Michael Jordan: Mehr als ein Athlet (II)
Michael Jordan gilt vielen als der beste Basketballer aller Zeiten. Zugleich reicht die Bedeutung des Ausnahmekönners weit über den Spielfeldrand hinaus. In einer Trilogie spüren wir daher der Ikone „MJ“ in ihrer Vielgestaltigkeit nach. Der zweite Teil widmet sich dem Werbeträger und der Vorbildfigur Michael Jordan.
Zweiter Teil: Be Like Mike
In den 1990er Jahren war Michael Jordan keineswegs „nur“ der alles überstrahlende Sportsuperstar; sondern „arguably the most famous American in the world, more famous in many distant parts of the globe than the President of the United States or any movie or rock star“. Die Popularität von „MJ“, die Bestsellerautor David Halberstam hier auf den Punkt bringt, beruhte auf seiner weltweiten Omnipräsenz. Maßgeblich wurde diese durch die Umgestaltungen der TV-Märkte und die ausgelöste Werbeflutwelle ermöglicht.
Regelmäßig boten sich dem Fernsehpublikum daraufhin folgende Konsumbilder des Topverkäufers des American Way of Life dar: „Jordan eats Wheaties, drives Chevrolets, wears Hanes, guzzles Gatorade, and consumes fast food at McDonald’s. And of course, he sports Nikes“ (Michael Eric Dyson).
Diese medial vermittelten Jordan-Bilder trugen entscheidend zu seiner Ikonisierung bei. Erfolgreich spielten sie mit seiner Athletik, Persönlichkeit und seinem Schwarzsein. Und: Sie machten „Mike“ zur Premiummarke und Kulturware.
So berief sich die im ersten Teil angesprochene Werbekampagne von Nike zunächst auf den Flugmythos des schwarzen Überathleten. In Zeitlupe zeigt der „Jordan Flight“ (1985) betitelte Videoclip, wie „MJ“ den Schuh unterstützten Anlauf, Absprung und Anflug auf den Korb eines urbanen Freiplatzes mit einem kraftvollen Druckkorbleger vollendet. Sein Bewegungsablauf ist dabei auf die ihn begleitenden Motorengeräusche eines startenden Jets abgestimmt.
Nur schemenhaft erkennt man den Flugakrobaten, der in diesem Werbespot der „Jumpman“-Silhouette (ab 1988 das offizielle Logo) der „Air Jordan“-Reihe gerecht wird. Wie vor allem auch im „Banned“-Commercial – der ebenso für den rot-schwarzen Einser mit dem anfänglichen Flügellogo wirbt – fokussiert, ja mustert die Kamera den athletischen Körper des Jungstars.
Keine Frage, die ersten „Air Jordan“-Werbeclips setzen das Faszinosum athletischer Brillanz und ästhetischer Körperlichkeit wirkungsvoll in Szene. Es wird „poetry in slow motion“ vorgeführt und „it’s all in the imagination“ verkündet.
Allein im ersten Jahr brachte „MJs“ Signature-Schuh Nike 130 Millionen US-Dollar ein. Der als „schwarz“ markierte Werbeträger wurde hingegen als „Air Jordan“ zum fetischisierten Objekt gemacht, das Konsumierende als Ware teuer bezahlen – im kriminellen Extremfall mit ihrem Leben (Stichwort: „Sneaker Crimes“). „Souled out“ hieß es dann tragischerweise für so manch einen Sneaker Fiend …
Ein weiteres Beispiel für solch eine symbolische Reduzierung auf ein Konsumgut, hier totes, gegrilltes Fleisch, war der sogenannte „McJordan“-Hamburger. Dieser konnte 1992 in den USA verspeist und verdaut werden. Merklich stehen derartige Produkte in der zweifelhaften Tradition des Zur-Ware-Werdens afroamerikanischer Kultur und des profitablen Verkaufs klischeebeladener Vorstellungen (siehe „Uncle Ben’s Rice“ & Co.).
