Björn Harmsen: „Woche für Woche kneife ich mich“

„Es sollte Pflicht sein, dass alle Mannschaften in den Nationalmannschaftsfenstern freimachen müssen“

Du hast vorhin deine Woche angesprochen. In dieser Saison sind die Nationalmannschaftsfenster hinzugekommen. Zeitweise hattet ihr 15 Tage lang kein Pflichtspiel. Was ist hierbei für dich als Coach die größte Herausforderung?

Erstmal muss man sagen, dass dieser Krieg zwischen EuroLeague und FIBA unglaublich brutal geworden ist. Die Nationalmannschafsfenster sind für uns erstmal toll. In beiden Fensterwochen haben wir den Jungs eine Woche freigegeben. Letztes Jahr haben wir das vor der All-Star-Pause gemacht. Ein paar Spieler sind nach Hause geflogen, manche zu ihren Familien gefahren. Die verletzten Spieler konnten sich auskurieren. Das hilft der Mannschaft. Ich war in dem ersten Fenster in Athen bei Panathinaikos und habe dort ein paar Tage hospitiert. Es gibt Mannschaften, die geben nicht frei.

Aus unserer Erfahrung: Wenn du den Spielern freigibst, hast du einen großen Vor- und Nachteil. Der große Nachteil ist das Spiel vor dem freigeben. Wir haben in Gießen gespielt [, mit 60:84 verloren, Anm. d. Red] und danach eine Woche freigegeben. Da waren einige mit dem Kopf schon in der freien Woche. Der große Vorteil ist, dass dir die Spieler unglaublich dankbar sind, mit viel Energie wieder zurückkommen und eine so lange Saison sehr motiviert durchstehen.

Meine persönliche Meinung ist: Die Spieler und wir Trainer sind ganz normale Arbeitnehmer. Dazu gehören gewisse Rechte, die jeder Arbeitnehmer im Angestelltenverhältnis haben sollte. Wir müssen sowieso schon an Weihnachten, an vielen Feiertagen und an Wochenenden arbeiten. Deswegen bin ich der Meinung, dass es Pflicht sein sollte, dass in diesen Fenstern alle Mannschaften der Fenster freimachen müssen. Dann sind alle gleichberechtigt. Ich denke auch, dass die Spieler das brauchen. Genauso müsste festgelegt sein, wieviele Tage die Spieler, die zur Nationalmannschaft gehen, nicht trainieren dürfen und wann sie frei haben müssen. Erstmal müsste es natürlich einen Konsens geben zwischen EuroLeague und FIBA. Ich weiß nicht, ob man da irgendwie hinkommt. Ich glaube, dass das Sinn macht.

Bei einem Verein wie Jena hast du viel Zeit für die Vorbereitung, da ihr nicht international spielt. Inwieweit würde dich dieser Rhythmus mit Reisen und Spielen unter der Woche reizen?

Ich kann das erstmal nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie es ist. Als ich angefangen habe, sagte ich immer, ich möchte dies oder jenes als nächstes erreichen. Ich wollte als erstes mit Jena aufsteigen, ich wollte Erstligatrainer sein. Wenn möglich, irgendwann EuroLeague-Trainer. Mittlerweile sage ich mir, vielleicht durch meine Krankheit damals [wegen einer Bauchspeicheldrüsenentzündung musste Harmsen die Saison 2010/11 im Februar beenden]: Ich versuche es zu genießen, wie es jetzt ist. Es gibt 18 Jobs in der ersten Liga, und davon habe ich einen. Darüber bin ich sehr, sehr glücklich.

Als Trainer ist es dein Streben und macht es am meisten Spaß, mit den bestmöglichen Spielern zu arbeiten. Das ist ja logisch. Die Spieler wollen auch mit dem bestmöglichen Trainer zusammenarbeiten und mit den bestmöglichen Spielern zusammenspielen, weil es das Niveau unglaublich hebt. Es wäre falsch, wenn ich sage würde, ich wolle nicht irgendwann mal international als Trainer arbeiten. Wenn es sich ergibt, dann ergibt es sich – wenn nicht, dann eben nicht.

„Egal, ob das Training gut oder schlecht lief, ich gehe abends mit irgendjemand ein Bierchen trinken“

Und was den Umfang und die Vorbereitung betrifft?

Wenn du international spielst, dann hast du automatisch mehr Leute im Staff, die dann Videos schneiden – was ich ja selbst gerne mache und auch brauche. (lacht) Ich bin privilegiert auch in dem Sinne, dass ich in meiner Heimatstadt arbeite – für mich ist Jena die Heimatstadt, obwohl ich in Göttingen geboren bin. Ich bin 1995 nach Jena gezogen, in einer Zeit mit Pubertät und in der du Freundschaften knüpfst. Meine Mutter wohnt in Weimar, zwei meiner Brüder in Leipzig – das heißt, ich habe ein unglaubliches soziales Umfeld in Jena. Ich langweile mich nicht.

Wenn ich als Trainer irgendwo hingehen würde, wo ich nichts anderes habe außer das Training und das Spiel … Und wenn du dann in der Halle bist, nach Hause gehst und auf das nächste Training wartest, dann nimmst du das auch mit. Wenn das Training scheiße lief, dann sitzt du zuhause und bist schlechter Laune. Das habe ich in Jena nicht. Egal, ob das Training gut oder schlecht lief, ich gehe abends mit irgendjemand ein Bierchen trinken und habe meinen Ausgleich. (lacht) Damit bin ich sehr, sehr zufrieden. Natürlich will ich gewinnen und mich frustriert jede Niederlage. Aber für uns als so kleiner Club ist es wie eine Meisterschaft, wenn man in der ersten Liga bleibt.

Das klingt so, als würdest du lieber in Jena deinen Abdruck hinterlassen als unbedingt international zu trainieren. Täuscht das?

Nein, das ist nicht so. Die Begründung ist relativ einfach: Irgendwann ist immer ein Ende. Es ist auch ein schmaler Grat: Wenn du mit kleinem Budget in der ersten Liga hantierst und die Wahrscheinlichkeit recht groß ist, jedes Jahr abzusteigen, dann wird vielleicht irgendwann auch der Abstieg kommen. So eine Abstiegssaison – die habe ich ja in Gießen mitgemacht – reißt im Normalfall alles ein: jede Beziehung, die du innerhalb des Clubs hast. Abstiege werden in erster Linie immer auch am Trainer personifiziert. In den seltensten Fällen geht es dann weiter. Man muss wissen, dass solche Situationen immer auch endlich sind.

Ich bin aber total froh, dass mir jedes weitere Jahr, in dem wir die Klasse halten, die Möglichkeit gibt, dieses Programm weiter auszumalen. Das ist etwas, was mich immer gereizt hat, auch wenn ich ein junger Trainer bin: drumherum etwas mit aufzubauen und professionelle Strukturen zu schaffen. In Jena aus der Lobeda-West-Schulturnhalle in die Arena, einer Trainingshalle mit Zwischenbau, mit hauptamtlichem Physiotherapeuten, Teammanager, Athletiktrainer und Pressesprecher. Du siehst, dass die Organisation wächst. Ich bestimme auch in der Jugend mit, wie da gespielt wird. Das alles mit zu beeinflussen, macht mir unglaublich viel Spaß. Und jedes Jahr in der ersten Liga hast du ein Jahr mehr, in dem du das mit beeinflussen kannst. Wir haben ja einen unbefristeten Vertrag geschlossen …

„Das ist wie, wenn du eine Ehe eingehst: Du gehst ja nicht davon aus, dass du dich bald scheiden lässt“

Was eigentlich ja dagegenspricht, dass alles ein Ende hat. 

Ein unbefristeter Vertrag ist erstmal ein beidseitiges Einverständnis dazu, lange zusammenarbeiten zu wollen. Die Intention ist da. Das bedeutet, dass die Planungen langfristig stattfinden: was Spieler und die Jugend anbelangt. Das ist wie, wenn du eine Ehe eingehst: Du gehst ja nicht davon aus, dass du dich bald scheiden lässt. Eine Scheidung kann passieren, das ist ja nichts Unnatürliches.

Wenn du eine absolute Negativsaison hast und du als Trainer zu viele Spiele in Folge verlierst, dann hinterlässt das natürlich Spuren. Wenn du als Trainer auch nicht mehr die Mannschaft erreichst, dann geht es nicht mehr weiter. Diese Situationen gibt es. Genauso gut, wenn du ein Angebot von einem Club bekommst, das nur einmal im Leben kommt, und du dir sagst: ,Das musst du jetzt machen.’ Irgendwann wird die Situation mal kommen. Das kann in fünf, zehn oder 20 Jahren sein, das weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, in ein oder zwei Jahren.

Du hättest also kein Problem damit, in 20 Jahren noch Head Coach von Science City Jena zu sein?

Überhaupt nicht. Wenn nichts abgenutzt ist, ich mich motivieren kann und daran Spaß habe, dann liebend gerne. Es ist so ein Gefühl, wie wenn du deine eigene Firma hast: Du hast etwas aufgebaut. Das ist ein schönes Gefühl.

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