Gordon Herbert: „Du musst deine drei besten Offensivspieler in Position bringen, um erfolgreich zu sein“

Die deutsche Herren-Nationalmannschaft startet in die EM-Vorbereitung. Bundestrainer Gordon Herbert spricht davor im Interview über den Kader, die Rollen von Dennis Schröder, Justus Hollatz und Franz Wagner, die Bedeutung von „Commitment“ sowie seine Lehren aus der gescheiterten Olympia-Quali des kanadischen Teams.

Am 6. August bittet Bundestrainer Gordon Herbert zum Start in die EM-Vorbereitung. Bis zum ersten Spiel der EuroBasket am 1. September stehen vier Testspiele sowie zwei Partien in der WM-Qualifikation an. Dabei kann Herbert nicht nur von Beginn an auf alle 16 nominierten Spieler zurückgreifen, mit Nick Weiler-Babb rückt nach dessen erfolgreicher Einbürgerung nun auch ein starker „two-way-„Spieler in den EM-Vorbereitungskader nach.

Vor dieser Bekanntgabe sprach Herbert im Exklusivinterview mit basketball.de über drei andere Spieler, die zuletzt positiv auffielen: wie Dennis Schröder, Justus Hollatz und Franz Wagner. Aber auch über einen, der nicht nominiert worden ist: Ismet Akpinar.

basketball.de: Beim vergangenen Länderspielfenster war Dennis Schröder bereits dabei, es fehlten aber die Spieler der deutschen EuroLeague-Teams sowie drei NBA-Akteure. Sie haben nun also wieder mit einem anderen Kader zu tun. Worauf werden Sie zu Beginn der EM-Vorbereitung den Fokus legen?

Gordon Herbert: Wir haben vier Tage Training, danach zwei Testspiele innerhalb von drei Tagen. Zum einen wird es darum gehen, die Grundlagen unseres Systems einzustudieren. Zum anderen hoffen wir, nach den beiden Testspielen gegen Belgien und die Niederlande die zwölf Spieler zu ernennen, die das Team für die Europameisterschaft bilden.

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Ob Sie einen Zeitplan haben, was die Anzahl der Spieler im Kader betrifft. Nach den beiden Testspielen wollen Sie sich also wirklich bereits auf zwölf Spieler festlegen?

Wir wollen den Kader so schnell wie möglich auf zwölf Spieler reduzieren – um ein Team zu formen. Wir haben schließlich ein paar Jungs, die noch nie zusammengespielt haben. Es ist aber wichtig, ein Team zu formen und sich kennenzulernen. Wir haben eine Philosophie – müssen diese aber anhand unserer Spieler entwickeln. Zudem müssen sich Rollen herausbilden. Deswegen ist es wichtig, so schnell wie möglich auf zwölf Spieler zu kommen – auf gerechte Art und Weise.

„Bret Brielmaier wird sich der Offensive widmen. Er wird eher früher als später ein Head Coach in der NBA sein“

Mit Bret Brielmaier haben Sie einen neuen Assistant Coach in ihrem Trainerstab. Seit der vergangenen Saison arbeitet Brielmaier als Assistant Coach der Orlando Magic. Wie ist es dazu gekommen? Und was werden seine Aufgaben sein?

Ich kenne ihn aus meiner Zeit bei den Brooklyn Nets, als ich dort als Berater tätig war und er dort als Assistant Coach gearbeitet hat. Mit 37 Jahren ist er noch immer jung. Er besitzt eine Menge Energie, hat eine positive Ausstrahlung und besitzt ein großes Verständnis vom Basketball. Und er ist sehr gut in der Spielerentwicklung. Auch wenn bei uns alle Coaches in allen Dingen ein Wörtchen mitreden sollen, so mag ich es, wenn jeder in einem Bereich arbeitet. Er wird sich vor allem der Offensive widmen. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, ihn im Trainerstab zu haben.

