Das Leben des Yannick Anzuluni
Yannick Anzuluni beendet seine Karriere als Profibasketballer. Mit 13 Jahren brachte er sich das Basketballspielen selbst bei. In neun Jahren als Profi entwickelte sich der gebürtige Kongolese zu einem vielseitigen Führungsspieler. Am Ende seiner Laufbahn stehen fast 300 Pflichtspiele mit über 4.500 Punkten in seiner Vita. In dieser Geschichte geht es um Anzuluni, seinen persönlichen Werdegang, Höhen und Tiefen in seinem Leben und Parallelen zu seinem letzten Club, den Rostock Seawolves.
Ein letztes Ausrufezeichen
Die letzten Punkte in der Karriere des Mletshi Yannick Anzuluni, geboren am 21. August 1987 im krisengeschüttelten Kinshasa im Herzen Afrikas, waren kraftvoll und voller Dynamik. Mit hohem Tempo sprintet Anzuluni auf dem rechten Flügel, bekommt den Ball im richtigen Moment zugespielt. Ohne zu Dribbeln hebt er direkt ab und hämmert das orangefarbene Leder in den Korb. Während die knapp 3.500 Zuschauer in der Arena toben, bleibt Anzuluni gelassen, ruht in sich selbst, trabt zurück in die Verteidigung. Er weiß, dass mit diesem offensiven Ausrufezeichen nur ein kleiner Schritt getan ist auf dem Weg zum möglichen Sieg. Er weiß nicht, dass dieser Dunk, der die Zuschauer in Rostock von den Sitzen gerissen hat, die letzten Punkte seiner mannigfaltigen Karriere sind.
Es ist der 15. April 2019. Die Rostock Seawolves spielen in den Playoffs der BARMER 2. Basketball Bundesliga ProA gegen die Hamburg Towers. Es ist das vierte Spiel der Viertelfinalserie, die Gäste führen mit 2-1. Das Team, das zuerst drei Siege feiert, erreicht die nächste Runde. Ein hochklassiges Nordderby scheint in einer dramatischen Schlussphase zu münden. Die beiden Zähler Anzulunis bedeuten das 81:77 für die Hausherren, die nach einem 8:0-Lauf das Momentum auf ihrer Seite wissen. 3:37 Minuten sind zu diesem Zeitpunkt noch auf der Uhr. Nach einer Auszeit kippt das Spiel. Die letzten Minuten gehören den Hamburg Towers, die 14 der letzten 18 Zähler für sich verbuchen und ins Halbfinale einziehen. Für Yannick Anzuluni endet an diesem Montagabend eine beeindruckende Karriere. Als Autodidakt. Als Weltenbummler. Als Leistungsträger. Als Führungsspieler. Als Vorbild. Als Entertainer. Als Basketballprofi. Als Mensch.
Bewegende Biografie
Zwei Tage danach trägt Yannick Anzuluni keine Sportkleidung, er ist elegant gekleidet mit beiger Hose und hellem Pullover. Im Gespräch mit dem 2,06 Meter großen Athleten wechseln sich Ernsthaftigkeit und Verschmitztheit, je nach Frage und Thema, ab. Anzuluni weiß, wann er welche Seite zeigen muss. Er hat Humor und Witz. Er hört zu, ist fokussiert, spricht Klartext. In seiner Laufbahn hat man ihm viele Fragen gestellt, er hat viele Antworten geben müssen. Es ging dabei um Basketball, aber vor allem um seine Biografie, die ihn geprägt hat, bevor er Basketball zu seinem Beruf gemacht hat. In seinen 31 Jahren hat Anzuluni viel erlebt. Mehr, als manche Menschen in einem ganzen Leben.
