Seiten aus dem Playbook: s.Oliver Würzburg unter Denis Wucherer

Denis Wucherer setzt bei s.Oliver Würzburg auf viele Ballhandler: Skyler Bowlin, Jordan Hulls oder Cameron Wells sowie Brad Lösing und Joshua Obiesie sollen kreieren. Folgender Spielzug besticht nicht nur damit, die vielen verschiedenen Ausstiege machen das Play zudem so schwer zu verteidigen.

„Wir werden in jedem Spiel in der Lage sein, 90 Punkte zu erzielen.“ Denis Wucherers Worte muten nach zwei Saisondritteln wie eine Übertreibung an. Denn s.Oliver Würzburg gelang eine solche Offensivleistung in nur drei ihrer 24 BBL-Spiele (inklusive Pokal). Immerhin knackten die Franken in den vergangenen acht Begegnungen im FIBA Europe Cup siebenmal jene Marke. Wucherers Aussage im basketball.de-Interview vor Saisonstart unterstreicht zumindest, wie viel Potential der Würzburger Coach in der Offensive seiner Mannschaft sieht.

Wie schon während seiner Amtszeit in Gießen setzt Wucherer in seinem Offensivsystem auf viele Ballhandler, Drei-Guard-Lineups finden sich immer wieder auf dem Hartholz. Dazu besitzt Xavier Cooks die Vielseitigkeit, auf der Vier das Pick-and-Roll als Ballführer mit dem Würzburger Center zu laufen, was für eine gegnerische Big-Men-Combo anspruchsvoll zu verteidigen ist.

„Ich habe lieber einen Ballhandler zu viel auf dem Feld als einen zu wenig. Das soll uns flexibel machen und weniger leicht auszurechnen. Wir haben mit Skyler Bowlin, Cameron Wells, Jordan Hulls und Brad Lösing vier Jungs, die klassisch die Eins spielen, aber zum Teil auch auf die Zwei rutschen können. Und dazu […] noch Xavier Cooks, der alles kann. Diese Philosophie hat in Gießen funktioniert. Ich glaube, hier kann es noch besser funktionieren, weil die Qualität der Spieler noch höher ist und wir noch mehr Schützen und Waffen auf dem Feld haben.“

In Wucherers Aufzählung fehlt ein weiterer Guard: Joshua Obiesie, dessen Dienste sich die Würzburger im Saisonverlauf sicherten, der aber weiterhin auch in der NBBL aufläuft. Der 18-Jährige passt mit seiner Größe in die Kategorie Combo-Guard, präsentiert sich athletisch und tritt für einen Nachwuchsspieler schon jetzt ungemein forsch auf. Damit hat Obiesie in Würzburg eingeschlagen und erweitert die Offensivoptionen.

Auch am Ende des folgenden Spielzugs übernimmt ein Ballhandler und soll in einem hohen Pick-and-Roll kreieren. Zuvor sind in jenem Play aber viele weitere Ausstiege möglich.

Center am Flügel, High Pick-and-Roll

Anhand der ersten Aktion folgenden Videos sei der Spielzug skizziert:

Cameron Wells (1) bringt den Ball. Gabriel Olaseni (5) rotiert aus der Zone heraus und wird von Wells am Flügel angespielt; Wells schneidet nach seinem Pass an Olaseni vorbei und orientiert sich in die Ecke.

Johannes Richter (4) stellt auf der Weakside einen Cross-Screen für Jordan Hulls (2), der durch die Zone schneidet. Damit finden sich auf einer Seite die drei Außenspieler: Neben Wells und Hulls auch Florian Koch (3). Olaseni passt auf die andere Seite zu Richter.

Koch löst die Überlagerung auf der einen Seite als erstes auf und cuttet durch die Zone. Wells macht für Hulls in der Ecke Platz, rotiert nach oben und nutzt einen Pin-Down von Olaseni, um angespielt zu werden. In der hier aufgeführten Aktion ist der Pass von Richter auf Wells nicht direkt möglich, über Olaseni findet das Spielgerät den Weg zu Wells.

