Gleichberechtigung und Gleichgültigkeit

Wie sich NBA-Franchises in gesellschaftspolitisch umkämpften Zeiten positionieren können? Das haben zwei Teams aus Texas zum Saisonauftakt gezeigt. Auf gegenläufige Weise.

Nach dem Heimsieg zum Saisonauftakt äußerte sich Trainer-Doyen Gregg Popovich überaus wohlwollend. Dabei sprach der 68-Jährige nicht über den sportlichen Erfolg seiner Spurs, sondern vielmehr über das Fanverhalten in San Antonio. „Ich möchte unseren Fans dazu gratulieren, wie sie vor Beginn des Spiels reagiert haben, nachdem die Nationalhymne gespielt wurde“, sagte Popovich. „Sie glauben offensichtlich auch an die Botschaften, die auf dem Videowürfel zu sehen waren. Ich bin sehr stolz in dieser Stadt zu sein, in der die Fans verstehen, dass [solche Botschaften] für alle wichtig sind. Hut ab vor unseren Fans.“

Nun, was war im AT&T Center geschehen? Zunächst standen die Spurs und gegnerischen Timberwolves vorschriftsmäßig während der US-Nationalhymne. Anschließend hakten sich die Spieler beider Teams solidarisch unter, um als Menschenketten Geschlossenheit zu demonstrieren. Zudem kamen auch die Franchise-Ikonen Tim Duncan und David Robinson hinzu – während auf dem Videowürfel eine Art „Public Service Announcement“ präsentiert wurde, das die heimischen Fans beklatschten.

Wie auch anderen NBA-Teams in diesem und im letzten Herbst, ging es den Spurs darum, als Mannschaft in Form ihres Zusammenstehens ein positives Zeichen zu setzen und eine Botschaft der Einheit zu senden. Derweil Duncans Teilnahme, der davor im Dezember 2016 zuletzt bei einem Heimspiel zugegen war, das Anliegen bekräftigt haben dürfte.

Vorschnell könnte dagegen moniert werden, die Spurs hätten bloß eine jener unverfänglichen Wohlfühlbotschaften transportiert. Und damit ein Selbstmarketing betrieben, das unbestimmt um inhaltsleere „Unity“ kreist, die tiefen gesellschaftlichen Gräben nur überdeckt und wohl niemanden zum Handeln aufrütteln wird. Warum? Weil meist niemand direkt adressiert und damit involviert wird, die Gründe und sehr konkreten Probleme – systemischer Rassismus und grassierende Waffengewalt – in keiner Weise benannt oder gar ausbuchstabiert werden. Womit letztlich wenig geholfen ist.

Wandel und Wachheit

Auf den minimalistischen Aufruf der Spurs trifft dies allerdings nur partiell zu. Denn er beschreibt zumindest einen gesellschaftspolitischen Fingerzeig in die richtige Richtung. An die Zuschauer gewandt, heißt es darin: „Es geschehen Dinge in unseren Gemeinden, die unsere Aufmerksamkeit verlangen. Wir verstehen, dass Sie unsere Spiele besuchen, um [aus dem Alltag] herauszutreten und unterhalten zu werden. Zugleich gibt es eine bedeutsame Gemeinsamkeit, die uns alle verbindet und unsere Community zu etwas Besonderem macht.“

Und weiter: „Diese Gemeinsamkeit sollte den Anspruch und das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, Redefreiheit in all ihren Formen sowie unabhängig von Rasse, Ethnizität, Geschlecht, sexueller Orientierung und Religion gleiche Bildungs- und ökonomische Aufstiegschancen beinhalten.“

„Es ist unsere Hoffnung, dass wir als Community wirklichen Wandel anregen und erreichen können. Wir bitten Sie daher, sich uns anzuschließen und im alltäglichen Leben nach Gleichberechtigung zu streben. Denn wir ehren unser Land, indem wir die Ansprüche ausagieren, die diese großartige Nation versprochen hat und wofür unsere Streitkräfte weiterhin kämpfen.“

Auch wenn Patriotismus und „Buzzwords“ kultürlich nicht fehlen, signalisieren die Spurs mit dieser Aufforderung zum Mittun – die aus einer kollektiven Entscheidung der Spieler hervorging – soziale Wachheit und einen Veränderungswillen.

