Seiten aus dem Playbook: RASTA Vechta unter Pedro Calles
RASTA Vechta überrascht in dieser Saison, dank starker Verteidigung, und weist Parallelen zu ALBA BERLIN auf. Im Offensivsystem von Trainer Pedro Calles nehmen derweil ballferne Blöcke eine essentielle Rolle ein – wie in diesem Spielzug, der gerne für Austin Hollins gelaufen wird.
Austin Hollins hat sich als Steal unter den BBL-internen Wechseln entpuppt. Der US-Amerikaner ging, für viele überraschend, den Schritt vom Borderline-Playoff-Team Gießen zum Aufsteiger Vechta. Zur Saisonhalbzeit weist der Flügelspieler mit durchschnittlich 16,1 Zählern die sechsthöchste Punkteausbeute der easyCredit BBL auf – und trägt seinen Teil dazu bei, dass die Niedersachsen als Überraschungsteam der Liga den Playoff-Einzug anvisieren.
Kollektiv gelingt dies dem Team von Head Coach Pedro Calles mit Parallelen zu ALBA BERLIN: Die RASTANer haben ein besonderes Verteidigungselement, bei dem sie überfallartig den Gegner beim Spielaufbau doppeln; hinter den EWE Baskets Oldenburg weist der BBL-Aufsteiger zusammen mit dem FC Bayern München das zweitbeste Defensiv-Rating auf (apropos Defense: Max DiLeo muss als Kandidat für die Auszeichnung zum Verteidiger des Jahres genannt werden).
Offensiv vernachlässigt Vechta das Eins-gegen-Eins, auch Aktionen aus dem Pick-and-Roll werden verhältnismäßig selten direkt genutzt. Stattdessen liegt der Fokus mehr auf Spot-up-Aktionen, den Schnellangriff und Abschlüsse nach ballfernen Blöcken – wie in diesem hier aufgeführten Spielzug.
Triple Off-Ball Screens
Anhand der ersten Aktion folgenden Videos sei der Spielzug skizziert:
Chris Carter (auf der 1) bringt den Ball. Seth Hinrichs (5) tritt zur Dreierlinie heraus und erhält den Ball. Carter rotiert nach seinem Pass in die Zone. Hinrichs nimmt das Dribbling auf und übergibt den Ball per Hand-Off an Josh Young (2), der den Spielzug in der linken Ecke startet; dabei nutzt Young einen Pin-Down von Robin Christen (4).
Mit dem Hand-Off cuttet Hollins (3) von der rechten Ecke aus die Baseline entlang und wird drei Off-Ball-Screens nutzen: von Carter am rechten Zonenrand, von Christen am linken Zonenrand sowie von Hinrichs noch innerhalb der Dreierlinie. Nach diesen Triple Off-Ball Screens kann Austin Hollins in einer ersten Option den Dreier nehmen.
Triple Off-Ball Screens (SLOB)
Diesen Spielzug lässt Calles auch gerne nach einem Einwurf von der Seite („SLOB“, Akronym für „SideLine Out of Bounds“) laufen. Anhand der ersten Aktion folgenden Videos sei der Spielzug aus dem Einwurf skizziert.
Hollins (3) passt beim Einwurf auf Hinrichs (4), der nach außen tritt. T.J. Bray (2), der nahe am Einwerfer steht, kann den ersten Off-Ball Screen für Hollins stellen, welcher direkt Richtung Zone rotiert. Bray bewegt sich zu Hinrichs und erhält per Hand-Off den Ball.
Derweil haben sich Max DiLeo (1) in der Zone und Michael Kessens (5) am linken Zonenrand platziert, um zwei weitere Off-Ball Screens für Hollins zu stellen. Bray dribbelt nach dem Hand-Off von Hinrichs zur Spielfeldmitte und bedient Hollins für den Dreier.
Triple Off-Ball Screens: weitere Optionen
Der Einwerfer ist die gefährlichste Option, sagt eine Basketballweisheit. Ähnliches lässt sich auch für die Blocksteller sagen – gerade in einem Spielzug, bei dem in kürzester Zeit drei (ballferne) Blöcke gestellt werden. Da die Aufmerksamkeit der Verteidigung gerade auf den Spieler gerichtet ist, der diese Blöcke erhält (mit Hollins ist dies meist Vechtas Topscorer), und die Defense eventuell mit Help-Aktionen oder Switches beschäftigt ist, mag einer der Blocksteller freiwerden – wie in folgendem Video Seth Hinrichs, der unter dem Korb den Block stellt.
In der Partie gegen Bremerhaven (erste Sequenz des vorherigen Videos) laufen die Niedersachsen zwei Angriffe später den gleichen Spielzug. Diesmal ist T.J. Bray als erster Blocksteller eine Option. Bremerhavens Verteidiger Jordan Brangers ist mit einem „Switch“ zu hören – welcher aber komplett misslingt, und womit Bray ganz offen an der Dreierlinie ist.
