Daniel Theis: Entheising

Daniel Theis hat sich als Rookie in der Rotation der Boston Celtics etabliert. Wie hat der Big Man das geschafft? Die Analyse samt zweiteiligem Video-Breakdown gibt Aufschluss.

„Tommy Points“ tauchen in keinem Boxscore auf. Und doch haben Spieler der Boston Celtics vieles richtig gemacht, wenn sie solche Punkte sammeln. Daniel Theis ebenso – in seinem erst siebten NBA-Spiel. Wobei der deutsche Rookie wohl gar nicht wusste, wie er das angestellt hatte.

Sechs Punkte und sieben Rebounds hatte Theis in der ersten Halbzeit gegen die Sacramento Kings Anfang November erzielt, womit er zum Halbzeitinterview des Lokalfernsehens gebeten wurde. Von der Moderatorin nach dem „Tommy Award“ gefragt, musste Theis erst nachfragen und war selbst danach noch perplex.

Momentum: früher „Tommy Award“-Gewinner

Dieser Award und jene „Tommy Points“ werden von Tommy Heinsohn vergeben: aktuell TV-Experte, früher selbst Celtics-Spieler und mit acht Meistertiteln eine Legende in Boston. Genau jener Heinsohn war und ist ob Theis’ Energie und Einsatz voll des Lobes. Gegen die Kings sollte Theis letztlich sein erstes und bis dato einziges Double-Double während seiner NBA-Debütsaison abliefern (10 Pkt, 10 Reb in 18 Min).

„Er hat verdammt gute erste acht Spiele absolviert“, zollte Celtics-Coach Brad Stevens seinem Schützling Respekt. 12,5 Minuten erhält Theis derzeit pro Partie, in denen er 4,3 Punkte, 4,0 Rebounds und 0,7 Blocks erzielt. Zweimal durfte der Big Man starten. Theis ist in der NBA angekommen.

Dabei haben sich die anfänglichen „Theis, Theis Baby“-Verwunderungshymnen gelegt. Das liegt auch daran, dass die Celtics-Rotation auf den großen Positionen seit einigen Spielen komplett ist. Marcus Morris hatte die ersten acht Partien verletzt ausgesetzt; Al Horford musste auf Grund einer leichten Gehirnerschütterung zwei Spiele pausieren.

So darf es nicht verwundern, wenn ein ungedrafteter 25-jähriger Rookie mal nicht über drei Minuten hinauskommt oder in einer Begegnung gar nicht erst die Bank verlässt. Das ändert nichts daran, dass Theis Facetten in seinem Spiel aufweist, die den Celtics in großem Maß helfen.

Offensive: Abrollen und Putbacks

In der Offensive ist das vor allem das Abrollen im Pick-and-Roll. Theis ist schnell auf den Beinen sowie in seiner Drehung, um nach dem Block für den Ballführer hart in die Zone abzurollen. Er kann das Pick-and-Roll auch slippen, also gar keinen wirklichen Block stellen, sondern schon zuvor die Zone attackieren. Damit kann Theis seinen Verteidiger überraschen.

„I’m on a roll and it’s time to go solo“

Mehr als ein Viertel Theis’ Offensivaktionen entfallen auf Situationen, nachdem er einen Block für den Ballführer gestellt hat. Seine Schnelligkeit gepaart mit Athletik machen Theis zum guten Finisher über Ringniveau. Das beweist der Big Man vor allem, wenn er freie Bahn für das Abrollen hat.

Jedoch begeht Theis als Abroller noch zu viele Ballverluste, was ein effizientes Spiel zunichte macht (0,96 PPP; im Perzentil von 31,6%). Diese Turnover passieren, wenn Theis beispielsweise den Ball nach einem Pass länger hält, er auf den Kickout-Pass geht oder ein Verteidiger aushilft.

Selten poppt Theis nach dem Block für einen Ballführer hinter die Dreierlinie heraus; schon eher rotiert er per Short-Roll in die Mitteldistanz. Dort trifft er seinen Sprungwurf recht solide. Dennoch kann man Theis nicht wirklich als Stretch-Five umschreiben, der mit seinem Wurf das Spiel breit macht. Dafür hält er sich auch zu selten um den Bogen herum auf.

