Big Skills

In der Pace-and-Space-Ära wird oft das Loblied auf Dreier werfende, mobile und defensiv versierte Big Men angestimmt. Ihre Vorgänger finden als „Skillballer“ indes kaum Anklang. Zeit, für eine kleine Rückschau.

Gerne wird in der US-Basketballkultur der Diskurs um die (R)Evolution der Big Men geführt. So ist nach dem Niedergangsgerede um die Center-Position von einer aufstrebenden Generation junger Großer die Rede. Etwas vorschnell, da sie in puncto Teamerfolg bisher wenig vorweisen können. Doch nicht zu Unrecht heißt es: Als Skillballer schicken sie sich an, die Grenzen des Spiels sowie die Machtverhältnisse in der Basketball Association zu verschieben.

Denn hybride Bigs haben sich an den durch Aufbau- und Flügelspieler dominierten Pace-and-Space-Stil eindrucksvoll angepasst. Anthony Davis, Karl-Anthony Towns, Joel Embiid, Nikola Jokić, Kristaps Porziņģis und Myles Turner sind allesamt nicht älter als 24 Jahre. Hinzu kommt ein einzigartiger junger „Platzhirsch“ wie Giannis Antetokounmpo, der auch als Fünfer agieren kann. Sie bringen allesamt Länge, teils eine anmutige Agilität und als vielseitige Spieler ein pralles Paket an Fertigkeiten mit, das unfair anmuten mag und die schnelle, offene Spielweise befeuert.

Gefragt sind im postmodernen Basketball, beim heute praktizierten Skillball, offensiv wie defensiv vielseitig befähigte und damit variabel einsetzbare Big Men. Diese sollen zentrale Spielzüge (zuvorderst das Pick-and-Roll) bemeistern, diverse Spielfacetten beherrschen und den gesamten Statistikbogen befüllen können. Siehe etwa die 21 Rebounds, 17 Punkte, zwölf Assists und zwei Steals von Jokić gegen den amtierenden Meister. 2016/17 umfasste die Triple-Double-Top-Ten nicht zufällig fünf Bigs, die jeweils mehrere Triples aufgelegt haben.

Dabei weisen solche Viel- bis Alleskönner idealerweise folgende Schlüsselfähigkeiten auf: ein breit gefächertes Offensivrepertoire, das auf einem ausbalancierten Innen-außen-Spiel basiert, das das Positionsdenken endgültig überholt erscheinen lässt. Auch weil ersteres einen verlässlichen Distanzwurf (den Dreier als spielbestimmenden Wurf), das Umgehen-Können mit dem Ball und Finden der Mitspieler als Passgeber sowie generell ein gutes Entscheidungsverhalten einschließt.

Zudem sollen die Bigs in der Defense als blockbereite Ringbeschützer, mobile Helpverteidiger und resolute Rebounder amtieren. Kurz gesagt heißt das: Wurf-, verteidigungs- und spielstarke Lange (besonders Seven-Footer) werden als „Game Changer“ begehrt und gefeiert.

Gegenwartsversessen, geschichtsvergessen

Indes ist der Wohlfühldiskurs um die großartige Big-Man-Riege (wie so viele Diskussionen) leider gegenwartsversessen und geschichtsvergessen.

Sicher, gewohnheitsmäßig werden Kevin Garnett, Dirk Nowitzki und Hakeem Olajuwon als Vorreiter angeführt, die das (Big-Man-)Spiel durch ihren einzigartigen Mix an Fähigkeiten anschaulich verändert und verfeinert haben. Garnett konnte laufen, passen und werfen (auch wenn er den Dreier verweigerte) wie ein Guard, zumal er zugleich als Top-Rebounder amtierte sowie als Individual- und Teamverteidiger Maßstäbe setzte. Nowitzki ist mit seinem überragenden Mitteldistanzspiel der bis heute wohl effizienteste Scorer und Shooter unter den Big Men. Olajuwon reinterpretierte die Center-Position mit seinem traumhaft-leichtfüßigen Postspiel, derweil er auch als b(l)ockstarker Ringbeschützer brillierte.

Doch weiter reichen die Betrachtungen – abseits vereinfachter Verweise auf einst mit Athletik und Physis die Zone dominierende, aber heute „unzeitgemäße“ Brettcenter – meist nicht. Dabei muss hinsichtlich der „goldenen“ Center-Jahre der 1990er in der Regel Shaquille O‘Neal mit all seiner Brachialgewalt als Beweisträger herhalten.

