March Sadness: None Shining Moment (2. Teil)

Im zweiten Teil unseres NCAA-Rückblicks blicken wir auf individuelle Leistungen und analysieren die Spielzeiten der gehyptesten College-Frischlinge sowie deutschen Studenten um Franz Wagner, Oscar da Silva und Sam Griesel.

[zum ersten Teil des NCAA-Rückblicks]

Die Deutschen am College: viel Licht, wenig Schatten

BBL oder NCAA? Es gibt nur wenige Themen, die in der hiesigen Basketballlandschaft so kontrovers diskutiert werden, wie die Frage nach dem „richtigen“ Ausbildungsplatz für die deutschen Top-Talente. Dass eine generalisierende Antwort auf diese Frage jedoch nicht existieren kann, sollte schon ein Blick auf die jüngere Vergangenheit offenbaren: Während Spieler wie Moritz Wagner (Michigan Wolverines) und Niels Giffey (Connecticut Huskies) auf Teamebene große Erfolge feierten und als Spieler reiften, brachen Lucca Staiger (Iowa State Cyclones) und Richard Freudenberg (St. John’s Red Storm) ihre Zelte frühzeitig ab und kehrten dem College-Basketball frustriert den Rücken.

Ob sich für einen jungen Spieler der Sprung über den großen Teich lohnt – oder eben nicht –, kann kaum pauschalisiert werden. In den Wissenschaftsdisziplinen der Psychologie und Soziologie existieren zumindest Studienergebnisse, die den positiven Einfluss eines Auslandssemesters auf die Persönlichkeitsentwicklung belegen. Doch lassen sich diese Faktoren auch bei der basketballerische Entwicklung eines Nachwuchsathleten identifizieren? Wenn es nach Franz Wagner geht: ja.

Zumindest finden sich in seinen Sätzen, als er auf das „Warum“ seines Wechsels von Berlin nach Ann Arbor befragt wurde, diese Aspekte wieder: „Dass ich etwas Neues erleben kann. Dass ich neue Leute und auch basketballerisch eine neue Kultur kennenlerne. Die Spieler dort haben eine ganz andere Mentalität. Es tut mir gut, wenn ich das jetzt schon ein bisschen mitkriegen kann“, erläuterte der 18-Jährige in einem Interview mit der Berliner Morgenpost die persönlichen Beweggründe für seinen Wechsel.

Also, raus aus der spielerischen Komfortzone und hinein in unbekannte, basketballerische Gefilde? Im Umfeld der deutschen Auswahlmannschaften scheint jüngst ein Hype um ein Engagement in der NCAA entfacht zu sein. Neben Wagner, der im vergangenen Sommer für Deutschland bei der U18-Europameisterschaft auflief, gingen auch A2-Nationalspieler Oscar da Silva sowie die aktuellen U20-Auswahlspieler Isaiah Ihnen, Lars Thiemann, Quirin Emanga Noupoue und Sam Griesel in der ablaufenden NCAA-Saison auf Körbejagd. Während die Freshmen um Einsatzzeiten kämpften, aber auch erste Duftmarken setzten, zeigten die College-Rückkehrer da Silva und Griesel spannende Entwicklungssprünge.

Oscar da Silva (Big Man, Stanford Cardinals)

Stats: 28,6 MpG, 15,7 PpG, 6,4 RpG, 1,5 ApG, 1,1 SpG; 112,1 Offensiv-Rating bei 28,0 USG%

Als Oscar Da Silva von den regionalen Pressevertretern am 9. März ins All-Pac-12-Team gewählt wurde, sollte sein Trainer, Jerod Haase, bei einer Telefonkonferenz ein paar Worte zu den Leistungen seines Big Man verlieren. „Oscar brachte kontinuierlich seine Leistung auf dem Feld. Wenn er in der gegnerischen Zone auf so einem hohen Niveau agiert, müssen die Verteidigungen ihn dort im Auge behalten … was letztendlich unserer gesamten Offensive zugute kommt“, erklärte der 46-jährige Headcoach. Mit knapp 16 Punkten und mehr als sechs Rebounds pro Spiel gehörte Da Silva nicht nur zu den effektivsten Spielern in seiner Conference, sondern führte seine Mannschaft auch zu einer Bilanz von 20-12 – den meisten Saisonsiegen für die Cardinals seit fünf Jahren.

Wie Haase in seinem Zitat bereits andeutet, lässt sich der Teamerfolg auf eine Umstellung im Offensivspiel da Silvas zurückführen. Nach dem Abgang von Josh Sharma, der als kraftvoller 2,13 Meter großer Big Man die Center-Position auf eher traditionelle Weise im Low-Post bekleidet  hatte, fungierte in dieser Saison der gebürtige Münchener als nomineller „Fünfer“. Auch wenn Stanford in den letzten Jahren schon immer einen „europäischen“ Spielstil mit vielen Ball-Screens, Dribble-Handoff-Aktionen und Cuts pflegte, eröffnete erst die Einbindung von da Silva als „Smallball“-Center die konsequente Umsetzung einer „Five-Out-Offense“. Ein Spielsystem, das dem 21-Jährigen dabei half, sein komplettes Skillset zur Entfaltung zu bringen.