Was Pick-and-Roll-Aktionen betrifft, fehlt es mitunter noch an der Abstimmung im „Two-Man Game“. Ab und an rollt Theis ab, obwohl der Ballführer zum Korb zieht, womit Theis die Räume unnötig eng macht.

Stark agiert Theis wiederum bei sogennanten „Snake Screens“: Hierbei nimmt der Ballführer nach dem ersten Ball-Screen das Tempo heraus und kann damit seinen Verteidiger auf den Rücken nehmen. Theis als Abroller versteht es nun, einen Block am eigenen Gegenspieler zu stellen – der Ballführer rotiert in die Spielfeldmitte, um dann mit Hilfe des zweiten Blocks Theis’ zum Korb zu ziehen. Dies ist die schlängelnde „Snake“-Aktion (im Video bei 1:55 Minute).

In der folgenden Video-Analyse sind Theis’ Abrollen-Aktionen als erstes zu sehen.

Trotz des ausbaufähigen Sprungwurfs sind Spot-up-Aktionen die vierthäufigste Offensivaktion Theis’. Eine Umstellung vom europäischen zum NBA-Basketball stellt immer der Dreier dar, allein auf Grund der unterschiedlichen Distanz.

Das System Brad Stevens’ ermutigt Big Men aber beim Wurf. Gerne in einem Spielzug, in dem der Big Man einen Pin-Down-Screen ballabseits stellt, danach den Schritt nach außen macht und (dank eines Wurfschirms) für einen Dreier bedient werden kann. Zuvor übergibt der zweite Big Man Bostons den Ball per Hand-Off an den freigeblockten Guard oder Flügelspieler, welcher dann den Pass für die Dreieroption spielt (im Video bei 3:42 Minute).

„To the extreme I rock [the rim] like a vandal“

Offensiv hilft Theis den Celtics vor allem als Offensivrebounder. „Ich will einfach mit Energie spielen und nach Rebounds gehen“, erklärte Theis nach anfangs erwähntem Spiel gegen Sacramento seine Rolle in der Medienrunde. „Mit meinen langen Armen kann ich einige Bälle [zu mir]
tippen. Ich versuche, dem Team zweite Wurfchancen zu ermöglichen.“

Aus der festen Rotation weist Theis knapp hinter Aron Baynes den zweitbesten Offensiv-Rebound-Anteil auf, agiert aber effizienter als sein Teamkollege. Stark präsentiert sich Theis bei den Putbacks, wenn er danach selbst abschließt. Versucht er anschließend, den Spielneuaufbau einzuleiten, begeht er jedoch noch etwas zu viele Ballverluste.

Hier wird Stevens aber ein Auge zudrücken können: „Er macht immer weiter und spielt mit einem hohen Antrieb. Man kann über viele Fehler hinwegsehen, wenn man mit so viel Energie spielt“, machte der Coach nach dem Heimsieg gegen Toronto deutlich. Gegen die Raptors erzielte Theis zwei Punkte, acht Rebounds und zwei Blocks in 17 Minuten.

Theis’ fünfthäufigste Offensivaktion ist das Post-up, also der Abschluss nach einer Aktion mit dem Rücken zum Korb. Das mag selbst für Theis eine Umstellung sein, da zu seiner Zeit in Bamberg im System von Andrea Trinchieri nur selten solche Aktionen forciert wurden. Dementsprechend mangelt es Theis beim Spiel am Zonenrand an Finesse sowie Durchsetzungsfähigkeit.

Im Eins-gegen-Eins überraschte Theis derweil mit dem ein oder anderen Drive mit dem Gesicht zum Korb. Auch eine Facette in Theis’ Spiel, die er in Bamberg kaum zeigte. Das liegt sicherlich auch an seinem verbesserungswürdigen Ballhandling. Die Schnelligkeit, gegnerische Fünfer zu attackieren, besitzt er aber durchaus.

Ballabseits agiert Theis in der Offensive schon stärker – das mitunter in Aktionen, die in einfachen Statistiken nicht erfasst werden: Theis ist ein aktiver Blocksteller bei ballfernen Aktionen und ermöglicht so offene Wurfoptionen für seine Teamkollegen. Bei den Screen Assists pro 36 Minuten rangiert Theis unter allen Spielern mit mindestens 200 Minuten Einsatzzeit auf dem 21. Platz.

