Isaac Bonga: Zum Rotationsspieler der Wizards

Isaac Bonga hat sich 2019/20 in die Rotation der Washington Wizards gespielt – auch dank seiner Verteidigung. Doch wie agierte Bonga in der Offensive? Und woran muss der deutsche Nationalspieler noch arbeiten?

Nachdem Isaac Bonga den Großteil seines Rookie-Jahres in der G-League verbracht hatte, gelang ihm in der Saison 2019/20 der Durchbruch zu einem NBA-Rotationsspieler. Für die Washington Wizards stand der 20-jährige Flügelspieler insgesamt 1.250 Minuten auf dem Parkett (18,9 MpG), startete in 49 seiner 66 Saisoneinsätze und hinterließ dabei einen bleibenden Eindruck. Vor allem in der Verteidigung wusste Bonga zu überzeugen.

So bewies er abseits des Balles ein beeindruckendes Verständnis für Rotationen und Stellungsspiel. Seine Aktionen, wie zum Beispiel der rechtzeitige „Stunt“ in Richtung des ballführenden Spielers, fallen oftmals kaum auf, sind aber äußerst wichtig.

Auch als On-Ball-Verteidiger hat Bonga seine Stärken: Er setzt seinen Körper gekonnt ein, um seinen Gegenspielern den Weg zum Korb abzuschneiden, und nutzt seine Armspannweite (2,13 Meter), um sie zu schweren Würfen zu zwingen. Natürlich hat er als Verteidiger auch noch Luft nach oben. Er begeht zum Beispiel noch zu oft Fouls (4,4 Fouls pro 75 Possessions) und hat aufgrund unterdurchschnittlicher Explosivität Probleme, sich durch den Screen-Wald der NBA zu manövrieren.

Für explosive Bewegungen sind die sogenannten schnell zuckenden Muskelfasern („fast-twitch muscle fibers“) verantwortlich. Und da deren Anzahl und Effektivität weitestgehend, wenn auch nicht vollständig, genetisch bestimmt sind, wird Bonga wohl nie mühelos um Screens gleiten. Aber schon kleine technische Verbesserungen können seine Effektivität steigern.

Bongas Rolle in der Offensive hätte kleiner kaum sein können. Laut Ben Taylors „Offensive Load“-Statistik – die besser als die traditionelle Usage-Statistik bestimmen kann, wie sehr ein Spieler in die Offensive involviert ist – hatte Bonga vor dem Saisonabbruch im März nur auf ungefähr 14 Prozent der Angriffe der Wizards einen bedeutenden Einfluss (397. Rang unter allen NBA-Spielern 2019/20), wenn er auf dem Parkett stand. Der NBA-Durchschnitt seit 1978 liegt dabei mit 27,1 Prozent deutlich höher.

Diejenigen, die Bonga schon bei den FRAPORT SKYLINERS und in den deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften verfolgt haben, kennen den Youngster eher als offensiven Initiator. Diese Freiheiten hatte er jedoch bei den Wizards vor Saisonabbruch noch nicht erhalten.

Durch die Ausfälle von John Wall, Bradley Beal und Davis Bertans in der Bubble bestand berechtigte Hoffnung, dass Bonga mehr Chancen erhalten würde, als Ballhandler zu agieren. Der größte Profiteur war im Endeffekt aber Troy Brown Jr., der während der Seeding Games seine beeindruckenden Qualitäten als Spielmacher unter Beweis stellte. Bonga erhielt nicht annähernd so viel Verantwortung, hatte aber dennoch einige Gelegenheiten, sein Können zu zeigen. Grund genug, Bongas Offensive genauer unter die Lupe zu nehmen.

Das Öffnen von Passfenstern  

Isaac Bonga hat schon viel Erfahrung als Passgeber, und das zeigt er auch in der NBA. Seine Anspiele sind nicht immer perfekt; vor allem wenn sich der Passempfänger bewegt, können seine Pässe manchmal ungenau sein. Aber für einen 20-Jährigen seiner Größe besitzt er dennoch ein ansehnliches Spektrum an Pässen mit beiden Händen. Seine langen Arme helfen ihm dabei, auch Anspiele aus schwierigen Winkeln anzubringen.

