Johannes Voigtmann: „Spanien kann eine Blaupause für uns sein“
Johannes Voigtmann ist seit vielen Jahren eine feste Größe im DBB-Team. Im Interview erzählt der Big Man über die schwierige Saison in Mailand und die Hoffnungen für die WM.
„Commitment“ ist seit einem Jahr das prägende Wort in der deutschen Nationalmannschaft. Auf Johannes Voigtmann trifft diese Eigenschaft wie vielleicht auf keinen anderen Akteur im DBB-Team zu. Der 30-jährige Big Man ist seit 2015 bei jedem großen Turnier dabei, hat von den zwölf WM-Fahrern die meisten Länderspiele auf dem Konto und absolviert demnächst seinen 100. Einsatz im DBB-Trikot.
Am Tag vor dem Supercup hat der Milano-Profi über die Schwierigkeiten in der abgelaufenen Vereinssaison und die Hoffnungen für die kommende Weltmeisterschaft gesprochen.
basketball.de: Hallo Jo, kurze Einstiegsfrage: Wir sprechen heute am 11. August 2023, die Welt feiert 50 Jahre Hip-Hop…
Johannes Voigtmann: Ohne mich. Die Welt feiert heute Hip-Hop ohne mich. Da kann ich überhaupt nichts zu sagen. Ich kenne keinen einzigen Künstler und kein einziges Lied.
Dann kann ich mir die Frage nach deinen favorisierten Rap-Songs ja sparen. Welche Art von Musik hörst du gerne?
Alles andere. Mit allem anderen komme ich irgendwie klar, aber Hip-Hop ist nicht meins.
Wie hältst du es da aus mit der Gruppe? (in der Halle läuft laut Rap-Musik)
Ich brauche all meine Überwindungskraft und all meinen Überlebenswillen, um da durchzukommen.
„Sich da rauszukämpfen, war für mich persönlich wichtig“
Kommen wir zum Sportlichen: Wie schaust du auf die vergangene Saison zurück – als Team und für dich persönlich? Nach dem schwachen Saisonstart in der EuroLeague habt ihr ja Anfang des Jahres noch die Wende geschafft und die Meisterschaft in Italien gewonnen.
Wenn man auf die Schlussphase der Saison schaut, war es sicherlich okay. Der Meistertitel war schon irgendwie ein versöhnlicher Abschluss. Wenn man die komplette Saison betrachtet, war es aber einfach nicht gut.
Und für mich persönlich war es gerade in der Phase nach der EuroBasket schwierig. Ich habe zu Saisonbeginn nicht ganz so gut gespielt und dann irgendwann kaum noch gespielt. Das war natürlich sehr enttäuschend. Ich gehe aber trotzdem positiv aus der Saison heraus, weil ich es geschafft habe, in Form zu bleiben, obwohl ich teilweise gar nicht mehr im Kader stand. Sich da rauszukämpfen und am Ende, als es lief, wieder da zu sein, war für mich persönlich wichtig.
Hast du im Nachhinein eine Erklärung, warum es für euch in den ersten Saisonmonaten in der EuroLeague so schlecht lief?
Wir haben keine Lineups gefunden, die funktioniert haben. Wir hatten einen relativ großen Kader, so dass wir viel ausprobieren konnten. Das haben wir auch getan, aber es hat irgendwie nichts so richtig geholfen.
Und dann potenziert sich das: Du veränderst viele Sachen und hast dadurch keinen Rhythmus. Durch den fehlenden Rhythmus gehen dann die Würfe nicht rein, und das steckt das ganze Team an. Dann kommt irgendwann der Druck auf, weil es nicht läuft, und du siehst, dass die Playoffs in weite Ferne geraten, was es nicht einfacher macht. In diesem Strudel steckten wir ein bisschen drin.
Am Ende hat uns [Nachverpflichtung] Shabazz Napier extrem geholfen. Er hat uns einen neuen Look gegeben, frischen Wind reingebracht. Ab dann lief es ein bisschen besser.
Napier ist nun wieder weg [zu Roter Stern Belgrad], dafür wurde neulich die Verpflichtung von Nikola Mirotic bekanntgegeben – zusätzlich zu dir und Nicolò Melli auf der Vier. Als Außenstehender fragt man sich, wie alle genug Spielzeit bekommen sollen. Wie denkst du über den Transfer?
Wenn wir die EuroLeague gewinnen wollen, brauchen wir gute Spieler. Und das ist immer noch das Ziel, das da rumschwebt – zumindest, als das Team letztes Jahr zusammengestellt wurde. Einen der besten Vierer in Europa im Team zu haben, ist jetzt keine schlechte Sache. Aber es wird natürlich interessant. Wir haben viele Große im Kader – mal schauen, wie das wird.
Das Ziel ist also weiterhin, zurück ins Final Four zu kommen, wie in der vorletzten Saison?