  Freq% PPP FG% TO Freq% FT Freq%
Transition 4,3 1,00 50,0 25,0 25,0
Isolation 0,7 1,00 100 50,0 0,0
P&R Ballhandler 0,0
P&R Man 29,8 0,96 55,0 21,4 10,7
Post-up 6,9 0,33 0,0 0,0 16,7
Spot-up 9,6 1,00 37,5 11,1 0,0
Hand-Off 0,0
Cut 12,8 1,75 100 8,3 33,3
Off-Screen 0,0
Putbacks 22,3 0,95 53,3 19,0 14,3
Misc 12,8 0,08 91,7 8,3

Theis‘ Play-Type Stats; Daten von nba.com

Defensive: Help-Defense und Rebounds

„Wir haben einen Shotblocker, einen Ringbeschützer!“ Tommy Heinsohn schien es im Schlussviertel gegen die Spurs kaum im Kommentatorenstuhl zu halten. Soeben hatte Theis einen Running-Hookshot-Versuch von Rudy Gay in die erste Zuschauerreihe befördert. Heinsohns Ausruf lässt erahnen, dass Theis den Celtics eine neue und bislang ungewohnte Option gibt.

In den vergangenen fünf Jahren rangierten die Celtics immer zwischen dem 22. und 30. Platz, was die Blocks pro 100 Possessions betrifft. In dieser Saison haben sie es derzeit immerhin auf den 20. Rang geschafft. Sicherlich eine ausbaufähige Platzierung, doch Theis ist diese Verbesserung am stärksten zu verdanken.

Vor allem als Help-Verteidiger beschützt Theis den Ring. Er antizipiert gut, wann er aushelfen und wann er zum Blockversuch hochsteigen muss. Des Weiteren verteidigt Theis gut, wenn er im Pick-and-Roll absinkt und den gegnerischen Ballführer in der Zone aufnimmt. Hier gelingt es ihm immer wieder, entweder den Abschluss nach dem Drive zu verhindern oder den Wurfversuch am Ring zu erschweren.

In der folgenden Video-Analyse sind Theis’ Defensivaktionen als Help-Verteidiger als erstes zu sehen.

„Collaborate and listen
[Theis] is back with [a] brand new invention“

Am Ring gestattet der letztjährige BBL-Verteidiger des Jahres den gegnerischen Offensivspielern eine Wurfquote von 54,9 Prozent – Bestwert unter den Rotationsspielern Bostons (zum Vergleich Horford: 60,4% DFG; Baynes 62,0% DFG; Morris 75,9% DFG; Ojeleye 80,0% DFG).

Nichtsdestotrotz zahlt Theis im Eins-gegen-Eins ab und an Lehrgeld. Im Vergleich mit anderen NBA-Fünfern muss er einfach Abstriche in Sachen Physis machen, im Post wird er des Öfteren noch überpowert. In der Verteidigung agiert Theis gut, indem er beide Arme nach oben streckt – dennoch foult er häufig. Mehr Erfahrung in der NBA und auch ein möglicherweise besseres Standing bei den Unparteiischen könnte hier Abhilfe schaffen.

Was für die Offensive gilt, trifft auch auf die Verteidigung zu: Theis präsentiert sich als starker Rebounder, der zumeist gut ausblockt und hierbei seine Länge einsetzt. Prozentual greift er sich die meisten Defensiv-Rebounds aller Celtics-Spieler. „Wenn ich reinkam, habe ich dem Team immer viel Energie gegeben und Rebounds geholt und stand defensiv gut, was ja meine primäre Rolle hier ist“, äußerte sich Theis im Interview bei SPOX Anfang November.

Was seine Rolle in der Mannschaftsverteidigung betrifft, waren bislang dennoch ab und an Fehler zu erkennen. Mitunter verlor Theis auf der Weakside den eigenen Mann aus den Augen, speziell wenn es sich um einen Stretch-Big handelte. Nicht immer war klar, ob in Pick-and-Rolls geswitcht werden sollte – das ist natürlich ein Abstimmungsproblem, an dem selten ein Spieler alleine Schuld ist. Hier und da könnte der Closeout noch schneller kommen; und auch in der Transtition-Defense könnte er die Aktionen noch schneller lesen.

