Free Like KD – zur Verletzung von Kevin Durant

Kevin Durant hat jüngst bestätigt, dass er sich die Achillessehne gerissen hat. Einer der besten Spieler der NBA wird sonach lange fehlen, seine Zukunft ist derzeit ungewiss. Doch was sagt uns die schwere Verletzung über KD und die Basketball-Kultur? Ein Kommentar.

Am vergangenen Mittwoch hat Kevin Durant via Instagram mitgeteilt, dass er sich in Spiel fünf der NBA-Finals zwischen den Golden State Warriors und den Toronto Raptors (wie befürchtet) im rechten Bein die Achillessehne gerissen hat.

Zudem ließ der 30-Jährige wissen, dass er sich einer Operation bereits erfolgreich unterzogen habe. Entsprechend betonte Durant: „Mein Weg zurück beginnt jetzt!“

Verständlicherweise sitzt der Schmerz bei ihm dennoch tief. Auch wenn KD erklärte, dass es ihm gut gehe.

Zugleich übernahm er mit seiner Wortmeldung Verantwortung; da er die eigene Entscheidung, zu spielen, in den Vordergrund rückte: „Basketball ist meine größte Liebe und ich wollte an diesem Abend da draußen sein. Denn das ist es, was ich nun mal tue. Ich wollte meinen Teamkameraden bei unserer Mission des Threepeats helfen.“

Durants Statement kann dabei auch als Reaktion auf all die Schuldzuweisungen gelesen werden, die seit seiner Verletzung zirkulieren. Diese werden von Fans, Journalisten und Ehemaligen zuvorderst an die sportliche Leitung der Warriors und deren Teamärzte gerichtet. Denn hatten sie KD nach seiner langwierigen Wadenverletzung nicht für fünfte Finalspiel die Freigabe erteilt?

Personen prompt an den Pranger zu stellen, gehört in den heutigen Empörungsgesellschaften bekanntlich zur ermüdenden Alltagsroutine. Schließlich sollen fix Schuldige gefunden und verantwortlich gemacht werden, wenn unerfreuliche Dinge geschehen sind. So ist das beliebte „Blame Game“, das viele nur allzu gern spielen, vor allem schön einfach – nämlich unterkomplex.

Blame Game

Das weiß auch Warriors-Manager Bob Myers, der nach Spiel fünf versuchte, die Schuld dafür auf sich zu nehmen, dass Durant eingesetzt wurde. Unter Tränen deutete der zweifache „Executive of the Year“ darauf hin, dass niemand die alleinige Schuld trägt und die Verantwortung nicht allein bei der Franchise liegt (später mehr dazu).

„Er hatte die Freigabe erhalten, heute Abend zu spielen; das war eine gemeinsame Entscheidung“, sagte Myers. „Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, dem man die Schuld geben kann, aber ich verstehe auch die heutige Welt. Wenn es also sein muss, können Sie mir die Schuld geben. Denn ich leite unsere Basketball-Abteilung.“

Darüber hinaus fügte er an: „Und um Ihnen noch etwas über Kevin Durant zu sagen: Kevin Durant liebt es, Basketball zu spielen – und die Leute, die hinterfragt haben, ob er zu diesem Team zurückkehren wolle, lagen falsch.“

Die Schuldfrage ist sonach eine müßige. Auch weil die Entscheidung gemeinsam und nicht von einer Person getroffen wurde. Zumal außenstehende Kritiker bisher über keine belastbaren Informationen verfügen. Niemand außer den direkt Involvierten – Durant, Myers, Headcoach Steve Kerr und Dr. Rick Celebrini (der sportmedizinischen Direktor der „Dubs“) sowie gegebenenfalls weiteren Akteuren – weiß, wie der Entscheidungsprozess teamintern abgelaufen ist.

Welche Faktoren und Feinheiten waren ausschlaggebend, wer hatte hierbei das letzte Wort? Diese und weitere Fragen können wir nicht beantworten. Denn wir wissen es schlichtweg nicht.

Dass die Warriors kollektiv eine riskante Entscheidung getroffen haben, welche die wohl schwerste Sportverletzung nach sich zog, ist offenkundig und tragisch. Doch haben sie sich diese anscheinend mitnichten leicht gemacht, sondern nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. So wurde etwa auch eine ärztliche Zweitmeinung eingeholt, wie Coach Kerr sagt.

