Denis Wucherer: „Ich glaube nicht, dass wir 34 Spiele machen werden“

Vor dem BBL-Start spricht Würzburgs Head Coach Denis Wucherer im Interview über die Herausforderungen der anstehenden Saison. Wucherer äußert dabei Zweifel an der Durchführbarkeit des Spielbetriebs.

s.Oliver Würzburg wurde wie kaum ein anderer Verein in der easyCredit BBL von den Auswirkungen der Corona-Pandemie getroffen. Die Verantwortlichen sprechen von einer Etatkürzung um 50 bis 60 Prozent im Vergleich zur Saison 2019/20. Mit Cameron Wells, Luke Fischer, Skyler Bowlin und Jordan Hulls verloren die Unterfranken ihre vier zweistelligen Scorer aus der vergangenen Spielzeit. Statt um die Playoffs kämpft Würzburg nun ums (sportliche) Überleben.

Vor dem Ligaauftakt am Samstag gegen ratiopharm ulm spricht Baskets-Coach Denis Wucherer über die Herausforderungen mit seinem neu zusammengestellten Kader und äußert Zweifel an der Durchführbarkeit des Liga-Spielbetriebs in Corona-Zeiten.

basketball.de: Hinter s.Oliver Würzburg liegt eine herausfordernde Offseason mit vielen Unsicherheiten finanzieller Art. Es hat gezwungenermaßen einen großen Kaderumbruch gegeben, die Leistungsträger der Vorsaison konnten nicht gehalten werden. Wie zufrieden sind Sie mit dem, was Sie aus den deutlich geringeren Möglichkeiten gemacht haben?

Denis Wucherer: Die drei Pokalspiele haben gezeigt, was noch alles fehlt. Unsere Entscheidungsfindung war nicht gut genug, um über 40 Minuten auf einem konstant vernünftigen Niveau zu spielen. Deswegen haben wir auch zurecht diese drei Spiele verloren. Es gab immer wieder Phasen, in denen wir sowohl offensiv als auch defensiv großen Unsinn getrieben haben, was zum Teil der mangelnden Erfahrung auf BBL-Niveau geschuldet ist. Wir haben eine Menge Neulinge, die noch nie in der BBL bzw. auf diesem Niveau gespielt haben.

Aber wir haben die letzten zwei Wochen genutzt, um an unserer Spielkultur zu arbeiten. Ich denke, dass wir jetzt deutlich näher dran sind, um auf BBL-Niveau agieren zu können. Ob das ausreichen wird, um schon am Samstag gegen eine starke Ulmer Mannschaft zu bestehen, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass wir uns von Woche zu Woche steigern werden. In den Jungs steckt eine Menge Potenzial, und wir werden irgendwann dort ankommen, wo wir sein wollen.

Zum Zeitpunkt Ihrer Ankunft in Würzburg 2018 und auch der Vertragsverlängerung um zwei weitere Jahre im vergangenen März war stets Ihr klares Ziel, die Playoffs zu erreichen. Nun sind die Ansprüche erst einmal andere. Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Verspüren Sie trotzdem Vorfreude und auch Dankbarkeit, dass Sie nun wieder spielen dürfen?

Als ich hier verlängert habe, hatten wir natürlich noch geplant, auf dem vorhandenen Team aufzubauen. Einige Spieler, die gegangen sind, standen eigentlich noch bis 2021 unter Vertrag: wie zum Beispiel Skyler Bowlin, Jordan Hulls und Luke Fischer. Wir wollten in den nächsten beiden Jahren weiter angreifen. Vor allem auch im Hinblick darauf, dass hier in zwei Jahren eine wunderbare neue Arena stehen soll, die anderen Hallen in der BBL in nichts nachsteht. Das war eine tolle Perspektive, die auch dazu beigetragen hat, dass Würzburg der richtige Standort für mich ist.

Jetzt ist es anders gekommen, aber das trifft auf Vieles zu. Es ist für viele Menschen eine neue Situation entstanden – das gilt auch für mich. Ich bin aber prinzipiell erst einmal dankbar dafür, überhaupt einen Job zu haben. Das ist nicht selbstverständlich, weil es gerade in der deutschen Bundesliga nicht viele deutsche Trainer gibt. Es gibt bei uns nach wie vor die Tendenz, mehr auf ausländische Coaches zu setzen.