Nun laufen Wells und Olaseni ein hohes Pick-and-Roll, Wells trifft den Midrange-Jumper über Oliver Mackeldanz.

Auch in den drei Aktionen des folgenden Videos suchen die Würzburger den Ausstieg aus dem Play, in dem es zu einem Pick-and-Roll zwischen dem Einser und dem Fünfer kommt.

In der ersten Sequenz gegen Braunschweig schließt Cameron Wells erneut per Midrange-Jumper ab. In den anderen beiden Aktionen sucht nicht der Ballhandler den Abschluss: Gegen Bremerhaven spielen die Würzburger den Extra-Pass; gegen Gießen liest Xavier Cooks gut das Geschehen auf der ballstarken Seite und dunkt nach seinem Cut hinter Verteidiger Larry Gordon.

Gegen Gießen laufen die Würzburger den Spielzug nach Cooks’ Dunk direkt noch einmal. Dabei kommt es gar nicht zu einem Pick-and-Roll zwischen Skyler Bowlin und Olaseni. Bowlins Verteidiger Alen Pjanic sinkt ab und bumpt den cuttenden Lösing, der von Brandon Thomas verteidigt wird. Wollen die 46ers switchen? Bowlin hat durch diese Frage oben viel Platz und nutzt den Off-Ball-Screen von Olaseni direkt, um nach dem Pass von Cooks abzudrücken – Bowlin trifft den Dreier trotz Foul.

Bisher hat immer jener Spieler das Pick-and-Roll gelaufen, der auch den Ball gebracht hatte – das ist aber nicht zwingend nötig. Durch die Überlagerung auf einer Seite finden sich dort zwei, wenn nicht sogar drei Ballhandler – so wie in folgender Aktion gegen den FC Bayern München mit Lösing, Hulls und Obiesie.

In dieser Sequenz bringt Lösing den Ball, kommt danach aber nicht wieder hoch; stattdessen cuttet Lösing nach Obiesie ebenfalls durch die Zone. So ist es Jordan Hulls, der im Play abschließend kreiert. Wie zuvor gegen Gießen kommt es auch hier nicht zu einem Pick-and-Roll; stattdessen rollt Gabriel Olaseni nach seinem Pin-Down für Hulls direkt zum Korb ab. Hulls kommt um Olasenis Block, erhält den Ball und bedient seinen Center per Bodenpass.

Früher Ausstieg: Cross-Screen durch die Zone

In ihrer dritten Possession der Partie gegen München zeigen die Würzburger, was für ein früher Ausstieg in diesem Play möglich ist. Nachdem Mike Morrison den Ball am Flügel erhalten hat, stellt Perry Ellis – der mittlerweile nicht mehr das Würzburger Trikot trägt – einen  guten Cross-Screen für Xavier Cooks, der damit frei unter dem Korb von Morrison bedient wird.

Nemanja Dangubic, Cooks‘ Verteidiger, spekuliert darauf, dass Cooks nach oben rotiert, ist dann überrascht von Cooks‘ Cut in die Zone und wird so von Ellis‘ Block getroffen.

Eine ähnliche Aktion ereignet sich im Duell mit Gießen. Hierbei nutzt Jordan Hulls gar nicht erst den Cross-Screen von Cooks, der hier auf der Vier aufläuft. Hulls täuscht den Cut nach oben an und schüttelt so seinen Verteidiger Jared Jordan ab.

Früher Ausstieg: Vierer am Flügel

Der Cross-Screen zu Beginn kann die gegnerische Verteidigung vor folgende Entscheidung stellen: Soll ballabseits geswitcht werden? In den beiden folgenden Aktionen hat deswegen der Würzburger Vierer nach dem Heraustreten an die Dreierlinie viel Platz.