Mass Appeal
Als die Agentur Wieden+Kennedy ab 1986 die Produktion einer originellen „Air Jordan“-Werbeserie übernahm, brachen sie mit der konventionellen Darstellung. In Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Filmemacher Spike Lee galt es Jordans Individualität zu veranschaulichen. So wollten sie ihn als „likable human being“ (Halberstam) portraitieren. Gezielt ging es dabei um „Mass Appeal“ und maximale gesellschaftliche Akzeptanz.
Hierfür wurden Jordans bisher ausgeblendete Qualitäten, seine Attraktivität und Ausstrahlung, sein Charme und Witz pointiert ausgespielt. „MJs“ einnehmende Persönlichkeit als auch seine athletische Brillanz, die weiterhin sichtbar blieb, kamen zum Tragen. Die Konturierung des öffentlichkeitswirksamen Images als All-American und Crossover-Star war ein voller Erfolg. „We think he transcends race, transcends basketball“, stellte Jordans Superagent David Falk zufrieden fest.
Zustimmend beschrieb das einflussreiche Playboy-Magazin „MJ“ Anfang der 90er Jahre „as the quintessential gentleman, consummate sportsman, clean-living family man and modest, down-to-earth levitating demigod“.
Ein Mainstream-Publikum wurde in den 80s also mit „Mike“ vertraut gemacht, Nähe suggeriert. „Air Jordan“ erschien selbstsicher, aber geerdet und diente dabei als Vorzeige-Amerikaner. Er stand für zielstrebige harte Arbeit, Produktivität und Erfolg, Selbstdisziplin und Wertebewusstsein – für eine selbstverantwortliche, reine Lebensführung. Couragiert und lebensbejahend machte er das Beste aus sich und seinen amerikanischen Freiheiten.
Dadurch verkörperte Jordan nicht nur ein (neo-)liberales Ideal, sondern auch ein angepasstes, „ungefährliches“ Schwarzsein, das in der US-Gesellschaft gemeinhin akzeptiert wird. Auserwählte afroamerikanische Prominente, zuvorderst Ex-TV-Vorzeigevater Bill Cosby, repräsentierten seinerzeit diesen Eindruck schwarzer Angleichung und Anständigkeit.
„MJ“ fungierte sonach als charismatischer Werbeträger und charakterstarker Werteträger. Seine erfolgreiche Selbstführung und individuelle Karriereleistung wurden in Stellung gebracht, um den Mythos einer Gesellschaft ohne Schranken zu illustrieren. „Mike“ war der lebende Beweis für eine gelungene Selbstverwirklichung, die angeblich allen Menschen im „Land der Freien“ offensteht.
Denjenigen, den diese Teilhabe aufgrund struktureller Armut und sozialer Ausgrenzung nicht gelingt, wurde (und wird) hingegen eine selbstverschuldete Unfähigkeit attestiert. Insbesondere schwarze Menschen seien zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung mehrheitlich nicht in der Lage, hieß es.
Vor allem unterprivilegierte African Americans würden sich nicht genug anstrengen. In der als egalitär und farbenblind verklärten US-Gesellschaft der 80s wurden sie als „bedrohliche Sozialschmarotzer“ stigmatisiert. Der neokonservative Mainstream nahm sie als faul, pflicht- und sorglos, als aggressiv, kriminell und unsittlich wahr. Kurz gesagt: als „zu schwarz“.
Dagegen galt das medial vermittelte Kontrastbild eines angepassten Schwarzseins im Stile von Cosby und Jordan als realisierbares Ideal. „Jordan is the flip side of the crack dealers who populate the local news broadcasts of big cities“, schrieb der Kulturkritiker Nelson George. Er sei „as clean-cut as a starched shirt“. „MJ“ firmierte daher als „weiß“ gewaschener Mittelklasseheld, der im reißenden Fluss der Möglichkeiten ganz vorne mitschwamm.
Jordans Positiv-Image als „Buppie“ (schwarzer Yuppie) und „Clean Air“ ist somit weniger ein Beispiel für die Überwindung von Rassismus, als vielmehr für dessen Verlagerung und wirkmächtige Verleugnung. Gezielt wurde „MJ“ mit den problematischen „schwarzen Anderen“ und ihrem marginalen Sozialstatus kontrastiert.