Ja, genau. Ich glaube, wir tun jetzt gut daran, Schritt für Schritt zu denken, die Playoffs wieder zu erreichen, und dann schauen wir weiter. Die Transferphase in der EuroLeague war in diesem Sommer sehr wild, mit so vielen Veränderungen in den ganzen Teams. Da war es schwierig, überhaupt den Überblick zu behalten. Das bietet aber auch eine Chance, wieder anzugreifen. Vielleicht fallen ein paar Teams aus dem Playoff-Rennen heraus, dafür kommen andere neu dazu, und da werden wir hoffentlich dabei sein.
Kommen wir zur Nationalmannschaft: Franz Wagner hat eben im Gespräch mit den versammelten Journalisten gesagt, dass der Sieg gegen Kanada in Berlin nicht viel aussagt. Konntet ihr trotzdem Lehren aus den ersten beiden Tests ziehen?
Wir konnten sehr viele Lehren aus den Spielen ziehen. Wir hatten jeweils eine gute und eine schlechte Halbzeit. Beide Spiele haben gezeigt, dass es in verschiedenen Dingen noch erhebliches Verbesserungspotenzial gibt. Deshalb ist es immer gut, wenn du dir Sachen, die schlecht waren, hinterher auf Film anschauen und daraus lernen kannst.
Natürlich ist Gewinnen immer schön, und gerade in engen Spielen willst du am Ende auch die Nase vorn haben, aber der Sieg ist dennoch zweitrangig. Wichtig ist, dass wir viele Erkenntnisse mitnehmen konnten.
„Daniel Theis ist jetzt in extrem guter Form“
Coach Herbert hat in Bonn gesagt, dass ihr im vergangenen Jahr in der Defense stellenweise gut, aber auch inkonstant wart. Es gehe darum, auch die Spiele zu gewinnen, in denen es in der Offense mal nicht läuft. Was macht ihr konkret, um euch in dem Bereich zu verbessern. Personell seid ihr ja fast gleich aufgestellt.
Wir wollen auf der Basis, die wir letztes Jahr geschaffen haben, aufbauen. Insbesondere in der Verteidigung ist es wichtig, die ganzen Automatismen zu kennen. Es stimmt, dass wir personell ähnlich wie letztes Jahr aufgestellt sind. Dafür sind einige Leute ein bisschen fitter als letztes Jahr oder haben nicht mit Verletzungen zu kämpfen. Daniel Theis zum Beispiel hatte vergangenen Sommer kurz vor der EuroBasket ein paar Probleme gehabt und ist jetzt in extrem guter Form. Maodo Lô und Johannes Thiemann sind ausgeruhter als in den Jahren zuvor. Das hilft auf jeden Fall, und deshalb glaube ich, dass wir auf diese Weise einen Schritt nach vorne gemacht haben.
Gegen Kanada haben wir es in der ersten Halbzeit defensiv gut gemacht, wenngleich die natürlich auch nichts getroffen haben. Wir hoffen daher, dieses Momentum mitnehmen zu können.
Denkst du, dass die Kontinuität im Kader ein Vorteil für euch sein kann im Vergleich zur Konkurrenz?
Ja, auf jeden Fall. Man hat es vergangenes Jahr bei den Spaniern gesehen, die bei der EM möglicherweise ein bisschen fehlendes Talent durch Kontinuität wettgemacht haben. Das kann eine Art Blaupause für uns sein. Wir hatten ja vergangenen Sommer bereits viele bekannte Gesichter aus den Vorjahren dabei, aber jetzt ist es wirklich fast die gleiche Mannschaft wie vor einem Jahr. Das hilft natürlich extrem.
Wenn du auf die anderen Mannschaft bei der WM schaust: Wen hast du besonders auf der Rechnung im Hinblick auf die Medaillen?
Das lässt sich in der aktuellen Phase der Vorbereitung schwer sagen. Bei einigen Teams steht noch gar nicht fest, wie der finale Kader aussehen wird. Ich wusste zum Beispiel bis vor zwei Wochen nicht, dass Rui Hachimura bei Japan nicht dabei ist.
Die USA werden sicherlich der Top-Favorit sein. Die Serben und Spanier werden eine gute Rolle spielen. Italien spielt eine super Vorbereitung. Die Australier haben von den Namen her mit die beste Mannschaft. Die haben es auch wie Spanien gemacht: Sie haben die Mannschaft zusammengehalten, aber auch ein paar jüngere Spieler dabei, die extrem gut sind. Es wird auf jeden Fall interessant.
Du hast eben Hachimura angesprochen, mit dem du es auf der Vier zu tun gehabt hättest. In der Gruppe sind ebenfalls die Finnen, die mit Lauri Markkanen einen Star auf den Big-Man-Positionen dabei haben. Wirfst du auch einen Blick darauf, wer dir bei der WM gegenüberstehen wird?
Natürlich schaut man da ein bisschen drauf, aber wir versuchen, uns auf uns zu konzentrieren und nicht zu sehr auf den Gegner. Wir sind letztes Jahr schon gut damit gefahren. Zu gegebener Zeit werden wir uns aber auch mit den anderen sicherlich etwas befassen.