Oscar da Silva: „Ich fühle mich in der Rolle des Herausforderers“

Oscar da Silva ist erstmals bei der deutschen Nationalmannschaft dabei und kämpft derzeit um einen Platz im WM-Kader. Im Interview spricht der Barça-Profi darüber und über sein erstes Jahr in Spanien.

Seit vergangenem Montag bereitet sich die deutsche Nationalmannschaft gemeinsam auf die Weltmeisterschaft in Ostasien vor. Zum ersten Mal im erweiterten A-Kader steht Oscar da Silva. Der Big Man vom FC Barcelona hat in der vergangenen Saison die Meisterschaft in Spanien gewonnen und möchte nun auch im DBB-Trikot angreifen. Im Trainingslager des DBB-Teams in Bonn verriet der 24-Jährige im Gespräch mit basketball.de unter anderem, wie sein erstes Jahr bei Barça lief und wie er den Sprung in den WM-Kader schaffen will.

basketball.de: Du hast nun dein erstes Jahr beim FC Barcelona absolviert. Wie fällt dein Fazit aus?

Oscar da Silva: Insgesamt bin ich zufrieden, auch wenn die Saison für mich durchwachsen lief. Wir haben die Meisterschaft gewonnen, da kann man sich nicht beschweren. Ich habe viele Chancen bekommen, wo ich auf dem Feld stehen durfte. Zwischendurch gab es aber auch eine Phase, in der ich teilweise nicht in der Rotation war. Das sind natürlich Momente, die man im Nachhinein gerne streichen würde. So etwas gehört aber glaube ich dazu – gerade, wenn man als junger Spieler in einer Mannschaft mit so vielen Veteranen und so hohen Ansprüchen und Standards spielt.

Ich hoffe, dass ich in der nächsten Saison einen Schritt nach vorne machen und auf der Leistung im letzten Jahr aufbauen kann.

Du bist von ALBA BERLIN, bei denen eine recht freie Offense gespielt wurde, nach Barcelona gewechselt und hast dort unter Trainer Sarunas Jasikevicius gespielt, der für ein großes und herausforderndes Playbook bekannt ist. Wie schwer ist dir die Umstellung gefallen?

Nicht so schwer, würde ich sagen. Es hat ein bisschen gebraucht, sich an seine Vorstellungen in manchen Situationen zu gewöhnen, und die ganzen Situationen auf dem Feld zu erkennen, aber am Ende des Tages ist es Basketball und das kann ich glaube ich ganz gut. Deswegen war das schon in Ordnung. Außerdem haben wir über das Jahr hinweg auch mehr Freiheit in unserem Spiel hinzugewonnen.

Mit Willy Hernangomez hat Barça einen sehr prominenten Spieler auf den großen Positionen verpflichtet, der einige Jahre in der NBA aktiv war und letztes Jahr als MVP der EuroBasket ausgezeichnet wurde. Wie fiel deine Reaktion auf den Transfer aus?

Ich freue mich. Wenn wir gute Spieler bekommen, ist das gut für uns. (lacht) So können wir hoffentlich wieder oben angreifen. Ich glaube, dass der Kader jetzt soweit steht, bis auf die Position vier. Dort könnte vielleicht noch jemand kommen, da bislang noch kein Ersatz für [Nikola] Mirotic geholt wurde.

Ansonsten sind wir ganz ordentlich aufgestellt, auch wenn wir natürlich ein paar Abgänge gehabt haben. Aber vielleicht kommt es mir zugute, dass wir in der kommenden Saison einen etwas kleineren Kader haben. Das Ziel wird auf jeden Fall wieder sein, Titel zu gewinnen. Das ist das, was bei Barça zählt.

Ist die NBA nach wie vor dein großes Ziel? An welchen Stellen musst du noch arbeiten, um den Sprung dorthin zu schaffen?

Die NBA ist natürlich immer im Hinterkopf. Wenn ich die Chance bekäme, würde ich sie auf jeden Fall nutzen. Inzwischen habe ich aber auch den europäischen Basketball sehr zu schätzen gelernt. Nach dem College lag für mich der Fokus nur auf der NBA. Ich wollte unbedingt dort hin. Mittlerweile, nach zwei Jahren in Europa, habe ich meinen Horizont ein bisschen erweitert. Auf diesem hohen Level in der EuroLeague zu spielen, ist ebenfalls etwas sehr Besonderes und die Erfahrung allemal wert, mitzunehmen.

Sowohl in der EuroLeague als auch für die NBA ist wahrscheinlich die wichtigste Zutat, dass mein Wurf von draußen konstanter fällt. Daran arbeite ich kontinuierlich. Auch an dem Rest meines Spiels werde ich weiter schleifen, aber wenn ich eine Sache rauspicken müsste, ist der Wurf die Sache, die für mich den Unterschied ausmachen könnte.

In deinem ersten Jahr in Barcelona hattest du nicht so viele Gelegenheiten im Spiel, von draußen zu werfen…

Klar, das war eine Mannschaft, die gespickt war mit europäischen Stars. Mit Leuten, die sehr gute NBA-Spieler sind. Deswegen fielen da vielleicht ein paar Würfe weniger ab als in Berlin. Aber wenn man die Zahlen der beiden Jahre miteinander vergleicht, ist das kein gravierender Unterschied. Und das Ganze wächst auch mit der Rolle im Team und natürlich mit dem Können: Wenn man zeigt, dass man die Würfe treffen kann, wird man auch mehr Versuche bekommen. Letzte Saison habe ich mich ein bisschen schwer getan mit dem Wurf, aber diesen Sommer habe ich gut gearbeitet und werde weiter daran arbeiten, damit nächstes Jahr vielleicht ein paar Dreier mehr dabei sind.

