Ein Go-To-Glue-Goat tritt ab von der DBB Bühne

Mit Niels Giffey tritt nicht nur einfach „irgendein“ Musterprofi aus der DBB Nationalmannschaft zurück.

Sondern eine Identifikationsfigur.

Ein retrospektiver Kommentar.


Einen Kommentar über den Rücktritt von Niels Giffey aus der DBB Nationalmannschaft mit „denglischen“ Phrasen und Begriffen einzuleiten, mag auf den ersten Blick stören können. Zumindest aber unkonventionell sein.

Aber es sind genau diese Begriffe, die ich persönlich mit Niels Giffey verbinde. Er ist auf seine Weise ein einzigartiger Spieler, weil er stets unprätentiös, ohne Ego und mit dem 100%-igen Einsatz seiner Möglichkeiten agierte.

Ein Go-To Guy.

Ein Spieler dem man in besonders wichtigen Phasen des Spiels Würfe zutrauen kann. Vielleicht jenen als Team sogar sucht in diesen Phasen.

Ein Glue-Guy.

Ein Spieler der sich mustergültig in ein Team einfügt und dabei dem Team das gibt, was es gerade benötigt. Ob nun Verteidigung, wühlen unter dem Korb für Rebounds oder ein Dreier zum richtigen Zeitpunkt. Vielseitigkeit ist hierfür der Schlüssel. Und sich dabei vor allem uneitel einzufügen und situativ anpassen zu können.

Ein Goat. Greatest of all time. Betonung auf „ein“.

Weil er all das mit einer Seriösität und Konstanz getan hat in der Nationalmannschaft. Wie zwar auch einige vor und nach ihm wahrscheinlich. Genau dies ein Erfolgsrezept der deutschen Basketball Kultur ist. Aber er das eben mit einer erstaunlichen Einstellung und Konstanz irgendwie einzigartig interpretiert hat.

Nach 118 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft ist Schluss für den gebürtigen Berliner. Wir möchten Tribut zollen.


Warum Giffey ein Traum für jeden Trainer ist

Nun zum einen wären da seine Fähigkeiten. Hoher IQ auf dem Parkett bezogen auf Spielsituationen. Giffey weiß stets, was er zu tun hat. Wo er sein muss. Wo die Mitspieler stehen. Wie man ein gutes offensives oder defensives Play landen kann. Und das ist im Grunde seit Beginn seiner Laufbahn so.

Ein Coach muss Niels Giffey im Grunde gar nichts erklären, was Team Verteidigung angeht. Er steht sowieso richtig und kann im Zweifel eher als verlängerter Arm eines Trainers auf dem Feld agieren. Vielleicht mag Giffey selten eine Insel gewesen sein, der andere Spieler komplett und im Alleingang defensiv kalt stellen kann. Ok.

Aber das ist sowieso nicht zwingend nötig im Basketball. Das ist und bleibt ein Teamsport. Nur wenn ein Team defensiv und offensiv gut zusammenarbeitet, kann es Erfolg haben. Ich würde sogar behaupten, dass ein starkes Teamgefüge fast immer einer Ansammlung von „Stars“ zu bevorzugen ist.

Den wahrscheinlich besten und schönsten Basketball, den diese Welt je gesehen hat, spielten für mich die San Antonio Spurs aus dem Meisterschaftsjahr 2014. Der Ball wurde im Grunde immer bewegt, immer wurde der freie Mann gesucht. Der best mögliche Wurf gesucht. Egos hinten angestellt.

In der Defensive gab es zwar den großen Leuchtturm Tim Duncan, die Insel Kawhi Leonard, aber am Ende des Tages war auch hier das ineinandergreifen aller Rädchen im System die fundamentale Stärke.

Sicherlich brauch es individuelle Stärken der Spieler, um so ein System bestmöglich interpretieren zu können. Und sicherlich gibt es auch verschiedene Wege, die nach Rom führen, im Basketball.

