Schiedsrichter unter Beobachtung

Eine Basketballhalle voller vermeintlicher Regelexperten. Jeder Pfiff wird durch die Fanbrille beobachtet und genauestens analysiert. Zum Glück ist heute auch ein Schiedsrichterbeobachter vor Ort. Er wird den Schiedsrichtern die Fehlentscheidungen schon unter die Nase reiben.

Doch Vorwürfe aufgrund von Beobachtungen sind gerade nicht Ziel des Schiedsrichter-Coachings. Die Schiedsrichter sollen sowohl ihre Stärken analysieren aber auch Ursachen für etwaige Fehlentscheidungen ergründen, um sich weiterzuentwickeln. Der Schiedsrichter-Coach soll sie dabei unterstützen. Doch der Reihe nach.

Auf dem Weg zu 2020

Die easyCredit BBL hat sich zum Ziel gesetzt, 2020 die beste nationale Liga in Europa zu sein. Dazu gehört auch das beste Schiedsrichterwesen. Hier ist die BBL auf einem guten Weg. Ein Instrument, um das Niveau der Schiedsrichter zu steigern ist das Schiedsrichter-Coaching.

Circa 80 Prozent der Hauptrundenspiele werden beobachtet, entweder durch einen Schiedsrichter-Coach vor Ort oder via Livestream. Letzteres nennt die BBL aber nicht Coaching, sondern TV-Feedback. Der Beobachter wird dann mittels Video-Telefonie in die Kabine geschaltet und leitet die Nachbesprechung. Von der Qualität her ist ein TV-Feedback natürlich nicht mit dem Live-Coaching zu vergleichen. Zum einen kann der Schiedsrichter-Beobachter nicht alle Eindrücke aus der Halle wahrnehmen, zum anderen ist die Perspektive auf die Kamera-Einstellung beschränkt.

Um dies durchführen zu können, stehen der BBL insgesamt zehn Schiedsrichter-Coaches zur Verfügung inklusive eines Verhaltenstrainers, der vor allem auf das Auftreten und die Körpersprache der Schiedsrichter achtet. Aufgrund der Tatsache, dass z.B. auch die international tätigen Dr. Winfried Gintschel, Jörg Rüter und Uli Sledz  neben dieser Tätigkeit auch als BBL-Kommissare im Einsatz sind, können die Schiedsrichter auch in diesen Spielen, in denen keine Coaches angesetzt sind, eine Rückmeldung über ihre Performance erhalten. Mit Beginn der Meisterschaftsrunde (Playoffs) werden übrigens alle Spiele von einem Schiedsrichter-Coach begleitet.

Auch mit anderen Maßnahmen versucht die BBL das Niveau anzuheben und die Vereine auf diesem Weg mitzunehmen. Als Beispiel sei an dieser Stelle eine eigens eingerichtete E-Mail-Adresse genannt, an die Vereine strittige oder klärungswürdige Szenen an die Liga senden können, die dann bewertet werden und das Ergebnisse dessen an die Vereine zurückgemeldet wird. Somit schafft man auch für die Vereine und Trainer eine gewisse Transparenz, an der selbige auch interessiert sind.

Live-Coaching: Grundlagen und Ablauf

Doch wie genau muss man sich ein Schiedsrichter-Coaching live vor Ort vorstellen? Um dies herauszufinden treffe ich mich mit BBL-Schiedsrichter-Instructor Dr. Winfried Gintschel. Ich werde ihm für ein Spiel lang über die Schulter schauen. Er beobachtet heute das Schiedsrichter-Trio Benjamin Barth, Jens Hegemann und Nicolai Bohn im Spiel der Rockets gegen Alba Berlin. Auf was die Coaches achten sollen, ist dabei von der BBL vorgegeben. Die Coaches analysieren die Schiedsrichter auf Basis eines Bewertungsbogens, der die Kategorien PreGame, PostGame, Kommunikation, Team, Selbstvertrauen, Entscheidungen, Emotionen, Integrität, Fachwissen, Zuverlässigkeit, körperliche Fitness und Konzentration umfasst. Die Schiedsrichter werden in verschiedenen Stufen bewertet (verbesserungswürdiger Zustand, erwartbares Verhalten oder überdurchschnittliches Leistungsvermögen). Die Bewertungen werden zentral in eine Datenbank eingetragen, so dass damit Personalentwicklung betrieben werden kann.