Eine gute Spielübersicht und die Fähigkeit, akkurate Pässe zu spielen, sind allerdings nur wenig wert, wenn man keine Passfenster, also Öffnungen in der Verteidigung, kreieren kann. Wie PD Web in seinem Scouting-Report zu Killian Hayes anmerkt, sind diese sogenannten „passing windows“ keine konstanten Erscheinungen, sondern unbeständige Öffnungen, deren Größe durch die Positionierung der Verteidigung bestimmt wird. In anderen Worten: Wenn die Verteidigung das Scoring eines Offensivspielers nicht respektiert, kann sie alle Passfenster schließen und den Ballhandler dazu zwingen, sie als Scorer zu schlagen.

Die Kreation von Passfenstern wird durch die Assist-Statistik nicht immer akkurat porträtiert. So gibt es überragende Passgeber, die aufgrund fehlender Scoring-Qualitäten keine Passfenster kreieren und demnach zumeist nicht in der traditionellen Point-Guard-Rolle eingesetzt werden. Auf der anderen Seite gibt es relativ durchschnittliche Passgeber, die konstant viele Teamkollegen offenspielen und ihrem Team dadurch helfen, selbst wenn sie die offenen Teamkollegen nicht immer finden. Das folgende (zugegebenermaßen extreme) Beispiel anhand der Houston Rockets zeigt eine relevante Situation:

Der Assist geht hier an Russell Westbrook, die Punkte an P.J. Tucker, aber James Harden kreiert den Vorteil in Form einer Vier-gegen-Drei-Überzahl. Die Golden State Warriors betrachten Harden also so gefährlich, dass sie freiwillig eine Vier-gegen-Drei-Situation in Kauf nehmen, um den Ball aus seinen Händen zu bekommen.

Dies ist natürlich eine Ausnahmesituation, aber sie illustriert, wie man Passfenster kreieren kann: Überzahlsituation oder Mismatches schaffen, indem man an seinem eigenen Verteidiger vorbeizieht oder gedoppelt wird, und dadurch Rotationen und Closeouts forcieren. Sobald eine Rotation oder ein Closeout nicht perfekt ausgeführt wird, was aufgrund des Schwierigkeitsgrades dieser Aktionen sehr häufig vorkommt, sollten sich Abschlussmöglichkeiten für die Offense ergeben.

Die Herausforderungen im Pick-and-Roll

Im Eins-gegen-Eins wird Isaac Bonga dies sehr schwer fallen. Der 20-Jährige ist sehr koordiniert für einen Spieler seiner Größe, und dies sollte es ihm erlauben, ab und zu in diesen Situationen zum Korb zu kommen. Aber um konstant in Isolationen für sich selbst und andere zu kreieren, fehlt es ihm an Explosivität und an der Ballbehandlung, die es Spielern wie Kyrie Irving erlaubt, ihre Gegenspieler aus den Schuhen zu hebeln, an ihnen vorbeizuziehen, Hilfe zu forcieren und dadurch Öffnungen für ihre Teamkollege zu kreieren. Da sich Explosivität und „Handle“ im Erwachsenenalter auch nur noch bedingt verbessern lassen, wird Bonga seine Stärken als Passgeber eher im Pick-and-Roll zeigen können.

Die meisten Pick-and-Rolls werden heutzutage in der Drop-Defense verteidigt, bei der der Verteidiger des Blockstellers weit vom Block entfernt steht, meistens näher an der Freiwurflinie als am Ballführenden. Damit erlaubt die Verteidigung eine Zwei-gegen-Eins-Situation am Perimeter, legt dafür aber einen größeren Fokus auf das Beschützen des Korbes. Manche Teams setzten diese Art der Verteidigung teilweise sogar zu oft ein (siehe Bubble-Games von Portland gegen Dallas und Philadelphia), aber es gibt nur wenige Spieler, die diese Strategie bestrafen können.

Nur Spielern, die in diesen Zwei-gegen-Eins-Situationen effizient Würfe aus dem Dribbling treffen können, kann es gelingen, die Schwachstellen der Drop-Defense zu entlarven. Bonga, der laut NBA.com in dieser Saison nur zwei seiner 13 Sprungwürfe aus dem Dribbling getroffen hat, gehört bei weitem nicht zur Gruppe der elitären Pull-up-Schützen und wird demnach auch fast ausschließlich mit einer Drop-Defense verteidigt werden.