Yannick Anzuluni erblickt in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo das Licht der Welt, verbringt seine Kindheit in Belgien, ehe er und seine Familie Mitte der 1990er Jahre nach Zentralafrika zurückkehren. Wenn er beginnt von der Zeit im Kongo zu erzählen, wie er und seine 13 Geschwister nachts, nur im Pyjama gekleidet, mit dem Flugzeug vom Bürgerkrieg im Kongo fliehen, liegen Ernst und Härte in seiner Stimme. Ein brisantes Thema. Ein Thema, das er viel zu oft replizieren musste. Es sind diese Geschichten, die bei Sportlern nicht im Vordergrund stehen. Im Profisport zählen nur Leistung und Erfolg; es sind diese Geschichten, die nur das Leben schreiben kann. Die Antworten klingen einstudiert, wie die Routine beim Werfen: zig-fach wiederholt.
Anzuluni ist zehn Jahre alt, als er mit seiner Mutter und seinen 13 Geschwistern flüchten muss. In Toronto beginnt sein neues Leben abseits von Korruption, Elend und Tortur. Es ist der Beginn einer Reise, die ihn ans College in New York, in die kanadische Profiliga nach Quebec, zu zwei Workouts bei den NBA-Teams in Sacramento und Phoenix, nach China, Deutschland und Skandinavien führt. Bis er sich entschließt, das letzte Kapitel seiner Reise als Profibasketballer in Rostock zu schreiben.
Die letzte Saison als Profi
Bevor die Saison 2018/2019 beginnt, steht für Anzuluni fest, dass es sein letztes Jahr als Profi sein wird. „In meinem letzten Jahr in Schweden wusste ich, dass ich höchstens noch eine Saison spielen werde. Damals habe ich schon mit dem Gedanken gespielt. In Schweden habe ich die Meisterschaft gewonnen. Ein Jahr später wurden wir Vizemeister und dann stand fest, dass mein letztes Jahr gekommen war.“ Trotz vieler Angebote entscheidet sich Anzuluni, das letzte Kapitel seiner Karriere in Rostock zu verbringen. „In meinem letzten Jahr wollte ich dort spielen, wo ich die Menschen kenne und mich wohlfühle. Die Wahl war einfach; sie fiel auf Rostock.“
Im August 2018 wartet die alljährliche Routine auf ihn, mit Saisonvorbereitung, unzähligen Sprint-, Athletik- und Wurfeinheiten, dem Kennenlernen neuer Mitspieler und Coaches, dem Aneinandergewöhnen auf und abseits des Parketts, dem Einüben von Spielsystemen, dann dem Alltag während der Saison mit Training, Reisen und Spielen. Yannick Anzuluni kennt die Abläufe aus dem Effeff; er weiß, wann sein Einsatz ist. Wenn seine Teamkollegen sich vor dem Training einwerfen, weilt Anzuluni am Rand und begibt sich erst zum Huddle – dem Einschwörungsknäuel, bei dem das Team die Hände aufeinanderlegt und es mit einem gemeinsamen Schlachtruf auflöst –, wenn der Trainer pfeift. Anzuluni spart seine Kräfte, wo und wann er kann, damit er da ist, wenn er gebraucht wird.
Gegen Hanau und in Hagen trägt er das Team auf seine breiten Schultern, auch gegen Kirchheim und Tübingen stellt er unter Beweis, dass er Spiele im Alleingang entscheiden kann. Mit Ehrgeiz, Spielwitz und Willenskraft. Wie er es in den letzten neun Jahren immer wieder unter Beweis gestellt hat.
