Nick Weiler-Babb: Mit voller Pferdestärke

Der FC Bayern München läuft derzeit arg dezimiert auf – womit Nick Weiler-Babb mit seiner Vielseitigkeit noch wertvoller ist. Gegen Khimki Moskau wechselt der Guard vom Schongang in den hohen Drehzahlbereich.

Andrea Trinchieri dürfte für jeden seiner Spieler eine Metapher parat haben: „Pauli“ Zipser bringe ihn von null auf eine Million Fahrenheit. Zan Mark Sisko gleicht mit seiner autistischen Begabung dem „Rainman“, Vladimir Lucic als Anführer hingegen Che Guevera. Und Nick Weiler-Babb tritt wie ein Volvo auf.

Auf der Pressekonferenz nach dem BBL-Spiel gegen Ludwigsburg hat der Head Coach des FC Bayern München Weiler-Babb mit einem Volvo, Baujahr 1990er Jahre, und dessen Overdrive-Getriebe verglichen – da „er sich immer im Schongang befindet. Er nutzt nicht all seine Pferdestärken“, monierte Trinchieri damals. Weiler-Babb sei „nie müde, weil er nicht in den hohen Drehzahlbereich geht.“ Demnach sei es Trinchieris Ziel, den Guard so lange „spielen zu lassen, um zu sehen, ob er denn müde werden kann“.

Gegen Khimki Moskau schaltete Nick Weiler-Babb aus dem Overdrive-Modus heraus, in den hohen Drehzahlbereich hinein, überdrehte aber nicht. Mit 25 Punkten, acht Rebounds und (offiziell) fünf Assists markierte der 25-Jährige gleich drei persönliche EuroLeague-Saisonbestwerte.

„Unglaublich in schwierigen Momenten“

 Weiler-Babb sowie James Gist „waren unglaublich in schwierigen Momenten“, lobte Trinchieri seinen Guard und seinen Big Man. Allein 13 Punkte erzielte Weiler-Babb im vierten Viertel, um die Bayern zu einem 95:93-Auswärtserfolg zu führen. Dabei überzeugte Weiler-Babb am Ball – wie durch einen Pullup-Dreier – genauso wie abseits des Balls, als er Closeouts und das Brett attackierte. So holte er den Bayern das Momentum Anfang des Schlussabschnitts zurück, nachdem Khimki den dritten Durchgang mit einem 8:0-Lauf beendet hatte.

Übernahm Weiler-Babb mit 13 der 22 Punkte Münchens im vierten Viertel die Scoring-Last, trat er im ersten Viertel als Playmaker in Erscheinung: Bei den ersten fünf Feldtreffern Münchens verteilte Weiler-Babb drei Assists (sein Anspiel auf Paul Zipser wurde offiziell nicht als Assist gewertet), einmal aus dem designierten Dribble-Hand-Off-Play an der Seite.

Zwischen Auftakt- und Schlussviertel, und auch dazwischen über 30 Minuten lang, verteidigte Weiler-Babb zudem noch Alexey Shved. Als primärer Verteidiger in 14 Possessions hielt er Moskaus Go-to-Guy bei nur zehn Punkten und einer Quote von 33 Prozent aus dem Feld, vier Ballverluste forcierte Weiler-Babb dabei.

Dass Weiler-Babb trotz dieser anstrengenden Aufgabe in der Verteidigung in der Offensive selbst so effizient agierte (1,56 PPP), ist fast schon atemberaubend – wobei dieses Adjektiv für Weiler-Babb wohl falsch gewählt ist, werde der Guard doch laut Trinchieri „nie müde“ – trotz 34 Minuten Einsatzzeit gegen Khimki. Ebenfalls ein persönlicher Saisonhöchstwert in der EuroLeague.

Allrounder und „two-way“-Spieler

Als Nick Weiler-Babb im Sommer 2019 nach seiner College-Zeit an der Iowa State University in die BBL gewechselt war und sich den MHP RIESEN Ludwigsburg angeschlossen hatte, wusste deren Head Coach John Patrick schon damals passend zu berichten: „Nick ist ein Allrounder, der viel Energie auf das Feld bringt. Außerdem besitzt er Leadership-Qualitäten und kann auf den Positionen Eins bis Vier spielen.“

Weiler-Babb ist der nächste Spieler in der Rekrutierungsreihe Patricks, der Ludwigsburg als Sprungbrett genommen hat: Auch Thomas Walkup schloss sich nach einem Jahr unter Patrick mit Zalgiris Kaunas einem EuroLeague-Club an, das gleiche wäre in der vergangenen Offseason fast Khadeen Carrington geglückt. Royce O’Neale und Kelan Martin haben es in die NBA geschafft.

Mit seiner Größe und Physis für einen Guard passt Weiler-Babb mit der von Patrick angedeuteten Vielseitigkeit hervorragend in die Switch-intensive Verteidigung Münchens. Unter dem Korb lässt sich der 1,96-Meter-Mann von Big Men nicht überrumpeln. Dennoch besitzt er auch die laterale Schnelligkeit, um gegnerische Guards wie Shved vor sich zu halten.

Offensiv hat sich Weiler-Babbs Rolle von Ludwigsburg zu München geändert, agiert er bei den Bayern – vor allem derzeit – viel häufiger als Playmaker als noch in seiner Profi-Debüt-Saison. Gerade jetzt, wo mit Zan Mark Sisko der zweite Point Guard und das Gegenstück zu Wade Baldwin sowie mit Nihad Djedovic ein zweiter Halbfeld-Ballhandler fehlen, ist Weiler-Babb mit seiner Vielseitigkeit noch wichtiger.

Der Guard versteht es gut, nach dem kurzen Hedgen des gegnerischen Big Man im Pick-and-Roll mit einem Dribbling nach außen sich dem Druck zu entledigen, nur um danach schnell anzutreten und daraus beispielsweise den Pullup-Jumper aus der Mitteldistanz zu nehmen. Weiler-Babb ist in solchen Aktionen weniger der Art von Spieler, der die Defense zum Kollabieren bringt, Kickout-Pässe bringt er nach seinen Drives dennoch an den Mann.

Ohne Zweifel legt Weiler-Babb vor allem offensiv noch nicht die Konstanz an den Tag, die es auf großer EuroLeague-Bühne braucht; ab und an agiert der Guard noch zu lässig. Neben einem solchen 25-Punkte-Spiel wie gegen Khimki wird es auch Partien gehen, in denen Weiler-Babb nur einen oder gar keinen Wurf aus dem Feld trifft (was in acht EuroLeague-Spielen vorgekommen ist), wo er in den Schongang schaltet und nicht mit hohen Drehzahlen von sich hören lässt.

Auf der anderen Seite hat Weiler-Babb gegen Khimki wieder einmal sein Potential angedeutet – als „two-way“-Spieler, der vielseitig verteidigt und als sekundärer Playmaker in Erscheinung tritt. Der ein Spiel offensiv am und abseits des Balls beeinflusst. Und der bei der Arbeit an den Brettern eine Hangtime demonstriert, um bloße Rebounds zu Highlights umzuschreiben.

Das Leben, so hat es Andrea Trinchieri in einem Podcast von Chris Oliver einmal definiert, besteht darin, „sich Widrigkeiten zu stellen und Lösungen zu finden. Beim Basketball ist es genauso.“ Widrigkeiten müssen sich die Münchener durch ihre Verletzungssorgen sehr wohl stellen. Vielleicht ist eine der Lösungen, vom Schongang in den hohen Drehzahlbereich zu schalten. Nick Weiler-Babb sollte das öfter tun.