Deutschlands Olympia-Gegner im Portrait: Australien

Im dritten Olympia-Vorrundenspiel trifft die deutsche Mannschaft auf einen großen Medaillenfavoriten: Australien. Was sind die Stärken und Schwächen, wer die Schlüsselspieler der „Boomers“?

Vierter bei Olympia 2016, Vierter bei der WM 2019 – bei den letzten beiden Großereignissen verpasste Australien die Bronzemedaille denkbar knapp. Nun soll es endlich klappen mit Edelmetall. Es ist womöglich die letzte Chance für das Team in dieser Zusammenstellung, deren Stars sich allesamt im Herbst ihrer Karriere befinden.

In ihren bisherigen Auftritten in diesem Sommer zementierten die „Boomers“, wie das Team genannt wird, ihre Ambitionen eindrucksvoll. In den ersten beiden Spielen bei Olympia bezwangen die Australier Nigeria und Italien. Auch in den drei Vorbereitungsspielen in Las Vegas gegen Argentinien, USA und ebenfalls Nigeria war das Team aus Down Under siegreich.

Stärken und Schwächen

Australien kommt mit einer beeindruckenden Kombination aus individueller Qualität, Erfahrung und Team-Chemie daher. Auch ohne ihren bekannten Landsmann Ben Simmons ist jede Menge Talent vorhanden; im Kader stehen einige NBA-Profis, die gute Rollen in ihren Klubs spielen. Da sind zum einen die etablierten und erfahrenen Leistungsträger Patty Mills (San Antonio Spurs/32 Jahre alt), Joe Ingles (Utah Jazz/33), Aron Baynes (Toronto Raptors/34) sowie Matthew Dellawedova (letzte Saison Cleveland Cavaliers, nun Melbourne United/30) und zum anderen die jüngeren Dante Exum (Houston Rockets/26), Matisse Thybulle (Philadelphia 76ers/24) und Josh Green (Dallas Mavericks/20), die frisches Blut in die Mannschaft bringen.

Potenziell verwundbar sind die Australier einzig auf den großen Positionen, wo es ihnen nach dem Karriereende von Andrew Bogut etwas an Tiefe fehlt. Doch solange Baynes, Jock Landale (Melbourne United) und Nick Kay (Shimane Susanoo Magic/Japan) ihre gute Form aus den ersten beiden Vorrundenspielen bestätigen, sind die „Boomers“ auch hier mehr als ordentlich aufgestellt. Ansonsten ist das Team aus Down Under tief besetzt. Ein Beweis dafür war der deutliche 108:69-Testspielsieg gegen Nigeria in Las Vegas, den sie auch ohne ihre Top-Leute einfuhren.

Den Australiern kommt zugute, dass sich die Spieler seit Jahren kennen und mit dem System vertraut sind. Auch Brian Goorjian, der Australien bei den Olympischen Spielen 2004 und 2008 coachte und im November 2020 erneut das Amt als Cheftrainer übernahm, hielt an der seit vielen Jahren praktizierten Flow-Offense fest, deren Basis stetige Ball- und Spielerbewegung ist. Die Spieler bekommen viele Freiheiten und können eigenständig Entscheidungen treffen, je nachdem, welche Möglichkeiten ihnen die gegnerische Defense anbietet. Spacing und hohes Spielverständnis der Akteure sind Voraussetzungen, die erfüllt sein sollten, um dieses System erfolgreich zu laufen. Die Australier mit ihren vielen guten Distanzschützen (Mills, Ingles, Chris Goulding, Baynes, Landale) und Playmakern (Mills, Ingles, Dellavedova, Exum, Thybulle) erfüllen diese Kriterien. Das folgende Video zeigt Beispiele der australischen Offense aus den Vorbereitungsspielen.

Die Australier nutzen neben Pick-and-Rolls häufig indirekte Blöcke oder Handoffs, um ihre gefährlichen Werfer in aussichtsreiche Positionen zu bringen. Ein geeignetes Mittel dagegen ist, bei solchen Aktionen zu switchen, sprich den Gegenspieler zu wechseln, um den Schützen unter keinen Umständen Platz zum Werfen zu geben. Aber Vorsicht: Mills und auch Thybulle und Exum sind starke Eins-gegen-Eins-Spieler, die aufgrund ihrer Schnelligkeit für die wenigsten Bigs zu greifen sind.

