Ein tuffer Sommer
Für den DBB wie für Dennis Schröder: Es war ein schwieriger Sommer. Der NBA-Profi verpasste nicht nur die Olympischen Spiele, sondern auch einen hoch dotierten NBA-Vertag. Eine Einordnung.
Der deutschen Nationalmannschaft ist ein historisches Abschneiden bei den Olympischen Spielen geglückt. „Basketball-Deutschland hinter der Mannschaft versammelt“, wie die eigene PR-Abteilung des Deutschen Basketball-Bundes in einem Kommentar schrieb, hat die Truppe jedoch nicht. Daran ist der DBB selbst Schuld. Henrik Rödls Nominierung von Joshiko Saibou und die anschließende Öffentlichkeitsarbeit samt fehlender Aufarbeitung hat in der deutschen Basketball-Community viel verbrannte Erde hinterlassen.
Olympia-Viertelfinale hin oder her, der DBB ist ein Verlierer dieses Sommers. Auch die Suche nach einem (möglichen) Nachfolger von Henrik Rödl spielt hier mit rein, zudem das Fehlen von Dennis Schröder auf Grund versicherungstechnischer Gründe.
Womit wir bei einem weiteren Verlierer innerhalb des deutschen Basketballs wären: Dennis Schröder selbst. Der eigentliche Anführer des Teams verpasste es also, sich den Traum von so vielen Sportlern zu erfüllen. Dabei war Schröder in den vergangenen Jahren, wenn er denn durfte, immer der DBB-Auswahl zur Verfügung gestanden.
Zudem schrieb sein ehemaliges Team, die Basketball Löwen Braunschweig, deren Alleingesellschafter Schröder ist, Negativschlagzeilen: Auf Grund einer Sanktion der FIBA ist es dem Club nicht erlaubt, neuverpflichtete Spieler zu registrieren. Dabei war Braunschweig doch noch vor einem Jahr einer der aufregendsten Standorte Deutschlands, der so viele talentierte deutsche Spieler mit Upside versammelt hat. Doch Karim Jallow, Lukas Meisner, Lukas Wank und Gavin Schilling haben den Club verlassen, auch von Kostja Mushidi hat man sich getrennt (immerhin werden mit David Krämer und Robin Amaize zwei deutsche Rotationsspieler hinzustoßen).
Dazu hat Schröder als NBA-Profi in diesem Jahr einiges an Geld verloren. Die aufzubringende Versicherungssumme für den DBB war deswegen so hoch, weil Schröder in dieser NBA-Offseason zum Free Agent geworden war, also vertragslos gewesen ist. Medienberichten zufolge soll Schröder im Lauf der vergangenen Saison eine vorzeitige Vertragsverlängerung bei den Lakers über vier Jahre und 84 Millionen Dollar abgelehnt haben. Schröder wollte seinen Marktwert als Unrestricted Free Agent testen, schien eine Wette auf sich selbst einzugehen – die er nun aber verloren hat. So ist manchmal das Geschäft.
Statt 84 Millionen Dollar bei den Lakers 5,9 Millionen Dollar bei den Celtics
Doch das sind ganz neue Dimension: statt eines 84-Millionen- nur ein 5,9-Millionen-Dollar-Vertrag, den Schröder nun bei den Boston Celtics unterschrieben hat. Ähnliche Ausmaße gab es in der jüngeren Vergangenheit höchstens mal bei Nerlens Noel (lehnte einen Vier-Jahres-Vertrag über 70 Millionen Dollar ab, um für die Qualifying Offer in Höhe von 4,1 Millionen Dollar zu unterschreiben) oder Victor Oladipo (lehnte einen Vier-Jahres-Vertag über 80 Millionen Dollar, dann einen Zwei-Jahres-Vertag über 45,2 Millionen Dollar ab, um in dieser Offseason für ein Jahr und das Minimum von 2,4 Millionen Dollar zu unterschreiben). Bei Oladipo sind aber auch Verletzungen anzuführen.
