Mehr als nur 40 Minuten

Es ist Donnerstag, der 02. November 2017. Kurz nach 16 Uhr mache ich mich auf dem Weg ins etwa 100 km entfernte Erfurt. Dort treffe ich mich mit den Schiedsrichtern Benjamin Barth, Toni Rodriguez-Soriano und Carsten Straube sowie dem Kommissar Uli Sledz. In Erfurt angekommen, frage ich mich durch. Ein Herr mit drei Bechern Kaffee läuft mir über den Weg: „Entschuldigung, wo geht es denn hier zur Schiedsrichter-Kabine?“ „Kommen Sie mit mir, da will ich gerade hin“, antwortet er. Es ist kurz nach halb sechs und alle Vier (die Schiedsrichter und der Technische Kommissar) sitzen bereits gemütlich um einen Tisch. Laut Schiedsrichter- und Kommissar-Richtlinie müssen alle Vier bereits 90 Minuten vor dem Spiel in der Spielstätte sein. Nach ein bisschen Smalltalk werde ich gebeten, kurz zu berichten, wer ich bin und warum ich heute hier bin. „Ich will den Tag eines Schiedsrichters vorstellen“, sage ich. Dazu sei ich etwas zu spät gekommen, wird mir mitgeteilt. Diese sicherlich nicht wörtlich zu nehmende Aussage hat einen wahren Kern, denn unter der Woche müssen die Schiedsrichter bereits fünf Stunden vor Tip-Off, also an diesem Tag bereits um 14 Uhr, im Hotel sein. Die Vorbereitung auf solch ein Spiel fällt unterschiedlich aus und kann somit nicht verallgemeinert werden. Mit zunehmendem Saisonverlauf steigen auch die Möglichkeiten, sich noch besser zu informieren – weil die Datenbank in der alle Spiele einzustellen sind, dann immer besser bestückt ist. Kommt es in einem Spiel zudem zu besonderen Vorkommnissen, hinterlegt der Crew Chief einen Bericht. Dort können auch Informationen zur Halle stehen, die der Crew Chief für mitteilenswert hält. In Vorbereitung auf ein Spiel wird bei den Teams überprüft, ob es bei den vorangegangenen Spielen der jeweiligen Teams irgendwelche Eintragungen gab. Das war diesmal nicht der Fall. Auch Spielzusammenfassungen und Statistiken können für die Vorbereitung genutzt werden. Insgesamt hat Benjamin Barth für diese Partie ca. eine Stunde in die Vorbereitung gesteckt.

Die Vorbesprechung

Benjamin Barth leitet in die Vorbesprechung ein. Ziel der Vorbesprechung ist es, dass die Schiedsrichter auf den gleichen Stand kommen. Er unterteilt seine Vorbesprechung in fünf Punkte:

  • Zusammenarbeit der Schiedsrichter untereinander sowie Zusammenarbeit mit dem Kommissar,
  • die Begegnung an sich sowie die beiden Teams
  • Regeln und Interpretation (bei Bedarf),
  • Schiedsrichter-Technik (bei Bedarf) sowie
  • Sonstiges.

Er bittet die beiden anderen Schiedsrichter ihre Vorstellung in Bezug auf die heutige Zusammenarbeit zu erläutern, bevor er selbst seine eigenen mit den anderen teilt.

Klare Kommunikation innerhalb des Teams und mit Spielbeteiligten ist einer der Punkte, die den drei Schiedsrichtern wichtig sind. Die teaminterne Kommunikation soll auch vermeiden, dass ein Spielbeteiligter sich bei einem Schiedsrichter beschwert, weil er bei einem anderen Schiedsrichter nicht weitergekommen ist. Dabei sollten alle Drei stets ruhig agieren, auch wenn die Teams hektisch werden. Blickkontakt untereinander ist ebenfalls wichtig, auch um 50:50-Situationen über den Spielverlauf hinweg gleichmäßig zu bewerten.

Zudem halten die Drei fest, dass Verlässlichkeit ein wichtiges Thema ist. Jeder Schiedsrichter muss sich auf den anderen Schiedsrichter in seinem jeweiligen Bereich verlassen können. Falls ein Austausch über eine Situation nötig ist, soll jeder klar sagen, was er gesehen hat. Am Ende zählt die richtige Entscheidung, nicht die Zeitdauer der Entscheidungsfindung.

