Uli Sledz: „Um das zu erreichen, reicht kein Vier-Tage-Turnier“

Uli Sledz hat alle Spiele des BBL-Final-Turniers mit den teilnehmenden Schiedsrichtern ausgewertet. Im Interview mit basketball.de teilt er seine Erfahrungen.

basketball.de: Du hast alle 35 Spiele beim easyCredit BBL-Final-Turnier in etwas mehr drei Wochen gecoacht; in der Anfangszeit zwei Spiele pro Tag. Mit welchem Gefühl hast du das Hotel verlassen?

Uli Sledz: Ich war sehr zufrieden, mit dem was wir als Schiedsrichter erreicht haben. Selbst in den engen Spielen waren die Schiedsrichter nie ein Faktor. Das beruht auf sehr harter Arbeit der einzelnen Schiedsrichter individuell und von uns insgesamt.

Der Grund dafür war wahrscheinlich das Morgen-Meeting, um die zwei Spiele des Vorabends zu analysieren und den Schiedsrichtern die Gelegenheit zu geben, in schneller Abfolge Dinge wieder ins Laufen zu bringen. Man darf nicht vergessen, dass das Turnier ein absoluter Kaltstart für die Schiedsrichter war – ohne Vorbereitungsspiele nach drei Monaten „Shutdown. Sie mussten also von null auf 100 auf Betriebstemperatur gebracht werden, was durch die intensive Mitarbeit und das Engagement der Schiedsrichter während der Spiele eindrucksvoll gelang.

Innwieweit hat sich dieser „Kaltstart“ für die Schiedsrichter zu Beginn bemerkbar gemacht? Bzw. wie wurde versucht, dem entgegenzuwirken?

An den ersten vier Spieltagen habe ich die Morgen-Meetings nur dazu genutzt, die Schiedsrichter an die Abläufe auf dem Feld – z.B. hinsichtlich Bewegung und Anpassung der Positionen – zu erinnern, damit sie sich wieder wohlfühlen und so relativ schnell wieder die gewohnten Leistungen abrufen konnten. In der Anfangsphase haben diese Meetings auch mal eineinhalb oder zwei Stunden gedauert. Der Erfolg stellte sich aber danach direkt ein.

Nach der erfolgreichen Eingewöhnung sind wir dann zu den Leistungsbeurteilungen übergegangen, um nach dem Viertelfinale einen Cut [von elf auf sechs Schiedsrichter, Anm. d. Red.] machen zu können. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich den TV-Coach und mich.

Wir hatten bei dem Turnier auch einen TV-Coach, um das Spiel aus zwei Blickrichtungen zu betrachten. Im Fernsehen sieht man nicht alles, live sieht man wesentlich mehr Details. Allerdings geht einem hier und da mal eine Situation verloren, wenn man sich noch mit einer anderen Situation beschäftigt. Diese Situation sieht dann aber der TV-Coach. Wir haben die Spiele also mit zwei Schiedsrichter-Coaches abgedeckt. Die TV-Coaches haben sich abgewechselt, und ich saß als Live-Coach immer in der Halle.

Das heißt also, du hast nach dem Spiel erst einmal mit dem TV-Coach telefoniert, und ihr habt euch über bestimmte Situationen ausgetauscht, die ihr in der Nachbesprechung thematisiert habt?

Ich muss anders anfangen. Im Gegensatz zu normalen Spieltagen während der Saison gab es keine direkte Nachbesprechung im Umkleideraum, weil die Mannschaften und Schiedsrichter innerhalb von zehn Minuten den gesamten aktiven Raum verlassen mussten. Im Anschluss wurde alles desinfiziert. Wir haben keine normale Nachbesprechung durchgeführt, sondern eine Nachbesprechung mit allen elf Schiedsrichtern am Folgetag.

Zurück zur Frage: Ja, wir haben telefoniert. Die Abfolge in der regulären Saison wäre gewesen, dass wir eine Nachbesprechung durchgeführt hätten und der anwesende Coach im Anschluss Kurzberichte in die Datenbank eingegeben hätte. Diese Berichte wären dann von den Schiedsrichtern individuell abrufbar gewesen. Das waren sie in München auch. Allerdings habe ich die Berichte zuerst geschrieben und bis Mitternacht in die Datenbank hochgeladen.

