Franz Wagner: Aus dem Körper, auf die Karte

Franz Wagner hat sich durch eine bislang überzeugende Rookie-Spielzeit auf die Landkarte der NBA gesetzt. Der Flügelspieler der Orlando Magic mag punktuell für Highlights sorgen, doch vor allem sein grundsolides Spiel auf beiden Enden des Parketts sind mittel- und langfristig erfolgversprechend.

„Career Defining Moment“ nennt es der US-Amerikaner, wenn ein Spieler durch eine unverkennbare Aktion, ein Top-Ten-würdiges Highlight oder einen besonders wichtigen Wurf in einem Playoff-Spiel auf sich aufmerksam macht. Manche Stars mögen mehrere solcher Momente erleben, andere Spieler werden nie mit einer solchen Sequenz verknüpft. Franz Wagner könnte ein solches Karrierehighlight bereits in seinem achten Spiel in der NBA zelebriert – oder, wie es Wagner selbst ausgedrückt hat: eine „Out of Body Experience“ erfahren haben.

Ende viertes Viertel im Auswärtsspiel gegen Minnesota, Neun-Punkte-Führung für Orlando, Wagner hat den Ball an der Birne. Wendell Carter Jr. kommt zum Block, Wagner tritt über die rechte Seite an, umkurvt den leicht heraustretenden Karl-Anthony Towns – und degradiert den Wolves-Center zum Statisten, als er zudem den Help-Verteidiger Jarred Vanderbilt aufs Poster packt.

„Sweet Franz“, wie Cole Anthony den Spitznamen für seinen Teamkollegen in der Preseason preisgab? Eher „Nasty Franz“!

Natürlich: Solche Highlights bleiben haften, solche Highlights sorgen für Aufrufe, Likes und Over-Reactions – oder wie in Franz Wagners Fall auch: für den ersten Platz bei der Sports Center Top Ten. In der Partie gegen Minnesota ging der 22-jährige Forward aber nicht nur aus seinem Körper heraus, sondern er packte sich spätestens durch diese Vorstellung samt 28 Punkten auf die Landkarte der NBA.

Denn der achte Draft-Pick dieses Jahres zeigte beim 115:97-Erfolg ein vielseitiges Skill-Set: als sekundärer Ballhandler samt facettenreicher Moves, als umsichtiger Backdoor-Cutter und als spielintelligenter Passgeber in der Offensive sowie als Eins-gegen-Eins-Verteidiger mit guter Fußarbeit und mit starken Deflections in der Defensive. Darauf blickt auch diese Analyse.

Offense: sekundäres Ballhandling und elitäre Off-Ball-Entscheidungen

Nicht nur mit dem Poster-Dunk gegen die Wolves ließ Franz Wagner nach einem Monat in der NBA Kinnladen herunterklappen, auch im Madison Square Garden druckte der Rookie bereits ein Poster. Wenn Wagner für Highlights sorgt, dann weil er sich aggressiv, entschlossen zeigt und mit dem Ball in den Händen kreiert.

„Ich werde ihn weiter auffordern, aus seiner Komfortzone herauszutreten, um in der Offensive etwas selbstbewusster und aggressiver zu agieren“, hatte Orlandos Head Coach Jamahl Mosley nach den ersten vier Saisonspielen erklärt. „Er soll keine Angst haben, bestimmte Würfe zu nehmen. Er wird die richtige Entscheidung treffen – deswegen ist es okay, wenn er in manchen Aktionen aggressiver auftritt als auf Nummer sicher zu gehen.“ Zum Dunk gegen zwei Verteidiger hochgehen? Das ist beileibe nicht auf Nummer sicher gehen.

Wagner zeigt bei seinen Drives eine Athletik, von der manche überrascht sein mögen. Dass der Rookie überhaupt in der NBA nach dem Zug zum Korb so sehr zu seinen gewünschten Abschlüssen kommt, das werden ihn nach seiner NCAA-Karriere nicht viele zugetraut haben. Beim Blick auf seine Drives fällt auch Folgendes auf:

Er fühlt sich beim Zug zum Korb über beide Seiten wohl; er zeigt Ansätze eines Hostage-Dribblings (wenn er im Pick-and-Roll das Tempo rausnimmt, seinen Verteidiger auf den Rücken und diesen so aus dem Spiel nimmt); er verschafft sich Platz durch Verzögerungen und Abstoppbewegungen; und er kommt dank langer Schrittfolgen und einem Eurostep bis zum Korb durch. Sprich: Er besitzt schon jetzt ein erstklassiges Arsenal, um nach Drives selbst zu punkten.