Anzuluni, der Autodidakt
Als die Erinnerungen am Horizont seiner Karriere vorbeiziehen, hält Anzuluni eine Weile inne. Er berichtet von dem Schlüsselereignis in Toronto, wie seine persönliche Geschichte mit dem Basketball beginnt. „Ich war 13 Jahre alt. Mein Bruder und ich spielten Fußball, sprachen nur Französisch und waren als Schwarze fremd in einem anderen Land mit einer anderen Kultur. Alles war neu. Wir kannten nur Fußball. Auf einem Freiplatz in Toronto spielten Jugendliche Basketball. Wir wollten mit ihnen spielen und Freunde finden, aber sie haben sich über uns lustig gemacht. Das war schrecklich für mich. Wir kamen aus Afrika und hatten noch nie etwas von Basketball gehört, immer nur Fußball. In den nächsten zwei Monaten, bevor ich zur Highschool kam, stand ich jeden Morgen um 6 Uhr auf und übte. Ich hatte keinen Trainer, habe mir alles selbst beigebracht. Ich habe Videos von Allen Iverson und Kobe Bryant studiert und ihre Bewegungen und Dribbling nachgeahmt. Ich wusste weder was Basketball war noch was ich tat, aber ich wurde immer besser. Nach zwei Monaten habe ich wieder gegen die Teenager auf dem Freiplatz gespielt – und sie in Grund und Boden gespielt. Dieses Gefühl war großartig, dieses Gefühl hat mich meine ganze Karriere über angetrieben.“
Diese Situation ist für Anzuluni, den Autodidakten, der Startschuss in einen neuen Lebensabschnitt. Schulen streiten sich um den jungen Afrikaner, der sich die Kunst und das Können des Korbsports selbst beigebracht hat und rückblickend einräumt, dass er selbst nicht gewusst hat, wie er den Sport mit dem Ball und dem Ring zu beherrschen lernte. Es funktionierte, er hatte Erfolg. Und das – erstaunlicherweise – ohne große körperliche Vorteile. „In meinem ersten Jahr an der Universität, ich war 18 Jahre alt, war ich 1,86 Meter groß. Das war im August 2006. Im Sommer 2007 kam ich nach Hause und meine Familie erkannte mich fast nicht: Ich war gewachsen auf 2,06 Meter. Vor Beginn der Uni war ich ein kleiner Guard, der Allen Iverson und seine Crossover-Dribblings kopierte.“ Diesen Wachstumsschub kann Anzuluni sich bis heute nicht erklären, denn in seiner Familie misst niemand mehr als 1,80 Meter. Keiner seiner sieben Brüder, keine seiner sechs Schwestern. „Wenn man meine Familie sieht, tanze ich komplett aus der Reihe. Meine Mutter ist 1,58 Meter, mein Vater 1,62 Meter groß. Das ist unglaublich. Ich bin davon überzeugt, dass ich Basketballspieler werden sollte“, grinst Anzuluni und antwortet auf die Frage, ob er an Schicksal glaube: „Ja, absolut. Warum bin ich sonst über zwei Meter groß geworden?“
Keine Karriere in der Politik
Am Houghton College im US-Bundesstaat New York studiert Anzuluni Politikwissenschaften. Wie seine 13 Geschwister, die heute entweder in der Politik, als Anwalt oder in der Verwaltung arbeiten und wie es sein politisch engagierter Vater gefordert hat. Er war in den 1990er Jahren Vizepräsident im Kongo.
In vielen Interviews während seiner Karriere gibt Anzuluni zu Protokoll, dass er nach seiner Laufbahn als Basketballprofi auch in der Politik arbeiten will. Doch Zeiten und Ansichten ändern sich. „Die Wahrheit ist, dass ich Politik hasse. Als ich aufwuchs, habe ich mitbekommen, wie Politik funktioniert. Das ist schrecklich“, betont Anzuluni und sagt voller Überzeugung: „Mein ultimativer Wunsch ist es, mit Einwanderern zu arbeiten und ihnen zu helfen. Die Flüchtlingskrise beherrscht Europa.“ Jemand, der selbst als Zehnjähriger vor dem Bürgerkrieg in ein fremdes Land geflohen ist, weiß um die Ängste und Nöte der Betroffenen, von jetzt auf gleich die Heimat verlassen zu müssen und in eine unbekannte Zukunft aufzubrechen.
Anzuluni, der Weltenbummler
Anzuluni ist es gelungen, die Aufgaben des Lebens zu meistern, die Hürden zu überwinden und mit Rückschlägen umzugehen. Seine sportliche Laufbahn wirkt wie eine Parabel. Anzuluni, der Weltenbummler.
