Christian Standhardinger: „Zu 90 Prozent spiele ich in Asien“

Christian Standhardinger ist jetzt philippinischer Nationalspieler. Wie es dazu gekommen ist und was das für seine Karriere bedeutet, erklärt der BBL-Allstar im Interview. Zudem spricht er über sein Video-Projekt Ballers Club.

Basketball boomt in Asien. Die chinesische Basketballliga lockt schon seit längerem immer wieder NBA-Spieler zu sich. In dieser Offseason vollzogen auch zahlreiche EuroLeague-Spieler den Wechsel in die CBA. Die japanische Basketballliga machte zuletzt ebenfalls mit der einen oder anderen Verpflichtung auf sich aufmerksam. Und die Philippinen?

„Es ist verrückt hier. Basketball ist der erste, der zweite und der dritte Sport“, schildert Christian Standhardinger im Gespräch mit basketball.de den Stellenwert des Basketballs auf den Philippinen. Wie Standhardinger zu diesem Eindruck gelangt? Der 28-Jährige weilt und trainiert derzeit auf dem Inselstaat, denn: Standhardinger ist seit kurzem philippinischer Nationalspieler.

Standhardingers Mutter ist auf den Philippinen geboren, er selbst lief in der Vergangenheit aber bereits für deutsche Nachwuchsnationalmannschaften auf. Doch nach etwas bürokratischem Aufwand darf Standhardinger nun das Trikot der Gilas tragen, so wird die philippinische Basketballnationalmannschaft genannt. Übrigens: Einen ähnlichen Weg hat vor ein paar Jahren schon einmal ein deutscher Spieler beschritten. Der in Hagen geborene Ziyed Chennoufi lief für das DBB-Team beim Albert-Schweitzer-Turnier 2006 auf, war vier Jahre später aber Teil der tunesischen Nationalmannschaft.

Manuel Baraniak sprach mit Standhardinger kurz nach seinem Auftritt beim Jones Cup. Bei diesem Vorbereitungsturnier in Taiwan spielten neben den Philippinen neun weitere Mannschaften. Neun Partien an neun Tagen, die Standhardinger allesamt absolviert hat. 11,8 Punkte, 7,4 Rebounds und 1,1 Assists legte der Forward dabei in seinen durchschnittlich 22 Minuten auf. Dabei war rund zwei Wochen vor dem Turnierstart am 15. Juli noch gar nicht absehbar, dass Standhardinger überhaupt das Gilas-Trikot tragen würde.

„Das macht meine Mutter unglaublich stolz“

basketball.de: Ich hatte auf Twitter zufällig mitbekommen, dass du jetzt für die philippinische Nationalmannschaft spielst und war darüber sehr überrascht. War ich einfach nicht auf dem Laufenden, oder hattest du auch gar nicht das Bedürfnis, das an die große Glocke zu hängen?

Christian Standhardinger: Ich habe es einfach nicht für wichtig erachtet, viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt ist es wichtig, weil die Filipinos ausrasten. Deswegen bin ich auf meiner Facebook-Seite ein bisschen aktiver geworden. Ich merke einfach, dass so viele Leute daran interessiert sind. Man muss ganz ehrlich sagen, dass die Verhältnisse hier viel schlechter sind als in Deutschland – Basketball ist deren Freude. Deswegen mache ich das gerne. Aber ganz ehrlich: Wen interessiert es in Deutschland schon, ob Christian Standhardinger jetzt auf den Philippinen spielt oder nicht. (lacht)

Mich interessiert es. Deswegen: Lass uns zunächst auf den Prozess eingehen, wie es dazu gekommen ist. Hast du den philippinischen Verband angesprochen? Oder ist der Verband auf dich zugekommen?

Das ist eine lustige Geschichte. Der Verband ist auf mich zugekommen und hat irgendwie von mir erfahren – ich habe ja ganz erfolgreich in der ersten Bundesliga gespielt. Sie haben Interesse an mir gezeigt und da schon begonnen, mit meinem Agenten Bennet Ahnfeldt zu sprechen. Dann hat mich mein Agent gefragt, ob das möglich wäre. Ich denke nicht, dass ich in der nächsten Zeit in die deutsche A-Nationalmannschaft berufen worden wäre. Und deswegen habe ich gesagt, „ja, natürlich, das ist kein Problem.“ Das macht natürlich auch meine Mutter unglaublich stolz.

