Psychische Gesundheit
Couragiert haben NBA-Profis jüngst über ihre Erfahrungen mit psychischen Problemen gesprochen und mit Klischees gebrochen. Doch was folgt nun auf ihre Wortmeldungen?
In den vergangenen Wochen sind DeMar DeRozan, Kevin Love und Kelly Oubre Jr. mutig hervorgetreten. Denn sie haben der Öffentlichkeit Einblicke in ihre Gefühlsleben gewährt – offen über Depressionen, Panikattacken und Versagensängste gesprochen – und dadurch psychische Gesundheit zum Thema gemacht. Ein Tabuthema, das nicht nur im Profisport, sondern gesamtgesellschaftlich noch viel mehr Aufmerksamkeit und vor allem nachhaltiger Normalisierungsarbeit bedarf.
Zugleich haben DeRozan, Love und Oubre mit ihren reflektierten Äußerungen überkommene Vorstellungen herausgefordert. Zuvorderst die von Sportstars als unverletzlichen Superhelden, denen aufgrund von Ansehen, Erfolg und Wohlstand sorglose und unbekümmerte Leben zugeschrieben werden. Eine oberflächliche Illusion, welche die vielförmig potenzierten Belastungen überblendet, die sich als Überlastungen psychosomatisch äußern können. Etwa den enormen Leistungsdruck, zu hohe Eigen- und Fremderwartungen sowie die Dauerbeobachtung, unter der die stetig im Rampenlicht stehenden Athleten als Menschen mitunter leiden.
Oubre, der 22-jährige Sixth Man der Washington Wizards, stellt sonach klar:
We’re normal human beings. We face a lot more adversity, a lot more problems … It’s a little bit more amped up, we just can’t show it. I feel like people who are on the outside looking in don’t really understand, because they see us as superheroes, but we’re normal people, man. We go through the issues that normal people go through times 10.
Aus eigener Erfahrung weiß auch Ex-NBA-Profi Keyon Dooling (später mehr zu ihm) davon zu berichten. Der 37-Jährige betont: „A lot of things are sexy on the surface, like money and fame. But people try to run scams on us. Family members might try to take advantage of us. We’re often thrust into the patriarch position and we might be the youngest member of the family … when it was time to pay the bill, all the family members look the other way.“
Unter weiter: „You internalize those things. And it can have an impact on your body … but we’re told, don’t talk about it. Shut up. Suck it up. You’re a man. And we develop this condition of not being able to express our emotions.“
Shut up Speak
out and play
Dooling akzentuiert diesen antrainierten Habitus, der (nicht nur im Profisport) weithin vorherrscht und letztlich Spuren hinterlässt:
From my experience as a player, in order to make it to the apex in sports, you have to be almost flawless and perfect at every intersection. We’re trained to just shut up and play. We’re trained to not process and talk about our emotions, how we feel. The environment we come from. We don’t process things. We internalize a lot. Our body acts out on us. It comes out in the form of anxiety.
Oubre kann dies nur bestätigen. Auch er hat in einer nicht selten empathielosen Leistungsgesellschaft früh gelernt, scheinbare Schwächen zu bemänteln sowie seine Ängste, Unsicherheiten und die bisweilen schwer zu tragende Last nicht zur Sprache zu bringen. „I’m really good at keeping a poker face, because when I was growing up, my dad always told me, ‘Don’t let anybody see you weak’“, erklärt der Mann aus New Orleans vielsagend. „Nobody sees that I’m weak, but deep down inside, I’m going through a lot. Hell is turning over.“
Solch eine Sozialisierung hat Kevin Love ebenso erfahren. Nicht zuletzt ursächlich der gesellschaftlich dominanten Vorstellung von Männlichkeit, die im hypermaskulinen Profisport verstärkt eingefordert und ausagiert wird. In seinem persönlichen Essay für die „Players‘ Tribune“ beschreibt der 29-Jährige seine „Mannwerdung“ wie folgt:
Growing up, you figure out really quickly how a boy is supposed to act. You learn what it takes to “be a man.” It’s like a playbook: Be strong. Don’t talk about your feelings. Get through it on your own. So for 29 years of my life, I followed that playbook. […] These values about men and toughness are so ordinary that they’re everywhere … and invisible at the same time, surrounding us like air or water. They’re a lot like depression or anxiety in that way.