Die Vorbesprechung

Die Teilnahme an der Vorbesprechung ist für den Schiedsrichter-Coach essentiell. Nur so kann er später beurteilen, ob die Crew das, was sie sich vorgenommen hat, auch umsetzen konnte. Zum Inhalt einer Vorbesprechung sei an dieser Stelle auf den Artikel „Mehr als nur 40 Minuten“, der sich mit dem Ablauf eines Spiels aus Schiedsrichtersicht beschäftigt, verwiesen. Eine Besonderheit bei diesem Spiel ist allerdings, dass diese Schiedsrichter-Crew in dieser Zusammensetzung noch nicht zusammen gepfiffen hat und daher der Punkt „Kommunikation im Team“ einen großen Stellenwert einnimmt. In der Vorbesprechung ist der Schiedsrichter-Coach stiller Beobachter. Er macht sich Notizen, was sich die Crew vornimmt. Nach der Vorbesprechung verlässt der Schiedsrichter-Coach die Schiedsrichter-Kabine.

Das Spiel

Neben dem (digitalen) Bewertungsbogen hat Dr. Winfried Gintschel auch einen Erfassungsbogen für Situationen dabei, auf die er in der Nachbesprechung eventuell nochmal zu sprechen kommen will. Zusätzlich schneidet er die Szenen im Spiel direkt mit einer eigens entwickelten Software, die auch für das Instant Replay genutzt wird. Dabei werden die Live-Bilder direkt auf sein IPad gespielt. Erfassen wird er aber nicht nur Situationen, die aus seiner Sicht falsch bewertet wurden, sondern auch Situationen bei denen Schiedsrichter Ermessenspielraum haben, er aber über die der Entscheidung zugrunde liegenden Kriterien sprechen will. Die Situationen versieht er mit Kommentaren wie z. B. „Offense-Foul oder Flopping?“ oder „Schrittfehler?“. Aber auch positive Entscheidungen mit der Bemerkung „guter Pfiff“ sind in der Liste zu finden. Er wird im Laufe des Spiels insgesamt 30 Situationen aufschreiben. Von diesen Situationen wird er später vier bis sechs aussuchen, die er thematisieren wird. Mehr würden den Rahmen sprengen und die Nachbesprechung unnötig in die Länge ziehen.

Die Nachbesprechung

Auch die Nachbesprechung folgt immer dem gleichen Muster und erfolgt auf dem Konzept der „Themenzentrierten Interaktion“ (Ich-Wir-Sache). Dr. Winfried Gintschel steuert die Nachbesprechung. Wichtig ist, dass der Schiedsrichter zunächst über sich selbst spricht, ehe die Zusammenarbeit innerhalb der SR-Crew geklärt wird. Wenn es bei der Zusammenarbeit im Team gravierende Probleme gab, macht es meist nur wenig Sinn, über einzelne Entscheidungen zu sprechen.

Nachdem kurz über die Zusammenarbeit mit dem Kommissar gesprochen wird, gilt das Wort zunächst aber den einzelnen Schiedsrichtern. Die Schiedsrichter sollen zunächst ihre eigene Leistung einschätzen. „Was hat sich der einzelne Schiedsrichter vorgenommen?“ und „Konnte er diesen Vorsatz auch in die Tat umsetzen?“ Jeder Schiedsrichter kommt zu Wort. Nicolai Bohn kommt zuerst zu Wort, gefolgt von Jens Hegemann und Benjamin Barth. Noch bevor es um die konkreten Situationen geht, kommt in dieser ersten Runde bereits die ein oder andere Szene zur Sprache, die sich auch Dr. Winfried Gintschel aufgeschrieben hat. Nur wer ehrlich zu sich selbst ist, wird sich auch weiterentwickeln können.

Als nächstes bewerten die drei die Zusammenarbeit im Team. „Wie hast du die Zusammenarbeit erlebt?“ und „Was hast du ins Team eingebracht?“ sind die Fragen, die die Schiedsrichter hier beantworten sollen. Auch ein Feedback an die anderen beiden Kollegen wird an dieser Stelle abgegeben.