Insofern bin ich froh, dass ich einen Job habe, und freue mich auf die Aufgabe, gemeinsam mit [Assistant] Coach [Steven] Key aus einer Mannschaft mit halbiertem Budget eine schlagfertige Truppe zusammenzustellen und trotzdem BBL-Niveau zu erreichen. Das ist herausfordernd und nicht einfach. Es ist aufgrund der mangelnden BBL-Erfahrung einiger Spieler auch ein anderes Arbeiten, aber das ist mein Job. Ich werde dafür ordentlich bezahlt und gehe das deswegen auch gerne an.

„BBL-Spieler treffen in sieben von zehn Fällen die richtige Entscheidung, bei uns waren es maximal fünf“

Anfang Oktober haben Sie im vereinseigenen Podcast gesagt, dass sie noch weit davon entfernt seien, BBL-Spiele zu gewinnen. Wie sieht Ihre Einschätzung zum jetzigen Stand aus?

Wir haben mittlerweile ein besseres Gefühl. Wir haben die letzten zwei Wochen genutzt, um die neuen Spieler zu integrieren, die wir aufgrund von Verletzungen [insbesondere von Brekkott Chapman] kurzfristig verpflichtet haben. Die Jungs verstehen nun besser, wie wir spielen wollen. Das hilft natürlich.

Zudem wird irgendwann Justin Sears von seiner Verletzung zurückkehren, der ein großartiger Spieler mit hohem Basketball-IQ ist. Daher sind wir mittlerweile deutlich positiver gestimmt und glauben, dass wir über kurz oder lang auch regelmäßig auf BBL-Niveau spielen können.

Sie haben vorhin und auch in den Statements nach den Pokalspielen die schlechte Entscheidungsfindung und ebenfalls fehlendes taktisches Verständnis moniert. Dies ließ sich an den vielen Ballverlusten und schwachen Wurfquoten in den Partien ablesen. Wie kann eine möglichst schnelle Verbesserung in diesen Bereichen erfolgen?

Das hat vor allem mit Erfahrung und Basketball-IQ zu tun. Die Erfahrung kommt, indem man täglich auf höherem Niveau unter Wettkampfbedingungen und mit guter Verteidigung trainiert. So können sich die Spieler gegenseitig helfen. Wir Coaches sind natürlich ebenfalls gefordert, und zwar nicht nur, indem wir sie verschiedene Drills laufen lassen, die so etwas schulen, sondern auch mit viel Videoanalyse von den Spielen gegen Bamberg, Ludwigsburg und Ulm, wo das Entscheidungsverhalten teilweise katastrophal war. Es hilft, zu sehen, wie man nicht Basketball spielt auf diesem Niveau.

Es geht darum, Strukturen einzuhalten, denn nur dann hat man eine Chance, auf dem Level mitzuhalten. Dies alles hilft insbesondere den Spielern, die bisher nicht auf BBL-Niveau gespielt haben. So können sie sich an eine Entscheidungsfindung herantasten, die nötig ist.

In der EuroLeague treffen Spieler in gefühlt neun von zehn Fällen die richtige Entscheidung. In der BBL sind es vielleicht sieben von zehn. Und wir waren in den Pokalspielen maximal bei fünf. Es geht also darum, dass wir uns verbessern. Und ich bin davon überzeugt, dass man das gerade bei jungen Spielern über gutes Training schafft. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass ein Entwicklungsprozess eintreten wird.

Viele unerfahrene und weniger talentierte Mannschaften verfolgen die Strategie, schneller spielen zu wollen, da man mit Fastbreaks auf dem Papier einfachere Punktgewinne erzielen kann als in Halbfeld-Situationen. Ist das auch Ihr Ansatz?

Das war der Ansatz, als wir die Mannschaft zusammengestellt haben, denn Basketball-IQ und Erfahrung kostet Geld – und das haben wir nicht. Dementsprechend war die Idee, athletischer und schneller zu sein. Wir haben aber recht früh in der Vorbereitung gemerkt, dass schnell spielen ohne richtige Entscheidungsfindung und ohne eine vernünftige Struktur auch keinen Erfolg verspricht. Deswegen mussten wir etwas den Fuß vom Gas nehmen und haben stattdessen an der Struktur, also zum Beispiel am Spacing, gearbeitet, in der Hoffnung, dass wir irgendwann das Spieltempo wieder erhöhen können. Da sind wir auf einem ordentlichen Weg.

