BBL Finals: FC Bayern München gegen ALBA BERLIN

Zum ersten Mal seit 14 Jahren duellieren sich in der BBL zwei Teams zum zweiten Mal in Folge um die Meisterschaft. Die Finals-Vorschau zwischen dem amtierenden Meister aus München und dem Herausforderer aus Berlin blickt auf Matchups und Momentum, Schlüsselspieler, Spielzüge und Statistiken.

Leg’ dein Ohr auf die Schienen der Geschichte… und du hörst beim Duell zwischen ALBA BERLIN und dem FC Bayern München Trash-Talk, hier und da auch Respekt, mitunter Missgunst, letztlich teilen beide Schwergewichte keinen Freundeskreis. Nach der zweiten Finals-Paarung in Folge – was sich in der BBL zum ersten Mal seit 14 Jahren wiederholt (zuletzt 2003/04 und 2004/05 mit Bamberg gegen Frankfurt) – mag sich Trash-Talk auch non-verbal auf dem Taktikbrett niederschlagen.

Das Pokalfinale 2018: Im ersten Angriff lässt Berlins Coach Aíto direkt einen Spielzug laufen, in dem Luke Sikma nach einem Back-Screen zum Alley-Oop-Dunk einfliegt. Mit solchen Plays hatten im Saisonverlauf eigentlich vor allem die Bayern für Highlights gesorgt. Nun zeichnet Aíto jenen Spielzug auf, also wolle er ein taktisches Statement setzen.

Seit jenem Pokalfinale im Februar 2018 haben sich beide Teams in zwei weiteren Do-or-Die-Momenten gegenübergestanden: in den Finals 2018 (dann mit Dejan Radonjic statt Sasa Djordjevic auf dem Trainerstuhl) sowie im Pokalviertelfinale dieser Saison. Seit November 2017 hat es den modernen deutschen Klassiker elfmal gegeben, in der nun anstehenden Endspielserie könnten fünf weitere Begegnungen hinzukommen.

Barthel gegen Sikma: das Duell der MVPs

Dementsprechend gut kennen sich beide Teams auch taktisch, womit Nuancen in den Matchups und die Rollen von Neuzugängen (seit den letztjährigen Finals) noch entscheidender werden können. Im angesprochenen Pokalfinale flog der Hauptrunden-MVP Sikma zum Auftakt ein, in der Finalserie 2018 brachte ihn Danilo Barthel wieder auf den Boden. Münchens Nationalspieler entschied das Duell der Vierer für sich und avancierte letztlich zum wertvollsten Spieler der Finalserie. Nicht bloß nach Sikmas Auszeichnung zum EuroCup-MVP in dieser Saison verspricht das Duell erneut eines der wertvollsten zu werden – womit sich beide Big Men aber auch mit Blick auf die Matchups neutralisieren könnten.

Denn sowohl Barthel als auch Sikma agieren wieder (oder immer noch) auf MVP-Niveau. Barthel ist in dieser Spielzeit der konstanteste Akteur Münchens, hat von seinem ersten EuroLeague-Jahr profitiert und hatte sich auf den MVP-Wahlzettel von basketball.de gespielt. Mit seiner Kraft und Stabilität weiß er, wo Barthel den Most holt: im Post-up (1,07 Punkte pro Possession; 63,6% FG in den Playoffs). Der 27-Jährige ist in dieser Saison offensiv noch schwerer auszurechnen: Denn Barthel hat seinen Dreier extrem stabilisiert (44,5% 3FG; 53/119 3FG in 70 Pflichtspielen). Wenn der Big Man nach einem Block für den Ballführer zur Dreierlinie herauspoppt, attackiert Barthel auch gerne im Catch-and-Drive. Gegen langsamere Gegenspieler zieht er vorbei, gegen kleinere packt Barthel am Ring seine Post-Moves wie einen Baby-Hook aus.

Wenn wir über Non-Verbalität im Basketball sprechen, müssen wir nur auf Luke Sikmas Kopf blicken: mit Nicken dirigiert der Berliner Offensivmittelpunkt seine Mitspieler und fordert sie zu Cuts auf. Wie in folgendem Video in einer Szene zu Beginn des dritten Spiels gegen Oldenburg.