Nach dem College, zwei Jahren in der kanadischen Profiliga, die er in Quebec verbringt, und gescheiterten NBA Workouts bei den Phoenix Suns und Sacramento Kings („Ich war nicht bereit dafür“) sowie einem kurzen Gastspiel in China schlägt ihm sein Agent einen Karriereplan vor. Jeder Schritt ist durchdacht, jede Station geplant. Die Entwicklungsstufen gleichen einer Evolution. Es ist die Schritt-für-Schritt-Anleitung eines Wettkämpfers. Anzuluni soll sich durchschlagen und sich bis an die Spitze kämpfen. „Mein Agent sagte mir damals, dass mir eine lange Karriere in Europa bevorstehen könnte, weil er meine Einstellung kannte und wusste, was mich antrieb. Er wollte, dass ich es versuche, allerdings von ganz unten. Irgendwann würde ich ganz oben mitspielen.“
Die erste Station in Europa ist in der Regionalliga in Magdeburg. Für Hagen kommt er nur vier Jahre später in der 1. Liga zum Einsatz. In Schweden gewinnt er mit Luleå die Meisterschaft und schafft mit seinem Team den Sprung in die Basketball Champions League, einem Europapokalwettbewerb. „Das war mit Abstand die beste Saison meiner Karriere. Wir haben 22 Spiele zu Hause gewonnen und die Meisterschaft mit Luleå geholt. Es war das beste Team, in dem ich je gespielt habe,“ erinnert er sich an die Saison 2016/2017. Seine Worte sind voller Stolz. Man erkennt den Hunger, der ihn antreibt. „Ich hatte immer schon diese Underdog-Mentalität. Ich wollte es immer allen beweisen und das nächste Level erreichen. Ich habe in der Regionalliga begonnen und es bis zu einem BBL-Team und in ein Europapokal-Team geschafft. Das zeigt meinen Ehrgeiz. Wer hätte das 2012 gedacht, als ich in Magdeburg begonnen habe?“
Anzuluni, der Anführer
Zwischen den Stationen Magdeburg und Luleå schlägt Anzuluni seine Zelte auch in Finnland (Tampere), Rostock und Umeå (Schweden) auf. Er entwickelt sich zum Anführer, der Spaß am Spiel hat. Anzuluni wird mehr und mehr der Führungsspieler.
Nach dem Aufstieg der Rostock Seawolves von der Regionalliga in der dritthöchste deutsche Spielklasse ProB ist Anzuluni in der Saison 2014/2015 der neue Superstar in der Hansestadt. In seinem ersten Auftritt für die Wölfe spielt er sich direkt in die Herzen der Fans. Beim Jubiläumsspiel zum 20. Vereinsgeburtstag dauert es nur wenige Sekunden, bis er seine ersten Punkte für die Rostocker erzielt: Nach einem Ballgewinn dunkt er den Ball kraftvoll in den Korb. Mit dieser Leichtigkeit trägt er die Seawolves durch die Saison. Er führt das Team in unzähligen statistischen Kategorien an und bis ins Halbfinale der Playoffs.
Als Anzuluni vier Jahre später erneut in Rostock anheuert, ist er nicht mehr der Star im Team. Die Verantwortung ist auf vielen Schultern verteilt, dennoch bleibt Anzuluni der Spieler mit den meisten Rostocker Minuten, bester Rebounder und zweitbester Punktesammler.
Das Geheimnis mit seinen Trikotnummern
In seinem zweiten Jahr in Rostock entscheidet er sich für die Trikotnummer 20. „Ich habe jedem gesagt, dass ich letzte Saison die Nummer 20 wegen Jens (Hakanowitz, Manager) gewählt habe, doch die Wahrheit ist, dass ich vor der Saison Videos von Allan Houston, einem der besten Werfer aller Zeiten, und Manu Ginóbili von den San Antonio Spurs geschaut habe.“ Und so lüftet er das Geheimnis seiner Trikotnummernwahl. Als er in der Saison 2014/2015 nach Rostock wechselt, wählt er die Trikotnummer 23 zu Ehren von Michael Jordan, dem wohl besten Basketballer aller Zeiten. „In jenem Sommer habe ich viele Jordan-Videos geschaut. Ich habe meine Trikotnummern immer nach den Spielern gewählt, die ich im Sommer studiert habe“, erklärt er. In Magdeburg ist es die Nummer acht gewesen – der ersten Nummer von Lakers-Superstar Kobe Bryant in der NBA. In Hagen war es die Sieben wegen Lamar Odom, einem vielseitigen NBA-Spieler, der unter anderem für die Los Angeles Lakers spielte.
