Ein Taifun von Team
Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einer perfekten Vor- in die WM-Zwischenrunde gestürmt und präsentiert sich offensiv wie defensiv stark, mit individueller und kollektiver Qualität. Wie weit bringt das die Herbert-Truppe?
„Wir haben gegen ein extrem talentiertes Team gespielt, das competet hat und das jeden Sommer zusammenkommt und sich sehr gut kennt. Es war wirklich schwer gegen dieses Team.“
Eigentlich richtete Maodo Lo diese anerkennenden Worte an die australische Nationalmannschaft, nach dem 85:82-Erfolg der DBB-Auswahl gegen die Boomers. Doch genauso gut hätten Spieler der Teams von Japan, Finnland oder eben Australien die deutsche Mannschaft derart wertschätzen können. Nicht nur für ein Spiel, sondern für ihren gesamten bisherigen Auftritt bei dieser Weltmeisterschaft, gespeist von einer überzeugenden Vorbereitung, als Fortsetzung des EM-Bronze-Sommers um einen gleichbleibenden Kern.
Mit einer makellosen Bilanz von 3-0 hat das deutsche Team die Vorrunde gemeistert, zum ersten Mal in der DBB-Geschichte überhaupt bei einem großen Turnier. Sowohl offensiv (mit einem Offensiv-Rating von 120,5) als auch defensiv (Def-Rtg: 100,4) klickt die Truppe von Head Coach Gordon Herbert. Was ein Team unter anderem auszeichnet?
„Dass die Starter etwas Probleme haben, dann die zweite Formation hereinkommt und den Ton setzt, wie wir spielen wollen“, erklärte der Bundestrainer zur noch etwas holprigen Anfangsphase im letzten Zwischenrundenspiel gegen Finnland. „Genau so entsteht ein Team“, führte Herbert aus, der neben dem Zusammenhalt in der Mannschaft es aber auch ganz gut findet, wenn „manchmal ein wenig Feuer“ drin ist.
Ob Herbert vielleicht den Austausch zwischen Maodo Lo, Johannes Thiemann und Dennis Schröder während einer Auszeit des Auftaktspiels gegen Japan meinte? Eine „hitzige Diskussion“, wie manche titelten, spielte sich aber nicht ab. Angesichts einer 20-Punkte-Führung fünf Minuten vor Spielende sind die direkte Worte ob der Laufwege bei einem bestimmten Spielzug eher als Fokus zu interpretieren. Ein Fokus, den die DBB-Auswahl mit einer Lockerheit paart, was für das Team als Einheit und für ein Team mit Ehrgeiz spricht.
Individuelle Killer und tiefes Kollektiv
So wie es sowohl offensiv als auch defensiv stimmt, überzeugt das deutsche Team auch individuell wie kollektiv. Vor allem in den entscheidenden Minuten gegen Australien waren es auch die individuellen Qualitäten von Dennis Schröder und Maodo Lo, die das deutsche Team in der Offensive getragen haben. Die beiden Guards schoben sich gegenseitig das „Killer“-Etikett zu, derweil zeigt sich Schröder über die gesamte WM mit einer beeindruckenden Effizienz als weiter gereifter, nicht überdrehender Offensivmittelpunkt (im Pick-and-Roll und im Eins-gegen-Eins), der auch defensiv vorangeht.
Wie in der WM-Vorschau angeschnitten, präsentiert das deutsche Team die Facetten, die man im modernen Basketball sucht. Bei den drei Rollen – des Ballhandlers, des Flügelspielers und des Big Man – ist das DBB-Team durch Schröder, Franz Wagner (welcher noch nicht wieder im Fünf-gegen-Fünf trainiert hat und gegen Georgien weiter ausfallen könnte) und Daniel Theis enorm gut aufgestellt.
Letztgenannter bestätigt den Eindruck aus der Vorbereitung, dass seine enttäuschende Saison bei den Indiana Pacers durch eine komplette Regeneration und letztlich monatelange Vorbereitung auf die WM Früchte trägt: gewohnt als Lob-Threat, als starker Abroller und Defensivanker im Pick-and-Roll und nach Switches. Und mitunter sogar als Ballverteiler nach Short-Rolls.