Den Ball an Dreierlinie in den Händen, nickt er Peyton Siva Richtung Grundlinie. Dort kann Siva einen Block für Martin Hermannsson stellen. Der curlt in die Zone und wird von Sikma per Bodenpass hinter dem Rücken bedient. Sikmas „sikes“ (sic!) Passspiel entzückt auch in diesen Playoffs jeden Basketballfan.

Sikmas Spiel kommt nicht ohne Risiko aus, dies ist – wie kollektiv im Berliner Offensivsystem – aber bewusst gewählt. In den letztjährigen Finals gegen Bayern leistete sich Berlins Point Forward aber zu viele Ballverluste (3,2 TpG). In der aktuellen Endrunde hat Sikma diese stark reduziert (1,7 TpG). Wird dies auch mit Druck so bleiben? Denn sicherlich werden viele Blicke auf den 29-Jährigen gerichtet sein, im Hinterkopf die letztjährigen Finals sowie das dritte EuroCup-Finalspiel. Nach einer Vertragsverlängerung über vier Jahre – was für einen ausländischen Akteur in der BBL ein Novum sein müsste – ist vielleicht gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass Sikma seinen ganzen Wert auf das Hartholz hämmert.  

Landry Nnoko: Bayerns Rebound-Problem

Mit Landry Nnoko und Johannes Thiemann als Center-Gespann agiert Sikma mehr denn je auf der Vier. In den letztjährigen Finals bekleidete Sikma im Serienverlauf in kleinen Formationen auch die Fünf, was zum einen defensivtaktische Gründe hatte; zum anderen konnte das Duo Dennis Clifford / Bogdan Radosavljevic qualitativ nicht das liefern, was die aktuelle Berliner Center-Combo den Albatrossen derzeit bringt. Offensiv sieht das weder bei Nnoko noch bei Thiemann sehr elegant aus, muss es aber nicht. Denn Nnoko und Thiemann stellen die vielleicht physischste Center-Rotation der Liga.

Das mussten die Bayern direkt bei Nnokos Debüt für die Albatrosse erfahren: Mit 13 Rebounds in 21 Minuten terrorisierte der Center die Münchener mitunter an den Brettern. Nnoko versteht es ungemein gut, nach der Landung direkt wieder zum Rebound zu springen. Sicherlich fehlte den Bayern in den drei bisherigen Duellen mit Devin Booker der Starting-Center (nur einmal gespielt, dort nur 7 Min), doch über die gesamte Saison hin agieren die Bayern beim Defensiv-Rebound nur durchschnittlich, beim Offensiv-Rebound sogar mit am schlechtesten ligaweit.

So dominierten die Albatrosse ihren Kontrahenten in den drei Duellen: 82,7 Prozent der verfügbaren Defensiv-Rebounds sowie 41,4 Prozent der verfügbaren Offensiv-Rebounds griffen sich die Berliner! Über die gesamte Saison hin wären diese Zahlen mit Abstand Ligahöchstwerte. Inwieweit die Bayern überhaupt das Berliner Brett attackieren, wenn sie doch auf eine Fastbreak-Absicherung bedacht sein sollten, bleibt abzuwarten.

Mit Nnoko und Thiemann haben die Berliner die Möglichkeit, noch aggressiver das Pick-and-Roll zu verteidigen. Mit einem zusätzlichen Verteidiger vom Flügel verstehen es die Albatrosse, hierbei zusätzlichen Druck aufzubauen. Die Bayern haben bereits bewiesen, dass sie solchem Druck standhalten können. Überhaupt glänzen die Münchener darin, den Ball zu rotieren und die offenen Schützen zu finden. Ein Indiz hierfür: Acht Bayern-Spieler treffen in dieser Saison über 38 Prozent ihrer Dreier! Mit Abstand schließt der Hauptrundenkrösus in den Playoffs am häufigsten nach Spot-up-Aktionen ab (Anteil an allen Offensivaktionen: 29%; 1,26 PPP; 45% FG).