In seinen ersten beiden College-Jahren nahm da Silva mehr als ein Drittel seiner Abschlüsse von jenseits der Dreierlinie (2017/18: 34,9%; 2018/19: 46,7%), wobei gerade in seiner Sophomore-Saison der Distanzwurf nur sporadisch fiel (29/113 3FG, 25,7%). In der abgelaufenen Spielzeit kam er nur noch auf eine Dreierrate von 12,5 Prozent und traf seine Dreier dafür mit einer besseren Quote (31,7%). Stattdessen verlagerte der Junior seine Abschlüsse in die Zone, wo er als abrollender Spieler nach einem Pick-and-Roll (1,18 PPP), als Cutter (1,26 PPP) oder auch aus dem Post-Up (0,9 PPP) auf effiziente Weise abschloss.

Eine große Stärke von da Silva ist sein Passspiel. Um diese Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, band Coach Haase seinen Big Man immer wieder als Playmaker am High-Post bzw. Perimeter ein und ließ ihn in Pick-and-Pop-Situationen Entscheidungen treffen. Ein besonders schönes Set-Play, das Stanford immer mal wieder nutzte, was folgender: Da Silva nutzt einen Pin-Down-Block, setzt im Anschluss einen Ball-Screen und bedient aus dieser Pick-and-Pop-Situation seinen cuttenden Mitspieler:

Da Silva nahm zwar rund 75 Prozent seiner Abschlüsse in unmittelbarer Korbnähe, konnte aber als sehr guter Inside-Out-Spieler eine Defensive auf verschiedene Arten unter Druck setzen. Gegnerische Big Men attackierte er entweder vom Perimeter aus mit seinem Drive – oder bestrafte ein zu tiefes Absinken per Dreier.

27 Punkte (11/17 FG) und 15 Rebounds gegen Oregon, 25 Punkte, acht Rebounds sowie jeweils zwei Assists, Steals und Blocks gegen San Jose State, oder auch 19 Punkte (8/9 FG) und fünf Vorlagen gegen Butler: Oscar da Silva legte in diesem Jahr einige der besten Partien seiner noch jungen Basketballkarriere auf die NCAA-Parkettböden und glänzte in der neuen Offensivrolle als „Small“- bzw. „Skillball“-Center. Dass die Stanford Cardinals zudem einen  hervorragenden siebten Platz beim Defensiv-Rating belegten, ist auch auf den Fähigkeiten von da Silva, multiple Positionen und Spielertypen verteidigen zu können, zurückzuführen.

Mit Onyeka Okongwu (USC), Zeke Nnaji (Arizona), Udoka Azubuike (Kansas) und Isaiah Stewart (Washington) bekam er es mit gleich vier der besten Big Men des Landes im Laufe der Saison zu tun. Auch wenn da Silva physisch im Post-Up zuweilen seine Grenzen aufgezeigt bekam, leistete er mit seiner Länge (2,06 Meter) und Agilität sowohl in der Zone als auch am Perimeter effektive Verteidigungsarbeit. Insgesamt erlaubte der Big Man seinen direkten Gegenspielern eine Feldwurfquote von mageren 34,1 Prozent – aus Sicht des Deutschen ein sehr guter Wert!

Auch wenn ihm schlussendlich die erste March-Madness-Teilnahme seiner Karriere verwehrt bleiben sollte – die Cardinals schieden im Viertelfinale des Pac-12-Tournaments aus –, muss die vergangene Saison für Oscar da Silva als persönlicher Erfolg verbucht werden. Ein besonderes statistisches Schmankerl zum Schluss: Nur zwei Spieler aus einer Power-5-Conference legten über die Saison hinweg folgende Statline auf: 15 Punkte pro Spiel, eine True-Shooting-Quote von über 60 Prozent sowie eine Steal- und Block-Percentage von über zwei bzw. drei Prozent. Einer der beiden Spieler ist Freshman-Sensation und NBA-Talent Onyeka Okongwu. Der andere entstammt der Internationalen Basketball Akademie München …

Franz Wagner (Wing, Michigan Wolverines)

Stats: 30,8 MpG, 11,6 PpG, 5,6 RpG, 1,0 ApG, 1,3 SpG; 107,1 Offensiv-Rating bei 19,6 USG%

