine Todesdrohung erhielt, brachte Thompson seine Wut und Empörung darüber offen zum Ausdruck. 1983 führte er die Hoyas geschlossen vom Feld, als im Verlauf einer Partie gegen seine Alma Mater Schmähschilder im Publikum auftauchten. Nachdem sein Starcenter bei einem Spiel gegen Villanova schließlich mit einer Bananenschale beworfen wurde, „Ewing Is An Ape“ auf einem Betttuch geschrieben stand und ein Zuschauer ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ewing Kant Read Dis“ trug, verkündete sein Trainer, dass er das Team beim nächsten Vorfall auf die Zuschauerränge schicken werde …
Erniedrigungen und Menschenfeindlichkeit konnte Thompson nicht ignorieren. Gerade weil es diese in einer als „farbenblind“ verklärten Gesellschaft vermeintlich nicht gebe. „Wenn ich sage, dass mich etwas stört, dann wird dem automatisch ein rassisches Label verpasst, weil ich nun einmal schwarz bin. Aber ich habe nicht auf die Schilder gegen Patrick reagiert, weil sie einen schwarzen Mann erniedrigen, sondern weil sie einen Menschen erniedrigen.“ Desillusioniert fügte er seinerzeit an:
Ich habe Pat gefragt, wie er all das aushält. Er sagte mir: ‚Ich habe mich daran gewöhnt. Ich habe schon so viel davon an der Highschool [in Boston] abbekommen.‘ Das hat mich am traurigsten gemacht.
Watchdog
Thompson forderte nicht nur vehement eine menschliche Behandlung seiner Spieler ein, er war zugleich darum bemüht, sie als „Watchdog“ vor Gefahren zu schützen. Denn lange Zeit galt D.C. als „Mordhauptstadt“ der USA, in der die Drogenkriege und damit die Gewalt eskalierten. (Nicht zufällig wechselten die Washington Bullets 1997 ihren Teamnamen.)
Als sich ein junger, leicht zu beeindruckender Alonzo Mourning Ende der 80er mit Drogenboss Rayful Edmond III anfreundete, war dies nicht ungewöhnlich. Die Topdealer suchten die glanzvolle Nähe der Topspieler. Sie versuchten ihnen zu imponieren, sie besuchten die gleichen Läden und Lokale.
Thompson war dies als strengem Erzieher der alten Schule zuwider. Dem urbanen Mythos zufolge bestellte er Edmond in sein Büro und las ihm die Leviten. Der Drogenboss ließ daraufhin von den Hoyas ab. Wenig später wanderte er ohne Begnadigung lebenslänglich ein. Power Forward John Turner musste derweil das Team verlassen, da er sich nicht wie „Zo“ von Edmond lossagen wollte.
Zudem wurde bei Coach Thompson Bildung wie gesagt groß geschrieben und ordnungsgemäß ausbuchstabiert. Wer bei den gesetzten hohen Standards nicht mitzog, wurde umgehend nach Hause geschickt. Dikembe Mutombo wollte er etwa aufgrund eines wegen Zahnweh versäumten Schultages bereits in den Flieger zurück Richtung Kongo setzen.
„Big Johns Lektionen waren sehr prägend“, erinnert „Deke“. „Er hat den Fokus jederzeit auf die Bildung und den Lebensweg gelegt. Manchmal verbrachten wir vier oder fünf Stunden in der Halle. Aber drei davon haben wir ihm Fragen gestellt. Über das Leben, die Schule und die Wege, die wir einschlagen sollen, wenn wir die Universität verlassen. Oder wie wir uns in Geschäftsbeziehungen zu verhalten haben.“
Der Basketball diente dem Coach sonach als Werkzeug, um sozial einzugreifen. Um Lebenschancen zu eröffnen und Lebenswege zu verändern. Standardisierte Collegeeinstellungstests, die der Einschätzung der akademischen Eignung von Athleten dienen sollen, lehnte er dabei entschieden ab. Warum? Weil sie (bildungs-)benachteiligte Schüler – die meisten schwarz sind – unfair zurücksetzen. Die hier lesenswert aufgearbeitete Entwicklung, die Gentrifizierung des Collegebasketballs, verdeutlicht dies.
Anfang 1989 protestierte Thompson gegen solche Regelungen der NCAA. Bei zwei Heimspielen trat er vor dem Tip-Off demonstrativ den Rückzug in die Kabine an. „Ich werde solange nicht während einem von der NCAA sanktionierten Georgetown-Spiel auf der Bank sitzen, bis ich zufrieden bin und etwas getan wurde“, ließ er damals verlauten.