Verwundern mag dies kaum. Amtiert doch in San Antonio seit über zwei Dekaden ein wachsamer, wort- und weltgewandter Headcoach, der wiederholt seine Stimme erhoben und die gesellschaftspolitische Misere in den USA angeprangert hat. Jüngst pointierte Popovich etwa unverhohlen: „Wir haben einen pathologischen Lügner im Weißen Haus; er ist intellektuell, emotional und psychologisch ungeeignet für dieses Amt, und die ganze Welt weiß es. Dieser Mann ist ein seelenloser Feigling, der nur dadurch groß zu werden glaubt, dass er andere herabsetzt.“

Zumal sich ein politischer „Pop“  mitnichten nur an der erklärten Unperson im Oval Office moralisch abarbeitet. Sein Interesse gilt vielmehr der Gesellschaftsordnung der USA und generell dem gleichberechtigten Miteinander der Menschen. So schärft und stärkt er seit Jahren nicht zuletzt das soziale Bewusstsein seiner Spieler. Auch zeigt Popovich Haltung, weil er seine eigene Privilegiertheit (als reicher weißer Mann) reflektiert sowie andere Euroamerikaner zum Nachdenken und Handeln ermutigt.

Die Spurs-Spieler, die stolz darauf waren, wie das Heimpublikum ihre politische Botschaft aufnahm, wissen um die Besonderheit ihres geschätzten Trainers. „Wir haben gehört, dass er einige Gegenreaktionen einstecken musste“, betonte Danny Green. „Ungeachtet dessen spricht er für uns. Und wir müssen uns für ihn aussprechen und ihm den Rücken stärken, wenn er Stellung bezieht.“ Eine Einsicht, die in der Mannschaft reifte und schließlich zum Zusammenstehen sowie der Videobotschaft an die Zuschauer führte.

Amerika, alles wunderbar?

Eine solche hatten auch die Dallas Mavericks zur Saisoneröffnung für ihre Fans parat. Ebenfalls beheimatet im tiefroten Texas, bekanntlich eine Hochburg der Republikaner und des amerikanischen Konservatismus, fiel ihre Botschaft jedoch deutlich anders aus.

Die Mavs boten ihrem Heimpublikum ein mäanderndes Wohlfühlnarrativ ohne rechten Fokus und mit symbolisch überpräsenter wie überhöhter US-Flagge dar. Im Video wird dabei eine heile Welt veranschaulicht, in der alle Menschen frei und gleichberechtigt zusammenleben und sich unabhängig von Herkunft und Hintergrund respektieren. Derweil ein sportromantischer Rückblick auf die vergangenen Meistertaten der Mavs nicht ausgespart bleibt.

Gleiches gilt für einen darin gut sichtbaren Teameigner, Mark Cuban. Abrundung erfährt das pathetische Ganze durch die ausdrückliche Aufforderung, im nächsten Programmpunkt gemeinsam die Nationalhymne zu singen.

Die unverkennbare Botschaft des Videos lautet sonach: „Respektiert die Flagge und unsere Hymne.“ Eine Kenntnisnahme der gesellschaftlichen Großprobleme erfolgt dagegen in keiner Weise. Stattdessen scheint der beschwingte Eröffnungs-Einspieler den Zuschauern versichern zu wollen, dass im Lone Star State und im „Land der Freien“ alles in Ordnung sei.

Gemäß jener Vorstellungswelt sind Protestgesten während dem Hymnenritual gänzlich unangebracht; ein gesellschaftlicher Dialog, ja selbst das Zusammenstehen und eine Botschaft der Einheit überflüssig.

Wohlgemerkt zu einer Zeit, in der etwa annährend 90 Prozent der afroamerikanischen Bevölkerung und knapp die Hälfte der weißen Amerikaner dem US-Präsidenten ablehnend gegenüberstehen. Alldieweil #45 einen menschenfeindlichen Konfrontationskurs fährt, indem er gerade schwarze Athleten und Sportjournalisten diffamiert und sie für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren sucht. Nicht zuletzt, weil das eine schweigende Mehrheit duldet, die sich privilegiert in ihrer weiß getünchten Komfortzone eingerichtet hat; was auch für euroamerikanische Athleten gilt.

In solch einem Gesellschaftsklima ist allen, nicht nur den Mavs, mehr politischer „Pop“ und weniger nationalistischer Nonsens zu wünschen. Auch weil gesellschaftlicher Wandel ein Mehr an Unbehagen bedingt. „Menschen müssen in die Lage versetzt werden, sich unwohl zu fühlen“, so Popovich. „Besonders weiße Menschen. Denn wir fühlen uns viel zu wohl.“

Entsprechend hat Bill Russell bereits 1964 herausgestellt: „Wir müssen der weißen Bevölkerung Unbehagen bereiten. Das ist der einzige Weg, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.“