Indes waren die Reaktionen vieler Außenstehender nach Spiel fünf scheinheilig. Denn zuvor hatten sie nicht zum ersten Mal Durants Einsatzwillen und Zähigkeit in Frage gestellt (später mehr dazu) und kritisiert, dass er in den Finals nicht spielt. Sodann war es nach seiner Verletzung die hohe Risikobereitschaft der Warriors, die angeprangert wurde. Das Wohl des Spielers, den die Franchise unter Druck gesetzt habe, rückte nun scheinbar in den Fokus.

Abseits dieser ephemeren Phase der Empörung, in der selbstgerechte Dampfplauderer für ihre Aussagen zu viel Aufmerksamkeit erhielten, bleibt ein Fakt bestehen: Jeder der Entscheidungsträger der Warriors hätte Nein sagen können. Auch KD, der seinen Körper wohl am besten kennt und seine Spielbereitschaft einzuschätzen vermag.

Er hat seine Gesundheit riskiert und möglicherweise seine Basketballzukunft unterminiert. Wohlgemerkt mit dem Zutun medizinischer Fachleute, die ihm die Freigabe erteilt haben. Genauso wie Myers, der bereitwillig den Blitzableiter gegeben hat, tragen sie Verantwortung. Ungeachtet dessen kann auch von Pech die Rede sein, während es einfach sehr schade ist, dass einer der besten Spieler der Welt lange fehlen wird.

Unter Druck

Die Moral dieser und unzähliger anderer Verletzungsgeschichten ist, dass wir nicht wirklich wissen, wie es um die Gesundheit der Spieler bestellt ist und was hinter den Kulissen tatsächlich geschieht. In diesem konkreten Fall ist überdies zu leicht zu vergessen, dass Kevin Durant zwar ein Superstar ist, doch kein Superheld. Er ist sonach keine unerschütterliche Basketballmaschine, sondern ein Mensch mit Interessen und Befindlichkeiten – wie alle anderen auch, die an seiner traurigen Verletzungsgeschichte beteiligt sind.

Derweil feiern und überhöhen wir oft diejenigen, die trotz Verletzungen bzw. mit Schmerzen spielen, als Kämpfer und „echte Krieger“. Hierbei sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass ein weiteres wahres Zeichen von Zähigkeit nicht darin besteht, sich beherzt durchzubeißen, sondern den Mut zu haben, selbstreflektiert Nein zu sagen. Das gilt besonders bei unzureichender Einsatzfähigkeit.

Kawhi Leonard, der 2017/18 fast die komplette Saison aussetzte und wegen der Uneinigkeit über eine Muskelverletzung letztlich seinen Abschied aus San Antonio erzwang, weiß darum wie kaum ein Zweiter. Der heutige Raptor zog mit seiner Entscheidung, entgegen der Freigabe durch die Teamärzte der Spurs nicht zu spielen, harsche öffentliche Kritik auf sich, die gewiss Spuren hinterlassen hat.

„Letztes Jahr wurde ich von vielen Leuten angezweifelt“, sagt Leonard daher nun nach dem Meisterschaftsgewinn mit Toronto. „Sie dachten, ich hätte eine Verletzung vorgetäuscht oder dass ich nicht für mein Team spielen wollte. Das hat mich enttäuscht, weil ich dieses Spiel liebe. Wenn ich nicht spiele, liegt das daran, dass ich verletzt bin, dass es nicht geht.“

Bereits nach Spiel fünf hatte der zweifache Finals-MVP eine treffende Einschätzung der Situation von Kevin Durant parat. Zumal er auch auf den psychischen Aspekt während eines langen Gesundungsprozesses hinwies.

„Was denke ich über seine Situation? Es ist verheerend“, erklärte Leonard. „Du arbeitest so hart, um an diesen Punkt zu kommen, das sind die letzten Spiele. Du siehst, wie er versucht zurückzukommen und sich selbst pusht; und er war offensichtlich gewillt beizutragen … Ich fühle mit ihm. Denn ich war schon mal in dieser Situation. Ich hoffe, er erholt sich und wird einfach gesund. Zudem hoffe ich, dass es ihm während des gesamten Reha-Prozesses mental gut gehen wird.“

Dass Durant wohl zu früh wieder auf dem Parkett stand, ist demnach nicht nur auf möglichen internen Erfolgsdruck, sondern zum Teil auch auf „Anstöße“ von außen zurückzuführen.

Denn selbst diejenigen, die sich um KDs Gesundheit Sorgen machten, wollten wohl sehen, ob er sein Team nach 1-3-Rückstand zurück zum Titel und damit zum raren Threepeat führen kann. Es stand also infrage, ob die glanzvolle Erfolgsgeschichte der „Dubs“ fortgeschrieben werden würde – und ob Durant darin seinen rechtmäßigen Platz als Protagonist einnehmen können würde. Es kam bekanntlich anders.