Aber wer es schafft dieses Grundmuster der Spurs halbwegs ordentlich in einem Team abzubilden, kann eine Menge mehr aus einem Team herausholen, als da eventuell eigentlich drin ist, vom reinen Talent oder physischen Aspekten her betrachtet.

Nur für so etwas braucht man Spieler, die das Spiel Basketball verstehen!

Die intelligent genug und willig genug sind, ihren Teil beizutragen. Die nicht auf ihre Statistiken pochen oder eine eigene Agenda verfolgen. Die Spieler.. die einfach nur als Team gewinnen wollen. Dafür die Fähigkeiten mitbringen und sie uneitel und ohne Ego in den Dienst der Mannschaft stellen.

Und für genau diese seltenen Eigenschaften und der Maximierung von Potentialen steht Niels Giffey. Und er wiederum sinnbildlich für eine Ausrichtung des DBB.


Da wo Giffey ist, da ist Erfolg

Schon früh begann für den 2.03 Meter großen Small Forward die Jagd nach Edelmetall. Bereits in der U16 konnte Giffey 2006 mit seinen Marzahner Basket Bären die Deutsche Meisterschaft feiern.

Einige Zeit später folgte dann der Schritt an ein College in den USA. Die University of Connecticut sollte es sein und gleich in seinem ersten Jahr als Freshman konnte sogar der ganz große Wurf gelingen.

Die Huskies zogen ins Championship Game ein und holten sich den Titel. Giffey kam im Finale auf 24 Minuten von der Bank und steuerte seinen Teil dazu bei. Ein typischer Giffey sozusagen. Wegweisend für die weitere Laufbahn.

In den kommenden beiden Jahren sollte sich Giffey stetig verbessern, jedoch nicht über den Spot von der Bank hinauskommen. Giffey eben. Wozu auch darauf drängen ein Starter zu werden. Hauptsache der Team Erfolg stimmt.

In seinem vierten und letzten Jahr am College konnte sich Giffey einmal mehr steigern und war spätestens zur March Madness fundamentaler Bestandteil seines Team.

Die Huskies zogen wie 3 Jahre zuvor bis ins Championship Game. Dort steuerte Giffey 10 Punkte mit starken Quoten und starker Defense in 37 Minuten bei und verhalf so sich und seiner Mannschaft zum zweiten Titel binnen 4 Jahren.



Im NBA Draft übersehen. In der BBL unverzichtbar.


Es ist gradezu verblüffend, warum NBA Scouts, die in den Folgejahren nach 2014 gradezu händeringend nach „3nD“ Spieler suchten, also Spielern die verteidigen können und vor allem den Dreier treffen offensiv, Giffey übersehen konnten.

Die Quoten am College, die Einstellung, die Verteidigungsarbeit und sogar der physische Körperbau von Giffey waren eigentlich die Blaupause für das, was mal später „der heiße Scheiß“ und der alles bestimmende Trend wurde in der NBA.

Mag sein, dass man in der Athletik und dem Alter eine Hürde gesehen hat. Aber im Grunde kann man davon ausgehen, dass Giffey in der richtigen Hand, eines richtigen Coaches auch in der NBA ohne Probleme funktioniert hätte.

Nun. Des einen Pech. Ist des anderen Glück.

Als College Senior kam Giffey automatisch in den NBA Draft 2014, wurde jedoch von keinem Team gewählt und landete so schlussendlich bei Alba Berlin in seiner Heimat.

Giffey entwickelte sich auch hier weiter und wurde 2017 zum Kapitän ernannt. Giffey tut eben Giffey Dinge. Einen besseren Team Kapitän kann man sich eigentlich kaum selber backen auf Rezept.

Bereits ein Jahr zuvor gewann sein Team den nationalen Pokalwettbewerb. Allerdings konnte Giffey aufgrund einer langwierigen Fußsehnenentzündung kein Spiel im Top Four bestreiten. Eine Medaille gabs natürlich trotzdem. Giffey eben. Selbst verletzt bringt er seinen Part.

Zwischen 2019 und 2021 konnte Giffey als Kapitän 2 Meisterschaften und einen Pokalsieg einfahren, bevor es ihn ins Ausland zog. Nach Stationen in Litauen (Pokalsieg) und Spanien sollte dieses Abenteuer aber doch schnell wieder beendet werden.