Harte Zeit in Hagen
Doch in Hagen bekam er vor der Saison 2016/2017 kaum einen Fuß aufs Parkett. Ehe er sich an Umfeld und Team gewöhnen kann, stehen die Zeichen bereits wieder auf Abschied. „Die ganze Situation in Hagen war schrecklich. Es war das einzige Mal in meiner Karriere, dass ich anfing, Basketball zu hassen und alles in Frage stellte. Ich habe mich damals nicht wohlgefühlt. Der Coach und ich konnten uns nicht in die Augen schauen. Es hat einfach nicht funktioniert. Als feststand, dass ich Hagen verlasse, habe ich mich drei Tage verkrochen und die alte Kobe-Bryant-Dokumentation, die ich damals in Toronto als 13-Jähriger studiert hatte, wieder und wieder angeschaut. Die Situation in Hagen war die schlimmste Erfahrung meiner Karriere. Daraufhin bin ich nach Schweden gewechselt. Und das entpuppte sich als die beste Entscheidung meiner Karriere. Wir haben dann die Meisterschaft gewonnen und ich habe die Liebe meines Lebens kennengelernt. Das Verrückte war, dass mich der Coach von Luleå als Schlüsselspieler in seinem Team haben und um die Meisterschaft spielen wollte. Das werde ich nicht vergessen. Die Herausforderung habe ich natürlich angenommen – und gemeistert.“
Als Anzulunis letzte Spielzeit anbricht, studiert er den Spielplan. Die nächste Herausforderung wartet. „Vor der Saison in Rostock habe ich auf den Kalender geschaut und mir das Spiel in Hagen notiert. Ich wollte den Fans dort zeigen, dass ich Basketballspielen kann. Ich habe dieses Spiel persönlich genommen. Als ich nach Rostock kam, wollte ich der Mannschaft als Teamplayer helfen, aber in Hagen ging es nur um mich. Ich wollte den Fans dort zeigen, dass ich der beste Spieler bin und mich niemand aufhalten kann. Das war mein bestes Spiel der Saison, weil ich wusste, dass mich niemand würde aufhalten können.“
Vom niedlichen Mädchen zum Top-Model
Wenn Anzuluni über seine Karriere spricht, wechseln sich Demut und Erleichterung ab. Der Hunger, besser zu werden, ein Ziel zu verfolgen und zu erreichen, wird ihm fehlen. Er wird sich neuen Herausforderungen stellen. Keinesfalls vermissen wird er das tägliche Training. Dafür wird er die Fans vermissen und das Spiel. Auch deshalb hat er Rostock als letzte Station in seiner Karriere gewählt.