In der vergangenen Saison hat Brielmaier bereits mit Franz und Moritz Wagner zusammengearbeitet. Da Sie die Spielerentwicklung nennen: War es eine Bedingung seitens der Magic, Franz Wagner für die Nationalmannschaft zur Verfügung zu stellen, dass einer deren Assistant Coaches im DBB-Staff dabei ist? Um beispielsweise mit Franz Wagner über den Sommer auch individuell zusammenzuarbeiten.

Nein, sie haben keine Bedingungen gestellt. Ich hatte mit Bret bereits im Oktober oder November vergangenen Jahres gesprochen. Wie gesagt kenne ich ihn aus meiner Zeit in Brooklyn. Er ist ein wirklich aufstrebender Trainer, der eher früher als später ein Head Coach in der NBA sein wird. Es hat einfach Sinn gemacht, ihn dabei zu haben.

„Franz Wagner wird bei uns auf der Drei und Zwei spielen“

Um auf Franz Wagner zu sprechen kommen: Er hat eine starke Rookie-Saison in der NBA absolviert. Er war konstant, hat nicht viele Fehler gemacht, agierte vielseitig und teilweise als Ballhandler. Wie planen Sie, ihn einzusetzen?

Das ist eine sehr gute Frage. Wenn unsere Gruppe an Spielern zum ersten Mal zusammenkommt, werden wir wie gesagt vier Trainingstage und zwei Testspiele absolvieren. Ich nenne das die „Phase eins“. Wir müssen erst ein Gefühl für die Spieler bekommen. Vor allem ich muss ein Gefühl für die NBA-Spieler erhalten, und Bret Brielmaier muss ein Gefühl für die Spieler aus Europa bekommen. Sobald wir das endgültige Team zusammenstellen und [zum Supercup] nach Hamburg reisen, dann werden wir näher darauf eingehen, das Spiel nach den Stärken unserer Spieler ausrichten und darauf aufbauen. Das alles trifft auch auf Franz zu. Er ist natürlich ein aufstrebender und sehr talentierter Spieler. Wir hoffen, dass er bei uns auf der Drei und Zwei spielen wird.

In einem Podcast von Duncan Robinson hat Franz Wagner seine Entscheidung, ans College zu gehen, mit folgenden Worten begründet: „Die amerikanische Mentalität – der Killer-Instinkt, der Wettbewerbsgeist – gemischt mit der Art, wie mein Bruder und ich Basketball gelernt haben, kann eine wirklich gute Kombination sein.“ Was denken Sie generell von dieser Sichtweise, und sehen Sie diese „Killermentalität“ in seinem Spiel?

Das ist ein guter Punkt, auf diese Weise habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Aber ja, die amerikanische Art ist sehr kompetitiv, auch oder vor allem, wenn man ans College geht. Ich hatte zu meiner Spielerzeit auch überlegt, ans College zu gehen. Man erhält eine Ausbildung, macht die Erfahrung des Unilebens in den USA und erlebt diesen bestimmten Wettbewerbsgeist. Was ich auf alle Fälle sagen kann: Franz‘ Basketball-IQ ist herausragend.

„Du musst deine drei besten Offensivspieler in Position bringen, um erfolgreich zu sein“

Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, sagten Sie, dass es ein „I“ in „Team“ gebe. Man benötige das individuelle Talent der Spieler, aber das Team müsse an erster Stelle stehen. Das betonen Sie immer wieder. In Dennis Schröder haben Sie einen herausragenden Spieler in ihrem Kader. Bei seinem letzten großen Turnier, der WM 2019, mag man aber kritisieren, dass sich das deutsche Team offensiv zu sehr auf das High Pick-and-Roll mit ihm und Daniel Theis verlassen hat. Wie wollen Sie Ihre Offensive ausrichten, damit sich Gegner defensiv nicht zu sehr auf eine Art der Verteidigung fokussieren können?

Wir wollen eine Offensive haben, in der alle fünf Spieler involviert sind. Nichtsdestotrotz stehen in einer Offensive wohl immer die drei besten Offensivspieler im Mittelpunkt. Du musst vor allem diese Spieler in Position bringen, um erfolgreich zu sein. Wenn du ein Team bildest, benötigst du auch Spieler, die das Spiel beeinflussen, ohne selbst zu punkten.