Wenige deutsche Spieler sind mit mehr Vorschusslorbeeren im Gepäck an ihrem neuen Campus eingetroffen als Franz Wagner. Nicht nur, dass der 18-Jährige bei den Michigan Wolverines in die Fußstapfen seines großen Bruders Moritz treten muss. Auch Juwan Howard, sein neuer Headcoach, schürte frühzeitig die Erwartungen an den schlaksigen Flügelspieler aus Berlin. „Franz ist talentiert. Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns. Meiner Meinung nach ist er das Äquivalent eines Fünf-Sterne-Rekruten – so gut ist er.“

Mit diesen Worten beschrieb der Trainernovize im Vorfeld der NCAA-Saison 2019/20 den Medienvertretern seinen Freshman aus Übersee. Die Worte eines zweifachen NBA-Champions haben immer etwas mehr Gewicht, aber vor allem in Ann Arbor, wo Howard als Mitglied des ehrwürdigen „Fab Five“-Teams absoluten Legendenstatus innehat …

Doch bevor Wagner den Worten seines Übungsleiters mit Leistungen auf dem Feld auch Taten folgen lassen konnte, bremste ihn eine Handgelenksverletzung aus. Der Forward verpasste die ersten vier Saisonspiele und gab sein Debüt beim „Battle 4 Atlantis“-Turnier gegen die Iowa State Cyclones. „Es hat nicht geholfen, dass ich mich gleich am Anfang verletzt hatte, dann musste ich sowieso erstmal meinen Rhythmus finden. Die ersten Trainingseinheiten musste man sich neu justieren, weil die Sachen ein bisschen anders angegangen werden als in Europa. Aber Juwan hat es mir extrem einfach gemacht, weil er uns Freiheiten gegeben hat und er wollte, dass wir unser Spiel spielen“, analysierte Wagner im Interview mit SPOX seine Akklimatisierungsphase.

Auch wenn der College-Frischling in den ersten Saisonwochen noch mit seinem Sprungwurf haderte (5/23 3FG), war frühzeitig offensichtlich, dass er im Spielsystem von Coach Howard eine tragende Rolle einnehmen würde. Neben dem primären Ballhandler Zavier Simpson, einem der besten Passer im College-Basketball, und 2,16-Center Jon Teske kam Wagner sowohl aus dem Spot-Up als auch nach Cuts zu seinen Abschlüssen.

Das erste richtige Highlight setzte Wagner dann im Spiel gegen das Top-Team der Oregon Ducks: Bei der hauchdünnen 70:71-Overtime-Niederlage steuerte der Freshman 21 Punkte bei und traf acht seiner 13 Würfe aus dem Feld. Spätestens mit dem Start des Conference-Spielplans Anfang Januar 2020 trat Wagner in der Offensive selbstbewusster auf und attackierte immer öfter mit dem Ball in der Hand den Korb. 38,3 Prozent seiner Würfe nahm er in der Zone und schloss dort mit einer Wurfquote von 67 Prozent höchsteffizient ab. Bemerkenswert: Weniger als der Hälfte dieser Treffer ging ein Assist voraus – ein  Ausdruck Wagners Fähigkeit, sich seine Abschlussoptionen selbst zu kreieren.

Wagner besitzt die nötigen Skills als Dribbler, um „off-the-catch“ zum Korb zu ziehen. Da rund die Hälfte aller seiner Abschlüsse in der Halbfeldoffensive aus dem „Catch-and-Shoot“ erfolgen, ist es ein tolles Zeichen, dass Wagner mit seinen Drives auch die gegnerischen Closeouts in diesen Situationen adäquat kontern kann.

Auch mit seinem Gespür für die richtigen Laufwege abseits des Balls trat der Berliner positiv in Erscheinung. Aus dem Play-Type „Cuts“ generierte Wagner 1,4 PPP (Points per Possession) – ein herausragender Wert. Kein Wunder, dass sein Trainer bei dem 18-Jährigen regelmäßig ins Schwärmen geriet: „Franz ist ein spielintelligenter Typ, sehr facettenreich und kann den Dreier treffen. Er ist ein Basketball-Genie. Und, was wir nicht vergessen dürfen, er ist ein ,Two-Way-Player‘!“.

Tatsächlich dürfte Wagner mit seiner Arbeit am defensiven Ende des Feldes viele Leute überrascht haben. Denn was dem Junioren-Nationalspieler an Masse fehlt, machte er mit sehr guter Fußarbeit, Positionsspiel und allgemeinem Einsatz wieder wett. Die von Howard angesprochene Spielintelligenz manifestierte sich in diesem Fall auch in der Defensive, wo Wagner immer wieder rechtzeitig bei gegnerischen Penetrationen aushalf und auch von der Weakside kommend für spektakuläre Blocks sorgte. „Ich sage euch doch schon über ein Jahr lang, dass Franz nicht nur scoren kann, sondern auch verteidigt. Sein Einsatz in der Defensive stimmt seit seiner ersten Partie auf den Bahamas“, bekräftige Howard nach dem Derby-Heimsieg über die Michigan State Spartans seine Lobpreisungen.