Es mag demnach kaum verwundern, dass sich Love als erwachsener Mann schwer damit tat, seine erlittene Panikattacke zu kommunizieren, und danach womöglich als „anders“, ja als „soft“ wahrgenommen zu werden. „To me, it was form of weakness that could derail my success in sports or make me seem weird or different“, bekundet der All-Star der Cleveland Cavaliers und bedeutet: „Call it a stigma or call it fear or insecurity – you can call it a number of things – but what I was worried about wasn’t just my own inner struggles but how difficult it was to talk about them. I didn’t want people to perceive me as somehow less reliable as a teammate, and it all went back to the playbook I’d learned growing up.“
Der Kalifornier erinnert dabei daran, in was für einer Basketballkultur er sportlich groß geworden ist, und wie er sich in diese eingefügt hatte: „I was two or three years into the league, a friend asked me why NBA players didn’t see therapists. I scoffed at the idea. No way any of us is gonna talk to someone. I was 20 or 21 years old, and I’d grown up around basketball. And on basketball teams? Nobody talked about what they were struggling with on the inside.“
Love fügt an: „I remember thinking, What are my problems? I’m healthy. I play basketball for a living. What do I have to worry about? I’d never heard of any pro athlete talking about mental health, and I didn’t want to be the only one. I didn’t want to look weak. Honestly, I just didn’t think I needed it. It’s like the playbook said – figure it out on your own, like everyone else around me always had.“
Jene etablierte Kultur des Schweigens wurde nun aufgebrochen – da er selbst, DeRozan (der ihn maßgeblich inspiriert hatte) und Oubre (ermutigt durch die beiden All-Stars) sich zu ihren mentalen Problemen öffentlichkeitswirksam geäußert haben. Gewissermaßen fungieren sie damit als Türöffner – für eine offene und unverkrampfte Diskussion über psychische Gesundheit. Auch weil Love & Co. der vorherrschenden Stigmatisierung und falschen Scham durch ihr beispielhaftes Auftreten entgegengewirkt haben. Wobei die erhaltene Resonanz ihnen als Vorbildern Recht sowie im Hinblick auf die Gesellschaft etwas Hoffnung gibt. So kann Bahnbrecher DeRozan stellvertretend mitteilen:
I wouldn’t have thought I’d ever gotten anything like that. Especially me. I’ve never been one who wanted any type of attention, good nor bad. The response I got from people was so uplifting, positive, refreshing. It’s crazy. It’s crazy. But it made me feel good. You just look at certain things. People say ‘you helped me. Because if you’re going through something like this, I can get through it.’ It’s incredible. By far one of the most incredible things in my career that I’ve witnessed outside of basketball.
Gesundheitsbewusstsein und -handeln
Indes stellt sich die Frage, wie die Vorzeigeliga NBA mit dem lange vernachlässigten Thema psychischer Gesundheit umgeht. Schließlich sind DeRozan, Love, Oubre und auch Dooling mitnichten die ersten NBA-Spieler, die ihre mentalen Probleme offengelegt haben. Genannt seien hier Royce White, Channing Frye, Larry Sanders, Metta World Peace, Delonte West, Stephon Marbury, Eddie Griffin und auch Hall of Famer Jerry West.
Vorkämpfer White – dessen NBA-Karriere aufgrund von Angststörungen, mangelnder Unterstützung seitens seiner Arbeitgeber und der Liga nicht stattfand – hegt hierbei die Hoffnung, dass die Association eine angemessene Gesundheitspolitik implementiert.
Diese scheint erkannt zu haben, dass in puncto psychische Gesundheit Handlungsbedarf besteht. So werden NBA und Spielergewerkschaft (NBPA) zeitnah einen „Director of Mental Health and Wellness“ berufen, der einem gänzlich neu geschaffenen Programm zur Förderung der psychischen Spielergesundheit vorstehen und es voranbringen soll. Ein umfassendes wie unabhängiges Modellprogramm, das alle bisherigen Initiativen der Liga bündelt, ausbaut sowie gemeinsam von der NBA und NBPA finanziert wird.
Zuvor hatte die Association lediglich im Rahmen des alljährlichen „Rookie Transition Program“, in sogenannten „Team Awareness“-Meetings während der Saison und durch ihr „Player Assistance Program“ auf die mentale Komponente punktuell aufmerksam und sporadisch entsprechende Angebote gemacht. Etwa indem sie gestandene Profis zu Ligaveranstaltungen lädt, die dort als Mentoren auftreten und ihre Berufs- bzw. Lebenserfahrungen an jüngere Spieler weitergeben sollen.
Das neue Programm – das aus langwierigen Gesprächen zwischen der Liga und Gewerkschaft seit der Aushandlung des letzten Tarifvertrags hervorgegangen ist – wird mit einem wichtigen Novum aufwarten. Denn den Spielern ist es fortan erlaubt, sich auch außerhalb ihrer jeweiligen Teams psychologisch betreuen und individuell behandeln zu lassen. Sofern sie das selbst wünschen. Gleichzeitig stehen den Profis die Teamärzte und medizinischen Ressourcen der Franchises weiterhin zur Verfügung.
