Warten auf Tag X

Spielerberater Jan Rohdewald spricht über die Folgen und Auswirkungen der Coronakrise auf den Profibasketball in Deutschland.

„Mir fehlt der Basketball extrem“, sagt Spielerberater Jan Rohdewald, als wir uns über die Folgen der Corona-Maßnahmen unterhalten. Damit spricht der Agent zutiefst aus dem Herzen der Basketballwelt.

18 Jahre lang war Rohdewald als Basketballprofi in Deutschland aktiv, seit 2011 ist er Geschäftsführer der Spielerberatungsagentur Lumani 10.7 und kümmert sich um die Betreuung von Profispielern und Coaches. „Ich lebe sonst von Spiel zu Spiel und nicht von Tag zu Tag“, meint der 47-Jährige. „Das ist jetzt krass. Ich schaue mir jetzt auch mal alte Spiele an, aber das ist nicht dasselbe. Das hat man alles schon gesehen.“

Die Sportwelt hängt seit Anfang des Jahres in den Seilen. Es kam schleichend, die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie trafen zunächst die Unterhaltungsbranche. Kultur- und Sport-Events wurden Anfang März in Deutschland abgesagt oder ausgesetzt. So auch in der ersten Liga. Die easyCredit BBL pausiert bis zum 30. April, um dann erneut eine Entscheidung zu treffen, wie es weitergeht. Auf der Liga-Website heißt es:

Es wird sicherlich einen „Tag X“ geben, an dem die Liga mit ihren Klubs eine finale Entscheidung über die Beendigung der Saison 19/20 treffen wird. Vorerst ist dies der 30.04.2020. In der jetzigen Situation kann nur kurzfristig geplant und „auf Sicht geflogen“ werden. 

easyCredit BBL: Antworten auf offene Fragen

Wann dieser Tag X sein wird, ist derzeit nicht absehbar. Basketball in Deutschland findet derzeit nur virtuell und aus der Konserve statt. Erinnerungen an adrenalingeschwängerte Arenen und schwitzend-erhitzte Gemüter auf und neben dem Parkett gehören der Vergangenheit an. Archivierte Spiele versprühen alten Glanz, Fotos zeugen von früheren, vergnügteren Zeiten.

Der Ligenbetrieb im Jugend- und Seniorenbereich wurde am 25. März 2020 vorzeitig beendet – bis auf die Pause der ersten Liga. Ob das Ausharren in Deutschlands bester Liga klappt, steht in den Sternen. Hier treffen wirtschaftliche Interessen und Menschlichkeit aufeinander.

„Mich würde es freuen, wenn man wieder zusammenkommen und weiterspielen könnte. Die Situation ist aber aus mehreren Gründen überhaupt nicht einschätzbar. Man kann gar nicht absehen, wann das gesellschaftliche Leben wieder halbwegs normal läuft“, erklärt Rohdewald und gibt einen Einblick in die Welt der Basketballprofis: „Aktuell ist es so, dass manche Profis versuchen zu trainieren, manche Teams machen gar nichts und haben ihre Profis teilweise schon nach Hause geschickt. Dann von 0 auf 100 wieder zu starten, halte ich für schwierig.“

Malcolm Delaney vom FC Barcelona hatte sich dazu kürzlich auch auf Twitter geäußert:

„Wenn ein Basketballprofi zwei Wochen lang nichts macht und dann Vollgas geben muss, kann das kritisch werden“

Die derzeitige Situation der Profisportler, im Wettkampfmodus zu bleiben und nicht zu wissen, wann der Trainingsalltag wieder startet und ob die Liga überhaupt fortgesetzt werden kann, ist zermürbend.

„Normalsterbliche können das vielleicht nicht nachvollziehen, aber wenn ein Basketballprofi zwei Wochen lang nichts macht und dann Vollgas geben muss, weil es wieder losgeht, kann das kritisch werden“, weiß Rohdewald, der als wurfstarker Guard unter anderem für Bonn, Bamberg und die Artland Dragons die Basketballschuhe schnürte. „Jeder Tag, der vergeht, wiegt nochmal mehr. Wenn die Profis vier bis fünf Wochen lang nicht trainieren können, und dann startet die Liga wieder, wäre das ein sehr interessantes Experiment.“

Die Belastungen, die sowohl psychisch wie auch körperlich auf die Profis einwirken, sind nicht abschätzbar. Was ist mit den (teils bereits aufgelösten) Verträgen? Dürfen US-Profis wieder nach Europa einreisen? Wie schnell kann der mentale Schalter vom Ruhe- in den Wettkampfmodus umgelegt werden? Ganz zu schweigen von den Verletzungsrisiken bei zu rascher intensiver Belastung.