Die Wolverines beendeten die Saison mit einer Bilanz von 19 Siegen und zwölf Niederlagen und wären bei dem großen NCAA-Tournament wohl als #6- oder #7-Seed ins Rennen gegangen. Wagner wiederum gehörte mit durchschnittlich 13 Punkten bei einer effektiven Feldwurfquote von 53 Prozent sowie 6,2 Rebounds, 1,3 Steals und 1,2 Assists pro Partie zu den besten Flügelspielern in seiner Conference und wurde zurecht am Ende der Saison ins All-Freshmen-Team berufen.

Isaiah Ihnen (Wing/Big Man, Minnesota Golden Gophers)

Stats: 11,4 MpG, 3,4 PpG, 2,5 RpG, 0,6 ApG, 0,4 BpG; 106,6 Offensiv-Rating bei 16 USG%

240 Minuten: Das ist in etwa die Länge des Netflix-Mafia-Epos „The Irishman“ inklusive den Credits im Abspann – oder auch die gesamte Einsatzzeit von Isaiah Ihnen während seiner Freshman-Saison bei den Minnesota Golden Gophers. Was im ersten Moment wie eine enttäuschende Anzahl an Spielminuten anmutet, lässt in Wahrheit kaum Rückschlüsse auf das potenzielle Fazit seiner NCAA-Debütsaison zu. Denn Ihnen hatte im Anschluss an die Saisonvorbereitung mit Verletzungsproblemen zu kämpfen, die ihm zum Saisonstart außer Gefecht setzten. Das Problem: Die Gophers waren eine neugeformte Mannschaft, bei der gleich sieben(!) Spieler ihre Premierensaison unter Headcoach Richard Pitino absolvieren.

Für den Trainer ging es in den ersten Saisonwochen darum, schnellstmöglich funktionierende Lineups zu finden. Als der rekonvaleszente Ihnen bei dem vierten Saisonspiel gegen die Utah Utes schließlich seinen Einstand feierte, hatten die Golden Gophers mit drei Pleiten aus vier Spielen einen Fehlstart aufs Parkett gelegt. Es folgten zwei Blowout-Siege gegen unterklassige Gegner, bei denen Ihnen vor allem „Garbage-Time“-Minuten sah – ehe er in der Folgezeit komplett aus der Rotation flog.

„Es ist in der aktuellen Phase schwierig, ihm die nötige Einsatzzeit zu geben,“ erklärte sein Headcoach Richard Pitino auf fast schon entschuldigende Art. „Aber wir brauchen ihn in unserem Team. Er gibt uns die nötige Länge auf den Flügelpositionen.“ Der Freshman hing somit erst einmal in der Warteschleife fest und musste Geduld beweisen …

Geduld, die sich in den letzten zwei Saisonmonaten auszahlen sollte. Am 30. Januar stand er gegen Illinois für 16 Minuten auf dem Feld und war von da an ein fester Bestandteil der Rotation. In den letzten zehn Saisonpartien sah Ihnen durchschnittlich 17,9 Minuten Einsatzzeit und zahlte das Vertrauen seines Coaches mit 5,3 Punkten, 4,3 Rebounds, 0,8 Assists und 0,7 Blocks zurück. In der Defensive präsentierte sich der U-20-Nationalspieler als genau jene athletische Allzweckwaffe, die er auch bei der vergangenen Europameisterschaft war.

Ihnen hielt seine Gegenspieler bei 0,75 PPP und war mit seiner Länge und Athletik in der Lage, unterschiedliche Spielertypen effektiv in Schach zu halten. Wenn es in den Low-Post ging, hatte der 19-Jährige immer mal wieder mit der gegnerischen Physis zu kämpfen, hier offenbarte sich die fehlende Oberkörperbereich.

Im Angriff operierte Ihnen primär als Screener am Perimeter sowie Passverwerter aus dem Catch-and-Shoot: Mit einer effektiven Feldwurfquote von 54,2 Prozent zeigte sich der gebürtige Münchener in diesen Situationen besonders treffsicher. Seine Usage-Rate von 16 Prozent illustriert aber auch, dass Ihnen bislang „nur“ das Profil eines Rollenspielers in der Offensive ausfüllte. Dass er in 240 Minuten auch nur einmal (2/2) an die Freiwurflinie kam und lediglich 16,4 Prozent seiner Abschlüsse am Ring nahm, verdeutlicht sein Perimeter-lastiges Offensivspiel. Mit Star-Big Man Daniel Oturu (20,1 PpG, 11,3 RpG) war die gegnerische Zone natürlich auch „dauerbesetzt“. Bei seinen bisherigen Stationen und auch in der Nationalmannschaft zeigte Ihnen, dass er durchaus dazu in der Lage ist, den Korb zu attackieren und per Runner, Hookshot oder auch Layup respektive Dunk zu vollenden.

Die Saison der Golden Gophers endete aufgrund der Coronavirus-Pandemie frühzeitig, im Big-Ten-Tournament sicherten sie sich mit einem Sieg über Northwestern den Einzug ins Achtelfinale. Damit endete auch die Freshman-Saison von Ihnen auf abrupte Weise. Aber nach den anfänglichen Schwierigkeiten wirkten die letzen Wochen wie ein Versprechen auf eine gute Sophomore-Saison.

Lars Thiemann (Big Man, California Golden Bears)

Stats: 14,4 MpG, 3,0 PpG, 2,2 RpG, 0,4 BpG; 88,7 Offensiv-Rating bei 14 USG%

Oregon State, St. Marys oder California: Lars Thiemann stand im vergangenen Sommer vor einer schwerwiegenden Wahl. Insgesamt 15 Stipendienangebote erhielt der Nachwuchsathlet nach eigenen Aussagen, ehe er sich für die University of California entschied.

Mit Mark Fox feierte in dieser Saison auch ein neuer Headcoach seinen Einstand bei den Golden Bears, und der langjährige Trainer der Georgia Bulldogs räumte seinem Freshman-Center frühzeitig Einsatzzeiten ein. Angesichts des Wechsels von 2,21-Meter-Mann und Vorjahresstarter Connor Vanover war es keine große Überraschung, dass Thiemann vom ersten Tag ein integraler Bestandteil der Frontcourt-Rotation war. „Lars hat eine hervorragende Länge. Er ist größer als jeder andere Spieler in unserem Team, die Gegner müssen sich ihm anpassen“, erklärte Fox auf einer Pressekonferenz kurz vor dem Saisonstart.

Thiemann stand in den ersten acht Spielen in der Startformation. Die Guards Matt Bradley (17,5 PpG), Paris Austin (9,4) und Kareem South (8,9) diktierten mit ihren Drives und Shooting das Angriffsspiel der Golden Bears, doch Coach Fox forcierte in der Halbfeld-Offensive auch regelmäßig High-Low-Anspiele, um seine Big Men in das Spiel einzubinden. Bei seinen Abschlüssen in Post-Up-Situationen hatte Thiemann aber sichtlich mit der Athletik und Länge seiner Gegenspieler zu kämpfen. Wo er in der NBBL dank seiner Physis und den damit einhergehenden Größenvorteilen in Korbnähe seine Hook-Shots problemlos anbrachte, wurde der Deutsche von den Frontcourt-Athleten in der Pac-12-Conference effektiv in Schach gehalten. Mit 0,74 PPP (46 Abschlüsse) konnte der U20-Nationalspieler hier nicht überzeugen, 20 Prozent seiner Post-Up-Aktionen endeten gar in einem Turnover. Dass Thiemann in der Offensive erst noch Lehrgeld zahlen muss, prognostizierte Fox: „Er lernt jetzt zum ersten Mal, wie der amerikansiche Basketballstil funktioniert.“

Defensiv präsentierte sich Thiemann hingegen schon deutlich weiter. Als mobiler Big Man, der auch am Perimeter verteidigen kann, zeigte der Leverkusener in der Verteidigung von Pick-and-Roll-Spielzügen und in der Help-Defense tolle Sequenzen. Auch wenn Defensiv-Statistiken immer mit etwas Vorsicht zu genießen sind, verdeutlicht eine Zahl die gute Verteidigungsarbeit des 19-Jährigen: 0,73 PPP gestattete Thiemann seinen Gegnern – damit lag er im 80. Perzentil (Erklärung: 80 Prozent aller NCAA-Division-I-Spieler erlaubten ihren Gegnern einen höheren Punkteschnitt als Thiemann).

In einer starken und ausgeglichenen Pac-12-Conference landeten die Golden Bears mit einer Bilanz von 7-11 auf dem achten Platz. Für Thiemann enthielt die Saison die Freshman-typischen Höhen (Acht Punkte, neun Rebounds und ein Block gegen Boston College, acht Punkte und vier Rebounds gegen Oregon) und Tiefen (sieben Spiele ohne Punkt) parat. Aber dass bei dem Big Man aus Übersee Geduld gefragt ist, merkte Headcoach Fox bereits an. Und mit dem starken Mann an der Seitenlinie weiß Thiemann einen prominenten Fürsprecher an seiner Seite.

