Graham und Washington: Zwei Hoffnungsträger für Charlotte

Die Charlotte Hornets treffen am Freitag im NBA Paris Game 2020 auf die Milwaukee Bucks. Im Vorfeld der Partie stellen wir die zwei Hoffnungsträger der Hornets genauer vor.

Schwerwiegende Abgänge und umstrittene Verpflichtungen sorgten im vergangenen Sommer für ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei vielen Fans der Charlotte Hornets. Einige Beobachter hielten das Team aus North Carolina sogar für das am wenigsten talentierte in der NBA und prophezeiten eine Saison mit Niederlagen am Fließband.

Doch mittlerweile hat man den Eindruck, als entstehe etwas in Charlotte. Coach James Borrego lässt seine jungen Spieler von der Leine, und die wissen ihre Chance zu nutzen. 15 Siege haben die Hornets zur Halbzeit der regulären Saison bereits eingefahren. Nicht viel mehr wurden ihnen in der gesamten Saison zugetraut. Der Grund für die neue Hoffnung in Charlotte trägt zwei Namen: Devonte‘ Graham und PJ Washington.

Devonte‘ Graham: Plötzlich erste Scoring-Option

Most Improved Player, All-Star … Dass Devonte’ Graham ein aussichtsreicher Kandidat für diese beiden Auszeichnungen sein würde, hatte vor der Saison niemand für möglich gehalten. Doch der 24-jährige Point Guard ist die absolute Erfolgsgeschichte der Charlotte Hornets 2019/20. Graham, der in seiner Rookie-Saison nur in den letzten Saisonwochen regelmäßiger Bestandteil der Rotation war und davor teilweise in die G-League geschickt wurde, hat sich in seinem zweiten Jahr innerhalb kürzester Zeit als erste Angriffsoption etabliert.


Grahams Statistiken: 2018/19 vs. 2019/20

SaisonMpGPpGApGRpGFG%3FG%FTAFT%TpG
2018/1914,74,72,61,434,328,11,076,10,7
2019/2035,218,67,73,637,638,64,082,63,0

MpG: Minuten pro Spiel; PpG: Punkte pro Spiel; ApG: Assists pro Spiel; RpG: Rebounds pro Spiel; FG%: Feldwurfquote; 3FG%: Dreierquote; FTA: Freiwürfe pro Spiele; FT%: Freiwurfquote; TpG: Turnovers pro Spiel


Grahams Verbesserungen in nahezu allen Bereichen des Spiels und die größere Rolle sorgen für explosionsartige Anstiege in allen statistischen Kategorien im Vergleich zur Vorsaison. Und zwar so sehr, dass der Hornets-Spielmacher in die Konversation zum Most Improved Player gebracht wird, obwohl Zweitjahresprofis bei der Vergabe dieser Auszeichnung nur selten in Betracht gezogen werden, da bei diesen eine Steigerung zum Rookie-Jahr ohnehin erwartet wird.

Grahams herausragende Qualität ist sein Jumpshot. Ob aus dem Dribbling oder aus dem Stand, ob nach einem Pick-and-Roll oder einem Block abseits des Balls: Der Jungstar zeigt sich von hinter der Dreierlinie äußerst treffsicher. Gegen die New York Knicks verwandelte er neun Dreier, gegen die Golden State Warriors waren es sogar deren zehn. Das folgende Video erklärt Grahams Erfolgsrezept beim Distanzwurf anhand des besagten Spiels gegen die Knicks.

Doch nicht nur als Schütze, auch als Vorlagengeber tut sich Graham hervor, was unter anderem seine 7,7 Assists pro Spiel zeigen. Insgesamt erweist sich nicht etwa Neuzugang Terry Rozier, sondern Graham als würdiger Ersatz für den im vergangenen Sommer abgewanderten Kemba Walker.

Mit seinen Pull-up-Dreiern, den Ballhandling-Fähigkeiten und generell seinen Fähigkeiten als wichtigster Shotcreator im Team, aber auch der Fähigkeit, abseits vom Ball effizient zu agieren, erinnert der Shooting Star in gewisser Weise sogar an seinen Vorgänger. Dabei diente Walker als Mentor für Graham in dessen Rookie-Saison. Der 24-Jährige hat viel von seinen ehemaligen Teamkollegen Walker und auch Tony Parker gelernt, was extrem förderlich für die Entwicklung Grahams war.