Als „a down to earth guy“, so NBA-Boss David Stern, versinnbildlichte er amerikanische Idealnormen („work hard, play hard“, usw.). Er war der überfreundliche, coole Superheld von nebenan, der mit Trickfiguren wie Bugs Bunny und Heranwachsenden ungezwungen interagierte. „Mike“ erschien vielen als liebenswerter Crossover-Star zum Anfassen.
„He leaps the great divide“
In den von Wieden+Kennedy produzierten Nike-Werbespots stand Jordan zusammen mit Mars Blackmon vor der Kamera. Gespielt von Spike Lee, der zugleich Regie führte, übernahm der kindlich-aufgedrehte Brooklynite den Part des Hip-Hop affinen „schwarzen Anderen“.
Als solcher ist der überzeichnete Charakter aus Lees Debütfilm „She’s Gotta Have It“ (1986) durch sein repräsentatives Brooklyn-Käppi, eine überdimensionale „MARS“-Goldkette und seine (Slang) intensive Plappermauligkeit leicht auszumachen.
Sein „main man Mike“ punktet hingegen durch seinen Charme, seine Coolness und Eleganz. Besonders ein gewinnendes Lächeln, das Hochziehen der Augenbrauen und seine amüsanten Verneinungen wissen zu gefallen. „There was nothing threatening about him“, wie David Halberstam sekundierte.
Besonnen lässt Jordan Mars’ Nonstop-Geplapper ins Leere laufen, ihn einfach am Korb hängen, um dann den Ball kraftvoll durch den Ring und ihm symbolisch den Mund zu stopfen. Oder aber „Mike“ – der laut Mars einfach nicht zu verteidigen sei – hält ihm verschmitzt direkt den Mund zu: „However, it’s easy to cover Mars Blackmon.“
Als schmächtig nerdiger Fanboy mit übergroßer Brille, ist dieser seinem selbstsicheren Idol in keiner Hinsicht gewachsen. Außer wenn es darum geht, viel heiße Luft zu produzieren …
In den klassischen Schwarz-Weiß-Clips umgibt „MJ“ eine Aura erdgebundener Natürlichkeit, die mimisch-gestisch überzeugend herausgearbeitet wird. Hinzu kommen geschickt eingebundene ästhetische Flugeinlagen und athletische Dunks, die dem Hype um „the best player in the universe“ (so Mars’ Einschätzung) Auftrieb geben.
Ein weiteres Beispiel bieten Jordans Werbeauftritte für den Wäschehersteller Hanes Anfang der 90er Jahre. Etwa zeigt ihn ein Clip betont zurückhaltend, lächelnd und vollständig bekleidet im Kreis seiner Familie. Darin mimt „MJ“ den jungenhaften Sohn und guten Ehemann, der mit seiner Frau und seinem Vater liebe- und respektvoll interagiert. Als sympathischer Familienmensch bespielt er das schöngefärbte Ideal der heilen Kernfamilie und die in den USA so gern beschworenen „Family Values“. Eine stabile Ordnung herrscht vor.
Dabei steht das Bild der intakten und harmonischen Familie Jordan im starken Gegensatz zur Negativ-Vorstellung dysfunktionaler schwarzer Familien. Besonders in den 80s und 90s wurde ein Verlust von Vätern und Vaterfiguren beklagt – prekäre gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Armut und der industrielle Gefängniskomplex) wurden ausgeblendet. Von abwesenden und damit unverantwortlichen schwarzen Erzeugern und Ehepartnern war die Rede. Diese leistete dem rassistischen Stereotyp des unkontrollierten und hypersexuellen schwarzen Mannes Vorschub.