Wo Barthel mehr das Pick-and-Pop sucht, wo Leon Radosevic offensiv zu harmlos auftritt, und wo Derrick Williams überhaupt nicht als Abroller fungiert, stellt Devin Booker hierbei Bayerns gefährlichste Option dar (als Roll-Man: 1,42 PPP; 6/7 FG; 33,3% FT Freq in den Playoffs). Der Center attackiert nach seinem Block für den Ballführer sehr schnell die Zone und schließt dort über Ringniveau ab. Zudem darf man die Passfertigkeiten Bookers nicht unterschätzen. Es gibt nicht viele Center, die den einhändigen No-Look-Kickout-Pass derart präzise anbringen:

Wieviele Minuten Leon Radosevic in dieser Finalserie sehen wird, bleibt abzuwarten. Der Center agiert in der Verteidigung zwar gut und kann das Pick-and-Roll switchen, doch die Berliner schließen daraus verhältnismäßig selten direkt ab. Dass sie dies in den bisherigen Playoffs doch getan haben (in jeder achten Possession), hat eher mit den Gegnern zu tun: Sowohl Ulm als auch vor allem Oldenburg hatten ihre Schwächen in der Pick-and-Roll-Defense. Die Bayern werden hierbei sowohl individuell als auch kollektiv viel stärker auftreten.

Bleibt aus der Big-Men-Riege noch Derrick Williams: Der kann mit Booker und Barthel gleichermaßen das Parkett teilen. Seine Statistiken in den drei Duellen gegen Berlin (18,7 PpG; 54,5% FG) sprechen dafür, dass Williams in den Finals eine größere Bedeutung zukommt, als das zuletzt der Fall war. Im Grunde lief es für die Bayern in den Playoffs auch ohne Williams. Ob es eine Wadenblessur gewesen ist: In der Serie gegen Vechta schien sogar Alex King einen höheren Wert zu besitzen als der langjährige NBA-Profi.

Auch nach einer fast achtmonatigen Saison kommt man nicht umher, Williams’ Passung in das Münchener Offensivsystem in Frage zu stellen. Letztlich scheint der ehemalige zweite NBA-Draft-Pick den Joker von Dejan Radonjic zu geben – der allein mit seiner Athletik immer als Option von der Weakside auftritt. Williams mag im Eins-gegen-Eins in der BBL nicht zu stoppen sein, die Statistiken in den Playoffs untermauern dies aber nicht (0,71 PPP; 36,5% FG in Isolationen und Post-ups zusammen).

Sein Go-to-Move ist ein Fadeaway aus der Bewegung mit dem Rücken zum Korb, meist nach einmaligem Dribbling zur Baseline. Solche Würfe im Zurückfallen aus der Mitteldistanz sind keine effizienten Abschlüsse. Williams müsste im Post-up noch häufiger den Weg zum Korb suchen. Kommt er von der Bank, könnte in Matchups mit den körperlich unterlegenen Niels Giffey und Tim Schneider hier genau die Möglichkeit für den Bayern-Forward liegen.

Eine Stärke Bayerns? Die offenen Dreierschützen finden. Der Anteil an allen Offensivaktionen und die Punkte pro Possession untermauern dies. In den Playoffs haben die Bayern gar nicht so oft das Eins-gegen-Eins gesucht.

Halbfeld gegen/und Transition

Williams’ Fastbreak-Dunks mögen sich mit am stärksten im kollektiven Gedächtnis verankert haben, dabei initiieren die Bayern weit seltener Schnellangriffe als die Berliner. Sicherlich, die Bayern können auch auf das Tempo drücken und wissen, wie sie in der Early Offense Mismatches forcieren. Dennoch dürften die Münchener gegen Berlin das Spiel verlangsamen und ins Halbfeld verlagern wollen. In den Playoffs haben die Albatrosse in der Transition aus 36 Possessions mehr abgeschlossen als die Bayern und dort doppelt so viele Punkte erzielt. Auch nach einem Korberfolg des Gegners verstehen es die Berliner gut, zu überraschen und früh in der Wurfuhr einen hochprozentigen Abschluss zu finden.

Doch ebenso im Halbfeld suchen die Berliner den frühen Abschluss. Oftmals ist es nur ein ballferner Block, aus dem beispielsweise Rokas Giedraitis abdrückt. Der Flügelspieler besitzt einen der schnellsten Releases der Liga und benötigt nicht viel Platz für seinen Wurf. Jedoch fällt sein Dreier in der Endrunde (noch) nicht. Die Berliner setzen Giedraitis aber auch gerne in Korbnähe in Szene, wie in folgendem Play.

Der Einwurfspielzug von der Seite sieht vor, dass der Einwerfer über einen ballfernen Block an der Baseline in der Zone bedient wird. Das Anspiel kommt nach einem zweiten Pass meist von Sikma, der an der Birne platziert ist.