Nun wissen die Gegner Vechtas natürlich nach dem Scouting um einen solchen Spielzug und werden versuchen, den RASTAner den Pass auf Hollins nach dem dritten Block zu verwehren. Doch Calles‘ Mannschaft verfällt bei guter Deny-Defense nicht in Schockstarre, sondern weiß sich zu helfen.
Die EWE Baskets Oldenburg erkennen in folgender Aktion das Play, Philipp Schwethelm switcht auf Hollins und spielt danach gute Deny-Defense. Michael Kessens, der dritte Blocksteller, liest dies, bietet sich an, erhält den Ball und setzt per Bodenpass Hollins in Szene, der backdoor geht.
In folgender Aktion gegen Würzburg sollte Tyrone Nash per Hand-Off eigentlich auf Robin Christen übergeben, doch Cameron Wells lässt das Anspiel nicht zu. Nash hat sein Dribbling bereits gestartet, nimmt den Ball nach dem gescheiterten Hand-Off aber nicht auf, sondern dribbelt weiter. Nun kann Nash damit natürlich nicht den geplanten, dritten Off-Ball Screen stellen.
Doch der Big Man dribbelt einfach zu seiner angestammten Position und übergibt per Hand-Off an Hollins. Nash dreht sich bei der Ballübergabe leicht in Hollins’ Verteidiger Joshua Obiesie (der auf Hollins geswitcht war) herein, was Hollins etwas Platz für seinen Drive verschafft.
Im Heimspiel gegen Gießen nutzt Hollins gar keinen der Blöcke. Sein Verteidiger David Bell bumpt ihn bei dessen Baseline-Antritt – das nutzt Vechtas Go-to-Guy, um zur Dreierlinie jener Seite zu cutten, auf der er den Spielzug gestartet ist. Explosiv verschafft sich Hollins genug Platz für den Dreier beim frühen Ausstieg aus dem Play.
Triple Off-Ball Screens (SLOB): weitere Optionen
Auf die gleiche Weise steigt Hollins in einer Sequenz gegen Würzburg aus, diesmal aus dem Einwurf an der Seite heraus. Dabei liest Hollins die Verteidigungsaktion von Obiesie, der über den ersten Block geht und den zweiten Screen schon erahnt. Hollins hat dadurch genug Platz, rotiert zurück und nutzt zudem noch einen Flare-Screen von Seth Hinrichs, dem designierten ersten Blocksteller des Plays.
Die folgenden beiden Videos illustrieren die Gefahr der Blocksteller. Gegen Crailsheim ist Philipp Neumann einen Schritt herausgetreten, um eventuell Hollins beim Wurf oder Drive zu stören. Das verschafft Neumanns Gegenspieler Venky Jois Platz, nach seinem Block zum Korb zu cutten. Hollins bedient den damaligen Center Vechtas direkt per Bodenpass.
Beim Heimspiel gegen die EWE Baskets Oldenburg zeigt Vechta einen zweiten Ausstieg aus dem Spielzug. Max DiLeo, der den Block in der Zone gestellt hat, cuttet nach Hollins ebenfalls zur Dreierlinie heraus. Die Oldenburger haben nach den Blöcken stets geswitcht, Frantz Massenat – der somit auf DiLeo geht – blickt auf Hollins und hängt damit bei DiLeo zurück, der in der Ecke zum Dreier kommt. Herkenhoff kann in dieser Aktionen ein Block für DiLeo setzen.
Gegen Braunschweig ist ein Anspiel auf Hollins nicht möglich – gut, dass mit Shooting Guard T.J. Bray der primäre Ballhandler Vechtas den Ball in der Spielfeldmitte hat. So geht Vechta einfach in ein High Pick-and-Roll über, aus dem Bray das Switchen Braunschweigs per Drive und seinen Verzögerungen bestraft.
In 13 der bislang 14 aufgehörten Sequenzen läuft Vechta den Spielzug mit Hollins als primäre Option. Die Play-Type-Statistiken des Flügelspielers (im Erhebungszeitraum vom 28.10 bis 14.12.2018) veranschaulichen, wie häufig Hollins nach ballfernen Blöcken abschließt: in 26,5 Prozent seiner Possessions, was mit Spot-up-Aktionen der höchste Anteil seiner Offensivaktionen ist! Auffällig ist, wie selten Hollins aus dem Eins-gegen-Eins abschließt – gerade für einen Topscorer. Dieser geringe Wert deutet aber noch einmal an, wie wenig Pedro Calles’ Team generell auf Isolationen setzt.
Staggered Off-Ball Screens (BLOB)
Während Vechta das Play aus dem Spiel heraus und nach einem Einwurf an der Seite läuft, weiß Calles auch einen Spielzug aus dem Einwurf an der Grundlinie („BLOB“, Akronym für „BaseLine Out of Bounds“) im Playbook, bei dem Hollins immerhin zwei Blöcke nutzt. Dies verteidigen die Eisbären Bremerhaven in folgender Aktion, samt Hollins’ Verteidiger Adrian Breitlauch, ganz ordentlich, doch wie lautet eine weitere Basketballweisheit? Good defense, better offense.
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