Nun geht es um einzelne Situationen. Die Schiedsrichter sehen sich die herausgesuchten Szenen auf dem Ipad an und bewerten die Szenen. Fehlentscheidungen kommen auf diesem Niveau in der Regel nicht durch fehlende Regelkenntnisse zustande, sondern durch falsche Wahrnehmung und Interpretation oder auch aufgrund einer schlechten Position auf dem Feld. Hier ist es wichtig zu analysieren, wie der Fehler passieren konnte und vor allem, wie er in Zukunft vermeidbar ist. Hat der Schiedsrichter in der Vorwärtsbewegung zu lange „getrödelt“, so dass er dann in der Bewegung eine Entscheidung treffen musste? Hätte sich der Schiedsrichter einen anderen Blickwinkel verschaffen müssen durch einen Crosstep oder durch Einleitung einer Rotation oder hat gar eine initiierte Rotation die Sicht auf die Szene negativ beeinträchtigt? War der Schiedsrichter 100% bei der Sache oder war die Konzentration in der Situation beeinträchtigt, weil der Schiedsrichter sich noch mit dem Vorwurf eines Spielbeteiligten in der letzten Situation gedanklich beschäftigte? Das alles kann negative Auswirkungen auf die Bewertung von Szenen haben. Daran müssen die Schiedsrichter arbeiten. An Regelsicherheit mangelt es in den seltensten Fällen.

Schließlich gibt Dr. Winfried Gintschel noch zu jedem Schiedsrichter seine persönliche Einschätzung ab. Auch das Auftreten spielt dabei eine Rolle. Er nimmt dabei auch auf die Leistungen aus vergangenen Spielen Bezug und kann so die Schiedsrichter in ihrer Entwicklung bestärken. Insgesamt ist Dr. Winfried Gintschel heute zufrieden mit der Leistung der drei Herren. Lediglich im dritten Viertel hatte die Qualität der Entscheidungen im Vergleich zur ersten Halbzeit phasenweise etwas abgenommen. Dies hatte auf das Spiel jedoch keinen negativen Einfluss; dennoch gehört es angesprochen.

Im Anschluss wird Dr. Winfried Gintschel den drei Schiedsrichtern noch weitere Szenen in ein dafür geschaffenes Portal hochladen, die sie in den nächsten Tagen in Ruhe ansehen und kommentieren sollen. Auch aus diesen Szenen sollen sie die notwendigen Schlüsse für die nächsten anstehenden Partien ziehen.

Fazit

Wie auch an anderen Stellen zum Ausdruck gebracht, ist meiner Meinung nach das Schiedsrichter-Niveau in Deutschland deutlich höher als sein Ruf in den sozialen Netzwerken. Das Schiedsrichter-Coaching ist dabei ein wesentliches Instrument, um dieses Niveau weiter zu steigern. Dass die Liga damit auf einem guten Weg ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass auch andere europäische nationale Ligen dieses Ausbildungskonzept übernommen haben. Das Konzept beruht auf der Grundidee, dass die Schiedsrichter selbst ihre Fehler erkennen und mithilfe der Technik die Ursachen ermitteln, um die Situation beim nächsten Mal besser zu lösen. Den Schiedsrichtern sollen nicht einfach nur Fehler vorgeworfen werden; sie sollen stattdessen ihre Stärken erkennen, diese weiter ausbauen oder auf einem hohen Niveau konsolidieren und auf der anderen Seite die Ursachen für mögliche Fehler selbst analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen können. Letztlich werden die Bewertungen der Coaches in einer zentralen Datenbank erfasst, mithilfe der die Liga wiederum die Stellschrauben herausfinden kann, an denen sie drehen muss.  Ebenso landen die Clips in einer Schulungsdatenbank, die dann Basis für Schwerpunkte bei zukünftigen Lehrgängen ist. Sie dienen aber auch dazu, beim Zusammentreffen mit den Headcoaches der Teams vor der Saison schwierige Situationen transparent zu erläutern. Ein Paradebeispiel dafür ist die Ahndung von unsportlichen Fouls. Eines darf man nämlich dabei nicht vergessen: Ein gutes Schiedsrichterwesen ist auch ein nicht unerheblicher Bestandteil für eine positive Entwicklung des Basketballs in einem Land.

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