Der Mythos Michael Jordan

Der mühsame Weg bis zum Gipfel

Es dauert bis zu eben dieser Spielzeit, ehe auch die Bulls langsam vom normalen Playoff-Qualifikanten zum Gewinnerteam reifen. Seit Jordan die Liga verzaubert, steht er jedes Jahr mit Chicago in der Postseason, doch in seinen ersten drei Saisons endet selbige direkt in der ersten Runde. In den Playoffs 1988 überwinden sie erstmals seit 1981 diese Hürde (3-2 gegen Cleveland), doch dann beißen sich Jordan und seine Kollegen die Zähne an den defensiv knallharten Detroit Pistons aus. Drei Jahre lang quälen die Bad Boys von Head Coach Chuck Daly den Superstar der Liga mit den sogenannten „Jordan Rules“. Diese Maßnahmen an Rande der Legalität sollen Jordan in seiner Effektivität einschränken, beim Zug zum Korb wird MJ jedes Mal hart angegangen; es gleicht einer Tortur. In dieser Zeit der anhaltenden Erfolglosigkeit muss das mittlerweile zum Megastar aufgestiegene Aushängeschild der Liga ständig mit bösen Stimmen fertig werden; sie behaupten, er sei ein Schönspieler, der nur Highlights fabriziert, aber nicht gewinnen kann. MJ gleicht einem Typen vom Kaliber eines Dominique Wilkins, der am Fließband Korbanlagen zum Wackeln bringt, aber eben als Verlierer gilt.

Die Wende kommt mit der Ankunft Phil Jacksons

Die Rezepte, die Jordans Coaches bei den Chicago Bulls im Laufe der Jahre ausprobierte, führen nicht zum Erfolg. Doug Collins lässt MJ 1988/89 für einige Partien als Point Guard auflaufen. Dort ist die Nummer 23 zwar in seinen Punktequalitäten beschnitten, sorgt aber mit einer Serie von sieben Triple Doubles bzw. zehn innerhalb von elf Begegnungen für Aufsehen. Der Erfolg bleibt trotzdem aus.

Erst als der als unkonventionelle Phil Jackson nach dem Rauswurf von Collins vom Assistenz- zum Chefcoach befördert wird, wendet sich langsam das Blatt. Jackson, Anfang der 1970er Jahre Rollenspieler bei den New York Knicks, predigt Jordan und dem restlichen Team die damals erfolgreiche Teamphilosophie ein, in der es darum ging, den Ball laufen zu lassen und als Mannschaft aufzutreten. Dank der zusätzlichen Einführung der sogenannten „Triple Post Offense“, einem variablen und komplexen Angriffssystem aus den College-Tagen von Assistant Coach Tex Winter, weht der Erfolg plötzlich in Windy City. Nicht zuletzt, weil das Team auch mit individuell stärkeren Akteuren (v.a. Scottie Pippen oder Horace Grant) ausgestattet ist, um gegen die Powerhouses aus Detroit oder Boston zu bestehen.

Zweites Olympisches Gold und drei NBA-Titel

1991 nehmen die Bulls im dritten Anlauf die Hürde namens Detroit Pistons mit 4-0 und fertigen im Finale die Los Angeles Lakers mit 4-1 ab. Jordans erster NBA-Titel bedeutet die Krönung seines bis dahin häufig kritisierten Daseins als NBA-Showman. In den Armen seines Vaters James ist er in Tränen aufgelöst. Bilder aus der Umkleidekabine mit Jordan auf dem Boden, der die Trophäe umklammert, gehen um die Welt.

Auch in den nächsten beiden Spielzeiten sind die Bulls das Maß aller Dinge. 1992 trifft Jordan, nie als großartiger Distanzschütze bekannt, im ersten Finale gegen die Portland Trail Blazers für 35 Punkte (davon sechs Dreier) allein in der ersten Halbzeit. Es dauert sechs Spiele, bis der zweite Ring am Finger sitzt.

Danach geht es für Jordan, längst auf der Spitze des Basketball-Olymps angekommen, mit einem Team voller Superstars zu den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Als Star der Stars wird er überall von den begeisterten Sportfans verfolgt. Die einzigen Plätze, auf denen MJ seine Ruhe hat, sind das Hotelzimmer und das Basketballfeld. Dort versohlt das „Dream Team“ seine Gegner mit durchschnittlich 43,8 Punkten Vorsprung. Keinem Team gelingen mehr als 85 Zähler, selbst erzielen die US-Basketballer nie weniger als 103 Punkte. Jordan selbst sammelt im Schnitt 14,9 Punkte (sein Kumpel Charles Barkley ist Topscorer mit 18 Zählern pro Partie). Die Goldmedaille ist Formsache und der Stern des weltweiten Basketball-Booms geht auf.