Dass der neue Hoffnungsträger der Hornets aber einen so riesigen Sprung hinlegen würde, konnte nicht einmal sein Coach erwarten. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass er schon zu diesem Zeitpunkt der Saison so gut ist“, ließ James Borrego vor ein paar Wochen verlauten. „Und ich möchte auch keine Grenze nach oben setzen, was seine Entwicklung betrifft.“

Kein unbeschriebenes Blatt mehr

Natürlich geht es auch bei Graham nicht nur steil bergauf. Derzeit erlebt der 24-Jährige das, womit jeder aufstrebende NBA-Spieler konfrontiert wird: Der 34. Pick des 2018er Drafts taucht mittlerweile in sämtlichen Scouting Reports prominent auf; die Gegenspieler bleiben hinter der Dreipunktelinie nun näher an ihm dran. Dies bekommt der Point Guard zu spüren, was sich unter anderem in zurückgehenden Wurfquoten ausdrückt. Über das erste Saisondrittel kam Graham auf starke 42,9 Prozent von hinter der Dreierlinie sowie 41,5 Prozent aus dem Feld. Seit seiner 40-Punkte-Vorstellung bei den Brooklyn Nets Mitte Dezember liegen die Wurfquoten dagegen bei 33 Prozent von Downtown und gar nur 31,8 Prozent aus dem Feld.

Nun liegt es an Graham, neue Lösungen gegen die gestiegene Aufmerksamkeit der gegnerischen Verteidigungen zu finden, zum Beispiel in Form von weiteren Verbesserungen seines Ballhandlings, Passspiels oder auch des Wurfes aus der Mitteldistanz, den er noch ungerne nimmt und nicht sicher trifft (30,4% FG bei nur 1,5 FGA).

Aufbauende Worte für Graham fand zuletzt ausgerechnet dessen früherer Mentor Kemba Walker: „Du lernst, wächst und passt dich an. Devonte‘ zeigt allen in der NBA, welch ein guter Spieler er ist. Dann ist es klar, dass die Aufmerksamkeit kommt. Du musst das akzeptieren und als Kompliment sehen.“ Und der langjährige Franchise-Player der Hornets hat auch gleich einen Ratschlag für seinen Nachfolger parat. „Du lernst vor allem durch Training und Film-Sessions. Es ist aber schwer, viel zu trainieren wegen der vielen Spiele. Daher sind Film-Sessions wichtig.“

Grahams gesunkene Produktivität und Effizienz hat auch Auswirkungen auf den Teamerfolg. So gewann Charlotte seit der besagten Partie in Brooklyn nur vier von 17 Spielen. Erzielt der Point Guard 25 Punkte oder mehr, steigen die Siegchancen der Hornets erheblich (Bilanz: 6-2). Legte der 24-Jährige dagegen 15 Punkte oder weniger auf, gingen 14 von 17 Partien verloren.

Auch an so mancher Erweiterter Statistik lässt sich Grahams Wert für seine Mannschaft ablesen: Während die Hornets mit ihrer ersten Scoring-Option auf dem Parkett 106,8 Punkte pro 100 Ballbesitze erzielen, fällt das Offensiv-Rating ohne ihn auf den Mannschafts-Tiefstwert von 97,3. Zudem weisen die Hornissen ohne Graham ein katastrophales Net-Rating von -11,5 auf. Zusammengefasst lässt sich sagen: Mit Grahams offensivem Output steht und fällt alles in Charlotte.

Doch sinkende Wurfquoten hin oder her: Grahams ist und bleibt die positive Überraschung der laufenden NBA-Saison. Der ausbleibende Teamerfolg ist nicht dramatisch, schließlich stecken die Hornets ohnehin in einer Übergangssaison, in der es vor allem um die Entwicklung der jungen Spieler geht.