Zu diesem Zeitpunkt des Sommers müssen wir noch abwarten, wie sich alles entwickelt. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine wirklich talentierte Gruppe haben – aber das reicht nicht, wir müssen ein Team werden. Dennis bringt ein großes Maß an Wettbewerbsgeist mit – ich denke, er bekommt dafür nicht genügend Anerkennung: wie kompetitiv er ist, wie hart er spielt, und wie sehr er gewinnen will.

Ich bin gespannt darauf, wie die Gegner gegen Ihr Team verteidigen werden, mit Schröder als Ballhandler. In der WM-Qualifikation hat man beispielsweise gesehen, wie sie konsequent unter den Block beim Pick-and-Roll gehen. Auch einen Zonenverteidigung ist möglich.

Gerade im FIBA-Bereich muss man Spacing generieren, da das Feld nicht so groß wie in der NBA ist und es nicht die Defensivregeln wie in der NBA gibt. Du musst Raum für deine besten Spieler schaffen. Es ist also wichtig, Werfer zu haben – die nicht unbedingt werfen, aber als Werfer Gefahr ausstrahlen müssen.

„Justus Hollatz war zu gut, um ihn nur zehn Minuten als Backup zu geben“

Bei den letzten beiden WM-Qualifikationsspielen haben Sie relativ häufig Ihre beiden etatmäßigen Point Guards, Dennis Schröder und Justus Hollatz, zusammen auf das Parkett geschickt. Solche Lineups sahen mit +8 in 15:30 Minuten ganz gut aus. Ich nehme an, das dürfte mit Maodo Lo im EM-Sommer auch eine Option sein. Welche Idee steckt dahinter, neben Dennis Schröder einen weiteren primären Ballhandler spielen zu lassen?

Wie heutzutage Basketball gespielt wird, und wie wir gerne spielen möchten, da braucht man einfach zwei primäre Ballhandler auf dem Feld. Zwei Spieler, die mit dem Ball umgehen können. Du kannst zwei Point Guards starten lassen oder mit zwei Point Guards das Spiel beenden. Jetzt, noch vor dem Trainingsstart, ist es aber schwer zu sagen, wie genau das aussehen wird.

Justus Hollatz ist ein ziemlich guter Spieler – er war zu gut, um ihn nur zehn Minuten als Backup zu geben. Deswegen mussten wir einen Weg finden, ihn länger spielen zu lassen. Dies ermöglicht es Dennis, sich offensiv ein wenig zu schonen – wenn jemand anders die Offensive initiiert. Mit Maodo Lo haben wir nun drei sehr guten Point Guards im Kader. Das ist ein Luxusproblem.

Womöglich werden Dennis Schröder und Maodo Lo bei den meisten Spielen der Europameisterschaft am Ende auf dem Feld stehen. Beide sind aber nicht die größten, physischsten Guards. Eine Möglichkeit Ihrer Gegner, dies defensiv zu attackieren?

Über Größe mache ich mir nicht wirklich Sorgen. Es geht darum, mit wieviel Einsatz und Härte man spielt. Dennis ist viel tougher als die Leute denken. Er spielt größer als er ist.

Ein Spieler, der defensiv hätte helfen können, aber nicht im Kader steht, ist ein Combo-Guard wie Ismet Akpinar. Warum haben Sie sich dafür entschieden, ihn nicht zu nominieren?

Wir haben vor allem die Spieler berücksichtigt, die in den Länderspielfenstern dabei waren: wie beispielsweise David Krämer und Kenneth Ogbe. Beide haben ein „Commitment“ für die Nationalmannschaft abgegeben. David hatte in allen drei Fenstern gespielt; das hätte auch Kenneth, doch einmal fehlte er auf Grund von Corona, einmal auf Grund einer Verletzung. Sie haben sich verpflichtet – deswegen verdienen sie es auch, dass sich diese Verpflichtung auszahlt.