Indes färbte die Afroamerikanern inflationär zugeschriebene Pflicht- und Sittenlosigkeit kultürlich nicht auf „Michael“ ab. „People don’t look at Michael as being black. They accept that he’s different“, wie David Falk das wenig bedrohliche Saubermann-Image unterstrich. Oder mit dem Schriftsteller John Edgar Wideman gesprochen: „He leaps the great divide.“
Jordan gelang es sogar, die drei- und zweidimensionale Welt durch sein Zusammenspiel mit Bugs Bunny in Einklang zu bringen. Das erste Mal begegneten sich „Michael“ und Bugs als außergewöhnliche und integre Fantasy-Charaktere im Rahmen einer originellen Nike-Kampagne zu Beginn der 90s. Ihre Verspieltheit und Komik, ihre fantastischen Möglichkeiten und menschlichen (Vor-)Züge ließen Kinderträume wahr werden. Gewinnbringend begeisterten „Air“ und „Hare Jordan“ ein junges Publikum und deren zahlkräftige Eltern.
Ihr Comeback gaben die beiden Superfreunde in dem Fantasy-Blockbuster „Space Jam“ (1996). Darin unterstützt „Michael“ – frisch aus dem Basketballruhestand reaktiviert – die „Looney Tunes“ um Bugs Bunny, die für nichts Geringeres als ihre Freiheit spielen. Ihre Gegner sind böswillige Außerirdische, die fünf NBA-Stars ihre Talente gestohlen haben und nun als gigantische „MonStars“ auftreten.
Als selbst erklärtes „Mean Team“, das hyperphysisch und überaggressiv zu Hardcore-Rap-Klängen agiert, verkörpern sie den bedrohlichen Negativ-Entwurf der „schwarzen Anderen“ (auch repräsentiert durch B-Real, Busta Rhymes, LL Cool J, Method Man und Coolio im folgenden Video). Jedoch können die „Tooners“ als Team dagegenhalten, bis „Michael“ den spielentscheidenden Wurf versenkt. Danach kann er beruhigt in die NBA zurückzukehren, um dort das Kräfteverhältnis wiederherzustellen.
So diente Jordans Spielfilmdebüt dazu, seinen „GOAT“-Status, die Vorbildhaftigkeit und seine amerikanische Geschichte in Bild und Ton festzuhalten. „Be Like Mike“, der legendäre Slogan eines Gatorade-Werbespots, wurde genauso wie der Titelsong „I Believe I Can Fly“ zum kulturellen Mantra erhoben.
„I’m a business, man“
Glaube an sich selbst, um zu sein und etwas zu werden. Höhenflüge erfordern einen bejahenden Lebensstil, Eigeninitiative und Selbstoptimierung, um so die eigene Position in der leistungsorientierten Ich-Gesellschaft selbst zu bestimmen.
Ist das „MJs“ selbstunternehmerische Botschaft? Was können wir über den afroamerikanischen Akteur – die Person Michael Jordan – hinter dem durch Werbeslogans, Eigen- und Markennamen hervorgebrachten, sorgsam verpackten Image schreiben?
Wie im Fall vieler Medienfiguren, nicht besonders viel. Denn als PR-Profi vermied er Antworten, die tiefer unter die Oberfläche blicken lassen. Immerhin ermöglichen seine Äußerungen eine tastende Annäherung an seine Denk- und Handlungsweisen.
Zunächst: Jordan war keine Marionette der Medien- und Werbeindustrie. In Zusammenarbeit mit David Falk war er in die Gestaltung seines einträglichen Images aktiv und bewusst eingebunden. Wie kaum ein Athlet vor ihm übte „MJ“ Kontrolle aus.
Wer und was er war und wofür er stand, war indes auch gesellschaftlich und kulturell bedingt. „Everything was marketed towards the things that people wanted to see“, wie Jordan auf die selbst- und fremdbestimmte Image-Arbeit hinwies. Was die Menschen sehen wollten, brachte John Edgar Wideman auf den Punkt: „A down-to-earth, middle-class, and apolitical hero who makes us rise above our obsession with race.“
Demnach kann Jordans Understatement, sein angepasstes und wenig herausforderndes Schwarzsein als strategische Entscheidung gelesen werden. In der angeblich farbenblinden US-Gesellschaft ging er so auf das Konsumbedürfnis, die Nicht-Thematisierung und das naive Wegwünschen von Rassismus ein.