Das folgende dreiminütige Video zeigt Wagners Skill-Set bei Abschlüssen nach Drives:

Den Pullup-Jumper hat Wagner (noch) nicht im Repertoire (pro Spiel nimmt er einen Pullup-Jumper), als sekundärer Ballhandler – der häufig nach Hand-Offs agiert – und als 2,06 Meter großer Forward muss er das wohl auch nicht unbedingt. Gerade, wenn er nach Drives zu seinen bevorzugten Abschlüssen kommt. Bemerkenswert ist, dass Wagner bislang dennoch der effizienteste Ballhandler Orlandos ist (mit 0,89 PPP; knapp vor Cole Anthony mit 0,88 PPP). Kein Magic-Akteur verliert dabei seltener den Ball (5,7% TO Freq), keiner kommt prozentual häufiger an die Linie (11,4% FT Freq)!

Denn Wagner trifft nicht nur gute Entscheidungen, sondern versteht es auch, seinen Körper mit der Schulter voran in den Verteidiger zu lehnen – um Fouls zu ziehen oder sich einfach Platz zu verschafften, auch dank eines schnellen Abstoppens. Dabei zeigt Wagner eine gute Körperbalance:

Auffällig in den bisherigen Aktionen: wie entschlossen Wagner auftritt. Ergibt sich durch die erste Aktion jedoch kein Vorteil, kann es für den Forward mit vielen Dribblings schwierig werden. Wagner weiß jedoch auch, dass „dies auch nur Teil des Lernprozesses ist, zu einfachen Körben zu kommen – und seinen Beitrag zu leisten, auch wenn man Fehler begeht.“

Wenn Mosley bei Wagner von einem „Burschen mit einem solch hohen Basketball-IQ“ spricht, blitzt dieser nicht nur auf, wenn Wagner selbst Abschlüsse forciert, sondern gerade, wenn er seine Mitspieler einsetzt. Als Ballhandler liest Wagner gut die gegnerische Pick-and-Roll-Defense und sorgt für passgenaue Anspiele auf die Abroller in der Zone. Pocket-Pässe, Alley-Oop-Anspiele und Kickouts hat Wagner als sekundärer Ballhandler, der immer wieder in der zweiten Welle angreift, auch im Werkzeugkasten.

Das folgende Video zeigt Wagners Gedankenschnelligkeit, wenn er beispielsweise nach dem Attackieren von Closeouts seine Mitspieler findet. Erwähnenswert auch der Bewegungsablauf des Rookies in der letzten Szene: der Ghost-Screen nach dem Cut von der Ecke, daraus die nicht einfache Drehung und der Antritt – um den Gegenspieler Cole Anthonys auf sich zu ziehen und so einen offenen Dreier zu ermöglichen.

Als sekundärer Ballhandler übernimmt Wagner häufig nach Hand-Offs an der Seite. Darüber hinaus stechen zwei Aktionen heraus, wie Wagner noch in Orlandos Offensive eingesetzt wird. Zum einen haben die Magic folgenden HORNS-Spielzug im Repertoire. Dabei stellt Wagner einen Ball-Screen, nur um danach zur anderen Seite zu rotieren und einen Flare-Screen des anderen Big Man der HORNS-Formation zu nutzen.

Zum anderen, nicht ganz so häufig, suchen die Magic Wagner hin und wieder im Low-Post. Dann bringt sich der Forward via Back-Screen am Elbow in Position. Auffällig ist hierbei, dass Wagner gar nicht so sehr in eine Post-Bewegung übergeht: also mit dem Rücken zum Korb operiert, mit Physis seinen Gegenspieler nach unten drücken will. Vielmehr nutzt er seine Schnelligkeit, um vorbeizuziehen.

„Eigentlich bin ich gerade immer undersized“, hatte Wagner mit einem Schmunzeln über seine Rookie-Spielzeit gesagt. Doch der Forward weiß durchaus körperliche Vorteile zu finden und auszunutzen.