Überdies soll der (zu benennende) Programmdirektor ligaweit als Autorität amtieren und möglichst spielernah operieren. Wenngleich bisher ungewiss ist, ob ihm dann auch die Entscheidungsgewalt zukommt, bei psychischen Erkrankungen über Spielereinsätze zu entscheiden und gegebenenfalls Teamärzte zu überstimmen.
Des Weiteren geht mit dem neuen Programm die externe Prüfung des bisherigen Gesundheitshandelns der NBA, WNBA und G-League einher. Dazu hatte die Liga bereits im Vorjahr die Non-Profit-Organisation der Jed Foundation beauftragt, deren „Chief Medical Officer“, Dr. Victor Schwartz, die vorhandenen „Mental Wellness“-Initiativen in ihrer Gesamtheit und auch auf Teamebene die psychologische Unterstützung begutachtet und evaluiert hat.
Ferner hat die NBA in ihren Jugendbasketballprogrammen wie der „Jr. NBA“ und durch die „NBA Fit“-Initiative inzwischen ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit implementiert, das der erkannten Bedeutsamkeit der mentalen Komponente Rechnung trägt und diese dem Ballsportnachwuchs nahebringt.
Im Kontext der „Gesundheitsoffensive“ hat zudem auch der eingangs zitierte Keyon Dooling seine Arbeit aufgenommen. Seit Januar ist er als „Player Wellness Counselor“ ligaweit unterwegs, um den Teams und Spielern als Ansprechpartner beratend zur Seite zu stehen.
Dooling, der von 2000 bis 2013 13 Profisaisons in der NBA verbracht hat, gilt als geschätzter und vertrauenswürdiger Veteran. Zumal der Mann aus Florida aus eigener Erfahrung spricht. Lange litt er selbst unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die letztlich einen mentalen Zusammenbruch bedingte; worauf sich Dooling seinerzeit in psychologische Behandlung begab, die sich auch als Familientherapie erwies. „Because I chose to go to therapy there have been a lot of members of my family who’ve gone to therapy as well. It forced them to look at their own issues“, erklärt Dooling, der als Kind mehrfach sexuell missbraucht worden war und tiefe seelisches Wunden davongetragen hatte.
Dabei betont der ehemalige Combo-Guard, dass Teamplay erforderlich ist, um ernstzunehmende psychische Erkrankungen anzugehen und seelisches Wohlbefinden zu erreichen:
A lot of people will self-care for the symptoms but they won’t deal with the core issues. You have to do therapy. You have to make sure you have a great support system. There are a lot of variables you have to have to have total wellness.
In seiner neuen Funktion wird Dooling dem zukünftigen „Director of Mental Health and Wellness“ zuarbeiten, während er als Schaltstelle zwischen Spielern und dem Programm fungieren soll. Eine Aufgabe, die der engagierte Ex-Profi mit gesellschaftlichem Weitblick einordnet: „I played against most of these guys. They see a safety net in me. I’ll be providing them with support and resources. We’ll be able to respond in real time, not only doing preventative stuff, but infrastructure that will outlive all of us … in 20 years, this program will be further advanced than it is now. It will be able to help not only ballplayers but society in general. If we start taking it seriously, society will follow that. We have the capacity to scale our model. The most important thing is to get that director in place so we can grow organically.“
Der Weg zu einem breitenwirksamen Programm wird gleichwohl ein weiter sein. Schließlich hat die NBA das Thema psychischer Spielergesundheit über Jahrzehnte übergangen. Bis in die Nullerjahre oblag es den Trainern und Teamärzten, oftmals keine psychologisch geschulten Experten, über die Spielfähigkeit der Profis zu befinden. Im Jahr 2000 waren die Dallas Mavericks alsdann das erste NBA-Team, das einen Psychologen, Dr. Don Kalkstein, als „Director of Sport Psychology/Mental Skills“ in Vollzeit eingestellt hat. Immerhin: Viele Franchises sind den Texanern seither nachgefolgt.