Als erfolgreicher und selbstbewusster schwarzer Geschäftsmann reagierte er wohl durchdacht. Werbeverträge, die ihn in einen Nischenmarkt gedrängt hätten, lehnte das Duo Jordan / Falk entschieden ab. „MJ“ sollte und wollte individualisierter Mainstream und damit maximal konsumierbar sein. Beharrlich galt es omnipräsente Unternehmen als Partner zu gewinnen (McDonald’s gab ihm dreimal einen Korb). Dabei setzte das Streben nach universeller Anerkennung eine gewinnoptimierte Inszenierung voraus.
Zu Beginn seiner Profikarriere trug Jordan eher zwanglose Kleidung, Baseballkappen, auffallende Goldketten und gar einen bodenlangen Pelzmantel. Derweil provozierte der „Air Jordan 1“ der Legende nach ein Ligaverbot samt Strafzahlungen, da er im „Bred Colorway“ gegen den Dresscode der NBA verstieß („MJ“ trug den rot-schwarzen Einser indes allein beim Slam-Dunk-Contest 1985, nicht im regulären Spielbetrieb). Und auch wenn sich die gewonnene Aufmerksamkeit für das Nike-Aushängeschild als überaus lukrativ erwies, war seinerzeit eine abgemilderte Aufmachung nötig, um Crossover-Status zu erreichen.
Bald schon schlug Jordan den Weg zum Mainstream-Erfolg ein. Als Selbstunternehmer, der sich frei nach der Maxime „I’m not a businessman, I’m a business, man“ zum Projekt machte, nahm er eine Selbstanpassung vor: Zu öffentlichen Auftritten trug er fortan Designer-Anzüge und zeigte sich betont elegant. Und gleichwohl sich sein Modestil später alters- und wohlfühlbedingt änderte, ist eines sicher: Das unangepasste „Keepin’ It Real“-Mantra der „schwarzen Anderen“, das etwa Allen Iverson bis heute so konsequent verkörpert, ist „MJs“ Sache nicht. Denn er ist nun mal kein Hip-Hop-Head …
Jedoch hat der andere Jordan-Look die Ästhetik des Spiels und US-amerikanische Kultur nachhaltig geprägt sowie Basketball als afroamerikanische Kulturform weltberühmt gemacht. Rasierter Kopf und herausgestreckte Zunge, Nummer „23“ und „Air Jordans“, lange Shorts und tiefe Socken repräsentieren Basketball.
Kultürlich steht auch diese ikonische Selbstpräsentation zum Teil für eine begehrte Ware, welche die Jordan Brand (ein Tochterunternehmen von Nike) zu verkaufen weiß. Zumal „MJs“ Stillschweigen in puncto Fabrikation und Preispolitik, „Sneaker Crimes“ und „Sneaker Stories“ problematisch war und bleibt.
Gleichzeitig repräsentiert sein Stil schwarze kulturelle Kreativität. Er trug dazu bei, die „black cultural nuances of cool, hip and chic“ (Michael Eric Dyson) straßen- und salonfähig zu machen. Die Jordan-Ästhetik förderte die kulturelle Akzeptanz, mithin die Ikonisierung afroamerikanischer Athleten. Sie wirkte daher nicht zuletzt für die Hip-Hop-Generation und Youngster wie Allen Iverson identitätsstiftend.
„I just wanna look good for the girls and wanted to look dope for the guys“, sagte „The Answer“ einmal. „Like the way Michael Jordan used to look, how cool he used to look – like a superhero. I wanted to be like that. Look as cool as you can be. And be bad as a muthfucka out there.“ Auch deswegen gilt: „Remember Jordan with the tongue out.“
Jordan einfach als Mainstream konformen Schuhverkäufer abzutun, wäre also zu kurz gegriffen. Dabei mag die gerne geäußerte Kritik an seiner apolitischen Haltung (die meist nicht über „Republicans buy sneakers, too“ hinausgeht) berechtigt sein. Zugleich sollten wir seine Symbolpolitik als auch die Verpflichtungen und Zwänge, mit denen er sich konfrontiert sah, nicht verkennen.
