Dank neuer Identität ein Spitzenteam
Die Boston Celtics spielten in der vergangenen Saison und zu Beginn der aktuellen Spielzeit weit unter ihren Möglichkeiten. Seit Januar tritt Boston aber wie ein Spitzenteam auf und sieht nun wie ein ernstzunehmender Titelkandidat für die kommenden Jahre aus. Wie kam es zu diesem plötzlichen Umschwung?
Vor dieser Saison waren sich die Verantwortlichen sowie die Spieler der Boston Celtics einig: Diese Saison muss eine erfolgreichere Spielzeit als die vergangene werden. Diese hatte in einem desaströsen Erstrundenaus geendet, nachdem die Kelten es erst mit Mühe über das Play-in in die Playoffs geschafft hatten. Das vergangene Jahr offenbarte die eklatanten Schwächen der Celtics: unzureichende Ballbewegung, zu viele komplizierte Isolation-Plays und eine daraus resultierende schwache Wurfauswahl und -quote, wodurch das Team des damaligen Head Coaches Brad Stevens für die Gegner zu leicht ausrechenbar war.
Um diese Probleme anzugehen, kam Ime Udoka als neuer Head Coach nach Boston. Stevens übernahm dafür den Job des General Managers. Es ist Udokas erstes Engagement als Head Coach, zuvor war er als Co-Trainer der Brooklyn Nets aktiv.
Udoka steht für einen Stil, den die Celtics zuvor nicht pflegten: knallharte Defense und Teambasketball. Nach einem schwachen Saisonstart und 21 Niederlagen aus den ersten 38 Partien – der sicherlich als Eingewöhnungszeit des neuen Coaches sowie als Kennenlernphase zwischen diesem und seinen Spielern verbucht werden kann –, schalteten die Celtics mehrere Gänge hoch und schlossen die reguläre Saison mit einer beachtlichen Bilanz von 51-31 auf dem zweiten Platz in der Eastern Conference ab. Die Gründe für diese positive Transformation sind vielschichtig.
Funktionierendes Defensivkonzept
Die Celtics haben während der Saison eine überragende Defensiv-Identität geschaffen. Diese ist eng verbunden mit dem Namen Udokas, der bereits vor seiner Station in Boston als Defensivfanatiker bekannt war. Blickt man auf den Kader der traditionsreichen Franchise, sind die Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Verteidigung allemal gegeben.
Marcus Smart als frisch gebackener „Defensive Player of the Year“ bildet das Herzstück der Celtics-Defense. Die beiden Stars des Teams, Jayson Tatum und Jaylen Brown, sind hervorragende „Two-Way-Player“, sie können an beiden Enden des Feldes (offensiv und defensiv) dominieren. Und auch die beiden Big Men Al Horford und Robert Williams III sind für ihre Qualitäten am hinteren Ende des Feldes bekannt.
Boston spielt in der Regel eine Defense, bei der die Spieler ständig switchen und nicht an einen festen Gegenspieler gebunden sind. Die Celtics-Akteure können unterschiedliche Positionen verteidigen und geben Coach Udoka damit eine gewisse Flexibilität. Williams übernimmt als Center des Teams eine ganz spezielle Aufgabe: Er ist häufig nicht der primäre Verteidiger des gegnerischen Centers unter dem Korb, sondern steht zumeist bei einem Schützen des Gegners in der Nähe der Dreierlinie. Bei Bedarf ist Williams sofort für einen Mitspieler als Help-Defender in der Zone zur Stelle und kann mit seiner Spannweite den Wurf des Gegners blocken oder zumindest erschweren.
Mit 106,2 Punkten des Gegners pro 100 Ballbesitze stellte Boston das beste Defensiv-Rating der Hauptrunde. Tatum lobt die von Udoka und seinem Trainerstab installierte, defensivgeprägte Philosophie, die für die Celtics-Spieler zunächst Neuland war: „Ich denke, dass ein neuer Trainerstab sehr hilfreich sein kann. Die defensive Philosophie sind wir zu Beginn nicht gewohnt gewesen. Ich war am Anfang ein wenig skeptisch, da ich nur eine andere Spielidee aus den Jahren zuvor kannte“, sagte der Franchise-Spieler Anfang April dem Boston Globe.
