Konrad Wysocki: Vom Architekt zum Basketballer… und zurück
Konrad Wysocki wollte mit 22 Jahren als Architekt ins Berufsleben einsteigen. 15 Jahre später blickt er auf eine Basketballkarriere zurück, die rasant Fahrt aufgenommen und mit einem Olympia-Auftritt ihren Höhepunkt hatte. Nun beendet der Forward bei den HAKRO Merlins Crailsheim seine Karriere.
Abstieg oder Klassenerhalt.
Die HAKRO Merlins Crailsheim befinden sich zwei Spieltage vor BBL-Hauptrundenende in diesem binären System des Profisports – und sehen sich mit einer äußerst schwierigen Ausgangslage konfrontiert: Mit einer Bilanz von 7-25 rangieren die Merlins auf einem Abstiegsrang, ein Spiel hinter den Eisbären Bremerhaven, zwei Spiele hinter dem Mitteldeutschen BC. Gegen beide Teams haben die Crailsheimer den direkten Vergleich verloren. Die „einfachste Rechnung“ für den Verbleib in der ersten Liga: zwei Crailsheimer Siege in Jena und gegen Oldenburg, zwei Bremerhavener Niederlagen in Berlin und beim MBC.
Während die kommenden beiden Partien die vorerst letzten Auftritte Crailsheims in der deutschen Beletage sein könnten, ist schon jetzt sicher, dass es die beiden letzten Auftritte von Konrad Wysocki sein werden – für immer auf dem Profiparkett. Denn der 37-Jährige wird seine Karriere beenden.
Eine Karriere, für die viele Profisportler Wysocki beneiden werden – nahm der Forward doch 2008 an den Olympischen Spielen teil. Eine Karriere, die wahnsinnig schnell Fahrt aufnahm – spielte er gut zweieinhalb Jahre vor seinem Olympia-Auftritt in Peking noch in der zweiten Liga. Eine Karriere, die eigentlich nur begann, weil das US-Kontingent an Arbeitsvisen für ausländische Staatsbürger ausgeschöpft war.
„Meine basketballerischen Leistungen litten unter meinem Studium – ich musste eine Entscheidung treffen“
Basketball oder Architektur?
Eigentlich stellt sich die Frage für Konrad Wysocki im Jahr 2004 gar nicht. Der damals 22-Jährige absolviert sein Senior-Jahr an der Princeton University. Mit 6,2 Punkten in 21,1 Minuten pro Spiel in seiner College-Laufbahn ist Wysocki zwar eine Stütze der Tigers, steht aber vor dem Abschluss seines Architekturstudiums – das ihn „enorm viel Kraft und Energie gekostet hat“, wie Wysocki zurückblickt. „Ich hatte mich von meinem Coach aber nicht verstanden gefühlt. Wir hatten sehr viele Gespräche, auch ein wenig Streit. Meine basketballerischen Leistungen litten ein wenig darunter, sodass ich irgendwann eine Entscheidung treffen musste: Fahre ich weiter zweigleisig?“
Wysocki entscheidet sich für das Studium und gegen den Basketball. In einem offenen Brief prangert er die „unfaire und respektlose Behandlung“ des Trainerstabs an. Wysocki absolviert in seinem letzten College-Jahr nur zehn Spiele für Princeton. „Letztlich war es kein großer Akt: Es war zum Ende der Saison, und die Mannschaft hat es trotzdem noch zum NCAA-Turnier geschafft“, macht Wysocki nunmehr kein großes Aufsehen um das vorzeitige Ende seiner Basketball-College-Laufbahn. Die Tigers sollten sich danach erst sieben Jahre später wieder für das NCAA Tournament qualifizieren, Wysocki hatte persönlich hingegen einen großen Karrieresprung vor Augen.
Er erhält damals ein Job-Angebot als Architekt in Florida und soll dort auch direkt anfangen zu arbeiten. Doch für ausländische Staatsbürger steht in den USA nur ein begrenztes Kontingent an Arbeitsvisen zur Verfügung. Im Sommer 2004 erhält Wysocki keines mehr. Er muss damit noch ein ganzes Jahr warten, doch die Stelle bleibt für ihn frei. Deshalb geht Wysocki vorerst wieder zurück nach Deutschland.