Dadurch hatten die Schiedsrichter die Möglichkeit, ihren individuellen Bericht zu sehen, bevor sie am nächsten Morgen ihre persönliche Einschätzung zu ihrer Leistung abgegeben haben. Sie konnten dann darauf eingehen, etwas hinzufügen und auch über spezielle Situationen diskutieren. Diese offene Diskussion wurde während der gesamten dreieinhalb Wochen gepflegt. Ergebnisse wurden erarbeitet, die für alle Schiedsrichter in den nächsten Spielen einen positiven Effekt hatten. Aber auch unterschiedliche Meinungen und Standpunkte wurden akzeptiert. 

Wenn man sich insbesondere die Anfangszeit ansieht, schien der Tag ja ziemlich gefüllt zu sein: Um neun Uhr fand das Morgen-Meeting statt, das in der Anfangszeit gerne mal mal Stunden gedauert hat. Dann gab es sicher irgendwann Mittagessen …

Ja, irgendwann … Ich hatte gleich an meinem ersten Morgen-Meeting, einen Tag vor dem ersten Spieltag, angeboten, mich auch persönlich mit Schiedsrichtern im Nachgang zum Morgen-Meeting zu treffen, um an individuellen Dingen zu arbeiten. Man konnte dieses Turnier auch als „Trainingslager“ nutzen, denn man hatte mindestens sieben oder acht Spiele in maximal 14 Tagen. Das ist besser als in der regulären Saison. Da hat man ein Spiel und bekommt etwas gesagt. Zwei Wochen später bekommt man vielleicht wieder etwas gesagt, sieht aber den gleichen Coach nicht. Vor dem Spiel habe ich zum Beispiel mit einem Schiedsrichter an seiner gesamten Präsentation gearbeitet, und während des Spiels habe ich ihm dann immer wieder Zeichen gegeben im Sinne von „Das war gut“ bzw. „Das war es noch nicht“. Das hat dem Schiedsrichter individuell geholfen. Diese individuelle Arbeit dauerte meist bis zum Mittagessen, hat aber einzelnen Schiedsrichtern sehr weiter geholfen.

Dann gab es Mittagessen und anschließend manchmal noch ein Video-Studium. Wir haben Szenen nochmal angeschaut, um zu erfahren, wie man etwas anders machen kann. Das ging bis zum Ende des Viertelfinales. Bis zu diesem Zeitpunkt waren ja noch alle elf Schiedsrichter da. Am Abend nach dem letzten Viertelfinal-Spiel haben wir dann den Cut gemacht. Danach wurde die individuelle Arbeit etwas weniger, weil dann auch nur noch ein Spiel am Tag war.

Nun wart ihr, also Schiedsrichter und Schiedsrichter-Coach, im selben Hotel wie die Mannschaften untergebracht. Wie sah die Kommunikation mit den Mannschaften außerhalb der Spiele aus? Wurden da auch mal Szenen auf dem „kurzen Dienstweg“ besprochen?

Ich persönlich war bei sechs von zehn Vereinen, um auf den kurzen Dienstweg Szenen mit den Head Coaches bzw. mit dem Coaching-Staff zu besprechen. Zum Beispiel habe ich anhand einer strittigen Szene erklärt, warum das ein Offensivfoul war. Meist war ihnen nicht mehr klar, was die Kriterien sind bzw. wo ein Verteidiger sein muss. Jede Frage, die aufkam, wurde durch einen persönlichen Kontakt – entweder durch mich oder auch durch einzelne Schiedsrichter geklärt. Diese Art der Kommunikation hat positiv dazu beigetragen, dass bei diesem Turnier nie eine Stimmung aufgekommen ist, die von Misstrauen geprägt war. Alles, was Probleme bereitete, wurde von uns sofort geklärt. Das war ein positiver Aspekt.

Der andere Aspekt, der vielleicht noch wichtiger war: Es wurden Barrieren abgebaut. Wir haben viele Gespräche abseits des Basketballs geführt, in der Lobby bzw. beim Essen. Wir hatten zwar eigene Bereiche, aber man traf sich immer wieder mal. Man hat sich auch zusammengesetzt oder im Foyer ganz einfach gequatscht. Es war ein riesen Vorteil, dass Spieler, Trainer, Sportdirektoren und Schiedsrichter unter einem Dach waren. Die Chance wurde genutzt, Beziehungen zu Coaches und Sportdirektoren auszuweiten, die bisher eher auf einer rein professionellen Ebene stattfanden. Es wurde eine andere Form von gegenseitigem Respekt aufgebaut.