Aber, was ist hingegen mit einem beweglichen, überaus abschluss- und passstarken Athleten wie Brad Daugherty? Ein fünffacher All-Star und zeitweiser 20/10-Center. Und wer erinnert sich an das erlesene Skillset des „Admirals“? David Robinson, der in seiner individuell besten Saison (1993/94) 29,8 Punkte, 10,7 Rebounds, 4,8 Assists, 5,0 Stocks (also Steals/Blocks) und sogar ein Quadruple-Double aufgelegt hat. (Außer ihm ist dies nur Olajuwon, Nate Thurmond und Alvin Robertson gelungen.)

Sonach lohnt es, einen differenzierteren Blick zurückzuwerfen – weil so weitere wichtige Wegbereiter aufscheinen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, versteht sich). Zumal sich dann zeigt, dass großer Skillball kein grundsätzliches Novum, sondern vielmehr einen andauernden Prozess beschreibt. Eine (R)Evolution, in der die eingangs genannte Gruppe an Ausnahmekönnern und „Einhörnern“ (ohne sie mit ihren Vorgängern vergleichen zu wollen, was unsinnig wäre) einen vorläufigen Höhe- aber keinen Endpunkt darstellt.

Uncle Cliffy, C-Webb und Sheed

Schauen wir zunächst auf die 1990er und frühen 2000er Jahre. In dieser Zeit traten drei agile und athletische All-Stars hervor, denen nachgesagt wird, sie hätten ihr Potenzial nicht vollends realisiert: Clifford Robinson, Chris Webber und Rasheed Wallace. Als vielseitig versierte Big Men haben sie dem Basketball seinerzeit dennoch ein gekonntes Upgrade verpasst.

„Sheed“ agierte als variabler, wurfstarker Angreifer mit Dreierpotenz, der trotz aller Talente kein (Lowpost-)Dominator sein wollte und viel lieber selbstbestimmt als geschätzter Teamspieler, Verteidiger und Kommunikator auftrat (legendär: „Ball don‘t lie!“ , „Both teams played hard“ ). In seiner statistisch auffälligsten Spielzeit (2000/01) verbuchte der spätere Meistergarant gleichwohl 19,2 Zähler, 7,8 Bretter, 2,8 Vorlagen und 3,0 Stocks. Viermal war Wallace in seiner Erfolgskarriere ein All-Star.

„C-Webb“ darf seinerseits als Alles- und Ausnahmekönner gelten. Denn welcher NBA-Profi kann (trotz vieler Verletzungen) Karrierewerte von 20,7 Punkten, 9,8 Rebounds, 4,2 Assists sowie 2,8 Stocks vorweisen? So war der zeitweilige MVP-Kandidat ein athletischer und überaus passstarker Power Forward mit ausgereiftem Lowpost- und Highpost-Spiel, der den Schnellangriff lief und verlässlich aus der Mitteldistanz traf. Zur Zeit der verkürzten Dreierlinie netzte Webber sogar passabel von Downtown ein (1996/97: 39,7 Prozent bei 2,1 Versuchen pro Partie). Er war also ein vielseitiger Big Man, der sich als spielstarker Skillballer präsentierte und im Übrigen auch ordentlich reboundete sowie solide verteidigte.

Das gilt auch für „Uncle Cliffy“, der als Allrounder drei Positionen zu bekleiden und verteidigen vermochte. Vor allem aber brachte Robinson seinen Distanzwurf gewinnend ein. Schließlich war 2,08-Meter-Athlet der erste NBA-Big-Man, der mehr als 1.000 Dreier getroffen hat (Karrierequote: 35,6 Prozent). Mitte der 90er versenkte der vielseitige Scorer – der zweimal in den Finals und im All-Defensive-Team stand sowie als bester sechster Mann 19,1 Zähler, 6,6 Abpraller, 2,2 Assists und 3,2 Stocks generierte – bereits zwei Dreier pro Spiel. Damit trug der der ikonische Stirnbandträger als Bahnbrecher entscheidend dazu bei, das Rollenverständnis der Big Men aufzubrechen. (Hierbei sollte zudem ein wurffreudiger und spielstarker dreifacher All-Star und NBA-Champ zumindest erwähnt werden: Antoine Walker.)

Auch trifft dies auf effektive Rollenspieler wie Terry Mills, Sam Perkins und Robert Horry zu. Ebenfalls Mitte der 90er, machten sie als Stretch-Bigs das Feld weit und öffneten damit für Superstars wie Grant Hill, Shawn Kemp und Olajuwon Räume. Etwa legte „Big Shot Rob“ für die Rockets in 65 Playoff-Spielen (inklusive zwei gewonnener Finalserien) „skillige“ 6,4 Bretter, 3,4 Vorlagen, 2,8 Stocks und 12,1 Punkte auf. Und das bei 38-prozentiger Trefferquote aus dem Dreierland (4,3 Versuche pro Partie).