Für die Mid-Level Exception in Höhe von 5,9 Millionen Dollar und ein Jahr hat sich Schröder also beim Lakers-Rivalen aus Boston angeschlossen. Die Wette auf sich selbst, die Schröder durch das Ablehnen des langfristigen Lakers-Angebotes eingegangen war, wird Schröder auch in der kommenden Saison eingehen – wird er doch 2022 erneut als Unrestricted Free Agent vertraglos.
Man könnte nun den Konjunktiv bemühen: Hätte er jenes Angebot unterzeichnet, stünde er nun mit einem deutlichen besseren Vertrag da und hätte bei den Olympischen Spielen teilnehmen können. Wobei Schröders Wette auf sich selbst in gewisser Hinsicht nachzuvollziehen gewesen ist.
Schröder befand sich im letzten Vertragsjahr eines Vier-Jahres-Engagement über 70 Millionen Dollar, das er 2016 unterzeichnet hatte. Eine Steigerung von mehr als 14 Millionen Dollar? Und das im Lauf von ganzen vier Jahren? Eigentlich kein großer Sprung. Zumindest in einem Vakuum. Denn gab dieser Free-Agency-Markt recht viel mehr?
Mit Blick auf andere Point Guards: Lonzo Ball unterschrieb einen Vier-Jahres-Vertrag über 85 Millionen Dollar, Spencer Dinwiddie einen Drei-Jahres-Vertag über 62 Millionen Dollar. Die kolportierten 100 bis 120 Millionen Dollar sind unrealistisch gewesen. Und wieviele Teams mit Cap Space hatten wirklich Bedarf auf der Eins? Die New York Knicks, die Chicago Bulls, vielleicht auch die Oklahoma City Thunder (die Schröder aber 2020 getradet hatten), womöglich die New Orleans Pelicans (bei einem Abgang von Lonzo Ball).
Schröder war als einer der besten Sixth Men der NBA zu den Lakers gestoßen (Zweiter bei der Wahl 2019/20), hatte immer wieder den Respekt von Teamkollege und General Manager in Personalunion LeBron James bekommen und über einen Großteil der Saison zumindest eine sehr solide Spielzeit absolviert …
… ehe er sich gleich zweimal im „Health & Safety Protocol“ befand, er hierbei keine gute Figur in der Öffentlichkeit machte und schließlich in den Playoffs enttäuschte. Dass die Lakers nicht vollends von ihrem Point Guard überzeugt waren, zeigen auch die Trade-Gerüchte um Schröder zur Wechselfrist dieses Jahres.
Schröders Zukunft: mehr Sixth Man als Starter?
In seiner bisherigen NBA-Karriere hat Schröder weniger dann überzeugt, wenn er eine große Starter-Rolle inne hatte – wie zuletzt bei den Lakers oder als potentieller Franchise-Spieler in Atlanta –, sondern mehr als Sixth Man, wie bei den Oklahoma City Thunder oder eben vor seiner Vertragsunterzeichnung in Atlanta als Backup von Jeff Teague.
Vielleicht deutet sich auch hier der weitere Karriereverlauf Schröders in der NBA an. Der Guard-Market, das zeigt auch diese Offseason, war und ist ein hart umkämpfter. Die Position des Point Guards galt lange Zeit als die wichtigste, doch die Basketballevolution um positionslose Akteure scheint mehr nach dem großen Flügel-Ballhandler als dem schmächtigen 1,90-Meter-Einser zu schreien. Auch defensiv scheint ein solcher Spielertyp hinsichtlich Switching-Ansätzen weniger interessant zu sein. Ein Vertrag über Mid-Level-Bezüge? Könnte auch in mittelfristiger Zukunft ein Standard für Schröder werden.