„Es klingt verrückt, aber ich sehe zwischen meiner Entwicklung und der Entwicklung des Rostocker Basketballs viele Parallelen. Als ich vor vier Jahren hier war, waren die Seawolves dieses aufstrebende Team, das sich einen Namen in Basketballdeutschland machen wollte. So war es auch bei mir. Ich wollte es allen zeigen. Vier Jahre später haben wir es beide geschafft. Ich habe Titel gewonnen und mir als Spieler einen Namen gemacht. Die Seawolves sind in die ProA aufgestiegen. Diese Entwicklung ist verrückt. Wie ich als Basketballspieler wuchs, so wuchsen auch die Seawolves als Organisation. Von der OSPA Arena in die Stadthalle. Alles hat sich entwickelt. Die Seawolves haben sich vom niedlichen Mädchen zum Top-Model gemausert“, flachst Anzuluni. „So ist es auch mit den Fans, die ihr Team wirklich lieben und hinter ihm stehen.“
Ein neues Kapitel in Schweden
Wenige Tage nach dem Gespräch für diese Geschichte verlässt Yannick Anzuluni Deutschland in Richtung Schweden. In Stockholm wird er mit seiner Freundin Josefine in einen neuen Lebensabschnitt starten. In den nächsten vier Monaten will er einen Schwedisch-Kurs besuchen. Wenn seine Freundin ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hat, werden sie entscheiden, in welchem Teil der Welt sie sich niederlassen werden. Anzuluni zählt die Länder, die er schon bereist hat: Es sind 54. Er hat viel von der Welt gesehen, auch das wird sie beeinflussen. Entscheidend bei der Wahl der neuen Heimat wird dabei auch sein, wie tolerant die Menschen sind, die dort leben, denn Rassismus war in Anzulunis Karriere ein ständiger Begleiter. Während der Saison haben die Menschen eher „Yannick, den Basketballprofi“ gesehen, aber im Urlaub in Frankreich oder Italien – erinnert er sich – sind die Blicke abwertend und befremdlich gewesen. „In Italien haben sie mit dem Finger auf mich gezeigt. Das war schlimm. Am schlimmsten war es aber in Finnland. Das war unglaublich. Im Bus wollten Weiße nicht neben Schwarzen sitzen. Wir werden dahin gehen, wo wir nicht schief angeschaut werden.“
In seinem neuen Kapitel spielen auch Kinder eine Rolle, die aber „auf keinen Fall Basketball spielen sollen“. Sie können Tennis, Volleyball, Fußball, was auch immer spielen, aber kein Basketball – es sei denn, sie finden selbst Gefallen daran. Anzuluni selbst will in seiner Freizeit Fußball spielen. Vielleicht in einem kleinen Verein, um Spaß zu haben und seiner frühen Leidenschaft nachzugehen. „Ich liebe Fußball und denke, dass ich ein viel besserer Fußballer bin als Basketballer.“ Diese neuen Ziele werden ihm helfen zu verarbeiten, die Profikarriere als Basketballer hinter ihm zu lassen: „Ich denke, dass ich erst im August verstehe, dass es nun endgültig mit Basketball vorbei ist. Dann wird es kein neues Team geben, keine neue Saison. Nach dem Aus gegen Hamburg war es wie in den letzten Jahren auch: Die Saison ist vorbei, der Sommer kommt.“
Überraschend ist die Antwort auf die Frage, was er sich nach seiner Karriere vorgenommen hat: „Ich habe noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken. Das steht nun auf meiner Liste, bisher habe ich mich noch nicht überwinden können.“
„Ich habe jede Minute genossen“
Nach einer Stunde endet das Gespräch. Anzuluni weiß, dass es vermutlich sein letztes Interview war, das er in seiner langen Basketball-Karriere gegeben hat. Es war offen, ehrlich und tiefgründig. Ein letztes Mal hält er inne und nimmt dann Abschied: „Es hat Spaß gemacht. Ich habe jede Minute genossen. Ich liebe Rostock und die Menschen, die hier leben. Ich hätte mir keinen besseren Ort aussuchen können, um meine Karriere zu beenden. Die Saison hat sehr viel Spaß gemacht. Eines Tages werde ich zurückkommen, um Rostock gegen Alba Berlin im Kampf um die Meisterschaft zu sehen.“
Yannick Anzuluni startet in ein Leben nach dem Basketball. In ein Leben, das von seinen Erfahrungen geprägt ist. Diese Geschehnisse könnten irgendwann in einem Buch über das Leben Yannick Anzulunis nachzulesen sein. „Ich arbeite mit meinen Schwestern daran. Nun, nach meinem Karriereende, kann ich mich besser darauf konzentrieren.“ Dann wird nicht der Sportler im Vordergrund stehen, sondern Yannick Anzuluni als politischer Flüchtling, als Weltenbummler, als Aufklärer, als Vorbild. Als Mensch.