Handlungsbedarf bestand indes auch in puncto akademische Anleitung. Während um 1990 mehr als 90 Prozent der Hoyas ihren Abschluss machten, betrug die Graduierungsrate in den Division I Kernsportarten Football und Basketball lediglich 20 Prozent. 31 Prozent der in einer Umfrage befragten schwarzen Athleten sahen sich seinerzeit durch ihre Coaches akademisch ermutigt. Ein Armutszeugnis, das Thompson wie so viele andere Missstände couragiert herausforderte.
2007, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Georgetowns Basketballprogramm, bedankte sich der pausenlose Rebell für die langjährige Unterstützung seitens der Universität:
Mir war es möglich, der zu sein, der ich bin. Der Fakt, dass sie mich nicht eingehegt oder zurückgepfiffen haben als es kontrovers zuging, sie mich nicht als schwarze Person vereinnahmt haben … Ich hätte nicht der sein können, der ich bin, ohne dass es mir meine Universität erlaubt hätte.
Was bleibt? Einerseits die erlaubte Frage, ob sich der Head Hoya in all den Jahren doch noch hat weichkriegen lassen. „Big John ist noch immer Big John. Generationen wandeln sich, Big John verändert sich nicht“, versichert Mutombo glaubhaft. Und andererseits die Frage nach:
Ehre und Erbe
Erstere wurde Thompson im Herbst 2016 zuteil, als er der feierlichen Eröffnung des John Thompson Jr. Intercollegiate Athletic Centers beiwohnte. Es ist ein zeitgemäßes Trainingszentrum, das auf Georgetowns Hilltop im Westen von Washington für 62 Millionen US-Dollar errichtet wurde. Den Basketballteams der Hoyas (Frauen und Männern) bietet es nun ausreichend Raum und Komfort. Alldieweil den Eingangsbereich eine Bronzestatue des Übervaters ziert. Selbstverständlich hat dieser in dem nach ihm benannten Komplex noch immer ein Büro inne.
Dabei wurde das hochmoderne Campus-Gebäude nicht zuletzt durch die großzügigen Spenden einstiger Hoyas finanziert. Roy Hibbert und Jeff Green steuerten etwa jeweils eine Million Dollar bei. Patrick Ewing schoss gemeinsam mit dem ehemaligen Superagenten David Falk (der seit jeher Thompson und GT-Alumni vertritt) gar 3,3 Millionen zu. Gewiss keine zufällige Summe. Vielmehr ein nummerische Hommage an Ewings ikonische Nummer 33.
Das immense Ansehen, das Thompson seitens seiner Protegés genießt, manifestierte sich im September 2016 auf einer anderen Bühne ebenso beispielhaft. Nämlich als die Basketball Hall of Fame Allen Iverson im Rahmen einer Feierstunde in ihre Reihen aufnahm.
In einer gewohnt authentischen Rede, der „Big John“ als Zuhörer beistand, bedankte sich „The Answer“ in anrührender Weise bei seinem einstigen Mentor. „Ich möchte Coach Thompson danken … dafür, dass er mein Leben gerettet hat“, begann Iverson mit bebender Stimme und betonte: „Dafür, dass er mir eine Chance gegeben hat. Ich wurde von jeder Schule des Landes rekrutiert. Dann gab es einen Vorfall während der Highschool, wodurch mir all das genommen wurde. Kein anderes Team, keine andere Schule rekrutierte mich mehr. Meine Mom ging nach Georgetown und bat ihn, mir eine Chance zu geben. Und er tat es.“
Diese konnte „AI“ bekanntlich nutzen, da ihn Thompson 1994 in die Hoyas-Familie aufnahm und protegierte. Wobei der Coach der alten Schule gleichwohl von der Hoffnung absah, das unanpassungswillige Übertalent zu kanalisieren und kontrollieren. Dennoch akzeptierte er seinen herausfordernden Schützling. So ließ er ihn zumindest auf dem Feld gewähren und dann vorzeitig (1996) Richtung NBA ziehen.
Thompsons Lieblingsschüler, den er wie seinen dritten Sohn behandelte, ging im Frühjahr 2017 derweil den umgekehrten Weg. Nach mehr als 30 Jahren NBA, zurück in die NCAA – an seine Alma Mater. Die Rede ist von Hall of Famer Patrick Ewing, dem originären „Hoya Destroya“.
Im April dieses Jahres übernahm er in Georgetown den vakanten Posten des Cheftrainers. Denn „Big Johns“ leiblicher Sohn, John Thompson III, war nach 13 Jahren in D.C. geschasst worden. Dabei konnte dieser immerhin acht Teilnahmen am NCAA-Turnier und einen Final-Four-Auftritt vorweisen.
