Ismet Akpinar: „Ich habe den besten Januar meines Lebens gespielt“

Ismet Akpinar führt derzeit die DBB-Auswahl als Starting-Point-Guard bei der EM-Quali an. Im Interview spricht Akpinar über die Aufarbeitung der WM, seine größere Rolle bei Besiktas Istanbul, Gehaltszahlungen in der Türkei und die Bedeutung von Apfelessig.

basketball.de: Wie sehr hat Apfelessig dein Leben beeinflusst?

Ismet Akpinar: (lacht) Ich sage nicht, dass Apfelessig das Allheilmittel schlechthin ist. Aber wenn ich durch Kleinigkeiten etwas beeinflussen und ein paar extra Prozent herausholen kann – sei es, um nicht krank zu werden, um langfristig gesund zu bleiben, nicht nur leistungsorientiert für den Basketball, sondern auch für das Leben nach meiner Karriere –, dann tue ich das. Und Apfelessig ist so eine Sache. Ich habe jemanden in Hamburg, mit dem ich zusammenarbeite und in den ich ganz viel Vertrauen habe.

Im Podcast mit Jörg Bähren hast du von Apfelessig als Teil deines „Kickstarters“ am Morgen erzählt. Das Thema Ernährung scheint für dich eine große Bedeutung einzunehmen. Jetzt, wo du in der Türkei bist: Gibt es dort etwas – durch eine andere Kulinarik, je nach Saison –, das für deine Ernährung interessant ist?

Eigentlich nicht. Es ist nicht so, dass es etwas, das es in der Türkei gibt, nicht auch in Deutschland gibt. Ich würde sagen, es ist eher anders herum. Deutschland ist noch ein wenig progressiver, die Auswahl ist ein bisschen vielfältiger. Aber ich esse in der Türkei jetzt nicht unglaublich viele Datteln. (schmunzelt) Eigentlich führe ich meine Ernährung so weiter wie ich es auch schon in Deutschland gemacht habe.

Hast du dich auch schon mit vegetarischer und/oder veganer Ernährung beschäftigt?

Ich versuche grundsätzlich, mich so ausgewogen wie möglich zu ernähren – und das heißt für mich, auch Fleisch zu konsumieren. Aber ich habe über die Jahre meinen Fleischkonsum schon deutlich verringert, weil ich daran auch negative Seiten bemerkt habe. Für mich heißt es jetzt: deutlich mehr Qualität statt Quantität, auch generell bei tierischen Produkten.

Ich hatte mich im vergangenen Jahr mit dem Athletiktrainer von UNICS Kazan, Marcus Lindner, unterhalten, auch über (vegane) Ernährung.

Es ist ein super interessantes Thema, das in den letzten zwei Jahren wirklich präsent geworden ist. Ich habe vegane Ernährung auch einmal für eine Woche ausprobiert. Aber für mich zählt die Ausgewogenheit.

Als wir uns das letzte Mal länger unterhalten haben, vor zwei Jahren, hatte ich mich auch mit deinem damaligen Trainer bei ratiopharm ulm, Thorsten Leibenath, unterhalten. Er sagte damals: „In meinen Augen hat Izi alle Qualitäten, die es benötigt, um sich zu einem gestandenen Nationalspieler zu entwickeln, der dann mehr ist als nur ein Rollenspieler. Ich glaube, Izi wird sich zu einer Säule der Nationalmannschaft entwickeln.“ Seitdem hast du alle zwölf WM-Quali-Spiele absolviert, nach der EM 2017 warst du auch bei der WM 2019 im Kader. Wie sehr siehst du dich selbst als Säule der Nationalmannschaft?

Erstmal freut es mich, dass Thorsten schon damals so viel Vertrauen in mich hatte. Seitdem habe ich jedes Spiel der Nationalmannschaft absolviert, ich war bei jedem Trainingslager dabei, ich war einer von drei Spielern, die alle WM-Qualifikationspiele bestritten haben – das spricht schon für eine Kontinuität. Ich möchte mich ungern selbst als „Säule der Nationalmannschaft“ beschreiben, das ist etwas hochgesteckt. Aber ich freue mich, dass ich den letzten Jahren immer ein Teil der Nationalmannschaft gewesen bin. Ich hoffe, dass das so weitergeht.

„Nach dem verkorksten Sommer müssen wir beweisen, dass wir eine gute Mannschaft sind“

Im aktuellen Länderspielfenster kann man dir, trotz erst 24 Jahren, eine Führungsrolle zuschreiben: Du wirst auf der Eins starten, wahrscheinlich sehr viele Minuten sehen, es gibt viele junge Spieler, die erst ihr A-Debüt geben. Welche Rolle sieht Bundestrainer Henrik Rödl für dich vor?

