Hürdenlauf vor Olympia

Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft hat die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele aufgenommen. Doch mit Leonie Fiebich, Satou und Nyara Sabally werden die drei WNBA-Spielerinnen noch ein paar Wochen fehlen, zudem wird Kapitänin Svenja Brunckhorst dem Team von Lisa Thomaidis gar nicht zur Verfügung stehen. Mit Alexis Peterson gibt es aber eine neue Aufbauspielerin – um die sich der DBB schon lange bemüht hat.

„Wir haben den Fehler gemacht, zu viel Zeit darauf zu verwenden, das Team auszuwählen statt das Team aufzubauen.“ Mit diesen Worten richtet sich DBB-Bundestrainer Gordon Herbert zum Start in die WM-Vorbereitung im vergangenen Jahr an seine Spieler, womit es, so der Ratschlag von David Blatt, „das Wichtigste ist, so schnell wie möglich auf zwölf Spieler zu kommen – und mit diesen ein Team zu formen.“

Herberts Landsfrau Lisa Thomaidis, die seit einem Jahr die deutsche Frauen-Nationalmannschaft trainiert, dürfte diesen Leitsatz unterschreiben – doch beherzigen kann sie ihn in diesem Sommer nur schwer: Denn drei ihrer besten Spielerinnen stehen zum Start in die Vorbereitung nicht zur Verfügung, zudem wird die Kapitänin komplett fehlen. Leonie Fiebich, Satou und Nyara Sabally befinden sich bis Mitte August auf Grund der noch laufenden WNBA-Saison in den USA, Svenja Brunckhorst wird, zusammen mit Sonja Greinacher, bei den Olympischen Spielen nur im 3×3 antreten, Thomaidis also gar nicht zur Verfügung stehen – wie aktuell vier Fünftel der Starting Five des Olympischen Qualifikationsturniers nicht.

Den zwölf Frau starken Kader festlegen möchte Thomaidis dennoch „ziemlich schnell. Wir hoffen, dass wir das bereits in der nächste Woche tun können“, sagt die DBB-Bundestrainerin während eines Medientrainings am Sonntag in Würzburg gegenüber basketball.de. „Um einen Kaderplatz zu kämpfen, ist eine sehr stressintensive Situation – da verdienen es die Spielerinnen zu wissen, woran sie sind.“

Da das WNBA-Trio jedoch erst am Tag vor dem Spiel in Berlin am 19. Juli gegen Nigeria bzw. sogar erst am Spieltag selbst anreisen und demnach beim DBB-Doubleheader höchstwahrscheinlich noch nicht antreten wird, möchte Thomaidis bis dahin einen größeren Kader führen – also mit Spielerinnen, die bereits wissen, dass sie es letztlich nicht nach Paris bzw. Lille schaffen werden. Trotz dieser Herausforderungen macht Thomaidis deutlich: „Die Nationalmannschaftsfenster helfen uns aber, da jene Spielerinnen für uns im vergangenen November und Februar aufgelaufen sind und [beim Olympischen Qualifikationsturnier] gemeinsam diesen tollen Moment erlebt haben.“ Auch so wolle man die Hürden ob eines sich ändernden Kaders meistern.

Während Leonie Fiebich bei den New York Liberty eine bislang überzeugende Rookie-Saison absolviert, mit ihrer Vielseitigkeit besticht und sich in die feste Rotation des Titelanwärters gespielt hat, konnte Satou Sabally auf Grund ihrer Schulterverletzung aus dem Olympischen Qualifikationsturnier in dieser Saison noch nicht wieder spielen. Die Flügelspielerin wird also voraussichtlich ohne (viel) Wettkampfmodus antreten, wenn sie in diesem Sommer das erste Mal für das DBB-Team auflaufen wird. Thomaidis hatte gehofft, dass Sabally fit genug sei, um vor der Olympia-Pause noch ein paar WNBA-Spiele zu absolvieren, „aber ich glaube, dass wird doch nicht der Fall sein.“

14 Spielerinnen starteten in die Vorbereitung in Würzburg, zudem ist geplant, dass Nachwuchstalent Frieda Bühner dazustoßen wird, sobald sie die U20-EM (6. bis 14. Juli) beendet hat, bei der das DBB-Team nach der Rückkehr in die A-Division den Klassenerhalt sichern möchte.

„Svenja Brunckhorst hätte gerne in beiden Wettbewerben gespielt“

Während des Medientrainings verfolgt auch Svenja Brunckhorst das Geschehen, am Seitenrand liegt die Kapitänin und lässt sich physiotherapeutisch behandeln. Erst am Tag des Vorbereitungsstarts war bekannt gegeben worden, dass die Aufbauspielerin im 3×3 antreten, wofür sie ebenfalls das Olympia-Ticket gelöst hat, und somit der Thomaidis-Truppe nicht zur Verfügung stehen wird. „Für sie ist es nicht so einfach, das Ganze zu verarbeiten, sie hätte gerne in beiden Wettbewerben gespielt“, schildert Marie Gülich im Gespräch mit basketball.de. „Das ist ein harter Schlag, beide werden uns sehr fehlen. Svenni ist ein starker Charakter, und auch Sunny hat mir mit ihrer Art, Leichtigkeit und ihrem Humor immer sehr geholfen, mit weniger Druck in Situationen zu gehen und einfach Spaß zu haben.“

