Thorsten Leibenath: „Manche Teams werden Ende Oktober ein Schnäppchen machen“

Während die BBL-Saison vor der Tür steht, wird die kommende NBA-Spielzeit um einiges später beginnen. Welche Auswirkungen das auf den europäischen Markt hat, erklärt Thorsten Leibenath im Interview. Außerdem spricht der Sportdirektor von ratiopharm ulm über den Killian-Hayes-Effekt, Jaka Lakovic und die Identität der BBL.

Im ersten Teil des Interviews spricht Thorsten Leibenath über die Bedeutung des Orange Campus und erklärt in dem Zusammenhang, wo Basketball-Deutschland noch unterentwickelt ist. Außerdem erläutert der Ulmer Sportdirektor, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf Verträge hat. [zum ersten Teil des Interviews]

basketball.de: Die NBA Free Agency samt Draft wird später als sonst beginnen, der Start der NBA-Saison 2020/21 ist auf den 1.12. datiert – wobei das sehr unsicher ist [Anm. d. Red.: Nach dem Interview gab es Meldungen, dass der Draft erst am 18.11. stattfinden und die Saison nicht vor Weihnachten beginnen könnte]. Mittlerweile stehen zwar viele Kader der BBL-Teams, aber welche Auswirkungen könnte dies für den Spielermarkt haben? 

Thorsten Leibenath: Ich glaube, in einem größeren Maß als in den Jahren zuvor kann es passieren, dass wir im November oder Dezember hier in Europa noch gute Spieler sehen werden. Ich glaube aber nicht mal so sehr, dass der verspätete Start der NBA ein Grund dafür sein wird. Vielmehr glaube ich, dass eine verkürzte oder anders ablaufende G-League-Saison den europäischen Markt interessanter machen wird.

Das hat man jetzt schon gemerkt: Normalerweise wusste ein Spieler ab November, ob er in der G-League spielt, wenn er im Training-Camp eines NBA-Teams gecuttet worden ist. Einige gehen dann nach Europa und spielen dort für sechs Monate.

Nun ist es aber so: Du hast im August entweder einen Job in Europa oder hoffst darauf, vielleicht ab im Januar dich in ein paar Bubble-Turnieren oder in einer drei- oder viermonatigen Saison NBA-Teams präsentieren zu können. Und das mit großen Fragezeichen: Denn vielleicht wird in der G-League auch gar nicht gespielt …

Wenn du dann vier weitere Monate kein Geld verdienst, ist der europäische Markt für solche Spieler interessanter als die G-League, auch wenn der Markt hier finanziell etwas eingebrochen ist. Wobei ich gar nicht weiß, ob er wirklich eingebrochen ist – zumindest der deutsche Markt arbeitet mit kleineren Brötchen.

Ich habe mich dies auch bei der College-Saison gefragt, wo es unterschiedliche Szenarien je nach Conference geben könnte …

Dort ist es genau das gleiche, das haben Gespräche auch gezeigt. Und für diese Spieler ist die Entscheidung ja doppelt schwer, da es oft um Uni-Abschlüsse geht, die sie dann eventuell eben nicht machen. Die haben im Februar oder März das letzte Mal gespielt. Aktuell sieht es so, als würde es Dezember oder Januar erst weitergehen: Das ist ein Dreiviertel Jahr ohne Wettbewerb, das ist eine lange Zeit.

Der ein oder andere College-Spieler, der eigentlich vor seinem Junior- oder Senior-Jahr steht, wird sich deswegen momentan überlegen: Macht das wirklich Sinn? Oder macht Europa jetzt nicht mehr Sinn? 

Diesbezüglich hatte ich mich auch gefragt, ob der späte Saisonstart in der BBL im Vergleich zu anderen Ligen ein Vorteil sein könnte.

Wobei die meisten Vereine mittlerweile ja schon mindestens fünf ausländische Spieler verpflichten haben. Du hast als Team etwas Spielraum und kannst natürlich immer noch jemanden nach Hause schicken – das gibt es sonst aber auch. Ich glaube nicht, dass ein Team Anfang November seinen Kader noch um 40 Prozent verändern möchte. Deswegen sehe ich das nicht als direkten Vorteil gegenüber anderen Ligen. Ich glaube aber schon, dass das ein oder andere Team Ende Oktober noch ein Schnäppchen machen wird.

Mit Blick auf den später stattfindenden Draft und die NBA-Saison 2020/21: Siehst du eine Möglichkeit, dass Killian Hayes zu euch nach Ulm zurückkehren könnte?

Es macht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn, sich als Spieler in Europa zu registrieren. Wenn der Draft auf Mitte Oktober datiert ist, macht es überhaupt keinen Sinn, davor noch in den Wettbewerb zu gehen. Und auch wenn er gedraftet wird, und es dann noch zwei oder drei Monate bis zur NBA-Saison sind, wäre der Nutzen nicht so groß. Die Wahrscheinlichkeit halte ich demnach für verschwindend gering, und wir haben damit auch überhaupt kein Problem.