Das war so einmalig, da reicht ein Vier-Tage-Turnier vor der Saison nicht aus, sondern nur drei Wochen unter einem Dach. Das ist uns ganz wichtig: Neben der Tatsache, dass die Schiedsrichterleistungen nie ein Faktor waren, war der Umgang miteinander und das Verständnis füreinander im gegenseitigen Verhältnis, also Schiedsrichter zu Trainern oder Spielern und umgekehrt, das wichtigste Ergebnis dieses Turniers. Wir haben viel gelacht mit Spielern, Trainern und Sportdirektoren. Das hat mich echt begeistert.

Du hast vorhin angesprochen, dass nach dem Viertelfinale ein Cut gemacht wurde. Es blieben nur noch sechs Schiedsrichter übrig. Die wurden dann allerdings in festen Dreier-Kombinationen angesetzt. Was war die Idee dahinter?

Die Nominierungen für die beiden ersten Halbfinals wurden ganz normal vorgenommen, und da sich keiner der Schiedsrichter verletzte und auch die Crews sehr gut miteinander harmonierten, hatten wir keine Veranlassung, die Crews für die beiden zweiten Halbfinals zu ändern. Als auch die ohne Probleme absolviert wurden, haben wir die Schiedsrichter-Teams auch für die beiden Finals zusammengelassen.

Ich hätte eher vermutet, dass man hier etwas austesten wollte. Gab es im Nachhinein trotzdem Überlegungen, ob man solche Modelle auch in den regulären Playoffs anwenden könnte?

Das gab es vor einigen Jahren schon einmal, als in der Finalserie drei Schiedsrichter das erste Finale und drei Schiedsrichter das zweite Finale gepfiffen haben. Dann haben die Schiedsrichter vom ersten Finale die Spiele drei, vier und fünf gepfiffen. Das haben wir abgeschafft, weil diese Vorgehensweise bei den Schiedsrichtern nicht gut ankam. Erst qualifiziert man sich mit guten Leistungen, dann ist nach einem Spiel Schluss.

Die sechs Schiedsrichter hatten sich das Recht erworben, mindestens zwei Halbfinale und ein Finale zu pfeifen. Nur wenn etwas passiert wäre, hätten wir umdenken müssen.

Um den Bogen zur ersten Frage wieder zu schließen: Ich habe dich eingangs gefragt, mit welchem Gefühl du das Hotel verlassen hast. Vielleicht zum Schluss: Was hast du für dich aus dem Turnier mitgenommen?

Da kommt einiges zusammen. Zum einen hatte ich meinen bescheidenen Anteil daran, dass die Schiedsrichter durch konsequent steigende Leistungen nie im Fokus standen und sich einige von ihnen durch zusätzliche, individuelle Arbeit stark verbessert haben. Dann die Begegnungen mit Coaches und Sportdirektoren auf einer Ebene, die im normalen Saisonbetrieb nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern der BBL und MagentaSport sowie den beiden Photographen und den beiden Ärzten. Neue Freundschaften sind hier entstanden. Und nicht zu vergessen das freundschaftliche Miteinander mit dem Hotelpersonal – angefangen vom Direktor bis zu den drei Personen, die rund um die Uhr für uns da waren.

Abschließend noch ein großes Dankeschön an die easyCredit BBL, dieses Turnier möglich gemacht zu haben. Der Basketball in Deutschland nahm einen Spitzenplatz in den Medien ein, die Spiele wurden in viele Länder übertragen, und das Gesamtkonzept für ein Turnier in Covid-19-Zeiten wurde von Ländern wie Spanien, Israel (die dann versetzt ihre jeweilige Meisterschaft austrugen) und sogar der NBA angefordert.

Einer der Schiedsrichter, der beim BBL-Final-Turnier in München gepfiffen hat, ist Moritz Krüper. Das Interview mit dem Schiedsrichter ist hier zu finden.