„Ich wusste nichts mit mir anzufangen, habe wieder Basketball gespielt – und Blut geleckt“
„Ich wusste hier aber nichts mit mir anzufangen. Dann habe ich wieder angefangen, Basketball zu spielen – und Blut geleckt. Professionell Basketball zu spielen war toller, als ich gedacht hatte“, blickt Wysocki zurück. Sein Ehrgeiz, wie weit er es denn schaffen könne, bringt ihn in der zweiten Liga von Düsseldorf über Göttingen nach Ehingen, wo er im Lauf der Saison 2005/06 schließlich nach Ulm wechselt.
„Es ging dann alles ganz rasant: von Ehingen nach Ulm gewechselt, mit Ulm aufgestiegen, mit Ulm in der ersten Liga gespielt, in die Nationalmannschaft berufen worden, und dann zu Olympia – bumm!“, geht Wysocki durch seinen Karriereweg innerhalb von zweieinhalb Jahren. In der Saison 2007/08 erzielt Wysocki durchschnittlich 13,1 Punkte und 7,8 Rebounds – immer noch persönliche BBL-Karrierebestwerte für den Forward. Damals wird Wysocki zudem noch zum All-Star ernannt.
„Es ist alles so schnell passiert, diese Erfahrung habe ich vor allem bei Olympia gemacht: Wir waren nach der erfolgreichen Qualifikation auf einmal da, haben unsere Spiele absolviert, und dann war es wieder vorbei. Wie ein kleiner Augenblick, der kommt und gleich wieder vergeht. Als mich Leute gefragt haben, was ich alles erlebt habe und was mir im Kopf hängen geblieben sei, habe ich ein paar Sachen aufgezählt – hatte aber immer dieses Gefühl: ,Man hätte es mehr genießen können.’“
„Ich habe gelernt, jeden Moment auszukosten“
Es liegt vielleicht auch am Alter und an der Erfahrung, aber Wysocki hat mittlerweile „gelernt, ein wenig die Bremse anzuziehen und jeden Moment auszukosten.“ So geht es in seinen letzten Spielen darum, noch einmal alles aufzusaugen – was für Wysocki während den Spielervorstellungen vor dem Tip-Off zu einem Ritual geworden ist. Lichter aus, Sinne an.
„Zu jeder Halle gibt es eine kleine Anekdote“, fährt Wysocki fort. Wie an die Bamberger BROSE ARENA, in der Wysocki mit den Merlins am 14. April ein letztes Mal aufgelaufen war. „Mit Oldenburg haben wir 2013 die Finals gegen Bamberg gespielt. Es war ein Finale, das sehr deutlich war, aber auch sehr eng: Wir haben 3-0 nach Spielen verloren, aber die Differenz der Partien nach regulärer Spielzeit zusammengenommen betrug nur vier Punkte“, erinnert sich Wysocki, an der Meisterschaft gekratzt zu haben.
Damals stand Wysocki in einem Team mit Rickey Paulding, welcher verletzungsbedingt ausgerechnet das dritte Finalspiel verpasst hatte. Mit Nowitzki bei Olympia, mit Paulding in der BBL: Damit hatte Wysocki das Vergnügen, mit zwei der Größten des deutschen Basketballs zusammenzuspielen. Zwei Akteure, die trotz ihrer sportlichen Höchstleistungen – ob in der NBA und bei der Nationalmannschaft oder in der BBL – extrem geerdet geblieben sind.