2022 kam der Wechsel zurück nach Deutschland. Allerdings diesmal zum FC Bayern München, wo er bis heute aktiv ist und seine Titelsammlung mit 2 Pokalsiegen und einer Meisterschaft vergrößert hat. Und Schluss ist hier vemutlich noch lange nicht.


Das German Dream Team…. World Champion of WHAT?

Giffey durchlief alle Jugendmannschaften und schaffte den Sprung in die A-Mannschaft. Nach einigen Teilnahmen an großen Turnieren wurde er Teil unseres eigenen Deutschen Dream Teams, welches 2022 Bronze bei der EM holte, 2023 Weltmeister wurde, 2024 bei Olympia den vierten Platz erreichte und knapp an einer Medaille vorbeischrammte.

Zwar hielten sich die Spielanteile in Grenzen innerhalb dieser eingeschworenen Mannschaft. Aber Giffey ist der personifizierte Glue Guy, ein Vorzeigeprofi und zu oft übersehener Anführer.

Er macht im Grunde immer das richtige Play, trifft die richtigen Entscheidungen, ist ein starker und kerniger Verteidiger und macht Dinge, welche nicht immer im Boxscore auftauchen.

Paart man all das mit seinem starken Wurf, ist er der Liebling eines jeden Trainers. Mit vollem Recht.

Denn als Coach sollte man nicht nur darauf schauen, dass die „formellen“ Fähigkeiten eines Spielers Qualität haben. Sondern vor allem ein Gefüge auf- und auszubauen. Sicherlich hatte Giffey im legendären 8 zu 0 Run zum Titel auch seine spielerischen Momente. Gegen Finnland und Slowenien zum Beispiel.

Aber viel wichtiger ist es einen ausgewiesenen Musterprofi wie Giffey im Team zu haben für die Chemie.
Basketball ist vor allem eines. Es ist ein Spiel der eingespielten Prozesse. Des Talentes. Der EINSTELLUNG. Und.. ein Spiel des Selbstvertrauens!

Niemandem in einem Team ist geholfen mit toxischen Teammates, die andere ziellos oder unkonstruktiv kritisieren. Das raubt Selbstvertrauen. Wenn konstruktive Kritik kommt von einem Musterprofi wie Giffey, nimmst du das aber umso ernster. Gerade als junger Spieler.

Auch ist es schädlich Leute auf der Bank oder in der Starting 5 zu haben, die auf ihre Stats und „Star“ Rollen beharren. Es lähmt wortwörtlich den Fluss des Balles in der Offensive, weil du immer wieder dieses eine Ziel suchst. Nicht den erfolgreichen Wurf für das Team. Sondern diesen Spieler.

Jeder der mal selber gespielt hat, weiß auch, dass die eigene Hand weniger zittrig ist in großen Momenten, wenn man weiß, dass auf der Bank fähige Leute sitzen, die im Notfall für dich übernehmen können.

Niels Giffey hat selbst mit 0 Minuten auf dem Zettel einen viel größeren Impact für ein Teamgefüge als es viele „Nicht“- Basketballer abschätzen und verstehen können.

Solche Spieler BRAUCHT man als Coach und schätzt sie auch. Sie sind wichtig für die Chemie in einem Team und man hat zu jedem Zeitpunkt einen Spieler, den du bringen kannst, wenn es drauf ankommt. Der dann das tut, was in diesem Moment dem Team helfen kann.



Warum Giffey geradezu sinnbildlich für den DBB steht

Das Prinzip Niels Giffey lag immer in der Maximierung des eigenen Potenzials. Des unbedingten Siegeswillens. Der Einstellung zum Sport und zum Begriff „TEAM“. Einer guten Ausbildung. Seriösität auf dem Parkett. Und des, für all diese Dinge nötigen, Skills und Talent. In der Kabine kein Stinkstiefel zu sein, ist dann noch die Kirsche auf der Torte.