Doch nicht nur die starke Team-Defense, die Udoka installierte, zeigt, dass die Celtics einen großen Schritt nach vorne gemacht haben.
Das Umdenken der Stars
Auch beim Offensivspiel hat es „klick“ gemacht, zu erwähnen sind vor allem Tatum und Brown. In der vergangenen Saison und auch zu Beginn der aktuellen Spielzeit war das gebotene Offensivspiel des Teams für die Celtics-Fans kaum zumutbar. Tatum und Brown verstrickten sich ständig in komplizierte Einzelaktionen. Daraus entstanden komplizierte Würfe, die häufig nicht fielen.
Isolationen gehören kaum noch zur Philosophie der Celtics. Einerseits liegt das an Udoka, andererseits vor allem an den beiden Stars selbst. Tatum hat es endlich verstanden, beim Ballvortrag das gesamte Team mehr mit einzubinden, statt durch Hero-Ball oder nur durch sein Scoring glänzen zu wollen. Hat der 24-Jährige mal einen schwachen Scoring-Abend, überzeugt er nun immer häufiger als starker Playmaker und Assistgeber, der seine Teamkollegen mit ins Offensivspiel einbezieht.
Wie Tatum ist auch Brown reifer geworden. Seine Aktionen wirken mittlerweile durchdachter, in wichtigen Phasen behält der 25-Jährige nun einen kühlen Kopf und trifft dabei häufig die richtige Entscheidung.
Das trifft nicht nur auf die beiden noch relativ jungen Stars zu, auch bei Smart hat eine beachtliche Entwicklung stattgefunden. Der beste Verteidiger der aktuellen Saison ist defensiv schon seit Jahren über jeden Zweifel erhaben, Fragezeichen entstanden hingegen durch seine Offensive. Inzwischen spielt Smart auch am offensiven Ende den klugen Basketball, den sich Udoka vorstellt. Als positives Beispiel für Smarts Entwicklung fällt vielen Celtics-Fans wahrscheinlich sofort die letzte Aktion im ersten Spiel der diesjährigen Erstrundenserie gegen die Brooklyn Nets ein, bei der Smart den Überblick behielt und den Assist für Tatums Gamewinner lieferte.
Vor wenigen Monaten hätte Smart bei nur noch wenigen Sekunden auf der Uhr womöglich den Wurf selbst genommen, doch die Celtics haben in den vergangenen Monaten einen Reifeprozess durchlaufen, der sich positiv auf das eigene Spiel auswirkt.
Durch das mannschaftsdienliche Spiel der Stars kommen die unterschiedlichen Stärken der anderen Spieler besser zum Tragen. Dreierspezialisten wie die Bankspieler Grant Williams oder Payton Pritchard erhalten häufig offene Würfe von der Dreierlinie, die Big Men Horford und Robert Williams kommen oftmals in gute Positionen unter dem Korb.
Passende Trades
Um die Stärken der Spieler noch besser aufeinander abzustimmen, wurde Stevens als GM kurz vor Trade Deadline im Februar aktiv und akquirierte Derrick White von den San Antonio Spurs und Daniel Theis von den Houston Rockets. Im Gegenzug gab Boston unter anderem Josh Richardson (an die Spurs) und Dennis Schröder (an die Rockets) ab.
Der ein oder andere Celtics-Fan runzelte bei diesen Deals mit der Stirn, doch White und Theis passen in den Celtics-Kader. White ist neben den balldominanten Tatum und Brown der deutlich bessere Fit im Vergleich zu Schröder, der seine Stärken eher on-ball als off-ball hat. Als starker Verteidiger passt White zudem extrem gut in das Defensivkonzept Udokas. Nur der Dreier (30,6% 3FG in der Hauptrunde für Boston) muss bei ihm noch besser fallen.
