Carsten Straube: „Die Weltmeisterschaft war mein Karriere-Highlight“

Carsten Straube war der einzige deutsche Schiedsrichter bei der Weltmeisterschaft in China. Straube spricht im Interview über sein Karriere-Highlight sowie die Faking/Flopping-Problematik, den Pfiff der Woche und Unterschiede zwischen BBL und ProA.

Über die Teilnahme an der Weltmeisterschaft

basketball.de: Der Ligabetrieb hat wieder begonnen, aber blicken wir nochmal kurz zurück: Ende August bis Mitte September fand in China die Basketball-Weltmeisterschaft statt. Du warst für Deutschland bzw. für den DBB dort im Einsatz. Was für eine Erfahrung war das für dich? Das kann man ja sicher nicht mit dem Ligabetrieb vergleichen.

Carsten Straube: Gute Frage. Natürlich war es ein riesengroßes Erlebnis für mich. Es war bisher sicherlich mein Karriere-Highlight. Mit dem Ligabetrieb kann man das nur schwer vergleichen. Da die Weltmeisterschaft nur alle vier Jahre stattfindet und dort Nationalmannschaften und keine Vereine spielen, ist die Vorbereitung eine ganz andere als in der BBL. Das hat natürlich auch Gründe. Die Mannschaften selbst spielen andere Systeme und haben unterschiedliche Kulturen bzw. Spielphilosophien.

Wenn du von unterschiedlichen Philosophien sprichst, betrifft das ja nicht nur die Mannschaften. Auch das Schiedsrichter-Trio bestand aus Schiedsrichtern verschiedener Nationen. Inwieweit hat das Einfluss auf die Spielvorbereitung? Das kann man ja sicher nicht in einer halben Stunde vor dem Spiel klären. Wie habt ihr euch diesbezüglich vorbereitet?

Alle Schiedsrichter, die bei der Basketball Weltmeisterschaft dabei waren, haben an einem Prozess teilgenommen. Dieser lief nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 an. Die 56 Schiedsrichter – bzw. waren es sogar noch ein paar mehr, die in der Auswahl waren – haben an bestimmten Wettbewerben in den letzten drei Jahren teilgenommen, waren bei bestimmten Maßnahmen dabei, haben regelmäßig Workshops besucht und wurden immer wieder von denselben Instruktoren gecoacht. Dabei wurde vor allem auf Gleichmäßigkeit und auf Schiedsrichter-Basics Wert gelegt. Jeder musste einen gewissen Mindeststandard erfüllen. Dabei war es unerheblich, ob der Schiedsrichter aus Argentinien, China oder Deutschland kam. Die Basics waren dabei für alle gleich. Deswegen war es vom Verständnis her auf dem Feld relativ einfach gewesen.

Bevor die Weltmeisterschaft losging, waren alle Schiedsrichter, Instruktoren, Video-Operator und Verantwortliche eine Woche vorher gemeinsam bei einer Vorbereitungsmaßnahme in Peking. Bei dieser Clinic war vor allem das Miteinander Thema: sprich Teamspirit aufbauen und Teambuilding-Maßnahmen durchführen. Das hatte nochmal einen positiven Effekt. Inhaltlich wurden wichtige Themen wie Unsportliche Fouls, „Act of Shooting“, Rebound-Situationen und „Protect the Shooter“ bearbeitet. Außerdem haben wir live das Instant-Replay-System ausprobiert, das wir in den Spielen genutzt haben. Wir haben Kommunikation innerhalb der Crew geübt und wie wir mit konkreten Problemsituationen umgehen. Es gab vereinbarte Abläufe, die bei bestimmten Sachverhalten immer Anwendung finden sollten. Dies hat die Zusammenarbeit deutlich vereinfacht.

Warst du insgesamt mit der Zahl der Einsätze zufrieden, oder hast du insgeheim auf mehr Einsätze gehofft?

Ich wurde an jedem Spieltag eingesetzt. Ich bin zufrieden mit dem, was ich auch an Spielen hatte. In der Vorrunde war ich in Gruppe B mit Argentinien, Russland, Nigeria und Südkorea. In der Zwischenrunde war ich in der China-Gruppe und hatte beide China-Spiele vor ausverkaufter Halle. Das war auf jeden Fall ein tolles Erlebnis.

Nun ist es so, dass einige deutsche FIBA-Schiedsrichter gesperrt sind, weil sie in der EuroLeague bzw. im EuroCup pfeifen. Spielt das für einen selbst in der Frage der Nominierung eine Rolle, oder überwiegt die Freude, Deutschland zu vertreten?

Natürlich überwiegt da die Freude, als Einziger Deutschland zu vertreten, weil ich in den letzten Jahren bzw. generell in meiner Schiedsrichter-Karriere sehr viel investiert habe. Es war natürlich ein Ziel, worauf ich hingearbeitet habe. Dass es gleich jetzt so ein Highlight wurde, ist sensationell.

Gedanken machen wir uns selbstverständlich darüber. Es ist keine befriedigende Situation für den Basketball allgemein und auch nicht für das Schiedsrichterwesen. Wir müssen aber mit der Situation umgehen, wie sie aktuell ist.

Bei der WM wurde das Mikro der Schiedsrichter zum Teil geöffnet, insbesondere im Zusammenhang mit dem IRS. Spielt das für den Schiedsrichter dann noch mal eine andere Rolle in der Gestalt, dass man sich genauer überlegt, was man sagt?