Damit ist er geradezu die Blaupause für den jüngsten Weg des DBB.

Basketball Deutschland ist eine Kultur der Ernsthaftigkeit und der Improvisation. Not zur Tugend zu machen. Das Beste aus den Möglichkeiten zu heben.

Noch immer ist an vielen Stellen Nachholbedarf, an allen Ecken und Enden zu wenig Finanzpower im System. Noch immer ist infrastrukturell vieles im Argen. Einiges könnte man selber anpacken. Vieles liegt außerhalb der eigenen Macht.

Unternehmen (die allerdings momentan fast alle auch eigene Probleme haben) wollen sich zwar all zu gern im „Sonnenlicht“ dieses sympathischen Sportes sonnen. Denen das auch in Verhandlungen über Etats NOCH prägnanter klar zu machen, kann man anpacken. Als DBB. Als BBL. Als Club.

Hallenzeiten für den Nachwuchs zu organisieren oder gar Hallen zu bauen ist aber in Deutschland zum Beispiel ein ganz dickes Brett, was zu bohren ist. Da ist man nicht der alleinige Entscheider. Wie auch bei den Kosten?

Man ist in Deutschland als Basketball „Schaffender“. Ob nun Spieler, Clubs, Verbände, Medien, eigentlich alle sind dazu gezwungen das Beste aus sich herauszuholen. Nur über Effizienz und der richtigen Attitüde kann man hier bestehen oder gar etwas Großes erschaffen.

In aller erster Linie sind es die Spieler und Trainer, die den momentanen Sonnenschein erschaffen haben. Das muss man auch mal klar benennen. Sie sind es, die eine gute EM gespielt haben. Die Weltmeister wurden. Die bei Olympia Platz 4 erreicht haben.

Die im 3×3 Turnier bei den Frauen die Goldmedaille geholt haben. Die DBB-Frauen welche ihre erste Olympiaqualifikation überhaupt erreichten und auch ihr olympisches Turnier mehr als ordentlich bestritten dabei. Grade der Frauen Basketball hat es NOCHMAL schwerer als die Männer.


Der Verband als „Glue Association“

Aber:

Der DBB schafft Grundlagen. Bezieht immer besser die vorhandenen Expertisen ein. Schafft es sich als quasi „Glue Association“ zu zeigen. Seinen Teil beizutragen in Ausbildung, Umfeld, Coaching. Eine Mentalität zu prägen und zu spiegeln. Zu fördern und zu fordern. Um mal eine alte Phrase in den Raum zu werfen.

Der DBB und Niels Giffey als Symbol dafür:

Unbedingter Siegeswille. Der Einstellung zum Sport und zum Begriff „TEAM“. Eine gute Ausbildung. Seriösität auf dem Parkett. Und den, für all diese Dinge, nötigen Skills, Talent und Offenheit dafür sein Ego uneitel zurück zu stellen.

Jetzt das Beste an allem. Niels Giffey ist nicht der Einzige.

Ob nun ein Thiemann, Voigtmann, Schröder, Obst, Herbert, Sabally Schwestern, Wagner Brüder, Fiebich, Theis, Maodo Lo, Bonga, den Da Silvas, Brunckhorst. Und da habe ich all die zig Personen im Hintergrund, den Talenten, den Funktionsteams und und und, nicht mal mit drin. Sondern „nur“ die Speerspitze genannt.

Ganz zu schweigen von all den Heerscharen die im Amateur und Breitensport ihren Teil leisten und übererfüllen. Dort echte Opfer bringen.

Das Füllhorn an den richtigen Leuten, mit der richtigen Einstellung ist momentan gradezu endlos wirkend in Basketball Deutschland. Aber um all diese Personen geht es heute nicht. Sondern um Niels Giffey.

Danke Niels.

Du hast deinen Platz in der Geschichte des deutschen Basketballs mehr als verdient. Danke für all die Opfer, die du gebracht hast in deiner DBB Karriere.

Und nicht zuletzt für den aberwitzigen Load an Spaß und Glücksgefühl, den du dabei Basketball Deutschland beschert hast.