Theis, der bereits von 2017 bis 2021 bei den Celtics unter Vertrag stand, ist ein cleverer Transfer, da der Deutsche die Franchise und die meisten seiner Teamkollegen bereits gut kennt. Der 30-Jährige ist froh, dass er zurück in Boston ist, und betont die Unterschiede im Vergleich zu seinen kurzen Aufenthalten in Chicago und Houston: „Ich habe mich hier in Boston schon immer wohlgefühlt, aber man bekommt eine andere Perspektive, wenn man zwischendurch in einer Situation war, in der das nicht der Fall ist“, erklärte Theis gegenüber SPOX.
Auch hinsichtlich der Vertragsstruktur waren die beiden Deals ein Volltreffer, da White und Theis (wie auch die anderen wichtigen Spieler der Celtics) langfristige Verträge besitzen und so der Kern des Teams für die kommenden Jahre steht. Die Verträge von Schröder und Richardson liefen nur noch bis zum Saisonende, ohne einen Trade hätten die Celtics im Sommer keinen Gegenwert mehr bekommen. So konnte Stevens noch das Optimale herausholen. Die Neuzugänge haben sich schnell in das funktionierende Teamgefüge der Celtics integriert und machen Boston so zu einem der derzeit besten Teams der NBA.
Vielversprechende Zukunft?
Die erfolgsversprechende Ausgangssituation wurde nicht nur durch die starke zweite Hälfte der regulären Saison, sondern auch den imposanten Sweep der Celtics gegen die Nets in der ersten Playoff-Runde unterstrichen. Dabei wurden die Stärken der Celtics wieder einmal deutlich: eine sehr gut funktionierende Defense, die sogar Offensivmonster wie Kevin Durant oder Kyrie Irving in Schach hält, und ein flüssiges Offensivspiel, das häufig mit dem passenden Play endet.
Im ersten Spiel der Zweitrundenserie gegen die Milwaukee Bucks zogen die Celtics allerdings den Kürzeren. Die Bucks schlugen die Celtics mit ihrer eigenen Waffe, nämlich einer funktionierenden Team-Defense. Gegen Giannis Antetoukounmpo, Jrue Holiday und Co. kamen vor allem die beiden Celtics-Stars Tatum und Brown kaum zum Zuge. Coach Udoka ist nun vor der zweiten Partie gefordert, einen guten Matchplan gegen den amtierenden Champion zu entwickeln. Den wird es brauchen, um den Rückstand gegen Milwaukee zu drehen und die Meisterschaftshoffnungen der Celtics-Anhänger am Leben zu halten.
Denn in Beantown träumen die Fans von Banner Nummer 18 und dem Status als alleiniger Rekordmeister vor den Los Angeles Lakers. Warum auch nicht? Die passenden Voraussetzungen für einen Titelgewinn sind bei Boston nicht nur in diesem, sondern auch in den kommenden Jahren gegeben.
Tatum hat in dieser Saison gezeigt, dass er definitiv der Superstar eines Contenders sein kann und wird am Ende der Saison in eins der drei All-NBA-Teams gewählt werden. Neben Tatum kristallisiert sich Brown als passende Nummer zwei heraus, nachdem einige Kritiker vor der Saison forderten, das junge Star-Duo aufzubrechen und einen der beiden „Jays“ zu traden. Die Defense funktioniert perfekt unter der Leitung von Smart. Der 36-jährige Horford scheint auf seine alten Tage hin seinen zweiten Frühling zu erleben, und Robert Williams legt genau die positive Entwicklung hin, die die Celtics sich bei seiner Vertragsverlängerung (vier Jahre, insgesamt 54 Millionen Dollar) vor der Saison erhofften. Die anderen Spieler bringen zudem reichlich Entlastung von der Bank aus und geben so den Stars ihre dringend benötigten Ruhepausen.
Der Kader wurde passend zusammengestellt und das vorhandene Potenzial wird derzeit optimal ausgeschöpft, Stevens und Udoka haben bis hierhin als Neulinge in ihren Positionen überzeugende Arbeit geleistet. Und so stehen die Chancen der Celtics gut, das Ziel von vor der Saison zu erfüllen: die letzte Saison vergessen zu machen und für eine vielversprechende Zukunft zu sorgen.