In die Saison 1992/93 gehen die Bulls nicht als Favorit. Die Phoenix Suns mit Barkley, der aus Philadelphia kam, gelten als das zu schlagende Team. Auch andere Mannschaften, wie die New York Knicks oder die Houston Rockets, gelten als Anwärter auf die Meisterschaft. Doch Jordans Bulls gelingt es, sich trotz 0-2-Rückstands gegen das Team um Widersacher Patrick Ewing, die Knicks, in sechs Spielen durchzusetzen. Im Finale angekommen, zeigt Jordan gegen den zum MVP gekürten Charles Barkley, das kein Weg an der erfolgshungrigen Nummer 23 vorbei führt. Sein Punkteschnitt von 41,0 Zählern in den sechs Finalspielen sind bis heute Rekord.

Der Wendepunkt in Jordans Leben

Was dann geschieht, konnte niemand vorhersehen. Neben den Image schädigenden Schlagzeilen über Jordans Glückspielsucht wird am 5. August das leere Auto von Michaels Vater James am Straßenrand in North Carolina gefunden. Einen Tag später wird seine Leiche in einem Moor gefunden. Larry Martin Demery und Daniel Andre Green hatten ihn am 23. Juli ausgeraubt und ermordet. Die beiden Jugendlichen werden angeklagt und hinter Gittern gebracht.

Am 6. Oktober, 62 Tage nach dem Tod seines Vaters, gibt Michael Jordan auf einer Pressekonferenz seinen Rücktritt von Basketballsport bekannt. „Für mich gibt es im Basketball nichts mehr zu beweisen. Ich habe alles erreicht“, schockt MJ die Sportwelt. „Ich will Baseball spielen. Es ist der Traum meines Vaters, dass ich Baseball-Spieler werden.“

Der 31-Jährige schwingt fortan lieber die Baseballkeule bei den unterklassigen Birmingham Barons, als auf dem Zenit seiner Karriere weiter im internationalen Rampenlicht zu stehen. Doch das bescheidene Intermezzo im Baseball endet nach nur einer vollen Saison.

Die Rückkehr vom Rücktritt

Am 18. März schockt MJ die Welt erneut. Dieses Mal mit dem kurzen Statement “I’m back”. Die Presselandschaft steht Kopf, Aktienkurse explodieren. Jordan will wieder seine Sneaker schnüren. Weil die Bulls aber in seiner Baseball-Pause die Nummer 23 aus dem Verkehr gezogen hatten, muss Jordan mit der 45 auf Comeback-Tour gehen. Gegen die Indiana Pacers verlieren er (19 Punkte) und die Bulls zwar mit 96:103 nach Verlängerung, doch der verlorene Sohn ist wieder zurück an seinem angestammten Platz. Der Rost fällt kurze Zeit später, in seinem fünften Spiel nach der Rückkehr, gegen die New York Knicks endgültig ab, als Jordan ihnen im Madison Square Garden 55 Zähler einschenkt. In den Playoffs ist für MJs Team aber gegen die aufblühenden Orlando Magic Schluss; sie schicken Chicago mit 2-4 in die Offseason.

Ein Jahr später gewinnen die Bulls, die sich derweil mit Dennis Rodman unterm Korb verstärkt haben, sensationelle 72 Spiele in der regulären Saison. In den Playoffs spielt Chicago die Magic mit 4-0 an die Wand, in den Finals lernt der deutsche NBA-Export Detlef Schrempf mit den Seattle SuperSonics die Siegeswut von „His Airness“ kennen. Chicago holt die vierte Meisterschaft innerhalb von sechs Jahren am Vatertag; nach dem sechsten Spiel bricht Jordan erneut in Tränen aus, in Gedenken an seinen toten Vater.

Jordans Heiligenschein leuchtet noch zwei weitere Jahre – in der Saison 1997/98 verdient er sagenhafte 33,14 Millionen US-Dollar allein fürs Basketballspielen – im rot-weißen Trikot der Chicago Bulls. Nach zwei weitere Meisterschaften, jeweils gegen die Utah Jazz, endet die Ära nach einem unwirklichen Finale. Im sechsten Spiel der 1998er Final-Serie vollendet Jordan sein Denkmal, als er 5,2 Sekunden vor Schluss den letzten Sprungwurf für die Chicago Bulls zur Meisterschaft versenkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert