Boris Schmidt: „Ein Schiedsrichter ist auch immer eine Reizfigur“
Der ehemalige Schiedsrichter Boris Schmidt arbeitet mittlerweile als Manager des BBL-Schiedsrichter-Referats beim DBB. Im Exklusivinterview spricht Schmidt über Schiedsrichterkritik, die Leistungen der Unparteiischen in den Playoffs, Schiedsrichter-Coaching und -Ansetzungen.
basketball.de: Herr Schmidt, Sie haben vor vier Jahren Ihre aktive Profi-Schiedsrichterkarriere beendet und sind jetzt als Schiedsrichter-Coach unterwegs. Bleibt da eigentlich neben Ihren anderen Tätigkeiten in Verein und Verband noch Zeit, im Amateurbereich zu pfeifen?
Boris Schmidt: Als ich vor vier Jahren aufgehört habe, habe ich mich ganz bewusst entschieden, nicht mehr zu pfeifen bzw. nur noch im Hamburger Basketball-Verband, für meinen Verein in den Amateurligen, d.h. nicht mehr zweite Liga oder Regionalliga, sondern nur noch bis zur Oberliga. Alles, was im Hamburger Verband ist, mache ich. Da bleibt nicht viel Zeit, aber ab und zu pfeife ich Oberliga – diese Saison ca. sechs bis acht Mal.
Dann habe ich mich leider selbst beim Basketball am Knie verletzt, weswegen ich ein bisschen pausieren musste. Das will ich auch weiter machen, das macht Spaß.
„Jeder muss mit jedem pfeifen können“
Bei der BBL sind Sie jetzt für die Schiedsrichteransetzungen zuständig, d.h. Sie legen fest, welcher Schiedsrichter wo pfeift. Gibt es irgendwelche Kriterien, die Sie beachten, wie z.B., dass jede Schiedsrichterkombination möglichst irgendwann einmal vorgekommen sein soll? Oder dass jeder Schiedsrichter möglichst an jedem Standort einmal gepfiffen haben soll?
Grundsätzlich nicht. Natürlich gibt es Kriterien. Man weiß auch, welche Schiedsrichter in dem Drei-Mann- bzw. Frau-System besser zusammenpassen oder miteinander klarkommen. Das weiß ich auch aus eigener Erfahrung noch, wer miteinander harmoniert und wer nicht. Grundsätzlich ist aber eine professionelle Einstellung von allen Schiedsrichtern erforderlich. Deswegen muss auch jeder mit jedem pfeifen können. Das ist letztendlich der Grundsatz. Das funktioniert auch ganz gut.
Es ist nicht der Anspruch, dass jeder Schiedsrichter in jeder Saison an jedem Standort einmal war. Es ist aber auch nicht so, dass ortsnah angesetzt wird; das muss auch nicht sein. Jeder muss auch überall hinreisen können. Wenn die Spiele in der Woche oder Sonntagabend zu einer Zeit sind, wo man schlecht weg kommt, und ich berücksichtige, ob derjenige Student oder Semiprofi ist bzw. früh im OP stehen muss, weil er Arzt ist, dann versuche ich, die Distanz möglichst kurz zu halten, damit die Belastung nicht ganz so hoch ist.
Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Schiedsrichter, die von der Leistung her im oberen Drittel der Liga sind und auch als Crew Chiefs agieren, natürlich auch überall ansetzbar sind. Da muss man schon gucken, wen man mit wem kombiniert. Wenn München gegen Berlin spielt, ich meine jetzt gar nicht das Finale, sondern auch in der regulären Saison, oder wenn Oldenburg gegen Berlin oder München spielt, dann ist das schon eine andere Ansetzung, als wenn Mannschaften, die eher im unteren Drittel der Liga sind, gegeneinander oder gegen einen von oben spielen. Das hat schon Einfluss. Aber es ist nicht so, dass jeder überall hin muss. Das ist kein Wunschkonzert. Es muss auch stimmig sein.
Nun kommt es vor, dass auch in der zweiten Liga brisante Spiele bzw. Playoff-Partien zu pfeifen sind. Gibt es da auch einen Austausch mit dem Ansetzer der zweiten Liga dergestalt, dass er Schiedsrichter des A-Kaders ansetzen kann?