Zum Thema Instant Replay(IR): Es soll immer zuerst eine Entscheidung getroffen werden, denn auch wenn das IR ausfallen sollte, muss eine Entscheidung stehen.

Schließlich wird das Thema „Mehrfachfouls“ angesprochen. Falls in einer Situation mehr als ein Foul gepfiffen werden sollte (z.B. ein Foul gegen einen Spieler und ein technisches Foul gegen einen anderen Spielbeteiligten), soll dies über den Kommissar kommuniziert werden, der dies nach Erfassung dann an den Hallensprecher weitergibt, um zu gewährleisten, dass der richtige Freiwerfer an der Linie steht.

Außerdem werden Besonderheiten zur Spielstätte (Licht, Signale) kurz ausgetauscht und auch der Blickkontakt und bei Bedarf die Kommunikation mit dem Kommissar werden thematisiert.

Die Schiedsrichter erwarten ein sehr schnelles Spiel. Beide Mannschaften spielen im bisherigen Saisonverlauf mit einer kurzen Rotation, sodass mit vielen Wechseln zu rechnen ist. Beide Teams haben Guards, die viele Dreier werfen. Auf die Schlüsselspieler wird kurz eingegangen. Die Mannschaften sind direkte Konkurrenten. Es ist das erste Aufeinandertreffen, dabei zählt jeder Punkt (direkter Vergleich). Beide Coaches erwarten ein kämpferisches Spiel. Beide haben Co-Trainer, die sehr aktiv sind. Auch auf schwankende Leistungen der Teams innerhalb des Spiels müssen sich die Schiedsrichter einstellen.

Beim Thema Regeln wird nur kurz das Thema Schrittfehlerregelung (aus der Bewegung und aus dem Stand) angeschnitten.

Bei unsportlichen Fouls im Fastbreak vereinbaren die Schiedsrichter auch außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches zu entscheiden, wenn sie die bessere Sicht haben. Ähnliches soll bei Ausballsituationen gelten, wenn die Sicht verdeckt war.

Das Spiel

Die Vorbesprechung ist vorbei und die Schiedsrichter bereiten sich nun körperlich und mental auf das Spiel vor. Ich verlasse mit dem Kommissar Uli Sledz die Schiedsrichter-Kabine und wir begeben uns in die Spielhalle. Ob ich an der Nachbesprechung teilnehme, machen wir vom Spielverlauf abhängig. „Bei der Ansetzung sollte eigentlich nichts anbrennen“, sage ich. Ich meine damit insbesondere, dass die Drei meiner Meinung nach zu Deutschlands besten Schiedsrichtern gehören (langjährige Erstligaerfahrung, regelmäßig Crew Chief, Fiba-Lizenz etc.). „So pauschal darf man das nicht sehen“, sagt Uli Sledz. Er meint, ohne das auf die konkrete Ansetzung zu beziehen, dass es nicht nur auf die individuellen Fähigkeiten ankommt. Wichtig sind vor allem die Zusammenarbeit im Team und auch die Kommunikation bei Ungleichheit.

In der Halle angekommen gehen wir auf unsere jeweiligen Arbeitsplätze. Um nachvollziehen zu können, wie viele Entscheidungen getroffen werden und wie sich diese verteilen, werde ich während des Spieles statistische Daten erheben. Neben den unterschiedlichen Foularten haben die Schiedsrichter nämlich auch andere Entscheidungen, wie Schrittfehler, Ausball, Sprungball, Doppeldribbling, Zeitüberschreitungen, Goaltending/Stören des Balls, Rückspiel und absichtliches Fußspiel, zu treffen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.

Zwölf Minuten vor dem Tip-Off betreten die Schiedsrichter dann die Spielhalle. Auch dieser Zeitpunkt ist nicht willkürlich gewählt, sondern in der Schiedsrichter- und Kommissar-Richtlinie festgelegt. Es folgen die obligatorische Begrüßung der Trainer beider Mannschaften und der in den easyCreditBBL-Standards vorgesehene Ablauf der Pre-Game-Phase.