Nichtsdestotrotz kann man Theis ein sehr solides Zeugnis in der Verteidigung ausstellen. Dies liegt vor allem an seinem Potential als Ringbeschützer, was den Celtics eine bisher nicht gekannte Dimension gibt. Der 25-Jährige ist damit auch Teil einer sehr starken Teamverteidigung: Mit einem Defensiv-Rating von 98,3 Punkten pro 100 Possessions führt Boston derzeit die Liga an (besser verteidigten die Celtics zuletzt 2011/12; mit einem gewissen Kevin Garnett in den Reihen).

So wie die Verteidigung die Basis darstellt, warum die Celtics auf dem ersten Platz des Ostens rangieren, so ist auch die Defense von Theis der Hauptgrund für seine feste Rolle in der Rotation Bostons.

  ind. Def-Rating on/off Def DFG% Contested Shots/36 Min Blk/36 Min DREB% PF/36 Min
Al Horford 99 +0,4 60,4 14,1 1,1 22,4 1,8
Marcus Morris 100 +11,0 75,9 8,5 0,5 22,3 2,5
Aron Baynes 100 -8,0 62,0 16,7 1,2 20,7 4,2
Semi Ojeleye 103 +3,4 80,0 8,0 0,0 11,8 2,8
Daniel Theis 97 +2,8 54,9 16,6 2,0 23,0 6,9

Defensiv-Statistiken der fünf Big Men der Celtics-Rotation; Daten von basketball-reference.com und nba.com (DFG%: gestattete Wurfquote am Ring; DREB%: Defensiv-Rebound-Anteil)

Ausblick: vierter Big Man der Rotation?

Nach einer starken Phase von Ende Oktober bis Mitte November schwankte Theis’ Einsatzzeit zuletzt. Zum einen festigt sich die Celtics-Rotation erst so langsam, zum anderen mag das auch an der Philosophie von Coach Brad Stevens liegen.

„Er passt seine Rotationen an die Matchups an […] Brad ist da ein sehr moderner Coach – ganz viele NBA-Teams legen ja vor der Saison ihre Starting Five und ihre Rotation fest und bleiben dabei. Er dagegen denkt total flexibel“, erklärte Theis im Gespräch mit SPOX. „Das kommt mir natürlich zugute. Ich will einfach bereit sein, wenn ich gebraucht werde.“

Hierbei stellt sich die Frage, ob er dies als vierter oder fünfter Big Man der Celtics-Rotation tun wird. Marcus Morris, Al Horford und Aron Baynes stehen eindeutig vor Theis in der Rotation; Semi Ojeleye stellt die teaminterne Konkurrenz dar. Wobei sich die beiden nicht die Minuten auf der gleichen Position wegnehmen, im Gegenteil: Ojeleye spielt gewöhnlich auf der Vier, Theis auf der Fünf. Und Ojeleye ist der Big Man, mit dem Theis bislang am längsten das Parkett geteilt hat.

Wie bereits angeschnitten, sind die Celtics ein Top-Team in der Verteidigung, doch an der Offensive mangelt es. Und hierbei sorgt Theis weder für Spacing, noch kreiert er für sich oder andere. Die Quoten bei Ojeleye mögen noch nicht stimmen, doch er sollte die bessere Dreieroption sein. Auch insofern sollte der Nationalspieler weiter an seinem Sprungwurf arbeiten.

„Anything less than the best is a felony“

Letztlich befindet sich Theis in einer überaus komfortablen Situation: Er ist Teil eines jungen Teams in der Eastern Conference, das aber schon jetzt Contender-Potential besitzt (und mit Gordon Hayward fällt der potentiell beste Spieler verletzt die komplette Saison aus). Zudem hat Theis bewiesen, dass sein Spiel als Rim-Runner, Ringbeschützer und mobiler Big Man ideal in die NBA passt.

Und auch die Celtics haben mit der Verpflichtung alles richtig gemacht. Zur Erinnerung: Der 25-Jährige verdient in dieser Saison 0,8 Millionen Dollar, sein Vertrag in der kommenden Spielzeit ist nicht garantiert. Dabei gibt es viele Stimmen, die Theis’ Leistung ganz klar auf dem Niveau eines Erstrunden-Draft-Picks sehen.

Für beide Seiten ist die Paarung Boston/Theis also verlockend. Oder, um in noch nicht inflationär genutzte Wortspielereien überzugehen, einfach „entheising“.

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