In der Regel ist es so, dass wir den A-Kader, B-Kader und C-Kader haben. Der Ansetzer in der ProA (B-Kader) ist Mathias Rucht. Wir haben die Regel, dass die Ansetzungen in der regulären Saison, sowohl in der ProA als auch in der BBL und den Damenbundesligen, monatlich gemacht werden. Die Ansetzer des B- und C-Kaders warten ab, bis ich meine Ansetzungen gemacht habe, und haben dann auf die Schiedsrichter aus dem A-Kader, die ich an bestimmten Tagen eben nicht angesetzt habe und die an diesen Tagen im System auch nicht blockiert sind, Zugriff und können die auch für Damenbundesliga oder die ProA usw. ansetzen.
Die Anzahl der Spiele in der Hauptrunde ist bei Schiedsrichtern im A-Kader nicht gleich: Die Schiedsrichter, die leistungsmäßig oben stehen, haben deutlich mehr Spiele in der BBL als Schiedsrichter, die innerhalb des A-Kaders unten stehen. Diese Schiedsrichter des A-Kaders, die weiter unten stehen und weniger Spiele in der BBL haben, kommen auch eher in den anderen Bundesligen zum Einsatz. Somit haben sie insgesamt in Deutschland gar nicht so viel weniger Spiele als die anderen A-Kader-Schiedsrichter, die fast ausschließlich in der BBL pfeifen.
Ein Robert Lottermoser steht relativ selten zur Verfügung. Da er aber auch Profi ist, steht er immer zur Verfügung und kommt auch immer zum Einsatz, so dass auch Doppel- bzw. Tripel-Nominierugen entstehen. Es ist also möglich, dass jemand am Freitag und Sonntag in der BBL pfeift sowie am Samstag noch in der Damenbundesliga, wenn das örtlich nicht „hoch und runter“ durch Deutschland ist. Der Ansetzer des B-Kaders, also für die ProA, sieht, wer wo in der BBL angesetzt ist und zur Verfügung steht. Diese Schiedsrichter kann er auch ansetzen.
„Wir möchten die Schiedsrichter schützen, indem keiner weiß, wer wo pfeift“
Warum sind eigentlich die Ansetzungen in der BBL, im Gegensatz zu anderen Ligen oder Sportarten wie zum Beispiel beim Fußball, so geheim?
Insgesamt wundert es mich, dass beim Fußball relativ frühzeitig Schiedsrichter bekannt gegeben werden. Das hat mehrere Gründe. Man muss wissen, dass auf deutsche Sportligen, und die BBL gehört dazu, sehr viel gewettet wird. Wir hatten vor zehn Jahren auch einen Vorfall, bei dem bei einem Erstligaspieler der Verdacht bestand und der auch länger in Untersuchungshaft war. Wir möchten die Schiedsrichter einfach schützen, indem keiner weiß, wer wo pfeift.
Zum Zweiten muss man sagen: Die Ansetzungen werden ja einen Monat im Voraus gemacht. Es ist daher auch möglich, dass es an bestimmten Spieltagen bei dem ein oder anderen Spiel auch Probleme gibt. Dann mache ich, obwohl die Ansetzungen raus sind, Umbesetzungen. Wenn das vorher veröffentlicht ist, kriegt es auch jeder mit. Dann würde auch in den Fankreisen erzählt werden: „Ja, der wurde abgesetzt. Der ist schlecht!“, und dies und das. So kriegt es gar niemand mit, dass es eine Umbesetzung war.
Es kommt noch die Kontaktaufnahme der Vereine zu den Schiedsrichtern im Vorwege von Spielen dazu, wenn diese wüssten, wer pfeift … Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich habe noch in einer Zeit gepfiffen, in der die Ansetzung nicht geheim war; zum Schluss natürlich geheim, aber anfangs nicht. Da gab es schon Anrufe vor bestimmten Spielen von den beteiligten Vereinen, ob das der Trainer oder der Manager war. Die haben dann dies und jenes moniert. Das heißt, es wurde versucht, eine Einflussnahme vorzunehmen. Dem setzen wir uns gar nicht mehr aus, wenn wir sie geheim halten. Die Schiedsrichter kommen anderthalb Stunden vor dem Spiel in die Halle, und erst dann wissen die Vereine, wer da pfeift.
