Gordon Herbert: der beste deutsche Bundestrainer?

Gordon Herbert gewann mit der deutschen Männer-Nationalmannschaft in diesem Jahr die EM-Bronzemedaille. Der Kanadier steht bei einer Sache deutlich vor seinen Vorgängern um Edelmetall, vor EM-Gold-Trainer Svetislav Pesic, EM-Silber-Coach Dirk Bauermann und WM-Bronze-Coach Henrik Dettmann.

„Um dorthin zu kommen, wohin du möchtest, musst du manchmal Widrigkeiten durchleben. Widrigkeiten machen dich stärker. Und ich denke, diese Gruppe wird gut auf Widrigkeiten reagieren.“

Gordon Herbert hätte diese drei Sätze auch vor dem Start der diesjährigen Europameisterschaft sagen können: nach dem Cut von Kapitän Robin Benzing, der Einbürgerung und Integration von Nick Weiler-Babb und den Verletzungen von Moritz Wagner und Isaac Bonga, die für den EM ausfielen, sowie Dennis Schröder und Daniel Theis, die während der EM-Vorbereitung zeitweise aussetzen mussten.

Doch nicht vor dem EM-Turnier, sondern nach seinem Debüt als DBB-Bundestrainer – nach einer 66:69-Heimniederlage gegen Estland Ende November 2021 – räumte Herbert der „Adversity“, so im Englischen, eine Bedeutung bei.

Die Amtszeit von Gordon Herbert begann mit einer Niederlage, das Jahr 2022 endet für den Bundestrainer der deutschen Männer-Nationalmannschaft auch mit einer Niederlage. Und dennoch könnte die Zeit zwischen dieser Klammer, könnten Herberts bisherige Auftritte an der Seitenlinie nicht viel besser ausfallen: Auf die EM-Bronzemedaille im eigenen Land folgte die WM-Qualifikation.

Das „I“ im Team des Coaching-Staffs?

Herbert hat es als Bundestrainer bislang geschafft, die angesprochenen Widrigkeiten zu meistern, er scheint seinen Spieler die „Adversity“ als Prüfstein zu vermitteln. Da mag man um den Hintergrund des 63-Jährigen als Sportpsychologe nicht verwundert sein.

In seiner nun einjährigen Amtszeit hatte Herbert immer wieder das Verhältnis zwischen Kollektiv und Individuum angesprochen, so auch im basketball.de-Interview nach seinem Amtsantritt: „Es gibt ein ,I‘ in ,Team‘. Man muss das Team an erster Stelle nehmen, aber dann kommt das individuelle Talent heraus.“ Diesen Spagat hat Herbert gerade bei der EM mustergültig vollzogen. Und vielleicht kann man diese Überlegungen auch auf den Cheftrainer und seinen Coaching-Staff übertragen …

Die folgende Tabelle listet die vergangenen zehn Bundestrainer nach ihrer jeweiligen Siegquote auf. Bis auf Ralph Klein zurückgehend, der 1983 übernommen und das deutsche Team zur damals besten EM-Bilanz und zur ersten WM-Teilnahme geführt hatte. Herbert? Der gewann tatsächlich die meisten Spiele all dieser zehn DBB-Bundestrainer, auch wenn seine Stichprobe mit 23 Länderspielen und erst einem Turnierauftritt noch klein ausfallen mag.

BundestrainerSiegquoteLänderspieleSiegquote bei TurnierenTurniere (Platzierung in Klammern)
Gordon Herbert78,3%2377,8%EM 2022 (3.)
Emir Mutapcic73,3%15--
Henrik Rödl62,8%4344,4%WM 2019 (18.), Olympia 2021 (8.)
Henrik Dettmann58,9%11255,2%EM 1999 (7.), EM 2001 (4.), WM 2002 (3.), EM 2003 (9.)
Ralph Klein58,5%8248,3%Olympia 1984 (8.), EM 1985 (5.), WM 1986 (13.), EM 1987 (6.)
Svetislav Pesic58,1%13652,9%Olympia 1992 (7.), EM 1993 (1.)
Dirk Bauermann55,4%15749,1%WM 1994 (12.), EM 2005 (2.), WM 2006 (8.), EM 2007 (5.), Olympia 2008 (10.), EM 2009 (11.), WM 2010 (17.), EM 2011 (9.)
Chris Fleming54,4%4641,7%EM 2015 (18.), EM 2017 (6.)
Vladislav Lucic46,4%5614,3%EM 1995 (10.), EM 1997 (12.)
Frank Menz44,4%1840,0%EM 2013 (17.)

Damit ist natürlich keine Endaussage zu treffen. Zwischen Turnieren, Qualifikationsspielen und Testspielen ist ebenso ein Unterschied auszumachen wie zwischen unterschiedlichen Kadern, sei es während einer Club-Saison oder in der Sommerpause. Und auch die unterschiedlichen Turniermodi zwischen KO-Phase und Zwischenrunden mögen ein Faktor sein.

Man erinnere sich hierbei an die WM 2019, als es die deutsche Mannschaft nicht in die zweite Gruppenphase schaffte, im gesamten Turnier aber drei von fünf Partien gewann – macht für Henrik Rödl eine im Vakuum betrachtet gute Siegquote von 60,0 Prozent. Auch Emir Mutapcics Siegquote von 73,3 Prozent ist zu relativieren: Zum einen bestritt er nur 15 Länderspiele als Bundestrainer, zum anderen ging es im Jahr 2014 in Testspielen gegen Teams wie die Niederlande oder Portugal, in der EM-Quali standen vier Siege gegen Österreich und Luxemburg zwei Niederlagen gegen Polen zu Buche.

„Das Ziel ist es, bei jedem Wettbewerb eine Medaille zu gewinnen“

Zurück zu Herbert: Rückblickend mag man anfügen, er habe doch einen großartigen Kader um Spieler wie Dennis Schröder und Franz Wagner zur Verfügung gehabt, einem der potentiell besten One-Two-Punches der DBB-Historie. Doch bitte ehrlich sein und nochmal die eigenen Erwartungen vor EM-Turnierstart prüfen.

Auf die EM 2022 wird die WM 2023 folgen, im Optimalfall die Olympischen Spielen 2024 – als End- und womöglich Höhepunkt eines Drei-Jahres-Plans. Zuletzt wurde Herbert des Öfteren hinsichtlich seiner Zielsetzung für die WM gefragt. Nun, die hatte er eigentlich schon mit Amtsantritt getätigt:

„Bei der EM wollen wir auf dem Podium stehen. Bei der WM wird es das Ziel sein, auf dem Podium stehen. Ebenso bei den Olympischen Spielen. Das Ziel ist es, bei jedem Wettbewerb eine Medaille zu gewinnen“, sagte Herbert im November 2021. „Uns geht es darum, uns zu verbessern. Um eine Kultur des Verbesserns.“ Sollte Herbert eine solche Kultur nachhaltig etablieren, dürfte er bei der vorherigen Tabelle wohl noch länger ganz oben stehen.