Nachdem Bonga also am Block vorbeizieht, wird er sich mit dem „Drop Big“ konfrontiert sehen. Er kann also Anlauf nehmen und versuchen, gegen diesen zu scoren. Laut Basketball-Reference traf Bonga in dieser Saison beachtliche 64,8 Prozent seiner Würfe innerhalb von 91 Zentimeter am Korb. Aber diese Zahl ist keine akkurate Repräsentation seiner Qualitäten als Finisher, weil Bonga nach Drives häufiger wieder herauspasst als tatsächlich zu versuchen, durch bzw. über einen Center abzuschließen. Dafür fehlt ihm momentan noch die Muskelmasse im Oberkörper.

Egal, mit viel Tempo er in den Partien in Orlando auf den „Drop Big“ zukam, er prallte oftmals ab und konnte nur noch den Pass zurück an die Dreierlinie spielen. Während der Seeding Games konnte er einmal erfolgreich Ben Simmons attackieren, musste sich aber sehr klein machen (und seinen Arm nutzen), um den Sixers-Star aus dem Weg zu räumen.

Noch übt Bonga in diesen Situationen wenig Druck auf die Verteidigung aus; diese muss also meistens keine Hilfe bringen. Wenn allerdings doch ein weiterer Verteidiger in Richtung Zone absinkt, um Bonga den Drive zu erschweren, beeindruckt er mit gut getimten Pässen zum offenen Mann. Bonga sollte als Kontakt-Finisher noch Luft nach oben haben, denn er hat in den vergangen drei bis vier Jahren schon an Muskelmasse zugelegt. Je mehr sich die Verteidigung in diesen Situationen um sein Scoring sorgen muss, desto mehr werden sich Öffnungen zu seinen Teamkollegen ergeben, die er dank seines guten Auges auch sollte ausnutzen können.

Im folgenden Clip sieht er sich ausnahmsweise mit einem Switch konfrontiert und zeigt sein gutes Auge, obwohl es ihm auch sichtlich schwer fällt, an Dario Saric vorbeizukommen.

Es gibt keine Anzeichen, dass Bonga jemals großvolumig effiziente Würfe aus dem Dribbling treffen wird – und die Verteidigung damit zwingen würde, eine aggressivere Pick-and-Roll-Verteidigungsstrategie anzuwenden. Aber vielleicht könnte er seinen Floater/Runner so weit entwickeln, dass der Drop-Defender näher an ihn herantreten muss. Laut Synergy traf Bonga 2019/20 acht seiner 16 Runner. Die Anzahl der Versuche ist zu gering, um allzu viel aus der 50-prozentiger Wurfquote zu schließen, aber der Weg zu einem passablen Floater ist weniger schwer als der zu einem weltbewegenden Wurf aus dem Dribbling.

Gegen eine geordnete Defensive wird Bonga wohl nie zu einem Pick-and-Roll-Maestro werden, aber schon kleine Verbesserungen in seiner Oberkörpermuskulatur und seinem Scoring (Floater und Scoring am Korb) können ihn zu einem gefährlicheren Ballführer im Pick-and-Roll machen. Die Qualität als Passgeber ist gegeben. Es gilt nun mehr Wege zu finden, Druck auf die Defensive auszuüben.

Im Schnellangriff macht er dies schon ausgezeichnet, indem er konstant aufs Tempo drückt und jegliche Fehler in der gegnerischen Verteidigung bestraft. Schließlich lassen sich die effizientesten Punkte immer noch gegen eine ungeordnete Verteidigung erzielen.

Das Attackieren von Closeouts

Noch effektiver sollte Isaac Bonga beim Attackieren von Closeouts sein. Über die beste Closeout-Technik gibt es selbst unter Profitrainern noch keine Übereinstimmung, was darauf hindeutet, dass noch Innovationspotential besteht. Die altbekannte „Choppy-Steps“-Technik verlor in letzter Zeit an Popularität, da es fragwürdig ist, ob man mit diesen Closeouts überhaupt einen Einfluss auf Distanzwürfe haben kann. Alternativen wie der „Hockey Stop“ haben sich auch noch nicht durchgesetzt, und demnach bieten diese Situationen für Offensivspieler große Angriffsfläche.