„A positive life“
Denn „MJ“ wollte Verantwortung übernehmen und für andere „a guide or role model“ sein. Er bestrebte beispielhaft voranzugehen, anzuleiten und aufzeigen: „There are positive things you can look for and achieve.“ Ihm war daran gelegen, zu beweisen, „that success is not limited to certain people, it’s not limited to a certain color“. In spielender Weise beabsichtigte er das Negativ-Image, „the gangster mentality that Chicago was known for“, durch die Stadtmarke der „championship city“ zu ersetzen.
Jordan ging es also auch darum, für andere Möglichkeiten zu kreieren, ihnen Wege aufzuweisen. Vor allem wollte er ein erfolgreiches, respektables Schwarzsein vorleben, um so bestehende Vorurteile und rassistische Stereotype zu unterlaufen. Eine positive Präsenz im System wollte er sein.
Gewiss ist diese Strategie als auch die von ihm geäußerte Empathie für arme schwarze Menschen anerkennenswert. Ihre Wirkung ist unterdessen zweifelhaft. Denn „MJs“ symbolische Repräsentanz und Anteilnahme half Menschen schwerlich dabei, repressiven Alltagsrealitäten faktisch oder dauerhaft zu entkommen.
Das konkrete Problem rassistischer Diskriminierung und sozialer Schranken blieb unangetastet. Prinzipien und Privilegien weißer Hegemonie wurden als unmarkierte Normen nicht infrage gestellt. Vielmehr sollten sich Einzelmenschen um sich selbst kümmern – wie ihr inspirierendes Vorbild und im Kontrast zu den „schwarzen Anderen“, hart an sich arbeiten. Nicht selten paternalistisch und belehrend im Ton, wird von ihnen eine als Selbsterfüllung verbrämte Anpassungsleistung eingefordert. Neoliberale Integration eben.
Aber: In Gegenwart systemischer Armut und Ausgrenzung – gesellschaftlich eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten –, muss die Reichweite und Wirksamkeit solch einer Politik des Vorbildseins und der aktiven Selbstgestaltung kritisch hinterfragt werden.
Zugleich ist fraglich, ob Athleten unbedingt menschliche Vorbilder sein müssen – nur weil sie kulturell überaus sichtbar sind und Heranwachsende erreichen. Jordans Superstar-Kollege Charles Barkley verschaffte sich einst Gehör, indem er dies in einem markstrategischen Werbespot (1993) vehement verneinte: „I am not a role model. I’m not paid to be a role model.“ Anschaulich fügte der polarisierende Nike-Athlet hinzu: „I’m paid to wreak havoc on the basketball court. Parents should be role models. Just because I dunk a basketball, doesn’t mean I should raise your kids.“
Inszeniert als großmäulige Urgewalt, versuchte sich „The Round Mound of Rebound“ weniger der zugeschobenen Verantwortung zu entziehen. Vielmehr legte er die Scheinheiligkeit des etablierten Vorbilddiskurses offen. „What they’re really doing is telling kids to look up to someone they can’t become, because not many people can be like we are“, wie Barkley später anprangerte. Nachdrücklich betonte er: „Kids can’t be like Michael Jordan.“
Durch seine undiplomatische Ehrlichkeit verneinte der „Dream Teamer“ meist unrealistische „Hoop Dreams“. Er verwies auf eine undurchlässige US-Gesellschaft, in der schwarze Menschen, wenn überhaupt, meist nur als Entertainer Sichtbarkeit erlangen. Als ein solcher wollte er sich den überzogenen Vorbilderwartungen nicht aussetzen, sondern einfach etwas beitragen. „I don’t want to be the controversial, outspoken Brother. I am just a man trying to do good things“, so Barkley.
Auch Craig Hodges, der in der Rolle des Dreierspezialisten für die Jordan-Bulls in Erscheinung trat (1988-1992), wollte Gutes tun. Als ersetzbarer Ergänzungsspieler musste er hingegen erfahren, dass eine zu offensive politische Positionierung mit stillschweigendem Liga-Ausschluss sanktioniert wurde.
Sozial und politisch engagiert, pflegte Hodges enge Kontakte zur afroamerikanischen Nation of Islam. Der Mann aus Illinois nutzte seinen Status und machte sich für Chicagos schwarze Community stark. Er investierte Zeit und Geld, weil er sich in der Pflicht sah, nicht nur symbolisch zu wirken, sondern Menschen aktiv zu unterstützen. Öffentlich forderte Hodges seine zögerlichen Teamkollegen dazu auf, sich für die Basisarbeit mit Unterprivilegierten finanziell einzusetzen.