In der ersten Aktion gegen Bremerhaven stellt dabei sogar Hulls, der eigentlich den Cross-Screen von Perry Ellis nutzen soll, einen Off-Ball-Screen für seinen Big Man – da Ellis‘ Verteidiger Jan Niklas Wimberg tief abgesunken war.

In der zweiten Sequenz gegen Frankfurt entledigt sich Florian Koch aus seiner Rolle als Stretch-Vierer, wirft nicht, sondern attackiert im Catch-and-Drive und schließt mit einem Dunk über Jonas Wohlfarth-Bottermann ab. Richtig gelesen, Koch schließt über WoBo ab.

Gegen den MBC hat Cooks nach dem Rotieren zur Dreierlinie ebenfalls viel Platz für den Dreier, den nimmt der Forward aber nicht. Stattdessen kommt es zu einem weiteren frühen Ausstieg: Skyler Bowlin hat den Spielzug auf der Weakside begonnen, löst als erstes die Überlagerung auf einer Seite auf und wird in der Zone von Cooks bedient.

Dabei implizieren Gabriel Olasenis Schritte nach unten und seine Blickrichtung einen Pin-Down, Bowlin schlägt aber einen Haken und hat sich so einen Vorteil gegenüber seinem Verteidiger David Brembly erspielt.

Anderer Ausstieg: Hand-Off des Centers

In den beiden folgenden Aktionen ist das Anspiel des Fünfers (jeweils Olaseni) auf den Vierer (Cooks) nicht möglich, die Überlagerung auf der einen Seite löst sich aber auf die gleiche Weise auf: der erste Ballhandler cuttet durch die Zone, der zweite – der auch den Ball gebracht hatte – kommt dann für den Hand-Off zu Olaseni. Sowohl Skyler Bowlin als auch Brad Lösing sind per Dreier erfolgreich.  

Randnotiz: Gegen Gießen laufen die Würzburger den gleichen Spielzug in drei aufeinanderfolgenden Possessions – und punkten stets daraus.

Veränderte Rotation: Wells im Post-up

In den bisherigen Aktionen stellte zu Beginn des Plays der Vierer einen Cross-Screen für seinen Mitspieler, der sich daraufhin zum Korb bzw. in die Zone orientierte. Im folgenden Video rotiert jener Würzburger stattdessen zum Fünfer an die Dreierlinie, um per Hand-off den Ball zu übernehmen.

In beiden Aktionen des folgenden Videos wollen die Würzburger damit eine Stärke eines ihrer Ballhandler ausnutzen: Cameron Wells fühlt sich mit seiner kräftigen Statur auch am Zonenrand wohl.

Kleine Stichprobe, wenige Possessions – dennoch: Cameron Wells fühlt sich am Zonenrand wohl und scheint dort, wie ballabseits, effizienter zu punkten.

Einmal schließt Wells daraus selbst ab, einmal gibt er per Kickout den Passgeber aus dem Post.

Ein Spielzug, bis zu fünf verschiedene Ausstiege, dazu eine Adaption mit veränderter Rotation: Wucherer zeigt mit diesem Play, wie facettenreich sein Playbook sein kann und wie sehr die einzelnen Stärke seiner Spieler dabei zum Tragen kommen. Auch schneidet der Spielzug die Variabilität der Mannschaft an, groß (mit Cooks auf der Vier) oder klein (drei Ballhandler, Cooks oder Koch auf der Vier) zu gehen.

Cooks muss als einer der interessantesten, da vielseitigsten Spieler der BBL gelten, der in zwei Jahren auch in einer NBA-Rotation stehen könnte.

Bislang haben die Franken mehr mit ihrer (switch-intensiven) Verteidigung überzeugt, doch Wucherers Offensivsystem lässt erahnen, warum man seine Teams in Gießen während der Trinchieri-Jahre schon als „Light-Version Bambergs“ bezeichnen konnte.


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