„Kabine!“ Wenn Kollektiv und Commitment zu Bronze führen
Die deutsche Nationalmannschaft gewinnt bei der Heim-EM Bronze. Nicht nur auf Grund der individuellen Qualität eines Dennis Schröder oder Franz Wagner, sondern vor allem dank Freude auf die Kabine. Ein Kommentar von Manuel Baraniak.
„Kabine!“ Vielleicht hatte Johannes Voigtmann schlicht nicht verstanden, auf was die PR-Mitarbeiter des DBB hinauswollten, als sie nach dem Viertelfinalsieg gegen Griechenland einige Spieler fragten, wohin man gehe. Vielleicht war es aber auch ein herzlicher Freud’scher Versprecher, der einiges über die funktionierende Teamchemie aussagt. Wichtiger als das Halbfinale ist die Kabine – ist man dort doch bei seinen Jungs.
Die deutsche Herren-Nationalmannschaft hat bei der Europameisterschaft die Bronzemedaille geholt, die vierte Medaille ihrer Historie, weil das Team als Team funktioniert hat, als Kollektiv, mit Commitment. Bundestrainer Gordon Herbert habe „die Rollenverteilung von Anfang an klar gemacht. Und jeder hat das akzeptiert“, erklärte Dennis Schröder nach der Partie gegen Polen bei Magenta Sport über den Einfluss Herberts und verwies dabei auch auf das vom Bundestrainer so häufig erwähnte „Commitment“, das die Spieler abzugeben haben.
Während der Europameisterschaft, aber vielmehr noch in der Vorbereitung wird Herbert womöglich auch auf seinen Hintergrund als studierter Sportpsychologe zurückgegriffen habe. Von einem kanadischen Sportpsychologen habe er gelernt, dass es sehr wohl ein „I“ in „Team gebe“, so Herbert im basketball.de-Interview nach seinem Amtsantritt Ende November 2021. Zudem müsse laut Herbert eigentlich jeder Verein einen Sportpsychologen im Stab haben. Der Kanadier hatte genug zu kommunizieren, innen wie außen, und wird die Gefühlslage der Mannschaft ganz genau beobachtet haben.
Der Cut des Kapitäns Robin Benzing, die Hereinnahme des kurz vor Vorbereitungsstart eingebürgerten Nick Weiler-Babb: All dies hätte Unruhe in die Mannschaft bringen, dem Team schaden können. „Overcoming adversity“ nennt es der US-Amerikaner, wenn man widrige Umstände überwindet. Das DBB-Team tat dies bereits in der Preseason – Basis der starken Europameisterschaft, vom ersten Sprungball an.
Dass derweil Robin Benzing beim letzten EM-Spiel in der ersten Reihe saß, die Spieler nach der Nationalhymne abklatschte, ist eine herzerwärmende Geschichte abseits des Parketts – die zudem eine generationenübergreifende Klammer zum Beginn der EM setzt, als das DBB-Trikot von Dirk Nowitzki zurückgezogen worden war und die deutsche Basketballlegende ebenfalls das 2022er Team abgeklatscht hatte.
„Er hätte diese Medaille auch verdient gehabt“, sagte der Neu-Kapitän Schröder bei Magenta Sport über Benzing, welchem Schröder seine Bronzemedaille schenken wolle, gäbe es nicht noch eine zusätzliche für den ehemaligen DBB-Kapitän. „Er hat 14 Jahre lang durchgeackert, jeden Sommer den Geburtstag seiner Tochter verpasst. Er war vom ersten Tag an committet. Er ist der wirkliche Kapitän.“
Mit diesem Führungsstil hat Schröder seine endgültige Reifeprüfung als Anführer dieser Mannschaft abgelegt. Schröder gab Verantwortung an Spieler wie Combo-Guard Maodo Lo oder den aufstrebenden Franz Wagner ab. Er war mehr denn je darauf bedacht, dass (zuerst) seine Mitspieler ihren Rhythmus fanden. Doch auch Schröder selbst überragte, wie durchschnittlich 26,0 Punkte bei 56,7 Prozent aus dem Feld, 44,4 Prozent von Downtown und 92,9 Prozent von der Linie sowie 7,5 Assists in der KO-Runde zeigen. „Ich habe versucht, sehr früh mein Commitment abzugeben – auch ohne Vertrag [bei einer NBA-Franchise]“, bekräftigte Schröder seine Verpflichtung der Nationalmannschaft gegenüber.
Womit man aus deutscher Sicht wieder und weiter optimistisch nach vorne blicken kann. Auf die EM 2022 folgt (höchstwahrscheinlich) die WM 2023, folgen womöglich die Olympischen Spiele 2024. „Wir hoffen, dass dieser Sommer der Beginn eines dreijährigen Plans ist, bei dem wir ein Team aufbauen. Das ,Commitment‘, das die Spieler jetzt abgeben, müssen sie auch danach abgeben. So einfach ist das“, hatte Gordon Herbert im basketball.de-Interview vor der EM-Vorbereitung einen Rahmen gesetzt.
Ein Rahmen, bei dem einige Bronzehelden aus dem aktuellen EM-Kader zu sehen sein dürften. Zum einen konnte man bei keinem Rotationsspieler durch das Geleistete in Köln und Berlin die EM-Teilnahme in Frage stellen. Zum anderen dürfte Herbert nun noch mehr auf die Akteure setzen, die bei der EM bzw. der Vorbereitung dabei gewesen sind. Vor allem Spieler wie Isaac Bonga oder Moritz Wagner dürften derweil auf der Liste Herberts ganz oben stehen. Würden neun, zehn Spieler aus dem Bronzeteam 2022 auch bei einer WM 2023 auflaufen, sollte man sich nicht wundern.
So sehr das Kollektiv für den Gewinn der Bronzemedaille verantwortlich gezeichnet hat, so sehr haben dennoch Dennis Schröder mit seiner Leistung in der Jetztzeit und Franz Wagner mit seinem Potential für die Zukunft herausgestochen. Bei seinem First Dance unter anderem einen step-back-Dreier über Giannis Antetokounmpo treffen? Das sind Aktionen von Stars … Schröder / Wagner, der vielleicht beste „One-Two-Punch“, den ein DBB-Team bislang hatte? Sehr gut möglich. Oder, in Schröders Worten: „Ich denke, wir haben den deutschen Basketball wieder sexy gemacht.“