Tibor Pleiß: der deutsche EuroLeague-GOAT
Tibor Pleiß feiert mit Anadolu Efes Istanbul den zweiten EuroLeague-Titel nacheinander und präsentiert sich in Belgrad als Killer. Damit bringt sich der Center als erfolgreichster deutscher EuroLeague-Akteur ins Spiel.
„Als Kind habe ich immer zu den Teams aufgeschaut, die im Final Four gespielt haben. Und nun habe ich [die EuroLeague] zweimal nacheinander gewonnen… Das ist unglaublich.“ Tibor Pleiß erklärte im TV-Interview nach dem EuroLeague-Erfolg noch, „keine Worte“ zu finden – aber eigentlich hat es Pleiß damit ganz gut getroffen. Denn überhaupt zweimal die EuroLeague gewonnen zu haben, geschweige denn zweimal nacheinander, ist eine unglaubliche, da einmalige Leistung. Denn im deutschen Basketballkosmos muss nun jeder andere Spieler zu Pleiß hinaufschauen.
Als erster deutscher Spieler hat der Center zweimal den höchsten europäischen Vereinswettbewerb gewonnen. 2003 gelang dies Patrick Femerling als erstem deutschen Spieler der modernen EuroLeague-Geschichte (seit 2001/02). Zuvor feierten auch Mike Koch (2000 mit Panathinaikos Athen), Chris Welp (1997 mit Olympiacos Piräus) und Norbert Thimm (1974 mit Real Madrid) je einmal den Titel der damals noch von der FIBA ausgetragenen Euroleague.
Ein Killer in Belgrad
Tibor Pleiß ist ein Killer. Nach dem 58:57-Sieg gegen Real Madrid erklärte der Center gegenüber der EuroLeague, warum er beim Final Four in Belgrad in diesen Modus schalten musste. „In den letzten Tagen hatte ich so viele Stechmücken in meinem Hotelzimmer. Ich weiß nicht, woher die kamen – ich glaube ja, von der Klimaanlage. Ich habe 25 Stück getötet.“
Im Hotelzimmer 25 Mücken auf dem Gewissen, auf dem Final-Four-Parkett 27 Punkte auf dem Konto. Nachdem Pleiß schon in den letzten beiden Viertelfinalspielen gegen Mailand zu einem der entscheidenden Akteure Istanbuls avanciert war, schlüpfte er gegen Real sogar in die Rolle des Matchwinners: Zehn seiner 19 Punkte erzielte Pleiß im Schlussviertel, damit auch über die Hälfte seines Teams in jenem Durchgang. Pleiß holte das Momentum auf Efes‘ Seite – sowohl mit Wucht wie beim Dunk gegen Vincent Poirier als auch vor allem mit Gefühl.
65 Sekunden vor Schluss tippte Pleiß beim Offensiv-Rebound den letztendenlichen Gamewinner durch den Korb, zuvor bewies er seinen ausgezeichneten Touch für einen 2,16-Meter-Center. Eine Wurftäuschung hier, ein Pass-Fake dort – Pleiß zeigte Skills von Außenspielern, agierte spielintelligent und bewies auch in der Verteidigung ein gutes Stellungsspiel.
Pleiß stellte sich trotz seines starken Auftritts aber gar nicht in den Vordergrund. „Basketball kann so einfach sein: lege den Basketball einfach durch den Korb – das ist mein Job. Und den habe ich gemacht.“ Für wahr. Und wie gut? Pleiß spielte in der zweiten Hälfte 17:33 Minuten durch, ohne ausgewechselt zu werden. Insgesamt stand er 18:17 der zweiten 20 Minuten auf dem Parkett.
„In der zweiten Hälfte haben sie mehr Druck auf Vasa gemacht, teilweise mit drei Mann. Auch Shane hat keinen offenen Dreier bekommen“, analysierte Pleiß seine Rolle. „Sie haben mir den Ball gepasst. Ich war ganz offen, habe die Würfe genommen – und der Rest ist Geschichte.“
Eine europäische Dynastie
Anadolu Efes Istanbul hat dabei auch als Kollektiv Geschichte geschrieben. Als erstem Team seit Olympiacos Piräus 2013 ist einer Mannschaft die Titelverteidigung in der EuroLeague geglückt. Und wäre die Saison 2019/20 auf Grund der Corona-Pandemie nicht abgebrochen worden, der erste Threepeat der modernen EuroLeague-Historie wäre greifbar gewesen.