Ewing tritt folglich in große Fußstapfen. Während er sich der selbst mit aufgebauten Erfolgstradition gegenübersieht. Nach 14 Jahren als NBA-Assistenztrainer erhält er indes seine Chance, sich als Head Coach zu beweisen, was ihm in der Profiliga verwehrt geblieben war. (Über die vergangenen vier Jahre amtierte er als Associate Head Coach der Charlotte Hornets.)
Es ist aber nicht nur die ruhmreiche Historie, die Ewing herausfordert. Sondern auch viele Zweifler, die sich unterschwellig anmaßen, seine Kompetenzen als Trainer infrage zu stellen. So waren zahlreiche skeptischen Äußerungen zu vernehmen, bei denen ein Subtext mitschwingt, in dem der rassistische Ballast Widerhall findet, den Ewing schon zu Collegetagen erdulden musste. Nämlich hinsichtlich seines kognitiven und sozialen Vermögens, seiner Fähigkeiten und seinem Fokus.
Jeff Van Gundy, der mit Ewing in New York und Houston zusammengearbeitet hat, weiß indes zu berichten: „Sehr wenige derjenigen, die zu den Top-50-Spielern aller Zeiten gehören, haben so viel in eine zweite Karriere investiert, wie Patrick das in puncto Coaching getan hat. Seine Persönlichkeit wurde schon über so lange Zeit verkannt, dass ich es gar nicht abwarten kann, dass er der Öffentlichkeit seinen Humor, seine Intelligenz und seine Kernwerte zeigt, wenn es darum geht zu führen.“
Dass Ewing der angestrebte Chefposten in der NBA trotz guter Arbeit versagt geblieben war, hat wohl auch etwas mit einem Big-Man-Bias zu tun. Thompson stellt hierzu heraus: „Patrick ist ein smarter Spieler, ein großartiger Anführer. Jedoch hört man sehr selten, dass in der NBA oder im Collegespiel Intelligenz mit Körpergröße assoziiert wird. Stattdessen wird gedacht, dass es immer die Guards sind, die auf dem Parkett das Denken übernehmen. Darunter leidet Patrick.“
Dieser stimmt zu: „Es gibt vermutlich solch eine Wahrnehmung der Big Men. Die Leute denken, dass die Guards die beste Sache sind. Auch haben wir derzeit nun mal eine Außenspieler orientierte Liga. Aber so ist das eben …“
Hinsichtlich der NBA-Coaches stützen die aktuellen Zahlen diese Feststellung. Vier von acht nicht-weißen Trainern sind ehemalige NBA-Spieler. Namentlich Doc Rivers, Ty Lue, Jason Kidd und Nate McMillan. Dagegen können nur sieben der verbleibenden 22 Übungsleiter dies von sich behaupten. Rick Carlisle, Steve Kerr, Fred Hoiberg, Scott Brooks, Luke Walton, Jeff Hornacek und Mike D’Antoni. (Billy Donovans 44 NBA-Partien sind zu vernachlässigen.) Also bis auf einen Flügel, allesamt erfahrene einstige Einser und Zweier.
Wer waren derweil die letzten Big Men, die in der Liga als Cheftrainer gearbeitet haben? Bill Cartwright (2003, Bulls) und Herb Williams (2005, Knicks), die beide einst mit Ewing in New York zusammengespielt hatten. Also bei der Franchise, die, seit ihr einstiger Starspieler als Trainer arbeitet, zehn verschiedene Head Coaches angestellt hat. Wohlgemerkt wurde „Big Pat“ dabei zu keinem Zeitpunkt als Bewerber ernsthaft berücksichtigt.
Nun muss sich der Sevenfooter, dessen Teams stets auf Konstanz und harter Verteidigung gründeten, in einer NCAA behaupten, in der „One-and-Done“ und „Pace-and-Space“ vorherrschen. Zudem sind im Division I Basketball afroamerikanische Head Coaches weiterhin rar gesät. (Zuletzt 21 bzw. 17 Prozent in den großen Conferences.) Seit Thompsons Titelgewinn mit den Hoyas (1984) hat es nur drei weitere schwarze Meistertrainer gegeben. Nolan Richardson (1994), Tubby Smith (1998) und Kevin Ollie (2014).
Diesen und vielen weiteren praktischen Herausforderungen muss sich Ewing als Thompsons indirekter Nachfolger und Erbe stellen. Wenn nötig, wird „Big John“ dem neuen Head Hoya dabei sicher zur Seite stehen.