„Er ist der netteste und coolste Typ, den man sich vorstellen kann: total bodenständig, er macht alles für seine Familie“, beschreibt Wysocki seinen ehemaligen Mitspieler Paulding. „Er ist super professionell. Er beschwert sich nie, ist ruhig und macht jedes Jahr seinen Job. Obwohl er mittlerweile auch zum etwas älteren Eisen gehört – er ist ja mein Jahrgang –, bringt er immer noch seine Leistung. Wenn er dann doch mal sauer ist, fliegt er durch die Lüfte und stopft immer noch einen links und rechts ein. Das ist verrückt…“
Paulding, der „GOAT“ der Basketball-Bundesliga? „Ob er wirklich ,Greatest Of All Time’ ist, weiß ich nicht. Aber ihm gebührt jeglicher Respekt, den es nur gibt – allein für einen so langen Zeitraum für eine Mannschaft zu spielen. Ich glaube, er war nie dem Geld oder Ruhm hinterher. Er hat vielmehr geschaut, dass es seiner Familie gut geht und dass sie sich wohlfühlen. Das tun sie in Oldenburg. Ich mag Rickey unheimlich gerne und freue mich auf das letzte Spiel, wenn es ausgerechnet gegen Oldenburg geht.“
„Lasst mich in Ruhe mit diesem Basketball, ich habe heute meinen freien Tag“
Ob Nowitzki oder Paulding, eine derartige Loyalität im Profisport ist selten. In einem System von Ein-Jahres-Verträgen, wie es für viele ausländische Akteure in der BBL der Fall ist, aber auch schwer zu bewerkstelligen. So ist sich Wysocki auch den Mechanismen des Sports bewusst – welche er wohl weniger vermissen wird:
„Ich freue mich darauf, ein Zuhause zu haben und dort Freundschaften aufzubauen – wo man genau weiß, die Leute sind nächstes Jahr auch noch hier. Das hatte ich bisher recht selten. Denn wie lange ist denn jemand dein Teammate? Ein, zwei Jahre – dann zieht man weiter. Vielleicht hat man danach noch ein oder zwei Jahre Kontakt, doch irgendwann verliert man sich ein wenig aus den Augen und spricht nur noch auf WhatsApp oder Instagram oder Facebook… So ein Basketballerleben ist nicht immer vorteilhaft.“
Das Basketballerleben Wysockis hat sich derweil nicht sehr klischeehaft gestaltet – in dem Sinn, dass er nur das orangefarbene Leder im Kopf hat. Im Gegenteil: „Wenn es darum geht, Basketball zu verfolgen oder zu schauen, bin ich der allerletzte, der einschaltet. Wenn man mich fragt: Spielt Shaquille O’Neal noch bei den Orlando Magic, und Michael Jordan noch für die Bulls? Das ist der Stand, bei dem ich damals stehengeblieben bin“, scherzt Wysocki über sein fehlendes Interesse am Basketball – wenn es nicht um das eigene Spiel geht.
„Wenn wir am Samstag ein Spiel hatten und die Jungs in unserem Gruppenchat am Sonntag schreiben: ,Hey, habt ihr das Spiel gesehen?!’, ist mein Kommentar meistens: ,Lasst mich in Ruhe mit diesem Basketball, ich habe heute meinen freien Tag.’ (lacht) Wir verbringen einfach so viel Zeit in der Halle. Ich liebe es, andere Sachen zu machen, und investiere meine Zeit damit, meinen Horizont zu erweitern. Ich würde am liebsten von allem auf der Welt ein bisschen wissen.“
Basketball oder… so viel mehr.
Diesen Wissensdurst dürfte Wysocki nun auch wieder durch die Beschäftigung mit der Architektur stillen. Womit sich ein wenig der Kreis zum Jahr 2004 schließt, als Wysocki vor der Entscheidung stand: Basketball oder Architektur. Das Jobangebot aus Florida habe Wysocki zudem noch im Hinterkopf, „irgendwie zieht es mich immer noch in die USA.“
Während die Kinder der Familie Wysocki in der Schule sind und hier aufwachsen, bleibe der Lebensmittelpunkt jedoch in Deutschland. Aber immer mal wieder einen Tapetenwechsel vorzunehmen und neue Herausforderung zu suchen, das sporne Wysocki an. „Mich hält es selten für eine längere Zeit an einem Ort. Mittlerweile bin ich durch und durch Basketballer“. Und so lautet die Frage auch nicht mehr, Basketball oder Architektur, im Leben des Konrad Wysocki ist es vielmehr Architektur undBasketball.