Ein Kommentar hierzu: Ismet Akpinar wäre gerne bei der EM dabei gewesen. Für das Länderspielfenster Ende Juni / Anfang Juli hatte der Guard um eine kleine Auszeit gebeten. Eine zehneinhalb Monate dauernde Saison – fernab von Familie, Freunden und Freundin – sei für ihn vor allem mental herausfordernd gewesen. Akpinar stand mit Fenerbahce Istanbul in den türkischen Finals schließlich bis zum 11. Juni auf dem Parkett. Zum Vergleich: Maodo Lo, Johannes Thiemann und Andi Obst, die bei den beiden letzten WM-Quali-Spielen ebenfalls fehlten und nun im DBB-Kader stehen, waren in den BBL-Finals bis zum 19. Juni aktiv. Akpinar hatte vom DBB die Antwort erhalten, dass man sich intern besprechen und sich melden würde. Am Ende erfuhr Akpinar über Instagram, dass er nicht im Kader zur EM-Vorbereitung stehe.

Wäre Akpinar ein „100 Prozenter“ für den EM-Kader gewesen? Das nicht. Es lassen sich Argumente für Akpinar und gegen Hollatz, für Hollatz und gegen Akpinar finden. Das gleiche trifft auf Akpinar / Krämer zu: je nachdem, welche Nuancen man Mitte / Ende der Rotation bei seinem Kader setzen möchte. Doch hätte es Akpinar zumindest verdient gehabt, um einen EM-Platz in der Vorbereitung zu kämpfen? Das durchaus. Zumal er in der Vergangenheit häufiger für die Nationalmannschaft bereitstand. Bei seinem vorerst letzten Länderspiel im Februar 2021 war Akpinar übrigens DBB-Topscorer. Und nach Isaac Bongas Verletzungsaus – „einer unserer besten, wenn nicht der beste Verteidiger“, so Herbert – hätte Akpinar auch eine defensive Komponente in den Backcourt bringen können.


„Dieser Sommer soll der Beginn eines dreijährigen Plans sein“

Sie haben vor Ihrer Zeit als DBB-Bundestrainer für die kanadische Nationalmannschaft gearbeitet, während der Olympia-Qualifikation als Assistant Coach unter Nick Nurse. Mit dem Quali-Turnier in Victoria hatte das Team den Heimvorteil, auf dem Papier war es mit einigen NBA-Spielern sehr talentiert besetzt. Hier kann man Parallelen zur deutschen Mannschaft ziehen – von der man behaupten kann, dass es das bisher tiefste Team überhaupt ist. Welche Lehren haben Sie aus der Erfahrung mit der kanadischen Nationalmannschaft gezogen?

Eine Lehre bei der kanadischen Nationalmannschaft war, dass man ein „Commitment“ hinsichtlich des Zeitplans abgeben muss. Es darf nicht sein, dass Spieler später oder erst drei Tage vor Beginn eines Wettbewerbs zum Team stoßen. Dieses „Commitment“ muss vom ersten Tag an gegeben werden. Das haben wir nun auch bei der deutschen Nationalmannschaft betont.

Wir starten am 6. August mit der Vorbereitung, etwas später als manch andere Teams, deswegen geht es darum, dass die Spieler in Form sind und sich eben an den Zeitplan halten. Wenn sie das tun, dann haben wir eine sehr gute Chance, ein Team zu formen, das immer besser werden und erfolgreich sein wird. Das ist nicht einfach, da die Spieler einen Teil ihres Sommers opfern und von ihren Familien getrennt sind. Das ist nicht für jeden etwas.

Wir hoffen, dass dieser Sommer der Beginn eines dreijährigen Plans ist, bei dem wir ein Team aufbauen und das hoffentlich auch bei der WM 2023 und den Olympischen Spielen 2024 auf das Geleistete aufbaut. Das „Commitment“, das die Spieler jetzt abgeben, müssen sie auch danach abgeben. So einfach ist das.