Nun wird Schröder also auch im kommenden Sommer wieder Free Agent werden. Könnte sich das Versicherungs-Theater um Schröders DBB-Teilnahme wiederholen? Unwahrscheinlich. Die Free Agency dürfte 2022 wieder wie gewohnt am 1. Juli beginnen. Der spätere Free-Agency-Start in diesem Jahr, während der Olympischen Spiele, war der Corona-Pandemie und dem verschobenen NBA-Saisonstart 2020/21 geschuldet. Zudem wird die EM 2022 erst am 2. September stattfinden. In der Vergangenheit fehlten NBA-Spieler höchstens zu Beginn einer Vorbereitung und stießen Anfang August zur Nationalmannschaft.
Natürlich kann eine NBA-Franchise ihrem Spieler immer eine Teilnahme an der Nationalmannschaft verweigern. So war es bei Schröder eben in jenem Sommer 2016, als der damals 23-Jährige mit hohem Vertragsvolumen in seine erste NBA-Saison als Starter in Atlanta gegangen war (damals handelte es sich aber nur um die EM-Qualifikation). Doch eine solche Rolle nimmt Schröder nun, bei den Celtics, als Akteur mit Ein-Jahres-Vertrag, mehr als ein Veteran als ein Jungstar mit Upside und potentieller Franchise-Rolle, nicht (mehr) ein.
Ein Jahr, um den Marktwert zu verbessern
Bei den Celtics hätte neben der „Taxpayer Mid-Level Exception“ über 5,9 Millionen Dollar, für die Schröder unterschrieben hat, auch die „Non-Taxpayer Mid-Level Exception“ über 9,5 Millionen Dollar im Raum stehen können. Hätten die Celtics aber diese komplett für Schröder genutzt, hätte sie das durch den nach sich ziehenden „Hard Cap“ in anderen, kommenden Personalentscheidungen eingeschränkt.
Nach dem Übergang von Danny Ainge zu Brad Stevens auf der Entscheidungsebene dürften die Celtics weiterhin eine proaktive Franchise bleiben – die in ihrem momentanen Zustand auch auf die finanzielle Aspekte schauen muss. Glue-Guy Marcus Smart wird im kommenden Sommer ebenfalls Free Agent – wollen die Celtics das Verteidigungsass mit teils fragwürdiger Offensive langfristig an sich binden? Und zu welchen Konditionen? Zudem kann Big Man Robert Williams, aktuell noch in seinem Rookie-Vertrag, eine Vertragsverlängerung unterzeichnen, die im Jahr 2022 einsetzen wird.
Auch zu den nun kostengünstigen Konditionen eines Ein-Jahres-Vertrages über 5,9 Millionen Dollar wäre es nicht unwahrscheinlich, würde es um Schröder auch zur kommenden Trading-Deadline wieder Gerüchte geben. Die Celtics sind seit einigen Jahren darauf aus, sich einen Contender-Kader zusammenzubauen.
Rund 78 Millionen Dollar weniger auf dem neuen Arbeitspapier? Das ist tuff. Wie wird Schröder durch diesen (vorübergehenden) großen finanziellen Verlust in der kommenden Saison bei den Celtics auftreten? Für ihn persönlich wird es darum gehen, sich durch starke Leistungen und gute Zahlen einen wieder besseren Marktwert zu schaffen. Denn Schröders Zukunft ist mehr denn je offen. Durch den Ein-Jahres-Vertrag werden die Celtics 2022 keine Bird-Rechte an Schröder haben, eine Vertragsverlängerung in Boston würde also zu nicht besseren Konditionen ablaufen als bei anderen Franchises. Zudem scheinen in diesem Sommer nicht gerade viele Teams an Schröder interessiert gewesen zu sein.
Was sich jedoch ändern kann. Klar ist nach dieser Free Agency aber auch: Schröder dürfte 2021/22 ein Spieler mit einem der besten Preis-Leistungs-Verhältnisse der Liga sein. Egal, ob als Starting-Point-Guard mit wichtigem Driving-Akzenten nach Kemba Walkers Abgang, als Backcourt-Partner von Marcus Smart (für ein defensiv unangenehmes Duo) oder als dessen Backup und damit als der designierte Sixth Man eines Playoff-Teams mit Ambitionen. Eine Rolle, die Schröder in dessen NBA-Karriere mitunter am besten gestanden ist.