„Team. Geschlossenheit. Berlin.“
ALBAs Geschäftsführer Marco Baldi war nach dem BBL Top Four sichtlich stolz und glücklich. Ihm war die Erleichterung und Freude ins Gesicht geschrieben. Glücklich und stolz waren an diesem Wochenende viele: Es gab nur einen Gewinner auf dem Papier, aber irgendwie keine Verlierer. Ob Braunschweiger, Crailsheimer, Chemnitzer oder Berliner – alle Parteien feierten ein Fest, an dem am Ende vor allem einer gewann: der Basketball-Sport in Deutschland.
Zum Saisonstart veröffentlichte die easyCredit BBL ein neues Motto: „Welcome to Wow“. Der Wow-Effekt stellte sich zu Beginn aber anders ein: Umstritten war und ist das neue Design der Homepage. Basketball-Nerds beschweren sich über unübersichtliche Boxscores. Und Altgebackene Fans nörgeln über die populistischere Aufmachung.
Beim Top Four in Berlin am vergangenen Wochenende waren sich dann allerdings alle, vom Stat-Nerd bis zum Hardcore-Fan, sicher: Das Wow ist angekommen. Die BBL stellte ein überragendes Pokal-Wochenende zusammen, an dem ALBA BERLIN schlussendlich seinen elften Pokalgewinn eingefahren hat und vor Bayer Leverkusen alleinige Rekordsieger geworden ist. Es fühlte sich fast schon nostalgisch an: Nach zwei schwierigen Jahren für Hallenfans kamen vier Fanlager in der Mercedes-Benz Arena zusammen und feierten eine „Welcome-Back-Party“. Und alle waren eingeladen. Sport verbindet.
Der Samstag
Den Auftakt machten die HAKRO Merlins Crailsheim und die Basketball Löwen Braunschweig. Beide Teams kamen mit viel Rückenwind in die Partie, doch Crailsheim um das sehr gut aufgelegte Backcourt-Duo T.J. Shorts und Maurice Stuckey war über den Großteil der Partie tonangebend. Vor allem nach der frühen Verletzung von Braunschweigs Tookie Brown fehlte es den Braunschweigern an Kreativposten.
Trotzdem sahen die frenetischen Fans ein Spiel mit vielen spektakulären Aktionen. Stuckey für Crailsheim und David Krämer auf Braunschweiger Seite lieferten sich am Ende des dritten Viertels ein heißes Duell. Nach 35 Minuten waren die Löwen allerdings zu erschöpft, sodass Crailsheim einen 85:71-Sieg einfuhr.
Vorgezogenes Finale? ALBA gewinnt nach Chemnitzer Super-Start
Im zweiten Halbfinale traten die sehr gut aufgelegten und aktuellen Tabellenzweiten aus Chemnitz gegen den Favoriten aus Berlin an. Die NINERS erwischten den besseren Start – ALBA ließ sich allerdings nicht einschüchtern und verkürzte Stück für Stück. Nach der Halbzeit zog Berlin dann davon. Angeführt von Jaleen Smith („I am build for these intense games“) und Maodo Lo, die jeweils 19 Punkte auflegten, und angepeitscht durch die sicherlich 2.500 Heimfans flogen die Albatrosse den NINERS davon.
Über die Atmosphäre in der Halle angesprochen, machte Jonas Mattisseck klar: „Immer wieder so!“ Und Chemnitz‘ Malte Ziegenhagen meinte nur: „Besten Fans der Welt!“ Was diese bemerkenswerte Szene lange nach der Schlusssirene unterstreicht:
Finale: Berlin vs Crailsheim
Fans und Spieler hatten wenig Zeit, um den herausragenden Basketball-Samstag zu verdauen – das Pokalfinale stand an. Der Fanblock aus Crailsheim hatte zu Beginn viel zu feiern: Ein 7:0-Lauf zum Start überrumpelte die Berliner. Wieder war Mo Stuckey zur Stelle, der zwei Drei-Punkte-Spiele einnetzte: einmal von draußen, einmal „old-fashioned“ von der Linie. „Mir machen solche Spiele Spaß, was aber auch an der Truppe liegt“, erklärte der Routinier. Auch T.J .Shorts war sehr gut aufgelegt und bereits nach zehn Minuten zweistellig (10 Pkt). Die Merlins setzten sich zum Viertelende etwas ab (22:15).
Zu Beginn des zweiten Viertels gelang den Berlinern wenig. Nur selten konnte ALBA wie hier brillieren.
Crailsheim feuerte derweil weiter aus allen Rohren, und die Berliner verteidigten teilweise unkonzentriert. Schlechte Closeouts zu den Schützen führten zu Drives oder Fouls beim Distanzwurf. Stuckey und Elias Lasisi freuten sich über jeweils drei Freiwürfe. Zwischenzeitlich lagen die Merlins mit 16 Punkten vorn (37:21) – doch eine Überraschung? Maodo Lo war es, der sich für Berlin ein Herz nahm und ALBA mit seinen elf Punkten zur Halbzeit in Schlagdistanz brachte(43:39).
Das Momentum kippt in der zweiten Hälfte
Im dritten Viertel ging es viel um die Zahl drei. Die Berliner, die ohne ihre etatmäßigen Small Forwards auskommen mussten, spielten häufig mit drei Guards. Mattisseck übernahm dabei scheinbar die Rolle, die sonst Marcus Eriksson zukommt: Drei Dreier bei drei Versuchen ließen ALBA davonziehen. Shorts sammelte derweil sein drittes persönliches Foul. Das Momentum war auf die Berliner Seite gewechselt (58:64).