Sam Griesel (Guard/Wing, North Dakota State)

Stats: 24,1 MpG, 6,6 PpG, 5,5 RpG, 0,9 ApG, 0,5 SpG; 101 Offensiv-Rating bei 17,7 USG%

Sam wer? Diese Frage dürfte vielen Beobachtern der vergangenen U20-Europameisterschaft in den Kopf gestiegen sein, als sie die deutsche Mannschaft verfolgt haben. Denn dort stand ein athletischer Blondschopf auf dem Feld, von denen die meisten europäischen Basketballfans vermutlich noch nie ein Wort gehört haben. Kein Wunder, schließlich spielte Griesel keine Sekunde Basketball in der JBBL oder NBBL – oder generell in deutschen Sporthallen. Der Flügelspieler stammt aus Nebraska und brachte vor der U20-EM seine Freshman-Saison an der North Dakota State University hinter sich. Aufgrund seiner deutschen Wurzeln – sein Vater Achim ist mit 1996 in die USA ausgewandert – erhielt Griesel die Chance, an den Sichtungslehrgängen der deutschen Nachwuchsmannschaft teilzunehmen. Griesel sicherte sich seinen Platz im Zwölf-Mann-Kader und lieferte auch in Tel Aviv genügend Anschauungsmaterial, warum er als vielseitiger Flügelspieler eine Zukunft in der Nationalmannschaft haben könnte:

Nach einem erfolgreichen Sommer, in dem Griesel seinen Namen nachhaltig in den Köpfen der deutschen Basketballfans verankerte, startete er sogleich mit einem Double-Double (Zwölf Punkte, zehn Rebounds) in seine Sophomore-Saison. Aufgrund einer Knieverletzung musste der Neu-Nationalspieler jedoch von Anfang Dezember 2019 bis Ende Januar 2020 für fast zwei Monate auf der Bank Platz nehmen und konnte sein Team nur moralische Unterstützung liefern. Nach der Verletzungspause baute Bisons-Coach David Richman seine Allzweckwaffe wieder behutsam auf und brachte Griesel bis zum Start des Summit-Conference-Tournaments als „Sixth Man“ von der Bank. Als es aber schließlich um die diesjährige Teilnahme am großen NCAA-Tournament ging, beorderte der Coach ihn wieder in die Startformation – und Griesel lieferte ab. In den drei Turnierspielen legte er durchschnittlich neun Punkte, knapp acht Rebounds und einen Assist auf – Berufung ins All-Tournament-Team und March-Madness-Qualifikation inklusive.

Neben den beiden Senior-Guards Vinnie Shahid (18,4 PpG) und Tyson Ward (16,9) überzeugte Griesel auf den Flügelpositionen abermals mit seiner Vielseitigkeit: sekundäres Playmaking, Spot-Up-Shooting und aus dem Dribbling für seine Teamkollegen Wurfgelegenheiten kreieren. Als aggressiver Slasher nahm Griesel 51 Prozent seiner Würfe direkt am Ring, wo er mit 55,2 Prozent im Kontext des hohen Volumens auch effizient abschloss.

Die Bisons hätten in diesem Jahr sehr gute Chancen auf einen Turniersieg gehabt, boten sie doch den Duke Blue Devils um Zion Williamson, R.J. Barrett und Cam Reddish bereits vor zwölf Monaten über 30 Minuten einen spannenden Kampf. Für Griesel ist die Absage des NCAA-Turniers auf Teamebene ein herber Rückschlag. In der nächsten Saison wird seine Offensivrolle nach den Exmatrikulationen von Ward und Shahid zwar prominenter ausfallen, aber ob die Bisons als Team auf einem ähnlichen Niveau wie dieses Jahr agieren, ist fraglich …

2. Die gehypten Erstsemester im Schnellcheck

Die March Madness ist für die meisten NBA-Fans das alljährliche Premieren-Rendezvous mit den Top-Talenten der kommenden Draft-Klasse. In der jüngeren Vergangenheit verpassten zwar immer mal wieder hochgehandelte NBA-Prospects die Teilnahme am „Big Dance“ (u.a.: Ben Simmons, Markelle Fultz, Dennis Smith Jr.), aber der Talente-Exodus wäre in diesem Jahr auf einem gänzlich neuem Niveau gewesen. Folgende Spieler mit realistischen Chancen auf einen Lottery-Pick hätten die March Madness (wahrscheinlich) vor dem heimischen Flatscreen verfolgt: Anthony Edwards, Cole Anthony, James Wiseman, Tyrese Haliburton, Isaiah Stewart, Jaden McDaniels, Aaron Nesmith, Precious Achiuwa, Kira Lewis Jr., Deni Avdija, LaMelo Ball, Killian Hayes, RJ Hampton und Theo Maledon.