Die Schiedsrichter untereinander wissen das noch nicht einmal. Die Drei, die in einem Team pfeifen, wissen natürlich, dass sie zusammenpfeifen. Wenn heute ein Spiel in Berlin wäre und ein Spiel in Oldenburg, wissen sie aber nicht – wenn sie in Berlin pfeifen – wer in Oldenburg pfeift. Die tauschen sich hier und da vielleicht mal aus. Vom Grundsatz her ist aber auch da oberste Prämisse, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt.
„Seit dieser Saison haben wir alle neun Spiele unter Kontrolle“
Sie waren viele Jahre selbst Erstliga-Schiedsrichter, haben jetzt die Perspektive gewechselt und sind Schiedsrichtercoach. Gibt es Sachen, die Sie mittlerweile aufgrund des Perspektivwechsels anders sehen oder eher nicht?
Relativ wenig. Ich bin ziemlich sportlich assoziiert. Ich mache ganz viel im Sport, bin beruflich im Sport tätig und habe Sport studiert. Die BBL hat sich entwickelt und ist professioneller geworden. Es geht um ein Wirtschaftsunternehmen. Die Veranstaltungen sind auch eine Art Event, bei dem die Schiedsrichter ein Teil davon sind und dazugehören. Das ist nicht nur im Basketball so, sondern auch im Fußball oder Handball.
Ein Schiedsrichter ist auch immer eine Reizfigur, wenn irgendwas nicht klappt. Das ist normal, da kann man auch noch so gut Schiedsrichter ausbilden, wie man will: Sie bleiben eine Reizfigur. Es wird immer nur einer gewinnen; zumindest im Basketball. Im Fußball oder Handball gibt es noch das Unentschieden, aber im Basketball gibt es das nicht. Der Schiedsrichter – egal wie gut er ist – wird immer eine Reizfigur sein, weil sich subjektiv immer jemand benachteiligt fühlt. Von daher sehe ich auch mit anderer Perspektive keine Änderung.
Ich war ja in meiner aktiven Zeit eher jemand, der polarisiert hat und eher eine Reizfigur war. Manche sind mehr Reizfigur, andere weniger. Ich war mehr Reizfigur, zumindest in bestimmten Phasen meiner Schiedsrichterlaufbahn. Zum Ende eigentlich gar nicht mehr so. Bei den Vereinen zumindest überhaupt nicht, weil ich da ein anderes Standing hatte. Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe das immer sehr professionell genommen und habe großes Verständnis dafür, dass Fans von vielen nicht begeistert sind.
Der Umgang innerhalb des Systems, mit Spielern und Trainern, ist mir schon wichtig. Das, was auf dem Feld abläuft, ist das Eine. Das Andere ist, wie man miteinander umgeht, wenn das Spiel vorbei ist. Da gibt es sicher auch Unterschiede, aber der Umgang ist insgesamt in Ordnung. Der war damals in Ordnung und ist heute in Ordnung.
Das ist sehr personenabhängig. Da kommen mal andere Personen in bestimmte Positionen und dann ist der Umgang wieder ein bisschen anders. Das ist aber überall im Leben so, das ist auch im Berufsleben so. Das sind nicht alles meine Freunde, sondern ich muss meinen Job da machen. Da sollte jeder eine professionelle Einstellung haben. Meine Sichtweise zu dem Ganzen hat sich nicht geändert.
Die meisten Spiele werden von einem Coach begleitet (basketball.de berichtete). Das Hauptziel des Coachings ist es, die Schiedsrichter weiterzuentwickeln. Die Schiedsrichter werden aber natürlich auch bewertet. Es kann auch vorkommen, dass jemand einen so gravierenden Fehlern macht, dass er sanktioniert werden muss. Wie hat man sich das praktisch vorzustellen? Rufen die Coaches bei Ihnen an, oder gibt es eine Gruppe, die sich trifft?
Wir haben in der kürzlich beendeten Saison neun Schiedsrichter-Coaches. An einem Spieltag, an dem neun Spiele stattfinden – die nicht alle am gleichen Tag stattfinden müssen – werden fünf Spiele in der Regel live gecoacht. Das bedeutet, ein Coach ist in der Halle vor Ort. Vier Spiele werden am Fernseher gecoacht. Das heißt, dass wir seit dieser Saison alle neun Spiele unter Kontrolle haben. Die Videocoachings am Fernseher machen nur vier Leute aus dem Führungsteam der BBL: Winfried Gintschel, Jens Staudenmayer, Uli Sledz und meine Person. Die Live-Coachings machen wir vier plus fünf weitere Coaches.