Thomaidis erklärt, dass man als Fünf-gegen-Fünf-Team Brunckhorst bei ihrem Traum, in beiden Wettbewerben zu spielen, unterstützt hatte, „aber letztlich wollte der Verband nichts riskieren, wenn sie in beiden Wettbewerben gespielt hätte. Zumal das 3×3-Team ganz gute Chancen hat. Da sei es besser, sich auf eine Sache zu konzentrierren.“

Zwar muss Thomaidis auf ihre Starting-Point-Guard verzichten, doch mit Alexis Peterson steht bereits ein neue Aufbauspielerin bereit. Die 29-jährige, gebürtige US-Amerikanerin war zuletzt für das französische Team Basket Landes aktiv, spielte dort mit Luisa Geiselsöder zusammen und avancierte mit durchschnittlich 11,8 Punkten zur teaminternen Topscorerin in der EuroLeague. Peterson kennt bereits Marie Gülich, da die beiden in der Saison 2019/20 in Polen gegeneinander gespielt haben, gegen Alex Wilke traf sie bereits im 3×3 aufeinander.

„Wir haben Alexis Peterson vor etwa einem Jahr ins Auge gefasst“

Gülich stellt Petersons Schnelligkeit, ihre Fähigkeit zu scoren und zu kreieren und ihre Verteidigung heraus. „Uns hat eine zweite Point Guard mit diesem Skill-Level gefehlt“, erklärt die Centerin. „In den vergangenen Jahren hatten wir immer wieder Probleme, wenn die gegnerische Verteidigung Druck auf unsere Aufbauspielerinnen gemacht hat. Wir hoffen, dass unsere Spielerinnen nun auf ihren Positionen bleiben können und beispielsweise nicht Leo, Satou oder ich mal den Ball nach vorne bringen müssen. Ich glaube, Alexis wird das richtig gut machen.“ Man erinnere sich: Mit 17,3 Ballverlusten pro Partie war die DBB-Auswahl bei der letztjährigen Europameisterschaft das schwächste Team.

Peterson selbst glaubt, dass sie sich schnell wird integrieren können. „Schnell zu spielen hat der Coaching-Stab nun schon früh betont – das ist auch mein Stil“, führt die Aufbauspielerin im Gespräch mit basketball.de aus, die dem Team beim Ballhandling, im Pick-and-Roll und mit ihrer Fähigkeit zu attackieren helfen möchte. Peterson hält mit 45 Zählern übrigens den Punkterekord der Syracuse University – Frauen und Männer (wie Carmelo Anthony oder Derrick Coleman) eingeschlossen. Deswegen wurde sie damals „Pistol Pete“ genannt, eine Referenz zu Pete Maravich, der ebenfalls Scoring-Rekorde in der NCAA gebrochen hatte.

Thomaidis erklärt, dass man schon seit längerem versucht habe, Peterson in die DBB-Auswahl zu holen: „Wir haben sie vor etwa einem Jahr ins Auge gefasst.“ Peterson geht auf den vergangenen Sommer, kurz nach der EM, zurück, als der DBB auf sie zugegangen sei und angefragt habe, ob sie Interesse habe, für Deutschland zu spielen. „In meinem siebten Jahr als Profispielerin war das auch für mich eine tolle Möglichkeit“, erklärt Peterson. Während des Prozesses, den deutschen Pass zu erhalten, konnte sie das Team verfolgen, bei den EM-Qualifikationsspielen im vergangenen November war sie vor Ort. Peterson ist also eine sogenannte „naturalisierte“ Spielerin, familiäre Wurzeln nach Deutschland besitzt sie nicht.

Top-Ten als mittelfristiges Ziel

„Commitment“ ist ein Begriff, den Gordon Herbert häufig verwendet, und Peterson hat sich nun für das deutsche Team commitet. Die Olympischen Spiele in diesem Jahr sind aber nicht der einzige Höhepunkt, mit dem der DBB – mit einem gestärkten Kader bei der Frauen-Nationalmannschaft – mehr Aufmerksamkeit auf den Frauen-Basketball lenken will. Eine EM-Vorrunde im kommenden Jahr sowie die WM im Jahr 2026 sind weitere Events mit Stahlkraft.

Ein solches soll auch der angesprochende Doubleheader am 19. Juli in Berlin sein, wenn erst die Frauen gegen Nigeria antreten, ehe die Männer gegen Japan auflaufen. „Es wird cool, als eins dazustehen – wir sind zwar ein Frauen- und ein Männerteam, aber spielen eben beide für Deutschland“, freut sich Gülich über den Doubleheader, durch den sich die beiden Nationalmannschaften auch besser kennenlernen könnten, woraus ein authentischer Support entstehen könne. „Und vielleicht gewinnen wir auch neue Fans dazu“, führt Gülich aus.

Thomaidis sieht in jenen Events einen Startpunkt, ein Sprungbrett, auf den man aufbauen wolle. „Vor einem Jahr waren wir in der Weltrangliste auf dem 36. Platz, jetzt sind wir 19. Ich weiß nicht, ob eine andere Mannschaft innerhalb so kurzer Zeit so hoch geklettert ist. Unser Ziel sind die Top-Ten – wir hoffen, das in den nächsten zwei Jahren zu erreichen.“ Und dann meistert man sicherlich auch einen solchen Hürdenlauf wie vor Olympia-Start.