Nachdem die Starting Five Spieler auf dem Feld stehen und die Schiedsrichter begrüßt haben, wirft Benjamin Barth den Ball in die Luft. Der erste Angriff gehört den Gästen aus Braunschweig. Es folgt eine muntere erste Halbzeit. Die Führung wechselt zwölfmal. Die Schiedsrichter müssen nicht häufig eingreifen. Es bleibt bei Ermahnungen bzw. Verwarnungen, an die sich die Spielbeteiligten auch halten.  Außer den Auszeiten und einem nassen Ball, der getrocknet werden muss, da er im Aus mit dem Getränk eines Zuschauers kollidierte, gibt es keine Unterbrechungen. Mit 46:49 bei einer Dreierquote von 57% (Rockets) bzw. 50% (Braunschweig) geht es in die Halbzeitpause.

Ich gehe zu Uli Sledz. Er bleibt in der Halle und geht nicht mit in die Kabine. Die Schiedsrichter brauchen Zeit zum Runterkommen und Austauschen. Der Schiedsrichter-Coach (sofern einer anwesend ist) und der Kommissar sind dann bei der Nachbesprechung wieder dabei. Insgesamt versucht die BBL so viele Spiele wie möglich live zu coachen oder zumindest via Stream zu beobachten, verrät mir Uli Sledz. Im letzten Fall erhalten die Schiedsrichter dann ebenfalls ein Feedback, welches aber nicht mit Live-Coaching zu vergleichen ist, da die Wahrnehmung durch die Kameraeinstellung beeinflusst wird und die Gegebenheiten in der Halle nicht eingeschätzt werden können. Während wir so reden, ist die Halbzeitpause fast vorbei. Ich begebe mich wieder auf meinen Platz. Auch die zweite Halbzeit verläuft wie erwartet unproblematisch. Am Ende wird noch einmal kurz „Stop the Clock“ gespielt, aber auch das bereitet den drei Unparteiischen keine Probleme. Mit 87:92 geht die Partie mit einem Braunschweiger Sieg zu Ende. Und obwohl die Schiedsrichter scheinbar wenig eingreifen mussten, kommt doch eine beachtliche Zahl von 65 aktiven Entscheidungen (davon 38 Fouls, 20 Ausbälle, drei Sprungballentscheidungen, eine Rückspielentscheidung sowie drei Entscheidungen auf absichtliches Fußspiel) zustande. Hinzu kommen 89 Entscheidungen über einen Korberfolg bzw. die Punktewertung (1/2/3) eines Wurfes. Hinzu kommen weiterhin unzählige Situationen, die die Schiedsrichter bewerten und am Ende des Prozesses zum Schluss kommen, dass keine Regelverletzung vorliegt (sog. Nocalls). Viel zu tun, auch wenn es manchmal nicht so scheint.

Die Nachbesprechung

Da kein Schiedsrichter-Coach anwesend ist, leitet Crew Chief Benjamin Barth auch die Nachbesprechung. Er erinnert kurz daran, was sich die Crew in der Vorbesprechung vorgenommen hatte. Wie in der Vorbesprechung kommt auch in der Nachbesprechung jeder Schiedsrichter zu Wort. Die Zusammenarbeit hat sehr gut geklappt, wie die Crew einstimmig feststellt. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Crew sehr ausgeglichen war und die in diesem Spiel notwendige hohe Konzentration auch an den Tag gelegt hat. Zudem hat die Auswahl der Nocalls den Schiedsrichtern gut gefallen. Auch das Kampfgericht hat bis auf einen kleinen Fehler eine sehr gute Arbeit gemacht. Die Schiedsrichter schätzen ein, dass sie die Kontakte gleichmäßig bewertet haben. Das wurde von den Mannschaften auch angenommen. Einzig die unnötigen Doppelpfiffe (Pfiffe außerhalb der Zuständigkeitsbereiche) boten Anlass zur Kritik. Die Nachbesprechung ist dies mal kurz (ca. 10 Minuten). Es gab wenig, was man hätte auswerten müssen. Das kann schon mal länger dauern. Die längste Nachbesprechung, die Benjamin Barth mitmachen musste, dauerte etwas über eine Stunde, wie er mir später auf Nachfrage verriet. Das ist aber eher die Ausnahme. Im Durchschnitt dauert eine Besprechung 30 Minuten. Doch auch nach der Nachbesprechung ist für Benjamin Barth nicht Schluss. Der Crew Chief muss das Spiel noch nachbereiten und bestimmte Szenen sowie (im heutigen Spiel nicht vorgekommene) technische, unsportliche und disqualifizierende Fouls für die Liga (Schulungsdatenbank) zusammenschneiden und hochladen. Für heute ist aber Schluss. Wir verlassen zufrieden die Messehalle und gehen unserer Wege.

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