Oscar da Silva von draußen: Volumen und Wurfquote

Alle WettbewerbeEuroLeague
SaisonTeam3FGA3FG%3FGA3FG%
2017/18Stanford Cardinal1,555,8
2018/19Stanford Cardinal3,725,7
2019/20Stanford Cardinal1,331,7
2020/21Stanford Cardinal1,931,1
2020/21MHP RIESEN Ludwigsburg1,426,1
2021/22ALBA BERLIN1,036,71,225,6
2022/23FC Barcelona1,136,10,730,0
Quelle: RealGM

Möglicherweise kannst du auch vom Trainerwechsel profitieren. Nach dem Abschied von Jasikevicius ist seit diesem Sommer Roger Grimau der neue Verantwortliche an der Seitenlinie. Wie gut kennst du ihn?

Persönlich kenne ich ihn flüchtig, weil er davor die zweite Mannschaft von Barça trainiert hat. Daher kennen wir uns vom Sehen und haben uns auch schon mal unterhalten, aber nie so ausführlich. Diesen Sommer haben wir ein bisschen über die Vorstellungen gesprochen und darüber, wie meine Rolle aussehen könnte, auch über das System und solche Sachen.

Ich hoffe natürlich, dass meine Rolle größer sein wird im Vergleich zum letzten Jahr. Es wird auch viel darauf ankommen, wie ich mich anstelle, wenn ich wieder dort bin. Aber ich glaube schon, dass der Trainer Vertrauen in mein Können und meine Stärken hat. Wenn du zeigst, was du kannst und im Training überzeugst, wird das von Trainern auch gesehen und anerkannt und ins Spiel umgesetzt.

Kommen wir zum Thema Nationalmannschaft. Du bringst schon gewisse EuroLeague-Erfahrung aus den vergangenen beiden Jahren mit. Hast du dennoch das Gefühl, im Kampf um einen Kaderplatz für die WM in der Rolle des Herausforderers zu sein, wenn du siehst, dass – bis auf den verletzten Nick Weiler-Babb – der komplette EM-Kader aus dem vergangenen Jahr am Start ist?

Ich fühle mich auf jeden Fall in der Rolle des Herausforderers. Es ist ja das erste Mal, dass ich hier dabei bin. Von daher gehören diese Plätze aktuell zwölf anderen Leuten – und ich muss mir halt einen erarbeiten. Mir wird hier nichts geschenkt. Nur weil ich bei Barça spiele oder EuroLeague-Erfahrung habe, bekomme ich deswegen nicht gleich einen Platz im Kader. Deswegen sehe ich mich auf jeden Fall in der Rolle des Herausforderers.

Auf welche Weise willst du den Sprung in den WM-Kader schaffen? Welche Fähigkeiten zeichnen dein Spiel aus, was kannst du dem Team geben?

Ich glaube, dass ich recht facettenreich bin, was prinzipiell immer ganz gut ist. Ich kann der Mannschaft auf verschiedene Art und Weise helfen. Das Scoring überlasse ich lieber den Profis (lacht), aber ich spiele gerne Defense, ich spiele gerne mit viel Energie und kann helfen, das Spiel schnell zu machen. Dazu kann ich zwei Positionen [Power Forward und Center] spielen und mehrere Positionen verteidigen. Ich glaube, dass man durch diesen Facettenreichtum immer etwas finden kann, was man der Mannschaft geben kann. Und ich hoffe, dass das eine Sache ist, die der Trainerstab schätzt und braucht.

Deine Entwicklung der letzten Jahre ist sicherlich Anderen nicht verborgen geblieben – auch nicht die Tatsache, dass dein Vater aus Brasilien stammt. Hat der brasilianische Verband in der Vergangenheit mal bei dir angeklopft?

Ja. Das ist schon ein paar Jahre her, aber wir sind tatsächlich mal genau wegen dieses Themas im Dialog gewesen. Natürlich habe ich mir auch Gedanken darüber gemacht, was Pros und Contras sind. Brasilien hat schließlich auch eine gute Nationalmannschaft.

Am Ende des Tages spüre ich aber ein bisschen mehr Verbindung zum deutschen Basketball. Ich habe hier einige Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen und kenne die Spieler, bin in Deutschland aufgewachsen und habe hier gelebt. Auch nach der Zeit am College war ich noch einmal eineinhalb Jahre hier. Deswegen ist die Entscheidung am Ende des Tages auf Deutschland gefallen und ich bin sehr froh, dass ich hier dabei sein kann.

Dein jüngerer Bruder Tristan geht bald in sein letztes College-Jahr in Colorado. Habt ihr euch diesen Sommer gesehen? Was sagst du zu seinem Potenzial?

Ich glaube, er bringt sehr viel Potenzial mit. Er hat ein sehr starkes Jahr am College gespielt, hat einen guten Sommer gehabt mit ein paar NBA-Workouts und sah sehr gut in Form aus, als er in München war. Dort haben wir eine Woche lang gemeinsam in der IBAM beim dortigen Cheftrainer Robby Scheinberg trainiert. Unter ihm habe ich auch die NBBL durchlaufen. Tristan und ich haben dort auch zu zweit gearbeitet: Eins-gegen-eins gespielt, Individualtraining gemacht, an der Technik gearbeitet, also alles Mögliche.

Ich wünsche ihm natürlich genauso viel und noch mehr Erfolg für die kommende Saison. Und wenn er sich weiter so entwickelt, werden wir ihn bestimmt auch bald in den Reihen der Nationalmannschaft begrüßen dürfen.