Das war auch Teil der Workshops. Wir hatten dabei Rollenspiele, um auch ganz klar zu sein, was wir besprechen; gerade in Bezug auf das, was du jetzt erwähntest: dass die Öffentlichkeit mithört. Wir Schiedsrichter sollten uns auf das Klare und Notwendige beschränken. Es sollte deutlich artikuliert werden, was man im Video sieht und welche Entscheidung am Ende getroffen wurde. Es gibt analog zur easyCredit BBL bei der FIBA einen festgelegten Ablauf, was wann und wie gemacht werden soll.

Hatte dieses Mikro nur den Transparenzgedanken, oder diente es auch anderen Zwecken wie z.B. der Kommunikation auf dem Feld bzw. dem Coaching?

Für den Schiedsrichter-Coach gar nicht. Es diente in erster Linie der Transparenz für die Öffentlichkeit. An zweiter Stelle, wobei das nur einen kleinen Bruchteil ausmachte, wird es in späteren Workshops als Lehrmaterial mitbenutzt. Beim IRS muss man live unter Druck kommunizieren. Später kann man diese Szenen dann einsetzten, um Entwicklungen voranzutreiben.

Über Faking/Flopping

Die easyCredit BBL kämpft stark gegen das Thema Faking an. Nun warst du nicht nur bei der WM dabei, sondern pfeifst auch international in der FIBA Basketball Champions League: Ist es aus deiner Sicht ein nationales Problem oder auch international?

Das Vortäuschen, gefoult wurden zu sein, ist aus meiner Sicht ein generelles Thema im Sport. Es war auch ein Teil der Workshops in China und bei den Jugendeuropameisterschaften im Sommer. Wir haben festgestellt, dass Faking sich auch verändert. Spieler bekommen mit, dass wir uns immer mehr damit beschäftigen und lassen sich neue Sachen einfallen, wie man Fouls vortäuschen kann. Das ist ein wichtiges Thema, das stets im Blick behalten werden muss, um unsere Sportart sauber zu halten.

Nun ist immer wieder zu lesen, dass Flopping/Faking zugenommen hat. Wie schwierig ist es für die Schiedsrichter zu unterscheiden, ob es ein Foul oder Flopping ist? Es gab auch kürzlich einen Pfiff der Woche zu dem Thema. Ist es schwieriger geworden, Situationen zu bewerten?

Einfacher ist es auf jeden Fall nicht geworden. Es gehört viel Erfahrung dazu, um so etwas korrekt beurteilen zu können. Das Zweite ist, sich viel mit Videosequenzen auseinanderzusetzen, in denen potenzielles Flopping/Faking zu sehen ist, damit man Bewegungsabläufe als Schiedsrichter verinnerlicht. Es gibt herausfordernde Situationen, die nicht so einfach sind. Da ist nicht immer ganz klar, ob es Faking oder kein Faking ist. Da unser Sport immer schneller und athletischer wird, ist es zunehmend schwieriger, solche Situationen richtig zu beurteilen.

Und dann im Zweifel eher Foul als Faking? Oder wie ist da die Marschroute?

Da gibt es nicht wirklich eine Marschroute. Das kann ich nicht pauschalisieren. Es ist a) von der Situation und b) vom Kontakt abhängig. Es gibt viele Situationen im Graubereich, die nicht eindeutig sind. Im Video ist es manchmal noch etwas Anderes, da meist eine Slomo zur Verfügung steht und man sich die Situation mehrfach ansehen kann.

Über den Unterschied von ProA und BBL sowie den Pfiff der Woche

Wir unterhalten uns heute vor dem ProA-Spiel Chemnitz gegen Tübingen, das du später auch leiten wirst. Gibt es zwischen easyCredit BBL und ProA große Unterschiede, oder versucht man das aus deiner Sicht nach und nach anzugleichen?

Es gab vor Jahren große Unterschiede. Mittlerweile sind diese nicht mehr so groß. Die Top-Teams in der ProA sind athletischer und das Spiel insgesamt schneller und intensiver geworden. Bei den Top-Mannschaften der ProA ist kaum ein Unterschied zur easyCredit BBL festzustellen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einer Top-Mannschaft aus der ProA und einer Top-Mannschaft aus der easyCredit BBL, die auch international spielt.

Geht man in ein ProA-Spiel als Schiedsrichter anderes hinein, als in der easyCredit BBL, z.B. in Bezug auf die Vorbereitung?

Für mich macht das keinen Unterschied, ob es ein easyCredit BBL-, ein ProA- oder ein internationales Spiel ist. Ich bereite mich auf die gleiche Art und Weise vor. Der Schwerpunkt liegt auf der Zusammenarbeit innerhalb der Crew, insbesondere in strittigen Situationen. Dies ist in allen Ligen ähnlich.

Immerhin hat man in der ProA z.B. noch kein Instant Replay. Gibt es auch diesbezüglich keine andere Herangehensweise?

Die Einstellung sollte generell sein, dass wir Entscheidungen auf dem Feld treffen, da das IRS nur ein Hilfsmittel ist, um getroffene Entscheidungen zu überprüfen.

Eine letzte Frage allgemeiner Natur: 2017 wurde seitens der BBL der Pfiff der Woche wieder eingeführt. Hat das irgendwelchen Einfluss auf die Schiedsrichter? Diskutiert ihr die Pfiffe untereinander, oder dient es eher der Transparenz nach außen? Coachings und Rundmails gab es immerhin schon vorher. 

Ich finde den Pfiff der Woche gut, da er für die breite Öffentlichkeit Transparenz bringt. Natürlich nutzen wir das auch als Lehrvideo und Informationsmaterial. Komplexe Regelsituationen sollen damit den Basketballfans erklärt werden. Und man sieht dadurch, dass wir Schiedsrichter auch nur Menschen und nicht unfehlbar sind.