Mission Olympia dank Voigtmann und Verteidigung
Die deutsche Nationalmannschaft steht beim Olympia-Quali-Turnier im Halbfinale – und trifft dort auf Kroatien. Moritz Wagner hebt Joe Voigtmann als Ruhepol der Mannschaft heraus, Robin Benzing und Johannes Thiemann erklären die Stärken in der Defense.
Nach der Absage von Dennis Schröder aus versicherungstechnischen Gründen war der Tenor vor dem Start des Olympia-Qualifikations-Turniers klar: Beim deutschen Team muss es mehr denn je über das Kollektiv gehen. Nach zwei Siegen gegen Mexiko und Russland und dem Einzug als Gruppensieger ins Halbfinale kann man attestieren: Aufgabe erfüllt.
„Wir bekommen von jedem Spieler etwas“, erklärte so auch Bundestrainer Henrik Rödl nach dem Erfolg gegen Russland. Beim 69:67-Sieg punkteten vier Spieler zweistellig, beim vorherigen 82:76-Erfolg gegen Mexiko waren es fünf Akteure mit zweistelliger Punkteausbeute. Niels Giffey fügte an: „Wir haben nach dem schwachen Start erst Moritz Wagner und dann weitere Mismatches gefunden. Es haben viele Spieler Verantwortung übernommen. Man hat gesehen, dass wir nicht nur eine Lösung haben.“
Wagner: „Joe Voigtmann hat das vierte Viertel komplett dominiert, als bei anderen der Tank leer war – das ist nochmal ein anderes Level“
Dennoch zeichnet sich bislang ein teaminterner Turnier-MVP ab: Joe Voigtmann. Bereits in den Vorbereitungsspielen beim Supercup zeigte der Center von CSKA Moskau eine Kombination aus Spielmacherfähigkeiten, Spielintelligenz und Vielseitigkeit. Das bestätigte Voigtmann beim Auftakterfolg gegen Mexiko mit zehn Punkten, zehn Rebounds und fünf Assists, beim Sieg gegen Russland packte Voigtmann im vierten Viertel sein Team auch offensiv auf seine Schultern. Tip-In, Rainbow-Dreier, Flamingo-Fadeaway aus dem Turnaround? Hatte Voigtmann allesamt im Repertoire, und das in der Crunchtime.
„Das hat mir echt imponiert. Er hatte drei Viertel ein echt schwieriges Spiel, ist aber dabeigeblieben – und hat das vierte Viertel komplett dominiert und das Spiel entschieden, als bei anderen der Tank leer war“, blickte Moritz Wagner auf die Vorstellung Voigtmanns. „Da dachte ich mir: Wow, der Typ ist anders, das ist nochmal ein anderes Level!“ Wagner schätzt am 28-jährigen EuroLeague-Akteur auch, dass er „bei unserer jungen Truppe der Ruhepol ist. Er strahlt generell eine Ruhe aus, ob auf oder abseits des Feldes.“
Diese Ruhe hilft dann natürlich auch inmitten des Spiels, gegen eine Verteidigung die richtigen Entscheidungen zu treffen. So hatte Andreas Obst vor dem Turnierstart erklärt: „Joe ist ein Wahnsinnsspieler. Sobald er den Ball hat, sieht er jeden Winkel. Wenn ein Spieler eine Lücke nutzt, weiß er dorthin zu passen, er weiß, wie die Defense rotiert. Ihn auf der großen Position zu haben, mit seinem Spielverständnis, ist sehr wertvoll für uns.“
Dennoch vermag das deutsche Team offensiv (noch) nicht zu überzeugen. Bislang findet Rödls Truppe nicht konstant ihre Optionen aus dem Halbfeldangriff. Von den Ballhandlern – allen voran Maodo Lo (0,25 PPP als Pick-and-Roll Ballhandler; insgesamt nur 51 Sekunden im vierten Viertel auf dem Feld) – kommt bisher zu wenig. Und der gefährlichste Schütze Andi Obst hat noch nicht seinen Shooting-Touch gefunden (0/5 3FG aus dem Catch-and-Shoot).
Offensiv werden die Größenvorteile der DBB-Auswahl vor allem beim Offensiv-Rebound deutlich, eine Offensiv-Rebound-Quote von 36,8 Prozent ist ein sehr guter Wert. Das Post-up hat das deutsche Team bisher noch nicht sehr stark, im Turnierverlauf aber zumindest immer häufiger gesucht – dabei durch Robin Benzing oder Isaac Bonga in Form von Passstationen für die Werfer.