Im Low-Post benötigt man eine gute Fußarbeit, die zeigt Wagner derweil in Catch-and-Drive-Situationen: wenn er beim Antritt aus der Ecke den Fuß nicht nach hinten, sondern zur Seite bewegt, um nicht auf die Line zu treten. Wenn er beim Attackieren des Closeouts beim Fangen mit dem Körper sich leicht nach rechts bewegt, um doch über die linke Seite zu ziehen – und so den herauseilenden Verteidiger austrickst. Und wenn er sich mit langen Schritten bis in und durch die Zone manövriert.

„Mit Aggressivität gehen auch Fehler einher – das ist okay. Ich muss nur sichergehen, die richtigen Würfe zu nehmen, das Spiel richtig zu lesen und nichts zu überstürzen“, hatte Wagner nach der ersten Saisonwoche über seinen Ansatz in der Offensive erklärt. Hin und wieder nimmt Wagner durchaus schwierige Würfe, mit Floatern und Hakenwürfen aus recht weiter Distanz. Doch diese Aktionen zeigen auch, wie wohl sich Wagner mit solchen Abschlussarten fühlt.

Wenn man über die richtigen „Reads“ spricht, muss man Wagners Spiel ballabseits herausstellen – denn gerade hier besticht der Rookie mit einem hohen Spielverständnis. Sehr gerne zieht Wagner dabei die Baseline entlang, und das im richtigen Moment.

Magic-Coach Mosley schätzt seinen Rookie als „unermüdlichen Arbeiter, der sich häufig an den richtigen Stellen wiederfindet, offensiv und defensiv.“ Um zu Wagners Verteidigung zu kommen …

Defense: Switchability und Deflections

Wo Franz Wagner schon in der Offensive ballabseits überzeugt, macht er auch defensiv einen guten Job bei Closeouts. Wagner antizipiert meist gut, wohin die Offensivspieler ziehen wollen. Aus einer guten Fußarbeit kann Wagner nach der Abstoppbewegung mit den Drives mitgehen, und er versteht es, dabei seinen Körper einzusetzen.

In der letzten Aktion gegen R.J. Barrett erschwert Wagner den Wurf des New Yorker Flügelspielers. Jedoch ist Wagner nach dem Antritt Barretts, fast aus einem Dribble-Hand-Off von Evan Fournier, etwas spät dran. Dies muss man auch bei Wagners Defensivaktionen konstatieren, wenn er sich um ballferne Blöcke bewegen muss. Curlt seinen Gegenspieler, sieht sich Wagner immer wieder im Hinterherlaufen begriffen.

In den letzten Aktionen des folgenden Videos schafft es Wagner, bei der Verteidigung solcher off-Screen-Aktionen zu recovern und seinen Gegenspielern von hinten den Ball aus den Händen zu tippen. Denn Wagner zeigt häufig, welch flinken Finger er hat: ob ballabseits oder auch direkt im Eins-gegen-Eins und gegen einen Ballhandler im Pick-and-Roll. Auf der Weakside, bei Kickout-Pässen, ist der Rookie ebenso immer wieder mit Deflections zur Stelle (mit 2,6 pro Spiel die meisten aller Magic-Akteure und die viertmeisten aller Rookies).

So macht Wagner auch in der Eins-gegen-Eins-Verteidiger eine gute Figur. Die letzten beiden Aktionen des folgenden Videos dabei gegen Superstar Kevin Durant; gegen die Brooklyn Nets verzeichnete Wagner sechs Steals – mehr Bälle hatte ein Rookie in einem NBA-Spiel 2013 geklaut (der damalige Sixer und Wagners jetziger Teamkollege Michael Carter-Williams)!

Zudem scheuen sich die Magic nicht davor, Wagner als ursprünglichen Big-Verteidiger auf den gegnerischen Ballhandler zu switchen. Im Pick-and-Roll am Ballführer erlaubt Wagner bisher nur 0,63 Punkte pro Possession, nur 11,2 Prozent der NBA-Akteure agieren besser. Überhaupt verteidigen die Magic auch als Kollektiv stark im Pick-and-Roll. Wobei Wagner hin und wieder auch Probleme hat, sich um den Ball-Screen zu kämpfen.