Denn obwohl das Ziel eines Closeouts ziemlich simpel ist – nämlich die Balance zu behalten, damit man sowohl den Wurf als auch einen möglichen Zug zum Korb verteidigen kann –, ist die Ausführung gegen die Ausnahmeathleten der NBA umso schwieriger. Um exzellente Closeouts zu laufen, muss ein Verteidiger nicht nur verstehen, in welchem Winkel er sich dem Offensivspieler nähern muss, sondern er muss auch über große Hüft- und Knöchelflexibilität verfügen, um schnelle Richtungswechsel kontern zu können. Und damit ist noch nicht einmal erwähnt, dass Verteidiger in Sekundenbruchteilen die Bewegungen der Offensivspieler lesen und darauf reagieren müssen. Aufgrund dieses hohen Schwierigkeitsgrades hat die Offensive immer einen Vorteil, wenn die Defensive ein Closeout laufen muss.

Wie groß dieser Vorteil ist, hängt davon ab, wie hart das Closeout gelaufen wird und demnach davon, wie gut der Offensivspieler werfen kann. Bonga verließ in der Bubble das Wurfglück, aber er beendete die Saison dennoch mit einer passablen Dreierquote von 35,2 Prozent, wenn auch nur bei 72 zumeist völlig freien Versuchen. Laut des „Openness Ratings“ von BBall Index gehört Bonga zu den oberen fünf Prozent, wenn es darum geht, wie frei seine Distanzwürfe sind. Während der Seeding Games nahm Bonga 16 Dreier, davon allerdings zwei am Ende der Wurfuhr beziehungsweise am Ende des Viertels. Bei den restlichen 14 Versuchen lief die Verteidigung viermal kein Closeout, fünfmal ein weiches, dreimal ein hartes, aber kontrolliertes, und zweimal ein hartes Closeout ohne Rücksicht auf einen Zug zum Korb, also ein Closeout im Vollsprint.

Trotz des geringen Volumens an Drei-Punkte-Versuchen wollen die gegnerischen Defenses also Bonga nicht vollkommen frei lassen. Es muss allerdings erwähnt werden, dass dies in den Playoffs anders wäre. Spieler mit geringem Volumen werden in den Playoffs generell frei stehen gelassen bis sie beweisen, dass sie diese Taktik bestrafen können. Falls Bonga dies nicht gelänge, könnte er offensiv zu einer Last werden.

In der regulären Saison hat Bonga allerdings schon jetzt ausreichend Möglichkeiten erhalten, Closeouts zu attackieren. Wie im Pick-and-Roll vermeidet Bonga auch hier zumeist den Körperkontakt am Korb, zieht aber aufgrund der Überzahlsituation häufig Help-Defender und kreiert somit offene Dreier oder legt den Ball ab für Teamkollegen im „Dunker Spot“. Aufgrund seines fehlenden Mitteldistanzwurfes aus dem Dribbling und den Problemen, Kontakt zu absorbieren, fällt ihm das Scoring in diesen Situationen nicht ganz so leicht. Die resultierenden Versuche sind demnach oft Floater oder Hakenwürfe, also relativ schwierige Würfe.

Wie bereits zuvor erwähnt, könnte zusätzliche Muskelmasse von großer Hilfe sein. Je schwieriger es ist, ihn von seinem Weg abzudrängen, desto öfter wird er in die Zone eindringen und von dort einfache Würfe für sich selbst und seine Teamkollegen kreieren können.

Ausblick: die Offensivrolle von Isaac Bonga

Isaac Bonga wird in der NBA wohl nie wieder so viel Zeit am Ball verbringen wie in seinen Nachwuchsjahren, aber er verfügt dennoch über beachtliches Potenzial in der Offensive.

Die Prioritäten sollten sein, Muskelmasse zuzulegen, den Drei-Punkte-Wurf so zu verbessern, dass er die Quoten halten, aber das Volumen deutlich vergrößern kann, und möglicherweise irgendeine Art von „in-between-Game“ zu entwickeln. Dadurch könnte er gelegentlich Pick-and-Rolls laufen, effektiv Closeouts forcieren und attackieren und effizienter am Korb abschließen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Isaac Bonga offensiv je besser wird als defensiv – seine Verteidigung ist jetzt schon auf einem beachtlichen Level –, aber wenn er die zuvor genannten Fortschritte macht, wird er in Zukunft zweifellos als einer der Steals des 2018 Drafts angesehen werden.