Da Silva Lining
ALBA BERLIN tut sich nach dem Umbruch in der Offseason bislang etwas schwer. Eine Nachverpflichtung besticht derweil mit schneller Integration in das System: Oscar Da Silva ist ein Silberstreif in der Mercedes-Benz Arena.
„How it started – how it’s going“ war vor allem im vergangenen Jahr als Internet-Meme nicht wegzudenken. Unerwartete Wendungen werden damit, in der Social-Media-Welt üblich, im selbstironischen über sarkastischen bis hin zum schadenfreundlichen Unterton erklärt. Man könnte das Ganze auch umdrehen, und den Slogan mit einer positiven Konnotation versehen. Ihn für eine gewisse Konstanz verwenden. Eine Konstanz, wie sie Oscar Da Silva präsentiert.
Mit der Abgeklärtheit eines 2021er Rookies
Von der U19-WM 2017 zur EuroLeague 2021: Da Silva zeigt in beiden Aktionen eine Kombination aus Gedankenschnelligkeit und Bewegungsablauf, die heraussticht – enden solche Aktionen durch häufig in Schrittfehlern und Ballverlusten.
Wie viel ist in diesen vier Jahren passiert. Vor der U19-WM 2017 stand Da Silva noch vor seinem ersten College-Spiel. Vier NCAA-Spielzeiten, ein überraschender Wechsel nach Ludwigsburg, Auftritte in der NBA Summer League und ein überbordend diskutierter Wechsel nach Berlin später hat Da Silva mittlerweile zwei EuroLeague-Spiele auf dem Buckel. Und überzeugt dabei mit schneller Integration und eben einer Konstanz (wenn man das nach so wenigen Pflichtspielen sagen kann) – einer Konstanz, die ALBA BERLIN gerade bitter nötig hat.
Denn der Umbruch im Sommer scheint größere Spuren hinterlassen zu haben als womöglich vermutet, auch wenn auf Head Coach Aito dessen langjähriger Assistant Coach Israel Gonzalez gefolgt ist. Vor allem im Backcourt, durch die Abgänge von Peyton Siva und Jayson Granger, rumpelt es noch etwas. Tamir Blatt überzeugt bislang noch nicht als Organsisator und mit seinem Wurf. Und Jaleen Smith muss noch die Transformation vom Hero-Ball-esken Iso-System zur egalitären Motion-Offensive durchmachen. In den ersten Spielen schien der erneute Abgang eines Small Forwards eine Lücke gerissen zu haben. Yovel Zoosman mag nicht der Off-Screen-Läufer wie Rokas Giedraitis sein oder die Physis und Athletik eines Simone Fontecchio mitbringen. Doch seine Verteidigung sticht schon jetzt heraus, und auch Zoosman dürfte sich noch zu einem starken Dreier entwickeln.
Dennoch: Hinsichtlich des Starts im ALBA-Trikot hat Da Silva von den Neuzugängen den vielleicht besten Eindruck hinterlassen. Bemerkenswert, hat der 23-Jährige doch gerade erst seine Profikarriere begonnen und ist im Jahr 2021 noch ein Rookie. Zurückgehend auf seine Zeit in der Nachwuchs-Nationalmannschaft, samt AST-Titel 2016, standen andere Spieler mehr im Fokus. Da den Kostja Mushidis, Isaiah Hartensteins, Louis Olindes, Richard Freudenbergs dieser Generation mehr Entwicklungspotential, mehr Upside bescheinigt worden ist.
Da Silva? Schon damals ein enorm vielseitiger Akteur, mit Einfluss offensiv wie defensiv, aber nicht herausragend, mit einem herausstechenden Skill oder dem Scoring-Gen. How it started, how it’s going? Eben grundsolide. Und genau das hilft ALBA BERLIN gerade.
Oscar Da Silva bereichert Berlins Offensive
Denn Da Silva gibt den Albatrossen eine (neue) Option in der Offensive. Dort, wo es off-screen noch nicht so reibungslos läuft, wo die Sprungwürfe noch nicht so effizient fallen, agiert Da Silva als Abroller im Pick-and-Roll stark. Nur vier Prozent der Abschlüsse in der vergangenen Saison entfielen laut InStat auf solche Aktionen, in dieser Saison sind es etwas mehr (5,9% Freq) – wobei mit Ben Lammers und Johannes Thiemann die beiden Center fehlen, die am häufigsten nach dem Abrollen abschlossen.
Da Silva versteht es, die Blöcke zu slippen, zeigt bei seinen Abschlüssen gute Hände und vor allem eine Körperbeherrschung, die beachtlich ist. Der etwas zu weit nach hinten gespielte Alley-Oop-Pass? Kein Problem für Da Silva.
Eine solche Balance zeigte der Big Man auch beim jüngsten Überraschungserfolg gegen Fenerbahce, als Da Silva in den Schlusssekunden das Lob-Anspiel gegen das Fronten verwertete, obwohl er mit dem Rücken zum Korb stand – die Drehung in der Luft meisterte Da Silva grazil.
Harmonie bei der Sikma / Da Silva-Combo
Überhaupt bot die Partie gegen den Final-Four-Anwärter gutes Anschauungsmaterial für Da Silvas Skill-Set: Der Big Man bewahrt unter dem Korb Ruhe und operiert mit Fakes. Das Zusammenspiel mit Luke Sikma funktioniert bereits gut, wie die Anfangsminuten zeigten, als Da Silva den Off-Ball-Screen für Malte Delow slippt. Da Silva versteht es, wie er sich im Berliner System bewegen muss.
Offensiv versucht der Big Man, mit Autorität abzuschließen. Im Post-up gegen EuroLeague-Kaliber fehlt ihm hingegen schon etwas die Physis. Dafür besticht er defensiv in der Zone: Da Silva zeigt Ringbeschützer-Potential, laut InStat gestattet er bei gegnerischen Abschlüssen am Ring eine Quote von nur 29 Prozent. Wenn Da Silvas Gegenspieler dessen Closeout attackiert, ist der Berliner mit guter Recovery wieder in Verteidigungsposition.
Gegen gegnerische Ballhandler gestattet Da Silva hingegen noch einige offene Würfe. Wobei das Switching nicht Bestandteil der Berliner Defensive ist. Da schon eher die Zone, die die Albatrosse zu Beginn der Partie gegen Fenerbahce auspackten. Wenn auch noch nicht mit großem Erfolg, so sollte Da Silva dort tief in der Mitte funktionieren.
Wenn Da Silva auf dem Parkett steht, dann meist zusammen mit Luke Sikma. Diese Lineups funktionieren bislang gut, Berlin steht mit der Sikma / Da Silva-Combo laut InStat bei +12 in 39 Minuten. Wenn die Berliner Big-Men-Riege komplett ist, bleibt abzuwarten, wie Da Silvas Rolle aussehen wird. Und wie allgemein das Berliner System justiert wird.
Doch einen 23-jährigen Big Man mit deutschem Pass zu diesem Zeitpunkt der Saison verpflichten zu können, der sich so schnell in das System integriert, da daruf sich Berlin glücklich schätzen. Oscar Da Silva? „A silver lining,“ wie der US-Amerikaner sagen würden. Ein Silberstreif in der Mercedes-Benz Arena.