Der Erfolgsarchitekt: Wie Masai Ujiri Torontos Meisterteam formte
Auf dem Parkett waren es Kawhi Leonard, Kyle Lowry, Pascal Siakam und die vielen Rollenspieler, die Toronto die erste NBA-Meisterschaft beschert haben. Und doch wäre dieser Erfolg ohne den klugen Kopf hinter den Kulissen nicht möglich gewesen. Eine Chronik der wichtigsten Entscheidungen von Raptors-Manager Masai Ujiri auf dem Weg zum Titel.
Radikalumbruch zahlt sich aus
Begonnen hatte der lange Weg zum Titel im Sommer 2013. Die Raptors hatten gerade zum fünften Mal in Folge die Playoffs verpasst. Nach dem Abgang von Chris Bosh in der Offseason 2010 Richtung Miami gewann Toronto in den folgenden drei Spielzeiten nur durchschnittlich 26 Spiele pro Saison. Am 31. Mai 2013 traf die Franchise dann eine wegweisende Entscheidung, indem sie Masai Ujiri als neuen General Manager für sich gewann. Der Nigerianer, der zwischen 1996 und 2002 als Spieler in Europa (unter anderem auch in Deutschland in Wolfenbüttel) aktiv war, hatte bereits zwischen 2008 und 2010 für die Raptors als Assistant-GM gearbeitet, ehe er den Posten als GM der Denver Nuggets annahm. Nach durchaus erfolgreichen drei Jahren in Denver kehrte er anschließend zurück und unterschrieb in Toronto einen Fünfjahresvertrag als GM.
Und es dauerte nicht lange, da krempelte Ujiri den Raptors-Kader gehörig um. Nur etwas mehr als einen Monat nach Dienstantritt tradete der neue GM Andrea Bargnani zu den New York Knicks. Der Nummer-eins-Pick des Drafts 2006 konnte die Erwartungen bei den Dinos nie erfüllen. In seinen sieben Jahren bei den Raptors erzielte der Big Man aus Italien zwar 15,2 Punkte im Schnitt, dies konnte seine Schwächen in der Verteidigung und beim Rebounding allerdings nicht aufwiegen. Und am 9. Dezember desselben Jahres fädelte der mittlerweile 48-Jährige Raptors-Manager den nächsten großen Deal ein, indem er Rudy Gay nach Sacramento schickte.
Übrig waren nun noch vor allen Dingen Top-Scorer DeMar DeRozan, Point Guard Kyle Lowry und Center Jonas Valanciunas. Und es ist kein Geheimnis, dass Ujiri auch Lowry abgeben wollte. Der Aufbauspieler war 2012 per Trade aus Houston nach Kanada gekommen und hatte damals noch keinen guten Ruf inne, nachdem er bei seinen vorherigen Stationen bei den Memphis Grizzlies und den Rockets mit Trainern und Mitspielern aneinander geraten war. Ein Trade von Lowry kam letztlich nicht zustande. Was folgte, ist bekannt: Der Point Guard entwickelte sich in Toronto an der Seite von Backcourt-Partner DeRozan zu einem Leistungsträger und Führungsspieler.
Statt in den Keller zu rauschen, wurden die Raptors ohne Gay, ihren zweitbesten, wenn auch ineffizienten Scorer, anschließend ein deutlich besseres Team. Die starken Lowry und DeRozan, dazu Valanciunas und die im Gay-Trade akquirierten Patrick Patterson und Greivis Vasquez stellten eines der besten Teams der Eastern Conference. Zum Zeitpunkt des Gay-Trades hatte Toronto eine Bilanz von 7-12 gehabt, danach gewann das Team 41 der restlichen 63 Spiele und stellte mit 48 Siegen in der regulären Saison einen neuen Franchise-Rekord auf. Der Aufstieg der Raptors ist somit unmittelbar mit der Ankunft von Ujiri verbunden. Zwar scheiterte das Team trotz Heimvorteil in der ersten Playoff-Runde, dennoch entfachte das Team die größte Euphorie seit „Vinsanity“.