1991 übergab er zudem US-Präsident George H. W. Bush während des Meisterempfangs im Weißen Haus einen Brandbrief, in dem er das politische Desinteresse an der prekären Lage der afroamerikanischen Bevölkerung anprangerte. Zumal er sich öffentlich gegen den Golfkrieg aussprach. Danach wurde der wurfstarke Aktivist diffamiert und als Unruhestifter auf einer „schwarzen“ Liste platziert.
So endete Hodges‘ NBA-Karriere 1992 im Alter von nur 31 Jahren vorzeitig – vermeintlich infolge einer hartnäckigen Verletzung. Tatsächlich hatte er das weiße Amerika offen herausgefordert, wofür er nun einen hohen Preis zahlte.
(Wenige Jahre später ereilte Mahmoud Abdul-Rauf ein ähnliches Schicksal. 1996 weigerte sich der wurfstarke Point Guard der Denver Nuggets, für die US-Nationalhymne auf und stramm zu stehen. Religiös-politische Überzeugung, Rassismus und Unterdrückung führte der schwarze Muslim dafür an, worauf nationale Empörung, reichlich Hass und eine Spielsperre folgten. Kompromissweise nahm er danach im stillen Gebet an der Hymne teil. Jedoch fand sich der begnadete Scorer und Freiwurfschütze einen Trade später auf dem NBA-Abstellgleis wieder sowie bald zum Gang nach Übersee gezwungen.)
Im als apolitisch verklärten US-Sport war Hodges demnach ein mündiger Athlet, der sich mit beispielhafter Courage für seine Mitmenschen einsetzte und sie nach Kräften unterstützte. Kurz gesagt: Er agierte als Vorbild.
Sein einstiger Mitspieler genoss als Superstar eine gewisse Immunität, blieb aber meist politisch schweigsam, um Kontroversen zu vermeiden. Dafür hatte ihn Hodges mehrfach öffentlich kritisiert. Indes erzeugte Jordans Bestreben, für andere ein Beispiel zu sein – „to live a positive life“ –, einen immensen Selbstdruck.
Beständig wollte „MJ“ seiner einträglichen Vorbildfunktion und den überhöhten Erwartungen gerecht werden, die all seine Bewunderer und Geschäftspartner an ihn stellten. Insbesondere sah er sich in der auferlegten Verantwortung, „many, many kids as well as parents“, die ihn verehrten, nicht zu enttäuschen. „If I make a mistake today, it can ruin the positive things I try to project. It’s a day-in, day-out, nine-to-five job“, so Jordan.
Also nahm der kontrollierte Vorzeige-Athlet den Fulltime-Job an und lebte nach der Maxime, bloß nichts „Falsches“ zu tun oder zu sagen. Selbstzensur, häufiges Stillschweigen und finanzielle Vorteile inklusive. Dabei versicherte er: „It’s not just the financial part.“ Jordan wollte sich nicht als gierig, sondern als „just a normal guy“ verstanden wissen, der durchaus Fehler begeht und Schwächen besitzt.
Um utopischen Erwartungen vorzubeugen, sollte nicht der irrtümliche Eindruck von Unfehlbarkeit entstehen. Aber genau dies war durch sein Zutun bereits geschehen: „People had treated me like a god or something, and that was very embarrassing.“
Schließlich erstrebte er – vornehmlich als Basketballprofi („the easiest job in America“) und als Werbeträger („doing commercials, that’s simple“) – sein Bestes zu geben und andere damit zu begeistern. Vorbildhaft, ja – aber ein Ausbund an Tugend oder gar Weltretter wollte Jordan nie sein. „I can’t save the world by no means“, wie er später verlauten ließ.
Teil III der Jordan-Trilogie: Rare Air
Eine erste Version der Jordan-Trilogie ist im März 2015 auf der Plattform 3meter5.de (heute gotnexxt.de) erschienen.