Und dann war nichts. Erst zwei Wochen vor dem Jones Cup haben sie gefragt, ob ich kommen und in einer Woche hier sein könne. Dann habe ich alles stehen und liegen lassen und bin auf die Philippinen geflogen. Ich habe angefangen, mit ihnen eine Woche lang zu trainieren, anschließend sind wir zu diesem Turnier geflogen. Und dann ging der ganze Spaß los. Es ist verrückt hier. Man sieht, dass Basketball mit Abstand der erste Sport ist – Basketball in Deutschland ist vielleicht der dritte oder vierte Sport, wobei da bin ich mir nicht mal sicher. 

Das stimmt. Es kommt erste Liga Fußball, zweite Liga Fußball, dritte Liga Fußball, und dann kommt vielleicht Basketball mit Handball und Eishockey.

Ich habe kürzlich gelesen, dass Dirk Nowitzkis letztes Spiel für die Nationalmannschaft bei der EM eine geringere Einschaltquote hatte als ein Frauen-Fußballländerspiel. Das ist natürlich beeindruckend. Nichts gegen Frauenfußball, aber ich glaube nicht, dass das eigentlich so ein großer Sport ist – aber anscheinend in Deutschland größer als Basketball.

„Es ist geil, wie verliebt die Leute hier in Basketball sind“

Sobald Fußball im Fernsehen läuft, scheinen die Leute es einfach zu schauen, egal ob erste Liga, dritte Liga oder Frauen-Fußball. Aber schön für dich, dass du gerade in einem Land bist, in dem der Basketball einen ganz anderen Stellenwert besitzt, oder?

Ja, klar ist das schön. Wobei es da auch Nachteile gibt. Ich bin ein Mensch, der Privatsphäre schätzt und seine Ruhe mag, wenn ich sie brauche. Gestern war ich im Einkaufszentrum, so verrückt ist es: Ich habe ein Turnier für die Nationalmannschaft gespielt – und ich kann schon nicht mehr einkaufen gehen, ohne 100 Photos zu machen, weil ständig Leute zu mir kommen. Aber es freut mich natürlich, dass ich die Menschen glücklich machen kann – daran erkennt man auch einfach den Stellenwert. Hier ist Basketball der erste, zweite und dritte Sport. Ich weiß nicht mal, was für Sportarten es hier noch gibt. Volleyball kommt langsam. Aber ich habe noch nie ein Volleyballfeld gesehen, ich hab nur Basketballfelder gesehen. Basketballkörbe hängen überall. In Deutschland kannst du schon froh sein, wenn du irgendwo mal einen Basketballplatz findest ohne Fußballtore – hier gibt’s keine Fußballtore, sondern nur Basketballkörbe. An jeder Ecke. Es ist schon geil, wie verliebt die Leute hier in Basketball sind.

2007 bist du noch für die deutsche U18-Nationalmannschaft aufgelaufen. Wie schwer hat sich eigentlich der bürokratische Prozess gestaltet, nun für die philippinische Nationalmannschaft spielen zu können?

Ich habe nicht viel von dem bürokratischen Spaß mitbekommen. Meine Mutter hat sich darum gekümmert, dass ich einen philippinischen Pass bekomme. Bezüglich der FIBA hat alles mein Agent Bennet Ahnfeldt in Zusammenarbeit mit der philippinischen Nationalmannschaft geregelt. Bennet hat da einen fantastischen Job gemacht und sich den Hintern aufgerissen, dafür bin ich echt dankbar. Ich habe erst im Nachhinein erfahren, dass das ein Riesenaufwand war – das ist gar nicht so einfach mit den asiatischen Ländern.

Hattest du dir schon zu Zeiten als Jugendspieler Gedanken gemacht, vielleicht für die Philippinen zu spielen?

Ich bin immer ein Spieler gewesen, dem es wichtig ist, wertgeschätzt zu werden. Ich weiß, ich arbeite sehr hart, um die Performance abzuliefern, die ich abliefere. Dann möchte man natürlich wertgeschätzt werden. Dadurch, dass die Philippinen vorher nie Anzeichen gemacht haben, mich haben zu wollen – ich weiß nicht, ob sie mich nicht gekannt haben oder nichts von mir wussten –, war das kein Thema. Ich meine, ich war im First Team der Big West [Conference in der NCAA] – es war nicht so, dass ich ein Unbekannter war. Und ich denke, ich habe auch in Deutschland ganz gut abgeschnitten. Wobei die erste deutsche Bundesliga auch so weit weg für sie ist, das kannst du ihnen auch gar nicht böse nehmen. Aber dadurch, dass die Philippinen nie Anstalten gemacht haben und interessiert waren, habe ich angenommen, sie haben einfach ihre Spieler und sind mit denen zufrieden. Aber als sie mich nun angefragt haben, habe ich sofort zugesagt.