Letztendlich dürfte eigentlich jeder der zwölf Spieler mit gutem Gefühl die Vorrunde abgeschlossen haben. In der hinteren Rotation machten Justus Hollatz und David Krämer gegen Finnland das Beste aus ihren Minuten, Niels Giffey zeigte bereits davor, wie schnell er als Turnierspieler eine Rotation erweitern kann. Johannes Thiemann als Hustler vor dem Herrn und Isaac Bonga mit seiner Vielseitigkeit als X-Faktor mögen hinter den genannten Stützen sowie Johannes Voigtmann und Moritz Wagner, von denen man weiß, was man bekommt, ein wenig unter dem Radar fliegen. Bei einer Neun- bis Zehn-Mann-Rotation weisen alle Spieler genügend NBA- oder EuroLeague-Erfahrung auf.
„Shooters gonna shoot“, deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis bei Andreas Obst der Knoten an der Wurfhand platzen würde. Gegen Finnland zeigte der Shooting Guard wieder seine Stärken als primäre Option nach Hand-Offs und ballfernen Blöcken, und selbst wenn er nicht zum Abschluss kommt, sorgt Obst mit seiner Gravity, also der Aufmerksamkeit der gegnerische Verteidigung, für Platz seiner Mitspieler.
Meisterhaft im Eins-gegen-Eins, wackelig beim Catch-and-Shoot
Mit Blick auf die Gesamtstatistiken läuft es beim Catch-and-Shoot aber kollektiv noch nicht so recht: Nur 14 der 46 Dreier (30,4%) aus dem Stand hat das deutsche Team versenkt. Und auch eine Pick-and-Pop-Option hat sich (noch) nicht aufgetan. Das kompensiert die DBB-Auswahl ballabseits aber auf andere Weise: Jeden ihrer 19 Abschlüsse nach Cuts, worunter auch Durchstecker fallen, hat die DBB-Auswahl getroffen! Ein Indiz für die gute Ball- und Mannbewegung.
Und dennoch versucht es das deutsche Team am zweithäufigsten aus der Isolation. Vor allem das Spiel gegen Australien samt deren Switching-Defense hat daran seinen Anteil. Doch auch hier agiert das deutsche Team – vor allem dank Schröder und Lo – so ungemein effizient: Nur ein Ballverlust bei 38 Abschlüssen ist überragend, ebenso die 1,21 Punkte pro Possession. Zum Vergleich: Das beste Iso-Team der vergangenen NBA-Saison, die Chicago Bulls, wiesen „nur“ 1,08 Punkte pro Possession auf.
Lo sprach nach dem Spiel gegen Australien von einer „Erleichterung“, einen Spieler wie Dennis Schröder zu haben, „dessen Geschwindigkeit und Qualitäten extrem beeindruckend sind: wie er Wege findet, in die Zone zu kommen, für sich selbst kreiert oder die Defense zum Rotieren zwingt.“ Natürlich: Fallen solche Iso-Abschlüsse nicht so hochprozentig, und verfällt das Team dann doch in Statik, kann so ein Spiel wie gegen Australien auch verloren werden. Aber vielleicht war jene Partie, gegen diese australische (Switching-) Defense, aber auch eine Reifeprüfung für dieses Team.
Als bestes europäische Team auf dem Weg ins WM-Finale?
Ein Team, das – so in der Vorschau angeschnitten – das derzeit vielleicht wirklich beste europäische Team dieser Weltmeisterschaft ist. Und das, wenn es das bestätigt und wenn man den Turnierbaum durchspielt, im Viertelfinale vielleicht auf Spanien, im Halbfinale vielleicht auf Serbien treffen könnte, um sich dann im Endspiel mit den USA oder Kanada zu messen?
Im „one game at a time“-Mantra eines Sportlers ist das natürlich noch zu weit gedacht, zunächst steht das erste Zwischenrundenspiel gegen Georgien an, bei dem das deutsche Team unbestritten der Favoritenstatus zukommt. Mit Gegenspielern wie Tornike Shengelia, Goga Bitadze, Giorgi Shermadini oder Alexander Mamukelashvili ein nicht zu unterschätzender Gegner, hatte es die DBB-Auswahl mit einem Gegner von solchem Big-Men-Fokus doch noch nicht zu tun.
Für den Spieltag am Freitag wurde eine Taifunwarnung ausgesprochen. Den Schreck der Raketenwarnung vor Turnierstart hatte das deutsche Team schnell überwunden, zuvor andere Hürden in der Vorbereitung auch gemeistert. So konnte Herbert hinsichtlich der Wettervorhersage auch schmunzeln: „Hoffentlich sind am Freitagabend wir der Taifun.“