Nach jedem Spiel muss der Coach – egal ob es ein Live- oder Videocoach war – unmittelbar nach dem Spiel eine Rückmeldung über eine WhatsApp-Gruppe geben. Dadurch bekomme ich die Rückmeldung und weiß sofort Bescheid, bevor mich Vereine anrufen – gerade wenn es Probleme gab. Dadurch kann ich auch nachfragen, da ich nicht die Möglichkeit habe, alle neun Spiele anzugucken.
Nach jedem Spiel gibt es direkt eine Rückmeldung, erstmal telefonisch. Dann gibt es ein geschlossenes Internetportal, wo die Coaches ihre Bewertung bzw. Einschätzung zu der Leistung des Schiedsrichters eingeben, die sie sehen. Der jeweilige Schiedsrichter kann seine eigene Einschätzung auch sehen. Wenn es ein Live-Coaching war, wird die Einschätzung auch in der Postgame-Konferenz vor Ort gegeben. Das wird alles evaluiert und festgehalten.
Und wenn es einen Vorfall gegeben hätte …
… Wenn es einen Vorfall gegeben hat, der gravierend ist, hat das natürlich Einfluss auf Ansetzungen bei mir. Es ist nicht so geschickt, den Schiedsrichter direkt wieder dorthin zu schicken, wo es nicht so harmoniert hat bzw. es Stress gegeben hat. Aber es kann auch Fälle geben, wo wir das nicht sehen, dass das schlecht war, wir denjenigen wieder hinschicken und nicht rausnehmen. Wenn es einen Vorfall gegeben hat, könnte man ihn aber absetzen bzw. umbesetzen. Das bekommt gar keiner mit.
Wenn es ein gravierender Verstoß war, der gegebenenfalls Einfluss auf den Spielausgang hat – das kann ja eigentlich nur was sein, was am Ende, d.h. in der Crunchtime passiert –, dann werden Schiedsrichter auch sanktioniert in der Form, in dem sie in der Regel für ein bis drei Spiele gesperrt werden. Das bedeutet, sie kriegen unmittelbar die Entscheidung auch schriftlich mitgeteilt. Sie haben dann die Möglichkeit, noch Einspruch einzulegen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Einspruchsfrist abgelaufen ist, werden sie aus den angesetzten Spielen, die sie haben, herausgenommen und verlieren dadurch ihre Ansetzungen. Letztendlich muss man auch sagen, dass sie Geld dabei verlieren, weil sie für die Spiele auch Geld bekommen.
Man kann diskutieren, ob das viel oder wenig ist bzw. ob das korrekt oder angemessen bezahlt ist. Ein Schiedsrichter, der ein, zwei Spiele im Monat verliert, verliert auf jeden Fall schon einmal eine vierstellige Summe an Geld. Das trifft sie schon.
„Es ist wichtig, dass Schiedsrichter möglichst in der Crunchtime keine Fehler machen“
Wie bewerten Sie insgesamt die Saison 2018/19 und speziell die Playoffs?
Die Hauptrunde lief insgesamt normal. Sie fing holprig an; der Oktober war ein Monat, wo es ein paar Probleme in zwei, drei Spielen gab. Danach hat sich das sehr stark ausgeglichen, da gab es eigentlich kaum noch Probleme, also keine großen.
In den Playoffs gab es aus meiner Sicht bis zum Finale keine Probleme, obwohl ein Spiel immer ein bisschen angeführt wird: Das ist das erste Halbfinalspiel zwischen Oldenburg und Berlin. Dort wurde eine andere Linie gewählt, die aber konsequent durchgepfiffen wurde. Es wurden relativ wenige Fehlentscheidungen getroffen. Fehler passieren in jedem Spiel. Auch in diesem Spiel wurden Fehlentscheidungen getroffen, aber nicht mehr als in anderen Spielen. Das wurde ein bisschen anders dargestellt. Die Meinung der Oldenburger hierzu teile ich nicht. Bei allen anderen Playoff-Spielen des Viertelfinales und Halbfinales waren die Leistungen gut und die Schiedsrichter kein Thema.