Und selbst, wenn Grahams zurückgehenden Werte ihm die Auszeichnung als „Most Improved Player“ und eine All-Star-Nominierung kosten sollten, alleine die Tatsache, dass sich der 24-Jährige in der Konversation befindet, ist schon mehr als jeder erwarten konnte. Zumindest für den Dreierwettbewerb beim All-Star-Wochenende hat der Guard aber auf jeden Fall eine Einladung verdient.

PJ Washington: Der kompletteste Rookie?

Der zweite Hoffnungsträger der Hornets heißt Paul Jamaine Washington Jr., oder auch einfach „P.J.“ Washington genannt. Der zwölfte Pick im Draft 2019 könnte sich langfristig als Glücksgriff erweisen. Mit 12,6 Punkten und 5,5 Rebounds pro Spiel legt der Power Forward zwar keine herausragenden Zahlen unter den Rookies auf, gehört bislang aber dennoch zu den besten Spielern seines Jahrgangs. Washington wirft im Gegensatz zu den meisten anderen Lottery-Picks hochprozentig (48,3% FG; 42,1% 3FG) und brilliert als vielseitiger Scorer, wie das folgende Video zeigt.

Im Vergleich zu seinen Rookie-Kollegen sticht Washington insbesondere mit seinem Spiel mit dem Rücken zum Korb hervor. Dies ist keine Überraschung, da Post-ups bereits am College zu seinen Stärken zählten. Der 21-Jährige versucht gerne mal im Low-Post sein Glück und erarbeitet sich gerade gegen kleinere Gegenspieler gute Würfe – eine Qualität, die auch hilfreich ist, um Switches zu bestrafen. Zudem agiert er effizient als Abroller im Pick-and-Roll und trifft auch seinen Dreipunktewurf hochprozentig, vor allem aus den Ecken, wo er derzeit bei einer Wurfquote von 57 Prozent (24/42 3FG) steht.

„Ich habe Vertrauen in meinen Wurf“, so Washington. „Ich habe das Gefühl, dass jeder Wurf reingeht. Wenn ich von der Defense alleine stehengelassen werde und mein Gegenspieler die Hand unten behält, werde ich ihn auf jeden Fall nehmen.“

Diese Vielseitigkeit weiß Washington gekonnt einzusetzen. Wenn er einen größeren Gegenspieler gegen sich hat, wartet er hinter der Dreierlinie und macht somit das Feld weit. Ist sein Verteidiger kleiner, geht er in de Low-Post, um dort für Gefahr zu sorgen.

Zwei Assists pro Partie sprechen zudem für seine Übersicht und Passfähigkeiten. In der Defense ist er für einen Rookie ebenfalls schon weit, was auch seine je 0,9 Steals und Blocks pro Begegnung beweisen.

„Es gibt viele Dinge, die man Rookies beibringen muss. Ihn muss man nur die Hälfte davon lehren, weil er den Rest bereits gemeistert hat“, lobt Forward-Kollege Marvin Williams den 21-Jährigen. „Ein Rookie mit so viel Ausgeglichenheit und Selbstbeherrschung, das ist wirklich selten. Er steht nie zu hoch oder zu tief, er ist immer genau richtig. Und er ist sehr schlau.“ Auch Coach Borrego ist voll des Lobes für seinen Schützling: „Er ist ein sehr kompletter junger Mann. Und er wird immer besser.“

Insgesamt verfügt Washington über das Potenzial, eine der besten NBA-Karrieren aller Spieler seines Draft-Jahrgangs hinzulegen. Größe, Athletik, Shooting, Skills: Der Power Forward bringt das komplette Rüstzeug mit, um zu einem Top-Spieler in der Liga zu werden, mindestens aber zu einem wichtigen Bestandteil der Hornets-Zukunft.

Die Charlotte Hornets sind noch weit davon entfernt, um in der Eastern Conference um dem Heimvorteil mitzuspielen – dem erklärten langfristigen Ziel von Besitzer Michael Jordan. Auch die unerwartet starken Leistungen von Graham und Washington ändern daran vorerst nichts. Doch immerhin scheinen die Hornets bereits in der ersten Saison des Umbruchs zwei Stützen für das Team der Zukunft gefunden zu haben. Mehr hätte sich Charlotte in dieser Saison wahrlich nicht erträumen können.