Laimbeer, Sikma und Sampson

„Wahre“ Pioniere sind neben dem als Scorer und Dunker bekannten Tom Chambers, der als erster NBA-Big-Man regelmäßig den Dreier anbrachte (1986/87: 37,2 Prozent bei 1,8 Versuchen), aber wohl eher Bill Laimbeer und Jack Sikma.

Denn die beiden Meister-Center (1989/90 bzw. 1979) waren nicht nur knallharte Verteidiger, erstklassige Rebounder und spielintelligente Passgeber; sondern sie verfügten bei überschaubarer Athletik und Agilität auch über einen sicheren Sprungwurf und ein erprobtes Inside-Outside Game (checkt z. B. den „Sikma Move“ im folgenden Video). So spielten sie schon Ende der 80er erfolgreich das Pick-and-Pop an der Dreierlinie.

Abo-All-Star Sikma, der über seine sieben Auswahljahre ansehnliche 17,7 Punkte, 11,4 Rebounds, 3,5 Assists und 2,2 Stocks erzielte, traf zum Ende seiner Karriere (die er dadurch verlängerte) gar einen Dreier pro Spiel. Überdies führte der herausragende Freiwerfer die Liga 1987/88 mit einer Erfolgsquote von 92,2 Prozent an. (Außer ihm gelang dies in der NBA-Historie nur einem weiteren Big Man: Hall of Famer Dolph Schayes Ende der 50er). Und auch ein als „Schläger“ verschriener Laimbeer stand an der Linie seinen Mann: in sechs Spielzeiten versenkte er mehr als 85 Prozent seiner Freiwürfe. Zumal er in den beiden Meisterschaftsjahren der „Bad Boys“ in 37 Playoff-Partien 30 Dreier einnetzte.

Durch die Maschen fällt oftmals auch ein weiterer viermaliger All-Star, der ein 2,24 Meter großer Skillballer war, jedoch durch Verletzungen jäh gestoppt wurde. Gemeint ist Ralph Sampson. Bevor ihn Knieprobleme ausbremsten, führte er die Rockets gemeinsam mit Olajuwon 1986 bis in die NBA-Finals; wobei er in den Playoffs 20,0 Zähler, 10,8 Bretter, 4,0 Vorlagen und 3,3 Stocks beisteuerte. Sampson war seiner Zeit voraus. Er konnte und wollte werfen, dribbeln, passen und Würfe blocken, galt aber als „soft“, weil er sich eben nicht (nur) als physischen Postspieler sah.

Big Red und The Doo

Letztere waren in den 70er Jahren keine Seltenheit. Gleichwohl kann auch die vernachlässigte NBA-Dekade mit einer Riege vielseitig dominanter Big Men aufwarten. Nebenbei: Die 70er sind das einzige Jahrzehnt, in dem der MVP-Titel ausnahmslos an Center ging. Allein fünfmal an Kareem Abdul-Jabbar, der in dieser Zeit nicht nur seinen eleganten, unblockbaren Skyhook an den Mann brachte, sondern auch eindrucksvolle Zahlen auflegte: 28,6 Punkte, 14,8 Boards, 4,5 Assists und 4,8 Stocks.

Erwähnenswert sind zudem offensiv wie defensiv befähigte All-Timer wie Dave Cowens und Bob McAdoo. Sie vereinten Physis und Finesse, zeigten sich reboundstark sowie als variable, agile Angreifer, die gerne auf ihren exzellenten Mitteldistanzwurf vertrauten und ihre Nebenleute einsetzen konnten. Zur Anschauung: In seiner MVP-Saison (1972/73) konnte „Big Red“ 20,5 Punkte, 16,2 Rebounds und 4,1 Assists (Stocks wurden erst ein Jahr später erhoben) vorweisen. „The Doo“ generierte als Liga-MVP (1974/75) 34,5 Zähler, 14,1 Bretter, 2,2 Vorlagen und 3,2 Stocks. Ach, und was das Defensiv-Rating anbelangt, ist „Tough Guy“ Cowens in der Bestenliste aller ABA- und NBA-Profis auf dem zweiten Rang zu finden. McAdoo steht dort (trotz weniger gutem Ruf als Verteidiger) immerhin an 36. Stelle.

Im Übrigen: Der große Bill Russell sagte über McAdoo Mitte der 70er Jahre, er sei mehr als „the greatest shooting big man“, nämlich: „the greatest shooter of all time“. So führte der dreimalige NBA-Topscorer die Liga 1973/74 beim Punkteschnitt und ungeachtet vieler langer Zweier bei der Feldwurfquote an (54,7 Prozent). Zugleich rangierte „Mac“, der anfänglich wie Cowens als zu klein und fragil galt, bei den Rebounds und Blocks auf Platz drei. Abrundung erfuhr seine Gesamtperformance durch das damals ligaweit beste Player Efficiency Rating.