Er steht ja trotzdem noch in seinem laufenden Drei-Jahres-Vertrag – den ihr nicht auflösen wollt, weil ihr beim Draft Hayes’ und bei Unterschrift des Rookie-Vertrages eine Ablösesumme erhalten werdet. Das heißt, er bleibt bei euch so lange unter Vertrag, bis er dann einen Rookie-Vertrag unterschrieben hat?

Das kann man so sagen, ja. Die Vorstellung, was diese Ablöse betrifft, ist immer sehr romantisch, das ist alles nicht ganz so einfach. Aber natürlich macht es für uns Sinn, das Vertragsverhältnis mit ihm nicht aufzulösen. Genau deswegen ist man ja auch nicht von einem Ein-Jahres-Vertrag ausgegangen.

Der Killian-Hayes-Effekt

Ihr habt bewiesen, dass ihr mit Hayes einem jungen, europäischen Prospect viel Verantwortung und Einsatzzeit gebt. Das kombiniert mit dem Orange Campus: Merkt ich ihr schon jetzt, dass Agenten euch noch stärker ihre Spieler anbieten als bislang?

Ja, diesen Effekt haben wir ganz deutlich gemerkt. Den Agenten ist es nicht verborgen geblieben, dass wir hier eine Struktur besitzen, die prädestiniert für die Entwicklung junger Spieler ist. Und dass wir gewillt waren, gerade auf der Aufbauposition dieses gewisse Risiko einzugehen, als ambitionierter Verein einem 18-Jährigen diese Plattform zu bieten. Insofern besteht durchaus ein Interesse, junge Spieler bei uns zu platzieren.

Nun ist es so, dass wir in der kommenden Saison keinen Spieler vom Kaliber eines Killian Hayes’ in unseren Reihen haben. Gleichzeitig haben wir aber auch sehr interessante Eigengewächse. Und wir bieten auch anderen jungen Spielern, die jetzt vielleicht nicht mehr 18 Jahre als ist, eine Plattform: wie Trey Landers [22 Jahre, Anm. d. Red.] oder Aric Holman [23]. Selbst Troy Caupain [24] oder Isaiah Wilkins [24] sind noch recht jung.

Von Hayes zu eurem Coach Jaka Lakovic, der auch erst am Anfang seiner Karriere steht und sein erstes volles Jahr als Head Coach gearbeitet hat. Wie siehst du seine Entwicklung in der abgelaufenen Saison?

Ich war von der ersten Minute an überzeugt und sicher, dass er ein extrem guter Coach ist. Ich finde, dass er das schon früh in der Saison bewiesen hat – genauso in der Mitte und zum Ende der Saison.

Natürlich kann er jetzt das Niveau der BBL besser einschätzen als noch vor einem Jahr. Er hat seine Erfahrungen gemacht hinsichtlich des Head-Coaching, des In-Game-Coaching, des Strukturieren und des Organisieren einer Saison: mit den Wochenzyklen aus EuroCup- und BBL-Spielen, den Monatszyklen. So etwas wird er jetzt mit Sicherheit besser einschätzen können als noch vor einem Jahr – einfach durch die Erfahrung seiner ersten Saison.

Ich würde aber nicht sagen, dass er am Anfang ein Grünschnabel gewesen ist und sich erst etablieren musste – er war von Anfang an ein guter Coach!

Du hast in der vergangenen Saison nicht mehr als Trainer gearbeitet. Du wirst sicherlich mal bei anderen Coaches hospitiert, dich mit anderen Trainern ausgetauscht haben. Aber nun warst du die ganze Saison ein Beobachter, wie ein anderer Head Coach arbeitet. Gibt es etwas bei Jaka Lakovic, das du gesehen hast und wo du dir dachtest: Mensch, hätte ich das als Trainer auch mal getan?

Er hat den unschlagbaren Vorteil, dass er als Spieler so ziemlich alles erlebt hat – und das extrem erfolgreich. Wenn ein solcher Trainer einem Spieler etwas sagt, dann hat er einfach schon mal einen Vorteil. Diesen Skill hätte ich natürlich auch gerne, werde ich aber nie haben.

Ansonsten gibt es ganz oft Situationen, wo ich merke, dass meine Herangehensweise eine ganz andere ist, aber ich seine auch als sehr spannend und interessant empfinde. Wir haben oft über taktische Themen diskutiert und philosophiert.

Im Basketball führen ja viele Wege zum Erfolg. Da macht es extrem viel Freude, sich mit jemandem wie Jaka auszutauschen, der einen unglaublich großen Erfahrungsschatz als Spieler, aber auch als Trainer bereits mit wirklichen Top-Leuten zusammengearbeitet hat. Da kann ich mit Sicherheit jede Menge lernen.