Zuvor war der wurfstarke Forward über Jahre verleumdet und verspottet worden, weil er sich den Warriors angeschlossen und eine vermeintlich unfaire Abkürzung, den „einfachen Weg“ zum Titel genommen hatte. Der Mann aus Maryland, der ob seines Wechsels an die Westküste als treulos und soft galt, konnte sonach trotz zweier NBA-Meisterschaften und Auszeichnungen als Finals-MVP nie die Anerkennung finden, nach der er als Ausnahmespieler sucht.

Auch weil die hypermännlich aufgeladene Empörung, die suggeriert, dass KD kein harter Wettkämpfer, ja kein „richtiger“ Mann sei, nie dauerhaft verstummt ist. Und das war und ist nichts Neues.

Als der heute 30-Jährige in die NBA kam, wurden ihm Körperlichkeit, Zähigkeit und defensive Standfestigkeit abgesprochen. Er galt als zu weich und nicht aggressiv genug. Als übertalentierter Schönspieler; ein dünner, schüchterner Junge, der für die physische „Männerliga“ zu schwach sei.

Da er im Bankdrücken einst keine 85 Kilogramm gestemmt bekam, wurde Durant ob seiner sogenannten Streichholzarme seither oft belächelt. Später sahen und verlachten ihn viele als Muttersöhnchen, da er 2014 bei seiner Auszeichnung zum Liga-MVP unter Tränen äußerte, seine alleinerziehende Mutter (die sich für ihn aufgeopfert hatte, ihm Zuversicht gab und in seinem Leben sehr präsent ist) sei der „wahre MVP“.

Gleichzeitig setzte sich der KD seinerzeit mit seinem Image auseinander. Etwa pushte eine maßgeschneiderte Werbekampagne den Slogan „Strong and Kind“, um der prädominanten Wahrnehmung, nette Jungs gewinnen nicht, entgegenzuwirken. Hinzu kam sein kurzlebiger „Slim Reaper“-Twitter-Handle, den (heute) „KD Trey 5“ sodann durch „The Servant“ ersetzte. Auf Instagram firmiert als er „Easymoneysniper“ …

Derweil ist Durant erwachsener und etwas selbstsicherer geworden. Ein Gewinner ist der Edelscorer ohnehin. So braucht er niemanden mehr etwas zu beweisen und könnte das Leben gechillt genießen. Doch bleiben sein sensibles Wesen und all der Lärm, der ihn und seine Person umgibt, bestehen.

Daher bestand heuer in den Finals wiederum die Chance, all die Kritiker und „Hater“ zum Schweigen zu bringen und den Titel als bester Spieler der Welt (zurück) zu erobern.

Wie hätte dies Durant bei seiner Rückkehr aufs Parkett nicht beeinflussen können?

So leben wir nun mal in einer Welt, die weithin um wetteifernde Alphamänner kreist. Nicht zuletzt im Profisport, wo der gesellschaftlich ausgeprägte Individualismus nach harten, physisch aggressiven und kämpferischen Athleten verlangt. Sie fungieren als überhöhte Fantasiefiguren, deren „Killerinstinkt“, Verbissenheit und Großtaten bewundert und als männlich beschworen wird.

Die physische „Männerliga“ der NBA ist davon nicht ausgenommen und stellt daher keine heile Parallelwelt dar. Vielmehr sind in der männlich dominierten US-Basketballkultur ebenso gestählte, toughe Wettkämpfer gefragt, während angezweifelte Männlichkeit mithin Feminisierung stets eine Rolle spielt. Denn wer nicht aggressiv genug, gefestigt und durchsetzungsfähig erscheint, gilt schnell als „soft“; als sogenannte „Pussy“ oder als „Crybaby“ – also nicht als „richtiger“ Mann, der sich einsatzvoll durchbeißt und für Buckets sorgt …

Gewiss, solch überkommene Vorstellungswelten, aus denen sich etwa die Rede von „Weichlingen“ und „Schwächlingen“ speist, werden graduell aufgebrochen, doch sind sie weiterhin wirkmächtig. Denn Spieler werden wie gesagt häufig nicht als Menschen, sondern als Superhelden betrachtet – mit ihren eigenen Erfolgserzählungen, die die Sieger unsterblich machen.