Auch für den Spielerberater Jan Rohdewald bedeuten diese Zeiten Neuland: „Ich war positiv überrascht, dass jeder Verein bemüht war, die Situation möglichst gut für alle Beteiligten zu gestalten und nicht zu sagen: ,Wir haben gerade ganz andere Probleme.‘ Der gesamte Umgang verlief sehr menschlich. Das war sehr erfreulich“, erklärt er. „Man kann nur individuell versuchen, Lösungen zu finden. Mit den deutschen Clubs gab es durchweg gute Gespräche und viel Verständnis.“

Doch Rohdewald findet auch Argumente für eine Fortsetzung der Liga zu einem späteren Zeitpunkt: „Ich glaube, dass neben dem sportlichen Abschluss der Saison auch das Finanzielle eine gewaltige Rolle spielt. Das betrifft einige Clubs besonders. Aber eigentlich tut es allen gut, wenn man in irgendeiner Form zu Ende spielt, um wirtschaftlich wieder besser dazustehen – vor allem gegenüber Sponsoren und Dauerkartenbesitzern. Ich weiß aber nicht, ob das machbar ist. Wenn ich es richtig verstehe, sind die Geisterspiele für die Vereine nicht machbar. Man hat die Hallenkosten, aber keine Zuschauereinnahmen. Das ist ein komplexes Thema. Ich habe auch mal gehört, die Spiele aus kleineren Halle ohne Zuschauer von MagentaSport übertragen zu lassen. Es gibt wahrscheinlich verschiedene Schattierungen, wie man sowas machen könnte.“

Die easyCredit BBL soll Szenarien dieser Art bereits durchdenken, zumindest laut deren Website:

„Die Liga erarbeitet in den nächsten Tagen und Wochen verschiedene Szenarien für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs ab Mai/Juni. […] Selbstverständlich werden die zu entwickelnden Szenarien versuchen die Wettbewerbsbedingungen bestmöglich anzugleichen und Härtefälle bestmöglich abzufedern.“

easyCredit BBL: Antworten auf offene Fragen

Hinzu kommen Themen wie Aufstieg aus der ProA und Abstieg aus der BBL und: Welche Clubs dürfen in der ersten Saison nach Corona international starten? Da ist vieles offen, das noch für viel Gesprächsstoff sorgen wird.

Trotz dieser Gedanken kreist über allem das Gespenst, das auch in der NBA für einen Lockdown sorgte. Was ist, wenn ein Spieler positiv auf das Coronavirus getestet wird? „Man müsste theoretisch alle Spieler vorab testen, ob sie alle gesund sind, doch auch sie leben ja nicht in einem Vakuum“, erklärt Rohdewald. Beispielsweise beim Einkaufen könnte es zu einer Infektion kommen. „Das ist schwer machbar. Man kann sich da nicht absolut sicher sein. Man müsste eine Art Schnelltest haben für ein Ergebnis innerhalb kürzester Zeit. Dann ist es schwarz oder weiß. Wenn alles gut ist, könnten die Profis zusammen spielen.“

„Jeder geht davon aus, dass die nächste Saison stattfinden wird, aber wann ist die entscheidende Frage“

Ob das alles realistisch ist, sei dahingestellt, denn die Kernfrage bleibt: Wie geht die Gesellschaft mit dem Coronavirus um? Aktuell dreht sich vieles um die Saison 2019/2020, doch was ist mit dem nächsten Spieljahr? Kann die Saison 2020/2021 regulär stattfinden?

„Wenn es so ist wie jetzt und wenn es in den nächsten Monaten weiter so bleibt, dann weiß ich nicht, auf welcher Basis ein Startschuss erfolgen soll. Ich halte die Situation für zu komplex und schwierig. Wir werden sehen, wie sich die Wochen entwickeln werden“, hofft Rohdewald. „Jeder geht davon aus, dass die nächste Saison stattfinden wird, aber wann ist die entscheidende Frage. Niemand kann das beantworten. Entscheidend wird sein, wie die Gesellschaft zu der Entwicklung steht; welche Erfahrungswerte gibt es aus dem Ausland, und wie wird hierzulande entschieden? Das obliegt nicht den einzelnen Clubs, sondern wird auf kommunaler bis hin zur Bundesebene entschieden.“

Hat die Zwangspause wegen Corona auch positive Effekte? Gibt es neben den langfristigen Folgen, die bereits andiskutiert werden, auch mittelfristig absehbare Konsequenzen?

„Es geht in dieser Situation auch um das Thema Nationalmannschaft. Wenn keine Spiele stattfinden, hilft es den Nationalspielern, mal eine Pause zu bekommen. Diese Pause hätten sie sich sonst nicht nehmen können. Nach dem Saisonende kommt das Quali-Fenster, dann könnte Olympia kommen, und dann startet die Vorbereitung auf die neue Saison. Das wäre in dieser Form nicht der erste Sommer dieser Art gewesen. Die Nationalspieler können sich nun ausruhen. Das klingt plump, aber sie ackern das ganze Jahr durch.“

Was bleibt, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten und eine Rückkehr zum gesellschaftlichen Miteinander nach dem Coronavirus. Was bleibt, ist aber auch die Erkenntnis, wie fragil das gegenwärtige System ist.

„Man hat gesehen, auf wie dünnen Füßchen alles steht. Selbst in so einem Riesenunternehmen wie der NBA: Da kommt ein Spieler positiv getestet zum Spiel, und plötzlich bricht der ganze Laden in sich zusammen. Wenn man das alles als Sozialstudie sieht, ist es der absolute Wahnsinn, was sich da alles abspielt und entwickelt“, staunt Rohdewald. „Ich hoffe, dass man zur nächsten Saison auch Lösungen gefunden hat. Da bin ich guten Mutes, dass der gesellschaftliche Umgang mit dem Virus gelingt.“