Thiemann: „Durch eine relativ große Lineup wurden wir nicht bestraft, das Switchen hat uns sehr gut getan“
Derweil ist bislang auf die Verteidigung Verlass. Wie im Vorschau-Podcast angesprochen, hat diese Mannschaft das Potential, eher defensivgeprägt zu sein. Sicherlich ist es auf Grund der kurzen Vorbereitungszeit auch „einfacher“, durch Einsatz in der Defense als durch Flow in der Offense zu überzeugen.
In der Vorrunde weist das deutsche Team ein Defensiv-Rating von 105,2 Punkten pro 100 Possessions auf. Bemerkenswert: In den ersten drei Vierteln liegt das Defensiv-Rating bei schwachen 120,8, in den vierten Vierteln bei betonanrührenden 62,0!
Gegen Mexiko ließ Rödl dort konsequent auf eine Switching-Defense umstellen. „Gustavo Ayon ist im Short-Roll unglaublich. Mit dieser Art von Spiel hat er in Madrid jahrelang dominiert, das hat er nicht verlernt. Unsere Defense war da nicht gut genug: Wir hatten ein paar Abstimmungsprobleme, ein paar Hilfen waren nicht sauber“, analysierte Johannes Thiemann hierzu. „Das haben wir mit dem Switchen gut weggenommen. Oben haben wir den Switch gut verteidigt, und im Post hat Ayon das gegen unsere etwas kleineren Spieler nicht bestraft. Wir haben mit einer relativen großen Lineup gespielt und machten dort einen Triple-Switch, sodass Ayon im Post mindestens noch einen Dreier gegen sich hatte im Post. Von daher hat uns das sehr gut getan.“
Benzing: „Mit diesem Spirit kann man weit kommen“
Aus diesen Situationen forcierte das deutsche Team bei Ayon zwei Ballverluste, was generell im vierten Viertel gut funktioniert: Bisher hat die DBB-Truppe in den ersten drei Vierteln elf Ballverluste pro Spiel erzwungen, im vierten Viertel ganze sieben! Derweil lässt Rödl im Schlussabschnitt bzw. schon ab Ende des dritten Durchgangs wenig rotieren, wonach sich die Spieler aufeinander einstellen können und gut harmonieren – zumindest defensiv. Zudem scheint Rödl in der Crunchtime auf eine Center-Combo aus Thiemann und Voigtmann zu vertrauen.
„Wir schaffen es, in entscheidenden Phasen Stopps zu generieren und dem Gegner das Leben schwer zu machen“, findet Robin Benzing. „Wir sind oft schlecht in die Spiele und auch in die zweite Hälfte gestartet, haben als Mannschaft aber den Spirit, niemals aufzugeben und immer an uns zu glauben. Damit kann man weit kommen.“
Bis ungeschlagen ins Halbfinale. Dort wartet Quali-Ausrichter Kroatien, dort kommt es erneut auf die Verteidigung an – stehen mit Mario Hezonja und Bojan Bogdanovic doch zwei sehr gefährliche Flügelspieler in deren Reihen. Hezonja legte im „Do-or-Die“-Spiel gegen Tunesien 27 Punkte auf, Bogdanovic war bei der enttäuschen Vorstellung gegen Brasilien mit 16 Zählern Kroatiens Topscorer. Hier wäre die Rückkehr von Isaac Bonga wichtig, der gegen Russland wegen einer Oberschenkelprellung aussetzen musste.
Das deutsche Team hat bislang nicht nur eine Steigerung in der Verteidigung, sondern auch Comeback-Qualitäten bewiesen: Gegen Russland lag die DBB-Auswahl 11:20 Minuten vor Schluss mit acht Punkten, gegen Mexiko bei 9:40 Minuten zu spielen mit sechs Zählern zurück. „Meine Mannschaft hat in so vielen schwierigen Situationen Charakter gezeigt“, ist deshalb auch Henrik Rödl stolz. „Gegen Russland sah es so aus, als hätten wir im dritten Viertel unsere Spielweise verloren – doch wir kämpften uns einfach zurück.“
Ob mit viel Kampf, mit ein wenig Krampf und „nicht dem schönsten Basketball und offensiven Problemen“, wie Benzing zugeben muss: Letztendlich ist egal, wie sich die deutsche Mannschaft für die Olympischen Spielen qualifiziert. Auch wenn das bedeuten würde, dass die Causa Saibou beim Verband wohl weiter ausgesessen werden dürfte. Wobei die deutsche Team aus den Unruhen um dessen Nominierung in gewisser Hinsicht sogar etwas Positives mitzunehmen scheint, wenn DBB-Kapitän Robin Benzing sagt: „Ich glaube, das hat uns als Mannschaft im Endeffekt noch mehr zusammengeschlossen, wir sind noch mehr als Einheit zusammengerückt.“