Um schnell zu spielen, müssen auch Verteidigung und Defensiv-Rebounding stimmen. Sind diese Voraussetzungen gegeben?

Die drei Spiele zuletzt haben gezeigt, dass wir gerade in der Verteidigung unbequem sein können. Das Ziel muss sein, daraus einfache Punkte und vor allem auch deutlich mehr offene Dreier zu generieren. In der vergangenen Saison waren wir die Mannschaft mit den zweitwenigsten Dreiern pro Spiel. In dieser Kategorie wollen wir dieses Jahr besser sein.

„Man hätte seit Mai eine Spur innovativer sein können“

Welche Auswirkung wird Ihrer Meinung nach – zumindest schon mal für den gesamten November – die Abwesenheit der Fans in den Hallen haben? Werden wir auch in der BBL, so wie bereits bei den Geisterspielen im Profifußball in den vergangenen Monaten zu beobachten war, noch mehr Favoritensiege und Auswärtssiege als ohnehin schon sehen?

Ja. Ich glaube, das hat sich im Sport generell gezeigt. Sportler leben auch von den Fans und der Energie, die sie erzeugen. Das bringt die Extra-Prozente, die man braucht, um an die eigenen Grenzen zu stoßen und manchmal vielleicht sogar über den eigentlichen Verhältnissen zu spielen. Diese zusätzlichen Prozente gibt es derzeit einfach nicht, weshalb fast immer die bessere Basketballmannschaft gewinnt. Das ist für uns als Mannschaft mit einem kleinen Etat natürlich keine besonders gute Neuigkeit. (lacht)

Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass wir uns möglichst schnell an ein Niveau heranarbeiten, wo wir uns hoffentlich mit vielen Teams auf Augenhöhe bewegen können. Aber wenn ALBA BERLIN oder Bayern München zu uns kommen oder wir in Oldenburg spielen, sind wir ohne diese zusätzlichen Emotionen, die der Sport und die Sportler brauchen, im Regelfall krasser Außenseiter. Überraschungen gibt es da deutlich seltener.

Gleich am ersten BBL-Spieltag werden zwei Spiele ausfallen. Auch in den vergangenen Wochen ist es schon zu zahlreichen Spielverlegungen wegen Corona-Fällen gekommen. Ihr prominenter Trainer-Kollege Ettore Messina hat bereits vorgeschlagen, die internationalen Wettbewerbe vorerst zu pausieren. Wie beurteilen Sie die derzeitige Lage?

Um ehrlich zu sein, bin ich nicht überrascht. Ich glaube, dass man spätestens im Mai darauf hätte kommen können, dass internationale Wettbewerbe in diesen Zeiten keine gute Idee sind. Anhand der Bubble beim BBL-Finalturnier im vergangenen Juni hat man erkennen können, wie es funktionieren kann: sprich, wie man relativ viele Spiele in einem kurzen Zeitraum spielen kann, ohne ein hohes Infektionsrisiko für die Spieler zu haben und Spiele abbrechen oder gar absagen zu müssen.

Jetzt zu glauben, dass es in dieser Zeit Sinn macht, einmal die Woche Basketball zu spielen und sich dazwischen sechs Tage vorzubereiten und darauf zu hoffen, dass freitags alle negativ sind, damit wir samstags spielen, ist mir generell zu billig und wahrscheinlich auch nicht zeitgemäß. Insofern wundert es mich nicht, dass das alles ein bisschen schwierig und vage ist. Vielleicht habe ich auch keine Ahnung, aber Stand heute habe ich nicht das Gefühl, dass wir 34 Spiele machen werden und es dann im Mai zwei Absteiger gibt und wir mit acht Mannschaften die Playoffs spielen.

Ich glaube, man hätte seit Mai eine Spur innovativer sein können. Das ist leider nicht passiert. Mit dem Pokalmodus im Oktober war man innovativ, aber das ging leider völlig in die Hose. Und seitdem sind glaube ich alle in den Herbstferien. Wir legen jetzt mal am Samstag los und schauen, wie weit das gut gehen kann. Ich habe da auch meine Bedenken, dementsprechend gehen wir auch relativ relaxt an diese Saison heran.