Wagner hält seine Gegenspieler bei einer Quote von 43,5 Prozent aus dem Feld – immerhin 1,5 Prozentpunkte weniger als deren Durchschnittswert. Da er zwischen der Drei und der Vier wechselt, hat der Forward automatisch mit Außen- und Innenspielern zu tun – also mit komplementären Offensivaktionen. Doch Wagner scheint dabei auch auf höherem Niveau wenig Probleme zu haben. So gab der 20-Jährige selbst zu Protokoll, dass ihm die Umstellung in der Defensive leichter gefallen sei als in der Offensive.

Fazit: mehr als ein Glue-Guy

Nach einem Saisonmonat lässt sich konstatieren: Franz Wagner scheint generell keine große Anlaufschwierigkeiten in seine Rookie-Saison gehabt zu haben. 31,0 Minuten steht der Flügelspieler pro Partie auf dem Parkett – die fünfthöchste Einsatzzeit aller Rookies, mehr als Teamkollege Jalen Suggs, der im NBA Draft drei Positionen vor ihm gezogen worden ist. Als junges Team im Umbruch mag eine solche Einsatzzeit für einen Liganeuling nicht verwundern – ebenso wenig die bislang vielen Niederlagen Orlandos. Doch dieser junge Kern zeigt kollektiv vielversprechende Ansätze.

Wie auch Wagner individuell. In der Offseason urteilte Bleacher Reports Draft-Experte Jonathan Wasserman, Wagner fehle „das Skill-Set für konstantes Scoring – ohne Self-Creation-Skills oder einen verlässlichen Jumper“. Auf The Ringer schrieb Kevin O’Connor, Wagner habe „Glue-Guy-Skills in der Offensive“, aber es fehlen ihm ein paar „Moves, um aus dem Dribbling zu punkten, was sein Upside als Go-to-Option limitiert“.

Doch nach einem Viertel der Saison beweist Wagner, dass er gerade mehr sein kann als „nur“ ein Glue-Guy. Denn es ist offensiv gerade sein Paket nach Drives – per Hostage-Dribblings, Eurostep, überlegten Aktionen und effizientem sekundären Ballhandling –, mit dem der Rookie positiv überrascht. Und dabei wenig Fehler begeht: Unter den Rotationsspielern der 2021er Klasse verliert nur Davion Mitchell prozentual etwas seltener den Ball.

Wagner weist jedoch auch keine recht hohe Usage-Rate auf, er hat sich im bisherigen Verlauf aber durchaus aggressiv präsentiert. „In der Summer League oder in den ersten paar Saisonspielen war ich manchmal noch ein wenig zu zögerlich. Das hat mich aus dem Spiel genommen, zudem hat es auch meinen Mitspielern Vorteile genommen“, wusste Wagner selbst, dass er forcieren darf – und auch soll.

Die beiden Poster-Dunks gegen Minnesota und New York werden noch häufig geklickt werden. Was man neben den bloßen Highlights auch erwähnen sollte, ist der Zeitpunkt: in spielentscheidenden Phasen, in der Crunchtime. Gegen die Wolves war der Poster-Dunk der Schlusspunkt von acht Punkten innerhalb von 79 Sekunden, um Orlandos Führung auszubauen. Gegen die Knicks holte Wagner mit dem And-One-Druckkorbleger die Führung zurück und initiierte einen 7:0-Lauf der Magic.

Womöglich wird Wagner auch mal mit der Rookie-Wall Bekanntschaft machen, und wahrscheinlich werden sich gegnerische Teams auch auf dessen auf Drives ausgelegtes Offensivspiel einstellen. Doch die Ansätze eines vielseitigen „Two-Way“-Spielers, die Flexibilität eines 2,06-Meter-Flügels sind zu offensichtlich, als dass Franz Wagner nicht eine überzeugende Rookie-Saison hinlegen sollte – um die Grundstein für eine langjährige NBA-Starter-Karriere zu legen. Auch, weil Wagner mit seinem fehlerarmen Spiel gar nicht so sehr wie ein Rookie auftritt (schließlich hatte er als 17-Jähriger mit ALBA BERLIN auch schon im EuroCup gespielt). Oder welcher Basketballer hat die Courage und den Spielwitz, in seiner fünften NBA-Partie einen solchen Einwurf-Trick an den Rücken des Gegenspielers herauszuschütteln?