Aber eine Sache, von der ich denke, „hätte ich das doch so gemacht“, fällt mir spontan nicht ein. Als Trainer habe ich mich immer schon permanent hinterfragt und mir Dinge überlegt wie: Ist die Pick-and-Roll-Defense die richtige? Muss man Spieler an eine kürzere Leine nehmen? All das sind Fragen, die ich mir permanent gestellt habe – und die ich mir auch jetzt als Sportdirektor in Betrachtung der Mannschaft von Jaka noch stelle.

„Die unterschiedlichen Ausprägungen der Trainer sind eine Stärke unserer Liga“

Lakovic hat als Coach in Spanien begonnen, hat unter Igor Kokoskov bei der slowenischen Nationalmannschaft gearbeitet und ist als Spieler unter Trainerlegenden des Balkans – wie Dusko Ivanovic oder Zeljko Obradovic – aufgelaufen. Er wurde also von verschiedenen Stilen beeinflusst. Eine große Bandbreite an Einflüssen finden wir auch bei den Trainern der BBL vor. Ist Lakovic demnach so etwas wie eine Blaupause für die Trainersituation in der BBL?

Ob das eine Blaupause ist, weiß ich nicht. Es gibt ja häufig eine Diskussion über Themen wie: „Warum gibt es nicht mehr deutsche Trainer in der Bundesliga?“ oder „Wir haben keine Identität als Liga.“ Ich sehe das anders und nehme das positiv wahr: Wir sind sehr weltoffen und aufgeschlossen, was jeglichem Einfluss im Basketball betrifft. Da spielt es keine Rolle, ob der Einfluss aus Spanien, vom Balkan, vom Baltikum oder aus den USA kommt. Wir hatten auch schon türkische oder griechische Einflüsse. Und wir sind in der BBL durchaus gewillt, deutschen Trainern eine Chance zu geben.

Es geht in Deutschland nicht darum, nach Nationalität zu besetzen, sondern nach einem spannenden Spielstil oder dem Stil im Allgemeinen. Dem einen Team gefällt ein Trainer, der auf dem Balkan sozialisiert worden ist, das andere Team favorisiert einen Trainer, der es wie auf den US-Colleges macht. Diese unterschiedlichen Ausprägungen sind eine Stärke unserer Liga. Dass wir uns eben nicht auf etwas festlegen wie: Der Trainer muss deutsch sein und so spielen wie das Henrik Rödl und Dirk Bauermann bei der Nationalmannschaft vorgeben bzw. vorgegeben haben.

Darauf wollte ich auch hinaus, die Diskussion habe ich ebenfalls wahrgenommen: Gibt es einen deutschen Stil im Basketball? Auf der anderen Seite kann es auch ein Stil oder die Identität sein, viele Stile in der Liga zu haben.

Genau, und das ist auch mein Eindruck. Es gibt ja immer gewisse Trends. Und momentan ist nicht von der Hand zu weisen, dass es ein Trend ist, nach Spanien zu schauen. Das hat sicherlich etwas mit dem Einfluss von Aíto bei ALBA BERLIN zu tun. Das ist absolut legitim. Es ist aber genauso legitim, zu sagen: Diesem Trend hechele ich nicht hinterher und hole mir stattdessen einen deutschen Trainer, der in meinen Augen bestimmte Dinge gut machen wird.

Ich glaube auf jeden Fall, dass wenn die Rahmenbedingungen vergleichbar sind – sprich: Qualität und Preis –, dass ein deutscher Verein immer einen deutschen Trainer bevorzugen würde.

Ich bin bei diesem Diskurs selbst noch nicht zu einem Schluss gekommen. Aber über den deutschen Trainernachwuchs hatte ich in dem Zusammenhang öfter mal nachgedacht. 

Ich bin ein deutscher Trainer und schneide mir vielleicht gerade selbst ins Fleisch. Aber gleichzeitig denke ich nicht, dass wir so etwas wie Protektionismus einführen müssen. Sondern vielmehr denke ich, dass sich Qualität immer durchsetzen wird.

Wir haben momentan zwar wenig deutsche Trainer in der Liga, aber Sebastian Gleim ist eine Chance gegeben worden: als relativ junger Trainer von der dritten direkt in der ersten Liga zu coachen. Einem Thomas Päch ist ohne Head-Coach-Erfahrung auf diesem Niveau eine Chance und nun eine zweite Chance gegeben worden.

Deutsche Vereine verschließen also nicht grundsätzlich die Augen, wenn es ambitionierte, deutsche Trainer gibt, ganz und gar nicht. Ich glaube, dass es auch wieder eine Phase geben wird, wo 50, 60 Prozent der Trainer deutsch sind. Momentan ist das nicht der Fall – aber das heißt nicht unbedingt, dass sich deutsche Vereine ihrer Identität nicht bewusst sind.