Okay, die letzten fünf Genannten hatten auch schon vor dem Start der NCAA-Saison 19/20 keine Chance. Aber der Punkt ist evident: Draft-Scouting wäre beim Tournament nur in begrenztem Maße möglich gewesen. Spieler wie Devin Vassell und Patrick Williams (Florida State), Obi Toppin (Dayton), Isaac Okoro (Auburn) oder Tyrese Maxey (Kentucky) hätten bei der großen Tanzveranstaltung im März und April noch Eigenwerbung betreiben können, aber inwiefern die spielerischen Darbietungen im Rahmen der March Madness noch Einfluss auf die Reihenfolge an der Spitze des NBA Drafts 2020 genommen hätten, sei mal dahingestellt …

Nichtsdestotrotz verdeutlicht die projizierte NCAA-Tournament-Abstinenz der NBA-Talente, dass es in dieser Saison bei den Top-Prospects an Teamerfolg mangelte. Und tatsächlich brachte die Rückschau auf die Freshmen-Spielzeiten der besten Highschool-Talente zweifelhaftes Material ans Tageslicht: von College-Abbrechern, ineffizienten Scoring-Guards und deprimierenden Playmaker – und warum wir ihre Leistungen nicht allzu harsch bewerten sollten.

Anthony Edwards (Guard, Georgia Bulldogs)

Stats: 33,0 MpG, 19,1 PpG, 5,2 RpG, 2,8 ApG; 105,8 Offensiv-Rating bei 30,3 USG%

Dass Anthony Edwards nach seiner Freshman-Saison noch immer als sicherer Top-drei-Pick und heißer Favorit auf den ersten Draft-Pick gilt, spricht Bände über die prognostizierte Qualität der Spieler an der Spitze der kommenden Draft-Klasse. Der 18-Jährige stellte in seinen 33 NCAA-Spielen zwar seine athletische Extraklasse und Qualitäten als Shot-Creator zur Schau, aber bewies auch, dass er meilenweit davon entfernt ist, eine Mannschaft als Playmaker anzuführen. Zu oft vertraute Edwards auf seinen Wurf aus dem Dribbling, statt mit seiner Physis und Athletik den Korb zu attackieren und dort entweder selbst abzuschließen oder für seine Mitspieler aufzulegen. Die Folge: 270 Angriffe beendete der Freshman mit einen Sprungwurf, aus denen 0,76 PPP genierte – ein grausamer Wert, mit dem er im 27. Perzentil lag.

Edwards hatte definitiv seine Lichtblicke (33 Punkte in der zweiten Halbzeit gegen Michigan State, 36 Punkte, 4 Steals und Assists gegen South Carolina) und schulterte seine Mannschaft größtenteils im Alleingang. Dass die Bulldogs jedoch alle drei Partien, in denen Edwards mehr als 30 Zähler auflegte, verloren, ist irgendwo bezeichnend. Der bullige Combo-Guard wirkte zuweilen wie ein Hobby-Handwerker, dem das beste Equipment der Welt zur Verfügung steht, aber sich dann doch immer mit dem Plastikhammer selbst auf die Finger schlägt. Sollte er seine Entscheidungsfindung offensiv im Halbfeld deutlich verbessern und auch in der Defensive mit mehr Disziplin und Aufmerksamkeit in der Mannschaftsverteidigung zu Werke gehen, ist Edwards weiterhin das NBA-Talent mit der höchsten Upside unter allen Freshmen.

James Wiseman (Big Man, Memphis Tigers)

Stats: 23,0 MpG, 19,7 PpG, 10,7 RpG, 3,0 BpG; 1 Assist in 69 Minuten

Die College-„Karriere“ von James Wiseman, der Nummer-eins-Rekrut seines Jahrgangs, war ein Drama in drei Akten: gefeiertes NCAA-Debüt mit 28 Punkten, elf Rebounds und drei Blocks am 5. November, Bekanntgabe einer monatelangen Spielsperre aufgrund von Regelverstoßen während seines Recruitings am 14. November, und schließlich sein NCAA-Exodus am 19. Dezember per Instagram-Posting. Statt eines Angriffs auf die College-Krone mit seinem Teamkollegen unter der Führung ihres Trainers Penny Hardaway, bereitet sich Wiseman seit nunmehr vier Monaten in Eigenregie auf den NBA-Draft vor …

Seinen basketballerischen Output bei den Memphis Tigers zu analysieren, verbietet sich eigentlich. Mit South Carolina State und UIC duellierten sich die Tigers in den ersten zwei Saisonspielen mit unterklassigen Kontrahenten, die dem 2,16-Meter-Pivoten hinsichtlich Athletik und Länge nur wenig entgegenbringen konnten. Sein drittes, und letztes, College-Spiel bestritt Wiseman dann gegen die Oregon Ducks – ein gänzlich anderes Kaliber. Und in dieser Partie offenbarte der Big Man auch sogleich seine offensiven und defensiven Schwachstellen, die Draft-Experte Jonathan Wasserman in einem kurzen Analyse-Clip sehr gut herausstellt:

Es wäre sehr spannend gewesen, die spielerische Entwicklung von Wiseman über eine gesamte College-Saison zu beobachten: Kann er in der Offensive mehr sein als „nur“ ein athletischer Lobverwerter und sich auch einen eigenen Wurf per Dribbling kreieren? Ist er ein reiner „Drop“-Verteidiger im Pick-and-Roll? Und kann er wirklich den Distanzwurf in einem größeren Volumen konstant treffen?