Das hast du ganz gut zusammengefasst. Ich bin der Starting-Point-Guard der Mannschaft. Damit habe ich automatisch viel Verantwortung. Wir haben eine sehr junge, aber auch sehr hungrige Mannschaft. Aber es gibt ganz klar einige Führungsspieler, die viel Erfahrung haben – zu denen ich auch gehöre. 

Hast du mit Rödl schon vor dem Fenster gesprochen?

Ja. Henrik und ich verstehen uns sehr gut, wir sind in engem Kontakt. Nach guten oder auch nicht so guten Spielen schreiben wir uns auch unabhängig von der Nationalmannschaft. Vor dem Lehrgang hatte er mich angerufen und mir den Lehrgang erklärt: was die Ziele sind, was er vor hat, wie meine Rolle und wie der Kader aussieht.

Für euch ist es eine besondere Situation: Als Ausrichter der EM 2021 seid ihr bereits qualifiziert. Mit welchem Mindset geht ihr in die Partien gegen Frankreich und Großbritannien – haben diese Spieler mehr einen Testspielcharakter?

Nein, es sind keine Testspiele. Es ist kein „Larifari“, kein lockeres Spiel im Sinne von „wir gucken, was geht“. Nein, wir repräsentieren Deutschland – und das ist für jeden Spieler immer etwas ganz besonderes. Wenn du für die Nationalmannschaft aufläufst und du zu einem der zwölf besten Spieler zählst, dann spielst du auch dementsprechend.

Nach dem verkorksten Sommer, den wir hatten, müssen wir jetzt beweisen, dass wir eine gute Mannschaft sind. Und auch wenn viele jetzt sagen werden, dass das aktuell nicht die Mannschaft ist, die auch im Sommer auflaufen wird, möchte jeder auch beweisen, dass er zurecht hier ist. Deswegen möchte jeder sein Bestes geben – was wir am Ende auch als Kollektiv tun wollen.

Du hast die verkorkste WM angesprochen. Wie lange hat es für dich persönlich gedauert, diese zu verarbeiten?

Schon während der Weltmeisterschaft ist uns klar geworden: „Okay, wir haben verloren, wir werden nicht weiterkommen.“ Es gab also da schon viel Zeit zum Nachdenken. Wir hatten auch teamintern viel miteinander gesprochen und versucht, das zu verarbeiten – weil wir auch wussten, dass der Kern dieser Mannschaft über Jahre hinweg zusammenbleiben wird. Deswegen wollten wir auch nichts kaputtmachen, was die Teamchemie betrifft.

Kurz nach der Weltmeisterschaft bin ich direkt nach Istanbul geflogen und habe für mich ein neues Kapitel eröffnet, was super spannend und eine tolle Erfahrung ist. Das heißt, das war für mich so etwas wie eine 180-Grad-Wendung. Aber immer wieder denkt man sich: „Verdammt, was haben wir da nur gemacht?!“ Wirklich 100 Prozent verarbeitet hat man das nicht. Ich glaube, das wirst du auch nie wirklich abhaken, das wird immer im Hinterkopf sein: was für eine Chance man vergeben hat … Aber man darf daran nicht zerbrechen, man muss aus der Situation lernen. Im kommenden Sommer haben wir eine riesige Chance, das wiedergutzumachen – darauf sind wir alle sehr heiß.

Intern – sei es im Coaching-Stab oder beim Verband – wird viel aufgearbeitet worden sein. Hast du was von der internen Aufarbeitung mitbekommen, dass jemand von DBB auf euch Spieler zugekommen ist?

Das weniger. Nach der Weltmeisterschaft ist jeder erstmal seinen Weg gegangen. Ich denke, ein großes Meeting wird im Sommer folgen, wenn der Kern dann auch wieder zusammen ist.

„Ich wusste, worauf ich mich einlasse“

Lass uns über deine Zeit bei Besiktas Istanbul sprechen: Wie oft hast du dich mit Robin Benzing ausgetauscht – sei es vor deinem Wechsel, in den ersten Wochen oder auch jetzt bei der Nationalmannschaft?

Ja, das haben wir. Am Anfang hat er mir ein bisschen davon erzählt. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse. Wir haben uns auch nach Spielen immer mal wieder geschrieben. Robin verfolgt das schon sehr intensiv; er meldet sich echt oft bei mir – das freut mich.

In der Vergangenheit gab es um Besiktas, wie auch allgemein um Teams in der türkischen Liga, immer wieder Meldungen über ausstehende Gehaltszahlungen. Das hat dich aber nicht abgeschreckt, als du über den Wechsel zu Besiktas bzw. in die Türkei nachgedacht hast?

Wie gesagt, ich wusste, worauf ich mich einlasse. Genau so, wie es zu erwarten war, ist es am Ende auch gekommen. (schmunzelt) Von daher ist es halb so schlimm. Ich wollte den Schritt in die türkische Liga einfach unbedingt gehen und diese Erfahrung machen. Von daher bereue ich auch nichts.

Aber das Gehalt ist bisher immer gekommen?

(lacht) Schön wäre es. Wenn ich will, müsste ich nicht zurückkehren, und der Verein müsste meinen Vertrag auszahlen; oder ich könnte einfach so die Mannschaft wechseln. Es gibt in einem Vertrag immer ein paar Klauseln, die einen Spieler schützen sollen. Am Ende ist es eben so, dass wenn ein Verein dich nicht bezahlt oder bezahlen kann, du eben ein wenig länger auf dein Gehalt warten musst.

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass du nach deinen zwei Jahren in Ulm innerhalb der Basketball-Bundesliga gewechselt wärst?

Gering. Meine Ziele sind hoch gesteckt. Jeder Basketballer träumt ja von der NBA. Als Zwischenstopp möchte ich in die EuroLeague, in den kommenden Jahren möchte ich ein EuroLeague-Spieler sein. Und in Deutschland gibt es nach Ulm nicht viele Teams: da gibt es Bayern oder Berlin. Bamberg wäre eines der Teams gewesen, wo ich mir auch ein Angebot angehört hätte. Die Anzahl an Mannschaften, die in Deutschland in Frage gekommen wären, war also gering – dann hätte ich lieber in Ulm verlängert; ich habe mich dort wirklich wohl gefühlt.

Ich habe mir Angebote aus Spanien und der Türkei angehört. Aber ich wollte unbedingt in die Türkei gehen, womit der Wechsel zu einer Mannschaft in der Türkei relativ früh klar war. Um ganz ehrlich zu sein: Besiktas war jetzt keine Mannschaft, zu der ich unbedingt wollte, bei der ich sagen würde: Das ist ein Ziel von mir. Es ist mehr eine Möglichkeit, um in der türkischen Liga Fuß zu fassen und dann zu schauen, was noch geht.

Spielt dein Bruder Mutlu eigentlich noch professionell?

Ja, in der zweiten Liga.

Hat er zu dir nicht gesagt: „Izi, wärst du mal zwei Jahre früher in die Türkei gekommen, dann hätten wir noch in der ersten Liga gegeneinander spielen können“?

(grinst) Das wäre schön. Leider hat das nicht geklappt. Mit seiner aktuellen Mannschaft wird es auch schwierig, aufzusteigen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass er noch in der ersten türkischen Liga spielen könnte; er spielt eine gute Saison in der zweiten Liga. Ob es ein Angebot für die nächste Saison gibt, muss man sehen.

In den vergangenen Spielen fällt auf, dass du auch mehr in der Crunchtime übernimmst: Gegen Anadolu Efes hast du acht Punkte in den letzten 2:39 Minuten erzielt, gegen Galatasaray acht Zähler in den letzten 5:30 Minuten, gegen Bonn hast du den Gamewinner-Floater getroffen. Nimmst du aktuell die größte Rolle  deiner Profikarriere ein?

Ich würde sagen, dass ich den besten Januar meines Lebens gespielt habe. Wir hatten einen Trainerwechsel – für mich persönlich war das das Beste, was mir passieren konnte. Mit dem vorherigen Trainer Dusko Ivanovic lief es generell für die Mannschaft nicht so gut – es hat einfach nicht gepasst. Man sieht dennoch, was für ein guter Trainer er ist: bei was für Standorten er war, jetzt ist er bei Baskonia in der EuroLeague. Aber es hat einfach mit der Mannschaft nicht gepasst, wir hatten etwas Neues gebraucht. Zuletzt haben wir viele Spiele gewonnen – und für mich war es der beste Januar. Ich bekomme sehr viel Verantwortung und nutze meine Minuten sehr gut. Ich hoffe, das geht so weiter.

„Mich hat es selbst erstaunt, wie konstant ich auf einem so hohen Niveau spielen kann“

In welchen Bereichen hast du dich bei Besiktas im Vergleich zu deiner BBL-Zeit vor allem entwickelt?

Erstmal, wie konstant ich auf einem so hohen Niveau spielen kann: von Anfang Januar bis Anfang Februar waren das zehn Spiele. Ich muss sagen, das hat mich selbst etwas erstaunt; das hatte ich bisher noch nicht erlebt. Ich hatte immer mal wieder sehr gute Spiele absolviert, aber dann ging es auch mal wieder runter, das ging bei mir Schlag auf Schlag.