Du hast eben von deinen Erlebnissen im Einkaufszentrum und den vielen Basketballplätzen gesprochen. Hast du noch weitere Erfahrungen gemacht, die dir den Stellenwert Basketballs auf den Philippinen vor Augen führen?

Wir waren ja jetzt in Taiwan. Dort gab es eine Horde von hundert Menschen, die alle Filipinos waren. Wir sind rausgekommen und mussten uns durch die Menge kämpfen – nach jedem Spiel, egal zu welcher Zeit. Wir haben Photos gemacht, Autogramme gegeben. Meine Teammates haben gesagt: „Sei nicht überrascht – egal, wo wir spielen, so viele Leute werden immer dort draußen stehen.“ Filipinos sind auch überall. In Frankreich, in Deutschland, in den USA auf Hawaii gibt es riesige philippinische Communitys. Und die sind alle basketballverrückt.

„Alle Filipinos spielen mit Feuer“

Wie sehr siehst du dich eigentlich als Filipino?

Ich bin ja schon jemand, der mit ein bisschen Feuer spielt. Hier sind alle so. Hier ist das keine Besonderheit. Ganz viele deutsche Spieler sind abgezockt, routiniert und haben stabile Fundamentals, während ich einfach wie wild hin- und herlaufe und versuche, mir etwas Produktives aus dem Hut zu zaubern. (lacht) Das sieht man auch beim Stil der philippinischen Nationalmannschaft. Wir haben einen Center in der Mitte, die anderen Vier laufen quer durch die Zone, verteidigen hart und spielen, wenn es sein muss, ein wenig härter, ganz nah an der Linie von dreckig und die ganze Zeit mit Feuer. Das kann uns manchmal natürlich Spiele kosten. (lacht) Aber manchmal auch Spiele gewinnen, die wir nicht gewinnen sollten.

Weil du den Stil ansprichst: Du hast die letzten drei Jahre in Deutschland gespielt. Wie schwer war die Umstellung vom Basketballerischen her?

Es ist schon eine Umstellung. Ich bin ja der Größte von uns und spiele deswegen auch mal auf der Fünf. Es ist dann manchmal ein Struggle, gegen wirkliche Fünfer zu spielen. Ich habe fünf, sechs Spiele gebraucht, bis ich mich umgestellt habe. Jetzt habe ich es langsam raus. In der Offensive ist es einfach nur „fill the lane“. Du penetrierst, passt ihn raus und läufst in den freien Raum. Und die anderen cutten auch dementsprechend. Der Fünfer ist unten und folgt dem Ball. Das war’s. Ich kann meinen Mitspielern auch helfen, damit sie besser penetrieren können. Da hilft mir meine Erfahrung in der ersten Bundesliga enorm.

Zeigt sich die Basketballbegeisterung auf den Philippinen auch in der Professionalität, was beispielsweise den Staff betrifft?

Wir haben einen Coach, drei Assistant Coaches und noch einen Assistant Coach, der einer der besten Shooter war, den die Philippinen jemals hervorgebracht haben. Dann haben wir noch etwa fünf Leute, plus Physiotherapeut. Wir haben fast mehr Leute im Staff als Spieler. Wir waren [beim Jones Cup] das einzige Team, das mit 16 Spielern angereist ist, vier Spieler mussten dann aussetzen. An Geld mangelt es dem philippinischen Verband mit Sicherheit nicht. Die werden auch dementsprechend gesponsert, die Gilas werden überall übertragen. Die Sponsoren sind da, der Nationalstolz ist da, alles ist da. Wenn wir hier spielen, egal ob die erste oder die zweite Mannschaft, dann wird das auf den ganzen Philippinen im Fernsehen übertragen. In Deutschland passiert das nicht in der Form. Stell’ dir vor, die deutsche A2-Nationalmannschaft spielt: Glaubst du, das würde irgendwo im Fernsehen laufen?

Standhardinger wird auch demnächst häufig im philippinischen Fernsehen zu verfolgen sein. Derzeit trainiert er mit beiden Nationalteams, um sich zunächst auf den FIBA Asia Cup vorzubereiten. Asiens Pendant zu Europas EuroBasket wird am 8. August starten. Einen Tag zurück auf den Philippinen wird es für Standhardinger dann direkt nach Malaysia gehen, wo die SEA Games anstehen. Standhardingers Teilnahme daran war von vornherein eingeplant, doch er überzeugte den Verband beim Jones Cup so sehr, dass er die Gilas nun auch bei der Asienmeisterschaft wird vertreten dürfen. „Es läuft. Alles ist mit Basketball vollgepumpt“, beschreibt Standhardinger seinen Status Quo.

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