Schließlich ist es genau dieses „Einhorn“-Potenzial, das seine größten Fürsprecher als Argumentationsgrundlage für einen Top-drei-Pick nutzen. Antworten auf diese Fragen bekamen wir leider keine.

Cole Anthony (Guard, North Carolina Tar Heels)

Stats: 34,9 MpG, 18,5 PpG, 5,7 RpG, 4,0 ApG; 99,9 Offensiv-Rating bei 30,0 USG%

Ja, das da oben ist kein Tippfehler. Cole Anthony kam in seinen 22 College-Partien – er fiel sieben Wochen lang mit einem Meniskusriss aus – tatsächlich nur auf ein Offensiv-Rating von 99,9. Wie ineffizient sein Offensivspiel war? Nur ein anderer NCAA-Debütant (Landers Nolley II, Virgina Tech) kam bei einer ähnlichen Offensivlast (Usage-Rate von mindestens 25%) auf ein Offensiv-Rating von unter 100.

Anthony schaffte es nicht, am Korb zu finishen (0,84 PPP, 12. Perzentil), traf seine Runner in der Mitteldistanz nicht (0,55 PPP) und agierte auch als Ballhandler in Pick-and-Roll-Spielzügen mit wechselhaftem Erfolg (0,68 PPP, 39. Perzentil). Der Sohn des früheren NBA-Profis Greg Anthony überzeugte auf dem Highschool-Level und bei den U-Nationalmannschaften der USA noch als umsichtiger Playmaker, der gleichermaßen effektiv als Scorer und Vorlagengeber in Erscheinung trat. Doch bei den Tar Heels schien es Anthony zu oft mit der Brechstange im Angriff erzwingen zu wollen.

Dabei fing die Saison so vielversprechend an: Bei seinem Debüt gegen Notre Dame legte der UNC-Frischling 34 Punkte (12/24 FG) auf und zeigte sein komplettes Scoring-Arsenal.

In der Folgezeit offenbarte sich aber immer stärker sein Hauptproblem: Wurfauswahl. Bis zu seiner Verletzungspause am 8. Dezember warf Anthony in jedem Spiel mindestens 13 Mal auf den Korb. Darunter waren „Stinker“ wie 4/14 FG gegen Elon, 4/15 FG gegen Ohio State, 4/15 FG gegen Virginia. Was im ersten Augenblick wie Wurfstatistiken aus den dunkelsten NBA-Tagen von J.R. Smith anmutet, ist in Wahrheit die Konsequenz aus einer problematischen Entscheidungsfindung mit dem Ball in der Hand.

Denn Anthony ist ein toller Pull-Up-Shooter, trifft den Dreier auch aus dem Catch-and-Shoot und besitzt generell ein sehr gutes Wurfgefühl. Viel eher hatte der Guard damit zu kämpfen, dass die gegnerischen Defensiven sich voll und ganz darauf beschränkten, seine Kreise einzudämmen und die UNC-Teamkollegen für wenig Scoring-Entlastung sorgen konnten. Dass bei den Tar Heels mit Ausnahme von Brandon Robinson (36,9% 3FG bei 6,7 Versuchen pro Partie) kein Spieler den Distanzwurf verlässlich traf – geschweige denn nahm – und so zu einem funktionierenden Spacing beitragen konnte, erschwerte das Spiel für Anthony zusätzlich.

Es fällt schwer, die College-Karriere von Anthony in Chapel Hill nicht als Enttäuschung zu bezeichnen. Mit einer Bilanz von 14 Siegen und 19 Niederlagen verbuchten die Tar Heels die schlechteste Saison seit der Spielzeit 2001/02. Doch wie viel ist davon Cole Anthony, dem wurfgewaltigen Guard aus New York, wirklich zuzuschreiben? Es mangelte ihm an Unterstützung beim Ballvortrag, Spacing war im Offensivspiel ebenfalls Fehlanzeige, und darüber hinaus setzte eine Meniskusverletzung den Highschool-Star der Oak Hill Academy für fast zwei Monate außer Gefecht. Gut möglich, dass Anthony das Spiel in der NBA bei der Entfaltung seiner offensiven Skills deutlich mehr entgegenkommt.