Für europäische Verhältnisse hat das Team vom Bosporus sich eine kleine Dynastie erschaffen. Denn seit der Saison 2018/19 stehen Pleiß, Shane Larkin, Vasilije Micic, Adrien Moerman, Bryant Dunston, Rodrigue Beaubois, James Anderson und Krunoslav Simon im Istanbuler Kader, Chris Singleton folgte 2019/20. Eine solche Konstanz bei den ausländischen Profis dürfte in Europa unerreicht sein. 2018/19 hatte es Efes bereits ins Endspiel der EuroLeague geschafft, neben den Erfolgen auf der europäischen Bühne kommen zwei türkische Meisterschaften hinzu. Eine dritte könnte in den kommenden Wochen folgen, musste Efes die Playoffs in der Türkei auf Grund des Final Fours doch im Viertelfinale beim Stand von 1-1 gegen Pinar Karsiyaka unterbrechen (womit es zum nächsten KO-Spiel kommt).
Je mehr Titel Pleiß auf europäischer Bühne einheimst, desto lauter werden die Stimmen, die eine Rückkehr des Centers in die deutsche Nationalmannschaft fordern. Sein letztes Länderspiel hat Pleiß im September 2016 bestritten. Als er während der EM-Qualifikation das Team verlassen hatte, um sich als vertragsloser Akteur für NBA-Clubs bzw. europäische Spitzenvereine zu empfehlen, war er vom damaligen Bundestrainer Chris Fleming zur persona non grata degradiert worden.
Rückblickend hat Pleiß damals genau die richtige Entscheidung getroffen. Denn er unterschrieb in jener Offseason bei Galatasaray Istanbul – trainiert vom jetzigen Efes-Trainer Ergin Ataman. „Warum ich mich so verbessert habe? Weil er mich einfach hat Basketball spielen lassen“, erklärt Pleiß den Einfluss Atamans auf seine Entwicklung. „Er hat mir die Freiheit gegeben, zu werfen, wann ich will – er schickt mich nicht direkt auf die Bank, wenn ich mal danebenwerfe. Diese Freiheit hat mein Spiel verbessert.“ Wer weiß, ob Pleiß 2018 zu Efes und Ataman gewechselt wäre, wenn beide nicht zuvor bei Galatasaray zusammengearbeitet hätten.
Ein Kandidat für die deutsche Basketball Hall of Fame
Und mit dieser Entwicklung hat sich Tibor Pleiß wohl endgültig zum erfolgreichsten deutschen EuroLeague-Akteur hochgearbeitet. Bis auf ein Jahr ist der Center seit der Saison 2010/11 immer in der EuroLeague aufgelaufen. Die Spielzeit 2015/16 fällt nur weg, weil sich Pleiß in jenem Jahr in der NBA versucht hat… Macht elf EuroLeague-Spielzeiten in zwölf Jahren.
Ob bei den absolvierten Spielen (280, 19. Platz), getroffenen Zwei-Punkte-Würfen (884, 11.), Rebounds (1.218, 11.) oder Blocks (203, 6.) – in all jenen Kategorien rangiert Pleiß in den Top-20 der EuroLeague-Bestenliste. War der Big Man in Bamberg Teil der Ära um Chris Fleming, ist er nun Bestandteil einer Dynastie bei Anadolu Efes Istanbul. Der Center ist damit ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Weg eines deutschen Basketballers über die heimische Liga hinaus auf die größte europäische Bühne.
Und damit wäre Pleiß auch ein Kandidat für eine deutsche Basketball Hall of Fame, wie immer diese auch eingegrenzt werden würde. The German G.O.A.T.? Zweifellos Dirk Nowitzki. Mr. Bundesliga ist Mike Jackel. Und der erfolgreichste deutsche EuroLeague-Spieler? Das ist Tibor Pleiß.