Im ersten Spiel der Finalserie gab es eine richtige Crunchtime, das muss man einfach sagen. In dieser Crunchtime wurde erstens ein gravierender Fehler gemacht, gefolgt von zwei anderen Entscheidungen, die vielleicht unter Gamemanagement-Gesichtspunkten nicht so glücklich waren. Das Offensivfoul von Siva ist ja auch im Pfiff der Woche [siehe Video oben, Anm. d. Red.] gewesen. Da muss man eher sagen, dass der Verteidiger gar keine Verteidigungsposition hatte und dann auch noch gefloppt hat. Wenn man das vergleicht mit einer Szene – die kurz davor zwischen Djedovic und Thiemann, als gegen Thiemann korrekt ein Defensivfoul gepfiffen wurde –, da hätte es auch gut gepasst, wenn da auch als Defensivfoul gepfiffen worden wäre. Wurde aber nicht so gemacht. Das ist unglücklich. Da das auch zwei, drei Situationen in dieser Phase des Spiels waren, kann das schon gravierenden Einfluss auf den Spielausgang haben.
Aber ich würde nie sagen oder meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ALBA das Spiel gewonnen hätte, wenn das nicht passiert wäre. Wenn man sich andere Spiele von Berlin anguckt, dann hat Berlin gerade in Spielen gegen München am Ende des Spiels oft geführt und doch noch verloren… Da war jetzt übrigens ein 11:2-Run der Bayern. Der ist ja nicht ausschließlich aufgrund dieser Situation passiert, sondern weil die Münchener in dieser Phase präsenter waren und ALBA eben nicht so präsent war. Trotzdem sage ich: Das kann schon Einfluss auf den Spielausgang gehabt haben. Das sind alles Mutmaßungen, wie es ausgegangen wäre, wenn das nicht passiert wäre. Da sage ich auch: Da wäre die Wahrscheinlichkeit höher gewesen, dass ALBA das Spiel gewinnt. Ob sie es gewonnen hätten, ist eine andere Sache.
Deswegen ist das sehr unglücklich und deswegen sind es auch klare Fehlentscheidungen gewesen. Das Foul von Lucic an Nnoko, bei diesem Alley-Oop-Pass, hätte gepfiffen werden müssen. Da kursiert viel im Netz, dass es dann zwei Freiwürfe für ALBA gegeben hätte. Es hätte aber gar keine zwei Freiwürfe gegeben, selbst wenn es gepfiffen worden wäre. München hatte gar keine Teamfouls. Als das Foul passierte, hatte Nnoko den Ball noch gar nicht in der Hand. Es war also kein Act of shooting, also kannst du auch keine Freiwürfe geben. ALBA hätte höchstens den Einwurf bekommen. Der ist aber auch viel Wert. Daraus hätte man ja zwei oder drei Punkte machen können. Das ist schon ein gravierender Fehler. Die gleiche Situation im ersten Viertel nicht gepfiffen, würde wahrscheinlich kaum jemanden interessieren.
Deswegen ist es auch so wichtig, dass Schiedsrichter möglichst in der Crunchtime eines Spieles keine Fehler machen. Umso ärgerlicher ist es, das es da passiert ist. Aber: Es sind nur Menschen, und es passiert. Es sollte nicht passieren, und wir versuchen alles zu tun, dass solche Sachen in der Crunchtime nicht passieren. Schiedsrichter sind aber keine Roboter, und es wird immer möglich sein.
Diese Diskussion, dass Schiedsrichter vielleicht sogar auch Spiele entscheiden, ist kein Basketballthema. Das ist auch kein Thema, ob die Schiedsrichter gut oder schlecht sind, sage ich. Im Fußball: Wenn ich mir angucke, wie oft ein Elfmeter nicht gegeben wird und wie Spiele da entschieden werden. Jedes Jahr haben wir diese Situation, und da geht’s um viel mehr Geld. Das ist nochmal ein ganz anderes Business. Was das Niveau der Basketball-Schiedsrichter betrifft, brauchen wir uns in Europa überhaupt nicht verstecken.
Sie haben angesprochen, dass der Coach von Oldenburg sich nach dem ersten Halbfinalspiel gegen ALBA BERLIN beschwert hat. Im Spiel darauf hat mit Robert Lottermoser, Anne Panther und Toni Rodriguez ein außerordentlich erfahrenes Trio gepfiffen. Gab es da nochmal eine Umbesetzung? Oder anders gefragt: Führt Kritik auch zu Umbesetzung?