Beispielsweise die Indiana Pacers, die seit 2011 Dr. Chris Carr als „Team Performance Psychologist“ beschäftigen. Carr, der ein Büro im Trainingszentrum der Pacers innehat, begleitet die Mannschaft oft auf Auswärtsreisen und ist als Ansprechpartner stets präsent. „I think he’s a tremendous resource for all our guys“, sagt Indianas Manager Kevin Pritchard. „At some level, everybody uses him for a sounding board, some deeper than others. We give our players full access. We talked about it early, and our players feel like it’s important, too. Not only do we give them the resource, but they have to use it.“
We don’t look at them as just players; we look at them as human beings. — Kevin Pritchard
Pritchard pointiert das umfassende Gesundheitsdenken der Franchise aus dem Hoosier State wie folgt: „We all want to have a stake in our players’ health and wellness. We don’t look at them as just players; we look at them as human beings. We want to help not only our players, but our coaches, everybody. Dr. Carr is not just with the players. He helps us all communicate better.“ Dabei bleiben die Inhalte der geführten Gespräche laut Pritchard vertraulich und sonach dem Team und dessen Entscheidern vorenthalten.
Fragen trotz Fortschritt
Ungeachtet der Fortschritte seitens der Liga und ihrer Teams verbleiben dennoch Fragen. Insbesondere ist nicht geklärt, wer im Falle einer psychischen Erkrankung eines Spielers über das Vorgehen und dessen Einsatzfähigkeit entscheidet. Der Direktor des neuen Gesundheitsprogramms, das jeweilige Team und dessen Fachmediziner, der betroffene Profi in Absprache mit seinem frei gewählten behandelnden Arzt?
Klar erscheint indes, dass das „Mental Health and Wellness“-Programm unabhängig von den 30 Franchises, der NBA und Spielergewerkschaft betrieben werden wird. Dies hat NBPA-Direktorin Michele Roberts jüngst deutlich gemacht: „We don’t want players to be discouraged from getting help when they need it because they’re concerned that it will get back to the team, or it may affect their play, or it may affect their next contract.“
Die meinungsstarke Gewerkschaftsbossin führt dazu aus: „The league and the PA agreed that in order for this thing to work, it needed to be operating on its own. And that no one, absolutely no one, would have access to any information. Strict confidentiality to the extent that it can be protected.“
Gleichwohl kann und sollte die nachvollziehbare Diskretion diskutiert werden. So sieht der schon angesprochene Royce White Transparenz als Schlüsselthema an, um die Debatte dahingehend voranzubringen, dass psychische Erkrankungen normalisiert werden. White argumentiert dabei, dass die gewahrte Anonymität der Spieler dazu beiträgt, mentale Probleme weiterhin zu stigmatisieren. Physische Verletzungen würden schließlich auch wortreich besprochen und kaum unter Verschluss gehalten. Warum also eine Andersbehandlung psychischer Gesundheit?
White, der derzeit in der kanadischen National Basketball League erfolgreich aufspielt, plädiert daher für einen allumfassenden wie ambitionierten Ansatz:
The articulated aspiration for a union that would call for a new policy, kind of in its genesis, should set the bar really high. The height of the bar shouldn’t be that players need anonymity when it comes to mental health issues, which is what [Roberts] suggested, that everything’s going to be kept private, with the independent people. The articulated aspiration should be a collaborative and comprehensive program that involves all of the parties involved, that is going to be founded and based on a newly introduced knowledge of what mental health is. And that’s going to take the owners being educated; it’s going to take the GMs being educated, and the coaches and the trainers and the ballboys and the players and everybody else, up and down the line. When that happens, the players won’t need anonymity.
In dieser Hinsicht gibt White beispielorientiert zu bedenken: „Think of what Kevin Love said about his panic attack, and think of the pressure that it added that he couldn’t tell his teammates. Think of the consequences of him not being able to tell his teammates. Those same consequences, you could map onto management as well, and the ownership. Ideally, and what we are seeing and continue to see, is the sort of optimal support and treatment plan for people with these conditions is that people with these conditions be afforded the opportunity to come forth with their struggles openly, and communicate them on an ongoing basis.“
Gleichzeitig vergisst der 26-Jährige nicht zu betonen, dass die Entscheidung letztlich dem jeweiligen Spieler obliegen sollte, ob er seine Anonymität wahrt oder wie Love den mutigen Schritt in die Öffentlichkeit wagt. Alldieweil White schildert, wie angenehm unkompliziert sich die erforderliche Unterstützung darstellen kann:
Here in Canada, […] as far as the mental health side goes, the owner straight up told me, ‘you have anxiety. I know a lot of people who have anxiety. If you ever need any help or any support when it comes to anxiety, don’t be afraid to come to me and we’ll figure things out.’ That’s it. That’s the potential of what support looks like.
Was bleibt, ist Whites wesentliche Frage: „All I’m saying is that should be an issue, is there a system that we can properly deal with it?“ Eine Frage, welche die NBA gemeinsam mit der NBPA partnerschaftlich endlich zu beantworten versucht. Zum gesundheitlichen Wohl der Spieler. Und das ist bereits ein entscheidender Fortschritt.