Und jährlich grüßt das Murmeltier
In den nächsten Jahren etablierten sich die Raptors als Top-Team im Osten und sicherten sich mit einer Ausnahme stets Platz eins in der Atlantic Division. In den Jahren 2014 bis 2018 gewann Toronto immer zwischen 49 und 59 Spiele in der Regular Season. Doch gleichzeitig grüßte in den Playoffs auch immer das Murmeltier, wo die Kanadier durchweg enttäuschten. 2015 wurden die Raptors von den Washington Wizards in der ersten Runde gesweept, in den drei darauffolgenden Jahren erteilte Toronto stets das deutliche Aus gegen die Cleveland Cavaliers um LeBron James.
Dies lag vor allem daran, dass die Starspieler DeRozan und Lowry unter ihren Möglichkeiten blieben. Während der Hauptrunde war ersterer immer für mindestens 20 Punkte (2016/17 sogar 27,3 PpG) und zweiterer für knapp 20 Punkte, sieben Assists und fünf Rebounds pro Partie gut. Doch in den Playoffs agierten die beiden häufig ineffizient. Auch der Rest des Teams genügte den Ansprüchen eines Meisterschaftsanwärters nicht. Ujiris Versuche, das Team zu verstärken, beispielsweise durch die Verpflichtung von DeMarre Carroll und den Trade für Big Man Serge Ibaka, waren nicht von Erfolg gekrönt.
Die Playoffs 2018 stellten die größte Enttäuschung dar. Trotz 59 Siegen in der Regular Season und der besten Bilanz im Osten waren die Raptors gegen die Cavs in der zweiten Runde chancenlos. Nach dem Sweep wurde aus Toronto „LeBronto“. Ujiri stellte nach dem bitteren Ausscheiden alles auf den Prüfstand. Und der Raptors-Funktionär, inzwischen aufgestiegen vom GM zum Team-Präsidenten, kam zu dem Schluss, dass es mit dem Kader in dieser Zusammenstellung niemals zum großen Wurf reichen würde. Zudem kündigte sich bereits der Wechsel von LeBron James von der Eastern in die Western Conference an. Der große Rivale, an dem Toronto drei Jahre in Folge gescheitert war, war nun weg. Und Ujiri bereit, All-In zu gehen.
Als erste Konsequenz aus dem enttäuschenden Playoff-Aus musste Erfolgstrainer Dwane Casey gehen. Obwohl dieser gerade erst zum Trainer des Jahres gewählt worden war, stellte sich auch diese Entscheidung als richtig heraus. Nachfolger wurde sein vorheriger Assistant Coach Nick Nurse, dem bereits in der Saison davor die viel gelobten Änderungen in der Offense zugeschrieben wurden. Die Raptors spielten 2017/18 weniger Isolations-Basketball, bewegten den Ball besser und warfen häufiger aus der Distanz. Mit Nurse als Hauptverantwortlichen an der Seitenlinie nahm das Team noch mehr Dreier und spielte schneller.
Leonard-Trade als Wendepunkt
Doch der große Schlag sollte am 18. Juli 2018 folgen. Der Tag, der alles verändern sollte. Der Tag, an dem Kawhi Leonard ein Raptor wurde und DeMar DeRozan von Ujiri nach San Antonio geschickte wurde. Was zunächst nach einem kontroversen Deal aussah (DeRozan war Fan-Liebling und Lowry-Kumpel, Leonard hatte fast ein komplettes Jahr ausgesetzt), stellte sich im Nachhinein als einer der besten Trades in der Geschichte der NBA heraus – und das unabhängig von Leonards Verbleib über den Sommer hinaus (der Forward kann im Juli Free Agent werden). Denn Toronto bekam durch den Deal nicht nur den Finals-MVP von 2014 und besten Verteidiger der Jahre 2015 und 2016, sondern auch den besten Spieler der folgenden Playoffs 2019 und damit den Garant für den Titel. Fast nebenbei kam auch noch Schütze und Edelverteidiger Danny Green nach Toronto – und das alles „nur“ für DeRozan, Backup-Center Jakob Pöltl sowie einen Erstrunden-Pick.