Normal sage ich nichts dazu. In diesem Fall sage ich aus ganz bestimmten Gründen was, weil es keine Umbesetzung gab. Wenn es eine gegeben hätte, hätte ich mich nicht dazu geäußert. Es gab keine Umbesetzung. Ich habe die Schiedsrichteransetzungen bei den Halbfinalspielen für die ersten beiden Spieltage in beiden Halbfinalen zeitgleich gemacht und intern an die Schiedsrichter veröffentlicht. Das heißt: Bevor das erste Spiel stattfand, war die Schiedsrichteransetzung für das zweite Spiel den Schiedsrichtern schon bekannt.
Dass die Drei dann zusammenpfeifen, ist beim Halbfinale relativ selten. Robert Lottermoser hatte das ganze Wochenende [Spiel 1] blockiert. Das Euroleague-Finale war während des BBL-Viertelfinales. Da stand er natürlich auch nicht zur Verfügung, und Anne Panther auch nicht. Solche Sachen kommen dazu, und auch Schiedsrichter haben mal Termine, die sie blockieren. Deswegen waren die auch zusammen da, weil an dem Spieltag davor einer nicht konnte. Ich wollte aber bestimmte Schiedsrichter haben. Ich mache mir natürlich Gedanken darüber – auch wenn ich das noch nicht veröffentliche -, dass der Schiedsrichter wahrscheinlich ein drittes oder viertes Spiel pfeifen wird. Aber dieser Spieltag war schon so angesetzt.
Viele sagen, weil das nicht klappte, kamen die beiden: Das ist völliger Blödsinn. Es war überhaupt nicht so, weil die Ansetzung schon veröffentlicht war, bevor überhaupt das erste Spiel stattgefunden hat.
Seit kurzem ist Schiedsrichterkritik von Vereinsverantwortlichen wieder erlaubt, sofern sie denn sachlich erfolgt. Finden Sie, dass damit verantwortungsbewusst umgegangen wird?
Unterschiedlich. Da ist auch viel Taktik seitens der Vereine dabei. Da wird natürlich versucht, Einfluss zu nehmen und Druck aufzubauen. Selbst wenn es nicht sachlich ist, wird das einkalkuliert. Dann zahlt man eben die Geldstrafe, die die BBL verhängt, weil einem das wichtig ist und weil man glaubt, dass das Einfluss hat – im positiven Sinne vor allem. Aus meiner Sicht ist das – auch als Schiedsrichter – ein Irrglaube. Das hat weder im positiven, sage ich, noch im negativen Sinne Einfluss. Wäre auch schlimm, wenn sich ein Schiedsrichter in die eine oder andere Richtung davon beeinflussen lassen würde. Wenn er das würde, wäre das äußerst unprofessionell. Das würden wir, wenn das sichtbar wird, auch überhaupt nicht dulden.
Ich kann nicht über das Unterbewusstsein sprechen. Im Basketball gibt es viele 50/50-Entscheidungen, sog. Grauzonenentscheidungen. Bei denen kann ich nicht sagen, ob es in die eine oder andere Richtung einen Ausschlag gibt, weil ich vorher Kritik gehört habe. Ich sage, ich lasse mich davon nicht beeinflussen. Über mein Unterbewusstsein kann aber ich nicht sprechen. Ich kann danach ein Spiel angucken und mir überlegen: „Habe ich mich vielleicht doch ein bisschen anders verhalten?“. Das weiß ich nicht. Darüber habe ich mir auch keine großen Gedanken gemacht. Das liegt auch daran, dass ich beruflich sehr engagiert bin in anderen Bereichen und mir auch nicht zu viele Presseveröffentlichungen bzw. Soziale Medien anschaue bzw. angeschaut habe. Das tue jetzt eher mehr, damals als Schiedsrichter aber nicht. Wozu soll das führen? Da wird ja nicht unbedingt sachlich diskutiert.
Bei den Coaches oder bei den Vereinsverantwortlichen wird in der Regel, finde ich, Kritik in der überwiegenden Anzahl sachlich geäußert. Es gibt aber auch Situationen, in denen das nicht passiert – und dann muss das eben auch sanktioniert werden. Warum das nicht passiert, hängt natürlich auch vom Menschen ab. Ich habe großes Verständnis dafür, dass auch Manager von den Vereinen, die unter Druck stehen bzw. das Beste für ihr Team wollen, alles probieren. Manchmal wundert man sich, weil ich glaube, dass das berechnend ist, was gemacht wird. Sie glauben, dass es positiven Einfluss hat. Das bezweifle ich. Ich sage auch nochmal ganz klar: Es hat auch keinen negativen Einfluss.