Unter Aíto hat sich der Berliner Offensivfokus auf ballferne Blöcke etabliert. Die Flügelspieler bewegen sich um und in Richtung dieser Blöcke wie das Bienenvolk im Flug zum Nektar. Mit den Bayern bekommen es die Albatrosse aber mit einer Mannschaft zu tun, die kein Problem damit haben wird, solche Off-Screen-Aktionen zu switchen.

In der Offensive setzen die Münchener hingegen vielmehr auf Blöcke am Ball. In manchen Spielzügen finden sich mitunter drei seitliche Pick-and-Rolls in Folge. Immer wieder sind Hand-Offs in Plays integriert. Daraus verstehen es die Münchener ungemein gut, Mismatches zu forcieren und zu finden sowie den Ball solange zu bewegen, bis ein Spieler frei ist.

Auf der Point-Guard-Position weiß Dejan Radonjic um ein offensivstarkes Komplementärduo: Stefan Jovic verlangsamt das Pick-and-Roll mehr, um die Aktionen zu sezieren; Maodo Lo operiert mehr mit schnellen Crossover- und step-back-Dribblings. Lo schaut mehr auf den eigenen Abschluss, Jovic mehr auf seine Mitspieler. Je nachdem, was das Team gerade benötigt, kann Radonjic reagieren.

Siva/Hermannsson: Berlins Suche nach Iso-Gefahr

Jovic hat gegenüber seinen Guard-Kontrahenten einen großen Vorteil: seine Größe. Mit 1,98 Metern ist es eben leichter, den Skip-Pass in die Ecke über die Verteidigung zu spielen. Auch deswegen dürften die Berliner gegen Jovic das Pick-and-Roll nicht passiv verteidigen, sondern mehr in einem Hedge-and-Recover operieren, um Jovic nach außen zu drängen. Den Wurf werden die Albatrosse Jovic eher geben, als dass er die Offensive dirigiert: In dieser Saison hat Jovic gegen Berlin nur zwei seiner 13 Feldwürfe verwandelt.

Auf der anderen Seite des Parketts mag Jovic ein Angriffspunkt für die Berliner sein: Der Bayern-Guard mag einen Peyton Siva nicht halten. Auch deswegen werden die Bayern Jovic vielleicht eher auf einen Guard wie Martin Hermannsson stellen – doch auch der agiert in den Playoffs bisher sehr ordentlich am Ball (0,92 PPP; 47,1% FG als P&R Ballhandler). Wie Hermannsson zu spielen ist, wissen die Bayern übrigens gar nicht – denn in allen drei bisherigen Begegnungen fehlte Berlins Shooting Guard. Je nach Matchup, könnten die Albatrosse Jovic also vermehrt in der Verteidigung beschäftigen.

Die Münchener gingen beispielsweise gegen Vechta soweit, Nemanja Dangubic die Verteidigung von T.J. Bray zu überlassen, als Petteri Koponen und Jovic das Backcourt-Duo bildeten. Derweil hat Nihad Djedovic in dieser Saison bewiesen, dass er den stärksten gegnerischen Ballhandler aufnehmen kann.

Djedovic dürfte demnach über weite Strecken Siva aufnehmen (vorausgesetzt, Jovic startet anstelle von Maodo Lo; nach den bisherigen Partien gegen Berlin und den bisherigen Playoffs sollte aber vielleicht eher Lo von Beginn an auflaufen). Nach Bray würde es Djedovic dann mit einem weiteren Star dieser Playoffs zu tun bekommen. 17,3 Punkte, bei exzellenten Quoten aus dem Feld (51,2% FG; 51,6% 3FG), sowie 6,3 Assists bei nur 1,8 Ballverlusten legt Siva bislang auf. Der Berliner Point Guard nutzte im Pick-and-Roll die Schwächen der bisherigen Berliner Gegner konsequent aus und präsentierte sich nach einem Ball-Screen sehr effizient (1,18 PPP; 52,6% FG).

Es spricht gegen das Naturell der Berliner, häufig das Eins-gegen-Eins zu suchen, sie sind darin auch nicht effizient. Schon die letztjährige Finalserie zeigte, dass ein Spieler, der im Eins-gegen-Eins „einfach“ mal seinen Gegenspieler schlägt und übernimmt, dem Team doch irgendwie fehlt. Die Münchener Verteidigung könnte mit Switches genau das wieder forcieren.