Alvan Adams und Sam Lacey

In puncto vielseitiger Einflussnahme dürfen auch brillante Highpost-Center wie Alvan Adams und Sam Lacey nicht fehlen. Denn mit ihrem Allroundspiel leisteten die beiden defensiv- und passstarken Big Men eine nicht zu unterschätzende Vorarbeit zum heutigen Skillball. Die Zahlen ihres jeweiligen All-Star-Jahres (1975/76 bzw. 1974/75) lesen sich wie folgt: 19,0 Punkte, 9,1 Rebounds, 5,6 Assists und 3,0 Stocks für „The Oklahoma Kid“ Adams; sowie 11,5 Zähler, 14,2 Abpraller, 5,3 Vorlagen und 3,8 Stocks für „Slammin‘ Sam“ aus Mississippi. Lacey verbuchte überdies in sieben Folge-Spielzeiten mindestens je 100 Steals und Blocks. Was bisher nur vier weiteren Akteuren und nur Garnett, Olajuwon und Julius Erving öfter gelang. (Wohlgemerkt waren in Laceys ersten drei Saisons Stocks nicht erfasst worden.)

Generell lässt sich außerdem feststellen, dass den spielstarken, mobilen Big Men der 70er im Dekadenvergleich (wenngleich Jahrzehnte kultürlich durchlässige Einheiten sind) die mit Abstand höchsten Assistwerte zukommen. 49 Mal gaben in den 70ern 17 verschiedene Center über eine Saison mindestens 3,5 Korbvorlagen. Man denke hierbei neben Abdul-Jabbar, Cowens, Adams und Lacey auch an Bill Walton und Wes Unseld, die beide Enden des Feldes mit ihren Pass- und Defensivqualitäten kontrollierten. In den zweitplatzierten 80ern gelang ein 3,5-Assist-Schnitt zehn Fünfern 24 Mal. Sicher, dies hat viel damit zu tun, dass die Offense vornehmlich über den Post lief und ein hohes Spieltempo vorherrschte. Anerkennens- und erinnernswert bleiben jene Leistungen dennoch.

Big Men mit Big Skills

Und genau darum geht es. Zugleich bedeuten die spielerischen Beiträge all der Genannten die banale wie basale Einsicht vom sich stetig wandelnden Ballsport, in dem die Spielstärke und Vielseitigkeit der Großen nicht erst seit Mitte der 2010er Jahre präsent und wirksam ist.

Dafür steht auch Maurice Stokes mit seiner tragisch verkürzten Karriere Ende der 50er Pate. Bevor der 2,01 Meter große Big Man, der Stärke und Schnelligkeit bei herausragender Athletik vereinte, infolge einer posttraumatischen Enzephalitis am Ende seiner dritten Saison mit 25 Jahren zum „Pflegefall“ wurde, war er der erste schwarze Abo-All-Star. Noch vor Bill Russell und Wilt Chamberlain, die das Spiel (die Defense, Transition und vieles mehr) in den 60ern bekanntlich revolutionierten.

Stokes konnte als Guard, Forward und Center spielen, seine Teamkollegen vom Highpost aus bedienen, von dort den Sprungwurf einnetzen, per Drive zum Korb ziehen, sich im Lowpost kraftvoll durchsetzen und generell gekonnt mit dem Ball umgehen. Viermal in Serie legte der originäre Point Center ein Triple-Double auf, während er in seiner finalen Saison auf 16,9 Punkte, 18,1 Rebounds und 6,4 Assists kam. Damit landete der Big Man 1957/58 bei den Abprallern ligaweit auf Rang zwei sowie bei den Vorlagen auf Rang drei. Eine Leistung, die nur ein ganz Großer übertrumpfte:

Wilt Chamberlain, der einzige Big Man auf der Triple-Double-Top-Ten-Liste, führte die Association 1966/67 und 1967/68 bei den Rebounds an und rangierte bei den Assists (pro Spiel) an dritter bzw. zweiter Stelle. Derweil erzielte er Anfang 1968 neun konsekutive Triple-Doubles und mit 22 Punkten, 25 Rebounds und 21 Assists gar das einzige Double-Triple-Double der NBA-Geschichte. Wie so viele andere Lange vor und nach ihm zeigte der „Big Dipper“ Big Skills.

Apropos: Mitte der 60er gehörte Wilt einer NBA an, in der sieben der seinerzeit neun Franchises auf der Fünf einen heutigen Hall of Famer aufzubieten vermochten. Ein Höchstwert, der nicht einmal in den „goldenen“ Center-Jahren der 90er übertroffen wurde.