Zudem finden die Australier auch andere Lösungen gegen Switch-Verteidigungen. Gegen die USA kamen Mills und Co. durch Cuts zum Erfolg und bestraften die kurzen Momente der Unachtsamkeit in der amerikanischen Defense, wie in den folgenden Ausschnitten zu sehen ist. Hohe Konzentration und gute Kommunikation von der ersten bis zur letzten Sekunde sind gefragt, um die Australier am Scoren zu hindern.

In der Verteidigung überzeugten die Australier allerdings zuletzt noch mehr als im Angriff. In den ersten beiden Vorrundenspielen gegen Nigeria und Italien ließen die „Boomers“ im Schnitt nur 75 Punkte bei gegnerischen Wurfquoten von 45 Prozent aus dem Feld und 30 Prozent aus dem Dreierbereich zu. Zudem kamen die Italiener nur zehnmal an die Freiwurflinie.

Ein Schlüsselspieler in der Verteidigung ist Aron Baynes. Der Big Man beschützt den Ring und ist gleichzeitig trotz seiner Physis recht flink auf den Beinen. Bei Pick-and-Rolls ist der 34-Jährige sehr gut darin, den ballführenden Gegenspieler zu doppeln bzw. ihm den Weg zum Korb abzuschneiden und anschließend, sobald sich der Mitspieler um den Block gekämpft hat, wieder zu seinem ursprünglichen Gegenspieler zurückzukehren. Mit seinen Armen versperrt er dabei geschickt den Pass zum freien Gegenspieler. Sollte Baynes doch einmal geschlagen worden sein, kommt schnell Hilfe, um einen freien Korb oder Dunk zu verhindern. Leichte Punkte geben die Australier selten ab.

Der Star

In der NBA mag er „nur“ ein Rollenspieler sein, auf internationaler Bühne aber zählt Patty Mills zu den besten und spektakulärsten Akteuren überhaupt. Sobald sich der Point Guard der San Antonio Spurs das Nationalmannschaftstrikot überstreift, steigt der 32-Jährige regelmäßig zum Top-Scorer und Crunchtime-Helden auf. Bei den Olympischen Spielen 2016 war Mills mit 21,3 Punkten pro Spiel zweitbester Scorer des Turniers. In London vier Jahre zuvor hatte er die Konkurrenz sogar bei den Punkten pro Spiel angeführt (21,2 PpG). Bei der WM 2019 war der Point Guard viertbester Scorer gewesen (22,8 PpG). Mills bringt eine Kombination aus enormer Schnelligkeit und sicherem Wurf mit. Auch in puncto Playmaking hat sich der Kapitän der „Boomers“ kontinuierlich verbessert.

Darüber hinaus ist Mills ein absoluter Leader, der mit seiner Professionalität den Mitspielern als Vorbild dient. Zudem ist er in der Lage, in entscheidenden Momenten voranzugehen und wichtige Körbe zu treffen, wie auch während dieses Turniers gegen Nigeria und Italien sowie in der Vorbereitung gegen Argentinien und die USA.

Prognose

Die Australier sind gegen das DBB-Team klarer Favorit. Mit ihrer Erfahrung aus diversen großen Spielen, ihrer eingespielten Mannschaft und ihrer individuellen Qualität auf allen Positionen zählen die „Boomers“ zu den großen Medaillenkandidaten. Das Team ist auf einer Mission und brennt darauf, sich den Traum vom Edelmetall zu erfüllen. Gegen das Team aus Down Under müssen die Deutschen einen Sahnetag erwischen und gleichzeitig auf Schwächen der Australier hoffen. Immerhin: Auf den großen Positionen ist Deutschland eventuell im Vorteil, da breiter aufgestellt.

Besonders wichtig wird es sein, nah an den Schützen der Australier zu bleiben, ohne zu viele Mismatches herzugeben. Mills könnte das deutsche Team allerdings vor Probleme stellen. Isaac Bonga erscheint prädestiniert, um sich der Verteidigung des schnellen Point Guards anzunehmen. Mit seiner Länge und Beweglichkeit hat er die Anlagen, um den Spurs-Profi zumindest einschränken zu können.

Trivia

„Boomers“, der Spitzname der australischen Nationalmannschaft der Männer, hat in diesem Zusammenhang nichts mit der Boomer-Generation zu tun. Stattdessen werden so umgangssprachlich erwachsene männliche Kängurus bezeichnet. Da diese Tiere in manchen Fällen Größe und Gewicht eines (kleineren) Guards erreichen können und für ihre Sprungkraft bekannt sind, ist dies ein durchaus passender Spitzname.

Die australische Nationalmannschaft der Frauen wird übrigens „Opals“ genannt, bezogen auf die im Land verbreiteten Edelsteine.