Wer könnte bei den Berlinern in diese Rolle schlüpfen? Siva, Hermansson oder vielleicht Derrick Walton Jr., der mit seinen vielen Dribblings vielleicht ein wenig das Gegenteil zu Berlins egalitärem Offensivsystem ist, mit seinen Drives  aber viel Schaden anrichten kann und zumindest gegen Ulm eine hervorragende Serie absolviert hat? So stark Hermannsson und Siva als Ballhandler im Pick-and-Roll aufgetrumpft haben, auf Eins-gegen-Eins-Aktionen trifft dies nicht zu. Insofern tun die Berliner auch gut daran, ihre Offense nicht bis ans Ende der Wurfuhr zu verlagern. Sivas Offensivproduktion wird einen großen Stellenwert für den Ausgang der Finalserie haben.

Die Berliner suchen selten das Eins-gegen-Eins, und punkten daraus auch nicht effizient. Kein Team versteht es so stark, aus dem Schnellangriff und nach ballfernen Blöcken abzuschließen.

Lucic/Giffey: Allzweckwaffen

Vielleicht nimmt auch Vladimir Lucic Siva mal auf; in Smallball-Formationen könnte Lucic auch gegen Sikma ran, wobei die Bayern mit ihren Big Men Williams, Barthel und Booker gar nicht so sehr klein gehen sollten. Von der Eins bis zur Vier kann Lucic aber alles verteidigen – und ist nicht nur wegen seiner Vielseitigkeit in der Defensive Münchens beste Allzweckwaffe.

Beginnen wird Lucic defensiv wohl auf Giedraitis. Schon gegen Vechtas Austin Hollins hat Bayerns Forward bewiesen, dass er gegen Scorer, die sich ständig bewegen und viele ballferne Böcke nutzen, zurechtkommt. Offensiv gibt es kaum einen Spieler in der Liga, der sich sowohl als Ballführer im Pick-and-Roll als auch im Post-up so wohl fühlt wie Lucic. Gegen Vechta beweist Lucic in einer Szene, wie schnell er sich mit dem Rücken zum Korb Richtung diesen dreht.

Lucic liest das Spiel gut; häufig zeigt sich der Flügelspieler mit Cuts zur ballstarken Seite gedankenschnell. Mitunter täuscht Lucic an, einen Block zu nutzen – ehe er davor zum Korb schneidet. In einer Szene gegen Braunschweig nutzt Lucic hingegen den Curl und beweist sein Gefühl beim Wurf im Zurückfallen.

Lucics Gegenüber bei Berlin ist Niels Giffey: Nominell auf der Drei, kann Giffey mit seiner Vielseitigkeit aber zwei Positionen mehr bekleiden. In der letztjährigen Finalserie gab der deutsche Nationalspieler den Albatrossen als Smallball-Vierer wichtige Impulse, in den diesjährigen Playoffs sieht man Giffey hingegen auch auf der Zwei auflaufen (was Bundestrainer Henrik Rödl ganz genau beobachten wird). Dann nutzt Giffey seine Größenvorteile und sucht den Abschluss im Post.

Giffey versteht es hierbei gut, durch Cuts von der Weakside sich vor seinem Gegenspieler zu manövrieren und in der Zone tief Position zu beziehen. Zudem agieren die Berliner mit angetäuschten ballfernen Blöcken, woraus Giffey am Zonenrand oder per Lob-Anspiel bedient wird.

Man sollte sich von Giffey schlaksiger Statur nicht täuschen lassen: Im Post-up-Spiel hat Giffey weitere Fortschritte gemacht, er zeigt sich hier geduldig und durchaus mit dem ein oder anderen Big-Man-Skill. In der Verteidigung hat Giffey zudem kaum Probleme, gegnerische Shooting Guards vor sich zu halten.

In dieser Vielseitigkeit, was das Rotieren auf unterschiedliche Positionen betrifft, könnte ein Vorteil Berlins liegen. Zudem dürfte Aíto mehr als Radonjic im Lauf der Serie seine Kader bei Bedarf verändern, um neue Impulse zu suchen: Zwei der drei Nachwuchsspieler Jonas Mattisseck, Kenneth Ogbe und Franz Wagner werden auf der Bank sitzen, einer wird nicht im Kader stehen. Schon wegen seiner grandiosen Vorstellung im Pokalvertelfinale gegen Bayern dürfte Mattisseck gute Chancen haben, Minuten zu erhalten. Zumal er gegen Jovic Größe in die Backcourt-Defense bringt. Dennis Clifford bei Berlin und Braydon Hobbs bei München dürften in der Finalserie hingegen keine Rolle spielen.