Dem Deal ließ Ujiri zur Trade-Deadline 2019 sogar noch einen weiteren wichtigen Transfer folgen: Jonas Valanciunas, der seinen Platz in der Starting Five während der Saison an Ibaka verloren hatte, wurde im Tausch für Marc Gasol abgegeben. Der Spanier, ebenfalls ehemaliger Verteidiger des Jahres und All-NBA-First-Teamler, sollte sich in den Playoffs ebenfalls als entscheidender Faktor herausstellen.
Neben diesen großen Entscheidungen zeigten Ujiri und seine Kollegen im Management auch bei der Talentevaluierung ein gutes Auge. So akquirierten die Raptors im Mai 2015 im Gegenzug für Vasquez Talent Norman Powell, den die Milwaukee Bucks kurz zuvor im Draft an 46. Stelle ausgewählt hatten. Mit dem ebenfalls im Trade enthaltenen Erstrunden-Pick 2017 zog Toronto mit OG Anunoby einen weiteren talentierten Flügelspieler, dessen Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft ist. Nicht zu vergessen sind Delon Wright und Pöltl, die Bestandteile der Trades für Leonard und Gasol waren. Die größten Steals tätigte Ujiri mit seinem Scouting-Stab allerdings im Jahr 2016. Dort drafteten die Raptors an 27. Position Pascal Siakam. Der Kameruner, designierter „Most Improved Player“ 2019, entwickelte sich vor allem innerhalb seiner dritten Saison zu einem Spieler von All-NBA-Format und einem der drei wichtigsten Spielern des Titel-Runs. Auch Backup-Point-Guard Fred Van Vleet, ebenfalls wichtiger Rotationsspieler, verpflichteten die Raptors im Sommer 2016, nachdem er zuvor von keinem Team gedraftet worden war.
Für die Zukunft gerüstet
Am Ende ist es Ujiri gelungen, ein qualitativ und quantitativ starkes Team aufzubauen, das alles besaß, um die Meisterschaft zu gewinnen: einen Superstar in Leonard, um ihn herum erfahrene Spieler wie Lowry, Gasol, Ibaka und Green, dazu aufstrebende Spieler wie Siakam, Van Vleet, Powell und Anunoby. Die Raptors waren sowohl offensiv als auch defensiv variabel aufgestellt und an beiden Enden des Feldes eines der fünf besten Teams der Liga. Dazu steht ein sehr guter Coach an der Seitenlinie.
Doch hatte Toronto nicht auch jede Menge Glück auf dem Weg zum Titel? Was, wenn Kawhi nicht die schweren Würfe in Spiel vier und sieben der Serie gegen Philadelphia trifft und die Raptors in Runde zwei ausscheiden? Anschließend das Comeback gegen Milwaukee nach 0-2-Serienrückstand. Was, wenn bei den Golden State Warriors Kevin Durant und Klay Thompson fit gewesen wären? Natürlich gehörte auch Glück dazu. Das tut es fast immer, bei jedem Meisterschafts-Run. Doch Ujiri hatte die Titelchancen durch seine Entscheidungen in den letzten zwölf Monaten maximiert – und das mit sehr wenig Risiko.
Und ein weiterer Faktor, der nicht zu unterschätzen ist: Toronto ist sogar für eine Zukunft ohne Leonard gut aufgestellt. Das Raptors-Management hat im Sommer 2018 die Meisterschaftschancen erhöht und sich gleichzeitig für einen Rebuild im Falle eines weiteren Misserfolgs und Leonard-Abschieds vorbereitet. Aufgrund kurzer Vertragslaufzeiten der Veteranen und den vielen jungen Spielern – insbesondere Siakam – mit günstigen Verträgen ist Toronto flexibel aufgestellt, um einen eventuellen Neuaufbau einzuleiten. Ob dies notwendig ist, wird sich erst mit Leonards Entscheidung im Juli zeigen. Doch die NBA-Meisterschaft kann den Raptors niemand mehr nehmen. Und Ujiri die Auszeichnung als „Executive of the Year“ wohl ebenso keiner.