Den Deckel machte im letzten Viertel dann Oscar da Silva drauf. Wieder mal bewies da Silva sein überragendes Gespür beim Pick and Roll und für Durchstecker nach Drives. 14 Punkte, acht Rebounds, zwei Assists und null Ballverluste: Da Silva nutzte seine 15 Minuten nahezu perfekt aus.
Shorts (30 Pkt, 5 Reb, 4 Ast, 4 Stl) und Lasisi brachten die Merlins nochmal auf 67:74 ran. Doch der ALBA-Backcourt um Smith und Lo war auch an diesem Abend zu abgebrüht. Lo sorgte dann eine Minute vor dem Ende für die Vorentscheidung – nach einem Abstimmungsfehler von Crailsheim netzte der Top-Four-MVP vollkommen frei für drei ein und brachte die ALBA-Fans an den Rand der Ekstase (76:86).
Zur Schlusssirene dann kompletter Ausnahmezustand: Tränen bei dem sonst so gefassten Israel Gonzales. Mattisseck stimmte im Fanblock die Humba an, und auch die Crailsheimer wurden von allen Seiten gefeiert. Der Favorit gewann am Ende den Titel, am meisten gewann aber Basketball-Deutschland: drei faire, spektakuläre Spiele, vier super harmonische Fangruppen, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen anspornten.
Stimmen zum Wochenende
Ben Lammers (ALBA BERLIN): „Das war sehr aufregend. Ich meine, das waren die meisten Zuschauer, seitdem ich in Berlin angefangen habe. Ehrlich gesagt spiele ich lieber vor kritischen Fans als in einer leeren Halle. Unsere Kadertiefe hat uns an diesem Wochenende sehr geholfen. Vor allem gegenüber anderen Teams, die nicht so viele Optionen haben.“
Über T.J. Shorts: „Er ist so tough. So ein guter Scorer. Man neigt dazu, ihn wegen seiner Größe zu unterschätzen, aber auch über gute Defender und Shotblocker wie mich kommt er irgendwie immer zum Wurf. Das ist ziemlich beeindruckend.“
Maurice Stuckey (HAKRO Merlins Crailsheim): „Das war eine super Sache. Es ist wirklich ein schönes Wochenende gewesen. Schön, wenn sich Leute so am Sport erfreuen können. Auch wenn ich unsere Anhänger betrachte, die extra anreisen, und wie viel Emotionen und Leidenschaft sie daraus ziehen. Es ist echt schön, wenn man den Leuten so etwas über den Sport wiedergeben kann.“
Über das Spiel: „ALBA ist nicht umsonst eine EuroLeague-Mannschaft, die gut Sachen umgestellt haben. Da waren wir dann teilweise nicht physisch genug. Solche Spiele bringen uns aber nur dichter zusammen, und ich freue mich schon auf den Rest der Saison. Mir machen solche Spiele schon enorm viel Spaß, das liegt aber auch an der Truppe.“
Jaleen Smith (ALBA BERLIN): „I feel like I am on top of the world right now. Ich hab den Pokal in der Hand, darauf wollen wir jetzt aufbauen. Die Atmosphäre war verrückt. Die Fans in Berlin sind anders, die sind echt verrückt.“
Über das Spiel: „Auch ohne viele wichtige Spieler haben wir wirklich gut gespielt, wir steigern uns immer mehr. Ich will auch immer besser werden, um dann in den Playoffs die maximale Leistung zu zeigen. Das Halbfinale hat uns sehr geholfen. Wir lagen auch dort zurück und haben uns Stück für Stück zurückgearbeitet.“
Über die Zukunft: „Ich bin richtig hungrig! Das ist jetzt meine erste Team-Meisterschaft als Profi, und ich möchte noch einige mehr mit Berlin gewinnen.“
Marco Baldi (ALBA BERLIN): „Wir leben Teamsport. Das ist bei uns nicht nur eine Floskel. Unsere Stärke kommt aus der Geschlossenheit und aus dem Spirit, aus dem Gefühl, dass man etwas gemeinsam erreicht. Das hat man im Finale gesehen. Das klingt jetzt vielleicht saublöd, simpel und etwas klischeehaft: Aber das gelingt halt einfach besser im Team. Es ist schöner, wenn das Individuum im Team aufblüht, als wenn es alleine aufblüht.“
Über Jaleen Smith und die ALBA-Philosophie: „Ich habe ihn gerade wirklich in den Arm genommen. Der hat jetzt [basketball-technisch] komplett Neuland betreten in unserem sehr freien Spielsystem. Und Spieler, die oft den Ball haben, die brauchen Zeit, um in das System hineinzuwachsen. Und diese Zeit haben sie bei uns. Wir brauchen Geduld, und das ist auch für einen Trainer sehr wichtig. Dass er weiß, wenn wir mal ein paar Spiele verloren haben, dass sein Stuhl nicht wackelt, sondern dass man an dem Weg, den wir seit ein paar Jahren gehen, festhält. So etwas beruhigt, aber es muss trotzdem immer eine maximale Intensität geben. Das fordern wir im Frontoffice, im Backoffice und natürlich auch auf dem Court. Wir fordern diese maximale Intensität, sonst kann man keine Titel gewinnen.“
Über das Event: „Fantastisch. Das Pokalendspiel gegen Oldenburg vor zwei Jahren vor 15.000 Fans war der letzte Aufblüher, bevor Corona richtig kam, und seitdem war entweder gar nichts oder sehr reduziert. Jetzt hat man gesehen, wenn auch die anderen Fans da sind, was für eine Energie die mitbringen, wie das belebt. Das ist wirklich fantastisch.“
Seine drei Worte zum Wochenende: „Team. Geschlossenheit. Berlin.“