Manu meint

Besenrein haben die Münchener und Berliner das Parkett gefegt, beide 2019er EuroLeague-Teams sind mit zwei Sweeps in die Finals eingezogen (das gab es in der BBL mit Bayreuth und Leverkusen zuletzt 1988/89, damals gab es im Viertelfinale aber nur eine „Best of three“-Serie). Dementsprechend lange hatten die Coaching-Stäbe Zeit zur Vorbereitung, dementsprechend gut sollten sich beide Kader regeneriert haben.

Die Berliner nutzten derweil die spielfreie Zeit, um die Vertragsverlängerung von Luke Sikma bekanntzugeben. Derweil scheint Aíto auch in Berlin zu bleiben, während sich die Albatrosse Gerüchten zufolge zudem um Joe Voigtmann bemühen (auch wenn der Transfersommer mit Blick auf die Finals zu früh kommt: mal eben Augen schließen und sich das Passspiel eines Big-Men-Duos Sikma/Voigtmann ausmalen).

Regeneration ist ein gutes Stichwort für die Albatrosse, die sich zum Saisonhöhepunkt auf einem Höhenflug befinden: Eine Erfolgsserie von elf Siegen in Serie hatte der Hauptstadtclub in dieser Spielzeit bislang noch nicht aufgestellt. Ihre letzte Niederlage datiert vom 28. April, ausgerechnet zuhause gegen den FC Bayern München.

Während jener Erfolgsphase hatten es die Berliner nicht gerade mit defensivstarken Teams zu tun. Die Bayern sind ein Kaliber, mit dem sich Aítos Team in den vergangenen eineinhalb Monaten nicht konfrontiert sah. Dahingegen hatten die Münchener mit RASTA Vechta schon die bessere Vorbereitung: eine aggressive, mitunter unorthodoxe Verteidigung; eine Offensive mit Fastbreak-Stil, vielen ballfernen Blöcken und viel Bewegung, wenig Eins-gegen-Eins – Vechta ist eine „Light-Version“ Berlins.

Dennoch haben die Bayern nicht vollends überzeugt. Ja, mit ihren Läufen wussten sich die Münchener immer wieder abzusetzen. Doch nein, eine Konstanz war in deren Spiel selten zu beobachten. Im Süden findet man die tiefste Rotation der Liga, doch wer ist eigentlich der Starter auf der Eins: Jovic oder Lo? Und wie sehr sind die Kaisertransfers Williams und Koponen in die Offensive eingebunden? Beide Teams haben sich im Vergleich zur Vorsaison verbessert, die Münchener sicherlich mit den individuell stärkeren Spielern. Doch hinsichtlich des Systems scheinen die Berliner die vielleicht passgenaueren Teile in ihre Puzzle gesetzt zu haben.

Dass die Bayern ungemein stark verteidigen können, bewiesen sie in den 2018er Finals, in deren Serienverlauf sie die Berliner Offensive immer wieder knackten. Überhaupt wissen die Münchener auf mehr Offensivoptionen zu setzen. Aíto lässt gerne reine Bankformationen auf das Parkett – bei denen aber fraglich ist, woher das Scoring kommen soll. Die Minuten der Starter zu staffeln, macht gegen München mehr Sinn.

Mit dem Heimvorteil im Rücken, einer Bilanz von 22-1 im Audi Dome gegen BBL-Teams und den direkten Duellen im Hinterkopf mag man dem FC Bayern München die Favoritenrolle zuschreiben. Im Wettbewerbsgeist eines Athleten sind  solche Zuschreibungen egal. Inwieweit sind bei den Berlinern die drei verlorenen Finals (BBL-Pokal 2018, BBL-Meisterschaft 2018, EuroCup 2019) also präsent? Und inwieweit baut sich das Team dahingehend selbst Druck auf? Sportromantisch würde sich ja durchaus das Narrativ anbieten, dass eine Mannschaft erst durch Niederlagentäler geschritten sein muss, ehe sie den Gipfel erklimmt. Doch auch das Momentum, Siva und Sikmas Zustand sowie die Additionen geben den Albatrossen Recht. Tipp: Berlin in fünf.


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