Ansonsten fällt mein Drei-Punkte-Wurf gerade sehr gut, auch die schwierigen Dinger fallen. Zudem habe ich mich beim Kreieren verbessert; was die Assists betrifft, läuft es gerade auch sehr gut.

Wie oft bist du eigentlich mit Tibor Pleiß und Mahir Agva unterwegs?

Eher selten. Zu Tibor habe ich generell nicht so ein enges Verhältnis: Wir kennen uns eigentlich nur vom Namen, in der Nationalmannschaft haben wir nie zusammengespielt, und wir haben auch selten gegeneinander gespielt. Man spricht natürlich miteinander, wenn man sich sieht; das gleiche mit Mahir. Auch wenn jeder von uns in Istanbul wohnt … Istanbul kann man mit keiner anderen deutschen Stadt vergleichen, nicht mal mit Berlin. Man hat zudem zwei Spiele in der Woche. Aber im Austausch sind wir trotzdem, wir waren auch ein-, zweimal zusammen essen.  

Du hast türkische Wurzeln, aber nun bist du das erste Mal über einen langen Zeitraum in der Türkei; du wohnst und arbeitest dort. War das eine schwierige Umstellung für dich?

In gewissen Dingen ist es schon eine Umstellung, aber große Schwierigkeiten habe ich nicht gehabt; ich spreche die Sprache fließend. Einige Sachen laufen nicht so wie in Deutschland, das muss man erstmal verstehen: Nicht alles ist auf den Punkt, sondern eher Pi mal Daumen; dann musst du auf einige Sachen einfach länger warten. Aber ich fühle mich generell super wohl.

Im anfangs erwähnten Podcast mit Jörg Bähren hast du gesagt: „In Deutschland bin ich der Abi, der große türkische Bruder, in der Türkei bin ich der Deutsche.“ Das klingt so, als würde man sich auch ab und an fragen, ob man wirklich angekommen ist und akzeptiert wird. Gibt es für dich solche Momente?

Ja, klar. Es ist schon so, dass ich dort immer mal wieder als der Deutsche angesehen werde – und hier als der „Abi“. Viele denken, das ist blöd, und ich sei nirgends so wirklich zuhause. Ehrlich gesagt: Mich stört das nicht. Ich verstehe mich mit den Leuten gut, ich habe überall Freunde. Ich fühle mich in Istanbul sehr wohl – und habe das auch bei all meinen Stationen in Deutschland. Am Ende sollen sie Ismet oder Izi mögen. Und letztlich habe ich einfach mehrere Zuhause.

Wie lange geht dein Vertrag bei Besiktas Istanbul noch? Und hast du mit deinem Agenten schon über deine Zukunft gesprochen?

Ich hatte einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben. Noch ist das sehr früh; im Februar spricht man noch nicht darüber, da wartet man noch ab, wie die Saison verläuft. Wenn ich an meine Leistungen im Januar und Februar anknüpfen kann, dann sieht das aber sehr gut aus. Wie gesagt: Meine Ziele sind sehr hochgesteckt, ich möchte in der höchsten Liga Europas spielen. Und dann muss man sehen, ob es Interessenten gibt.

Du bist in Hamburg aufgewachsen, die Towers spielen ihre Premierensaison in der BBL. In Berlin bist du zum Profi gereift. Und in Ulm hast du die letzten zwei Jahre verbracht: Welches Team verfolgst am meisten?

Ich bin noch in sehr engem Kontakt mit Per Günther, womit ich bei Ulm einige Einblicke habe; ich bekomme mit, was in und um Ulm herum passiert. Sowohl Ulm als auch Berlin waren super Stationen, ich habe mich in beiden Vereinen und Städten sehr wohl gefühlt – der Wechsel fiel mir jeweils echt nicht leicht. Auch sozial: Ich habe mich wirklich zuhause gefühlt; ich habe dort Freunde fürs Leben gefunden. Das macht die Standorte zu etwas ganz Besonderem für mich – ich kann da also nicht differenzieren.

Hamburg drücke ich auch die Daumen. Hamburg hat so tolle Leute: ob Basketballer oder abseits des Sports, die sich um den Verein kümmern. Ich habe das ja alles mitbekommen, von klein auf, wie das aufgebaut wurde. Deshalb gönne ich es jedem und der ganzen Stadt. Die Liga würde sich sicherlich auch freuen, wenn es ein Standort wie Hamburg schafft, sich zu etablieren.