Die Unterlegenen werden hingegen nicht selten herabgesetzt, als ob sie einen fatalen Charakterfehler hätten, der ihre Meisterschaftshoffnungen zum Scheitern brachte. Jedoch sind sie alle am Endes Tages „nur“ Menschen, die mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, an denen sie extrem hart gearbeitet haben.

„Im Sport sind es die Menschen“, sagt Warriors-Manager Myers nicht umsonst. „Der Sport lebt von Menschen. Ich weiß darum, dass Kevin Durant schon sehr viel einstecken musste, aber er will nur Basketball spielen und im Moment kann er es nicht. Basketball hat ihn durch sein Leben gebracht. Dabei weiß ich nicht, ob wir alle verstehen können, wie viel ihm das Spiel bedeutet. Er will nur mit seinen Teamkollegen Basketball spielen und wetteifern.“

Sich beweisen

Gegenwärtig sieht es indes so aus, dass keiner weiß, wie es für Kevin Durant abseits der Reha weitergeht. Die Zukunftsspekulationen, mit denen kultürlich längst begonnen wurde, helfen da kaum weiter. Besonders die Frage, was seine schwere Verletzung für diese und jene NBA-Franchise bedeutet, erscheint momentan eher als nebensächlich.

Der 30-Jährige kann nach dieser Saison Free Agent werden und wohin seine Reise dann geht (wenn er überhaupt das Team wechselt), ist offener denn je. Gleiches gilt für den Zeitpunkt eines möglichen Comebacks.

Statt diverse Szenarien zu entwerfen und wortreich zu besprechen, sollte vorerst die vollständige Genesung des Ausnahmespielers im Vordergrund stehen. Denn ein Achillessehnenriss ist nach wie vor eine der gravierenden Verletzungen, die Spielerkarrieren entscheidend verändern kann. Und zwar schwerlich im positiven Sinne.

Durant selbst blickt dagegen mit Zuversicht nach vorn:

It’s just the way things go in this game and I’m proud that I gave it all I physically could … It’s going to be a journey but I’m built for this. I’m a hooper.

Er hat im Basketball zwar wie gesagt niemanden mehr etwas zu beweisen, doch versucht er immer wieder aufs Neue seine Leistungsstärke zu zeigen. Und auch das ist kein Novum.

Schon 2016 hatte KD nicht ernsthaft etwas zu beweisen – als vormaliger Liga-MVP, der mehrere NBA-Scoring-Titel eingefahren hatte und die 73-Siege-Warriors im Westfinale fast ausgeschaltet hätte. Er selbst sah das aber anders. Denn ihm fehlte nach der Finalniederlage 2012 noch immer der Meistertitel.

Also checkte der spielstarke Sevenfooter seine Prioritäten und wechselte im Sommer in den Golden State, um zu demonstrieren, dass der ein Gewinner sein kann – was ihm bekanntlich eindrucksvoll gelang. Durant avancierte zum vielleicht besten Spieler der Liga, die „Dubs“ waren mit ihm nicht zu stoppen.

Jüngst hatte er in den Finals daher nicht wirklich etwas zu beweisen. (Außer seiner Wichtigkeit für die Warriors vielleicht.) Trotzdem kam der passionierte Wettkämpfer zurück, nachdem er mit einer hartnäckigen Wadenverletzung für einen ganzen Monat ausgefallen war …

So erscheint Durant als prototypischer Profisportler, der sich beständig auf großer Bühne messen, seine Klasse veranschaulichen und sich obendrein verbessern will. Diese Einstellung scheint bei ihm in jedem Fall sehr ausgeprägt zu sein, wobei ihm der Erfolg Recht gibt. Entsprechend kann man sich unschwer vorstellen, dass niemand KD mehr unter Druck setzt, als er sich selbst.

NBA-Championships, MVP-Awards, olympische Goldmedaillen und generell eine Hall-of-Fame-Karriere stehen dabei nicht im Vordergrund. Vielmehr scheint es einem der besten Basketballer aller Zeiten schlicht darum zu gehen, das zu tun, „was ich nun mal tue“. Nämlich Basketball zu spielen sowie neue Herausforderungen zu suchen und diese voller Ehrgeiz anzugehen.

Ob diese in Zukunft in der Bay Area oder anderswo liegen, ist dabei nachrangig. Denn zunächst wird Kevin Durant beweisen wollen, dass er von einer verheerenden Verletzung zurückkommen und weiterhin die NBA dominieren kann. Hoffen wir darauf, dass er die wohl größte Herausforderung seiner Profikarriere meistert und wieder „Free Like KD“ sein kann.