Den Fair-Play-Umgang halte ich schon für wichtig. Da wird hier und da mal über die Stränge geschlagen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung von früher auch. Aber damit müssen Schiedsrichter immer professionell umgehen. Das nimmt man zur Kenntnis, aber das tangiert einen gar nicht. Das würde mich dann tangieren, wenn ich noch privaten Kontakt zu diesen Menschen hätte. Den hat man aber grundsätzlich gar nicht, weil es das System eigentlich fast gar nicht zulässt.
In der Diskussion während der Finalserie hat die BIG vorgeschlagen bzw. gefordert, das Schiedsrichterhonorar auf 1.000 Euro zu erhöhen. Sind Sie der Meinung, dass das das Niveau steigern würde?
Ich habe das eher so verstanden, dass sie geschrieben haben, dass ein Schiedsrichter 1.000 Euro kriege und dies endlich mal erhöht werden müsse. Er kriegt aber nicht 1.000 Euro, er liegt darunter.
Ob die Qualität der Schiedsrichter steigt, wenn es mehr Geld geben würde, würde ich pauschal erstmal verneinen. Aber ich sage ganz klar: Wenn es dazu führt, dass eine Summe bezahlt wird, wo ein Schiedsrichter, der das von der Einstellung her sehr professionell angeht, in die Situation kommt, bei der er sagt: Bei meinem normalen Job gehe ich jetzt in eine Teilzeitstelle, weil ich dann mehr Zeit habe, Spiele zu pfeifen und einen anderen Rhythmus bekomme, weil ich in der Woche zur Verfügung stehe und international noch tätig bin: Da sage ich aus eigener Erfahrung – wobei ich nicht auf Teilzeit gehen musste, weil mein Arbeitgeber das zugelassen hat und ich das gut kombinieren konnte – ich habe in der Phase, wo ich oben in der BBL mitgepfiffen habe, zweieinhalb Spiele pro Woche gepfiffen, BBL oder international. Das heißt eine Woche zwei Spiele, eine Woche drei Spiele. Entweder zwei BBL und ein internationales Spiel oder eine Doppelansetzung international und ein BBL-Spiel. Dann ist man in einer Taktung – wie Spieler übrigens auch – bei der man keine langen Pausen hat.
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Qualität der Entscheidungen von Schiedsrichtern und auch die Anzahl gravierender Fehler rapide sinkt, wenn man in einer solchen Taktung drin ist. Wenn die Bezahlung es zulässt, dass ein Schiedsrichter sagt, weil ich da mehr Geld bekomme, kann ich das Andere auch Teilzeit machen, weil ich mit beiden Einkommen gut leben kann: Dann glaube ich, führt das für die Schiedsrichter – zumindest für die, die oben pfeifen – dazu, dass die Leistung stabiler oder einen Tick besser wird. Das kann ich mir schon vorstellen.
Wenn ich mir jetzt Anne Panther angucke: Sie arbeitet Teilzeit, nicht Vollzeit. Sie hat in der Euroleague bei den Männern in dieser Saison sehr viele Spiele gepfiffen und einen riesen Sprung gemacht. Da sieht man eindeutig eine bessere Qualität an Entscheidungen in dieser BBL-Saison. Sie ist stabiler und tritt souveräner auf. Auf hohem Niveau viele Spiele zu pfeifen, führt dazu, dass sich die Leistung steigert – wenn man ein guter Schiedsrichter ist. Sie war ja auch vorher schon eine gute Schiedsrichterin.
Wenn man charakterlich jemand ist, der vom Typ her nie ein bisschen dominanter auftritt und ein Crew Chief wird, dann wird sich das auch nicht ändern, wenn man mehr Spiele bekommt. Es hat auch viel mit Persönlichkeit zu tun. Persönlichkeit wird geprägt, sicherlich auch durch die Schiedsrichtertätigkeit, aber auch durch das ganze Umfeld, das man hat, auch das Berufliche. Wenn ich in meinem Beruf eine Führungspersönlichkeit bin, dann bin ich auch eher auf dem Basketballfeld eine Führungspersönlichkeit. Wenn ich einen Job habe, wo ich Führung ausüben muss, dann fällt es mir, glaube ich, auch leichter, diese Führung im Sport oder Basketball auszuführen, obwohl es eine ganz andere Führung ist.