Oliver Krause: Ein Basketballspiel ist keine Talkshow
Maik Zeugner: Die Bundesliga-Saison hat gerade wieder begonnen. Zwischen zwei Spielzeiten liegt eine Sommerpause. Gibt es für Schiedsrichter auch eine Sommerpause oder wird die Zeit anderweitig genutzt?
Oliver Krause: Das kommt darauf an. Für die internationalen Schiedsrichter gibt es keine Pause, weil die Jugendeuropameisterschaften stattfinden. Ich war im Juli beispielsweise in Italien. Dort hatten wir jeden Morgen ca. eine Stunde Meeting, bei dem die Schiedsrichter geschult wurden. Im August waren auch ein paar Länderspiele (Freundschaftsspiele). Für internationale Schiedsrichter gibt es also keine richtige Sommerpause.
Die Schiedsrichter, die nicht international unterwegs sind, haben dagegen schon eine Art Sommerpause. Diese Pause wird ganz unterschiedlich genutzt. Allerdings müssen sich alle Schiedsrichter auf den Bundesligalehrgang, der Ende August stattfindet, vorbereiten, was den Fitness- und Regeltest angeht. Wir bekommen einen Fragekatalog mit über 150 Fragen, aus denen die Fragen für den Regeltest ausgesucht werden. Man hat eigentlich immer was zu tun.
Hinzu kommt, dass bis zur Saison ca. 100 Vorbereitungsspiele, was immerhin fast einem Drittel der Hauptrunde entspricht, der Bundesligisten abzusichern sind. Dadurch geht die Saison spätestens Anfang September für alle Schiedsrichter los.
Maik Zeugner: Sie sind auch international tätig. Wie können Sie das mit Ihrem Beruf vereinbaren?
Oliver Krause: Es ist sehr schwer, deshalb pfeife ich im Moment auch relativ wenig. Bis vor drei Jahren habe ich auch Euroleague gepfiffen. Das schaffe ich nicht mehr. Das Problem bei internationalen Spielen ist, dass man einen Tag vorher anreisen muss. Dann kommt der Spieltag und erst am nächsten Tag reist man wieder ab. In der Euroleague sind die Spiele donnerstags und freitags. Als ich noch dort gepfiffen habe, waren sie mittwochs und donnerstags d.h. genau in der Mitte der Woche. Das funktioniert nicht. Eurocup-Spiele finden dienstags und mittwochs statt. Auch das macht es nicht leicht, wenn man einen Vollzeitberuf hat.
Unser Profi-Schiedsrichter Robert Lottermoser ist Profi-Schiedsrichter, weil er sich sagt, dass er es richtig machen will und das geht nur ohne anderen Job. Das ist ein großes Problem. Man kann in Westeuropa schwer beides vereinbaren, dadurch verlieren wir auch viele Schiedsrichter.
Ich hab es so gemacht, dass meine Kanzlei jetzt digital geführt wird. Das heißt, dass jedes Schriftstück gescannt wird, so dass ich von überall, wo ich einen Internetzugang habe, darauf zugreifen und zumindest die notwendigsten Sachen von unterwegs erledigen kann. Auf die schwierigen Sachen kann ich mich an Tagen konzertieren, an denen ich hier [in der Kanzlei, Anm. d. Red.] bin. Jetzt habe ich einen kleinen Sohn. Das macht die Sache nicht leichter wenn die Familie nicht auf der Strecke bleiben soll. Ich will wieder zurück, und es macht auch Spaß, aber wie ich das zeitlich schaffe, weiß ich noch nicht.
Das geht vielen so. Benni Barth hat auch aus diesen Gründen auch aufgehört. Die Liga profitiert natürlich auch davon, wenn viele Schiedsrichter international pfeifen. Die Erfahrungen, die wir dort sammeln können, sind auch für den Ligaspielbetrieb gut. Um die beste Liga in Europa zu werden, bedarf es auch der besten Schiedsrichter und da muss man auch über den Tellerrand hinausschauen und sehen, was die anderen machen.
Maik Zeugner: Als Rechtsanwalt ist es Ihr tägliches Brot, abstrakte Regeln auf den konkreten Sachverhalt herunterzubrechen. Ist das ein Vorteil für einen Schiedsrichter oder ist das nicht vergleichbar?
Oliver Krause: Richtig vergleichen kann man das nicht. Es ist insofern ein Vorteil, dass natürlich ein gewisses Rechts-/Unrechtsbewusstsein vielleicht ausgeprägter ist, als bei anderen. Es ist ansonsten eher umgedreht. Der Basketball hilft mir sehr viel in meinem Beruf, weil ich in relativ kurzer Zeit mit vielen Leuten arbeiten und kommunizieren muss. Aber es ist nicht so, dass ich durch meinen Beruf genauere Entscheidungen treffe als andere. Das macht jeder, wie es seinem Charakter entspricht. Es gibt zum einen eher die Hardliner und zum anderen Schiedsrichter, die das Spiel etwas anders leiten. Es ist eine Frage des Persönlichkeitstyps.
Maik Zeugner: National arbeiten Sie mit den Schiedsrichtern oft zusammen. International haben Sie Ihren Schiedsrichterkollegen vorher mitunter vielleicht noch gar nicht kennengelernt. Ist das der größte Unterschied National/International?
Oliver Krause: Es ist ein großes Problem, dass man nicht weiß, was auf einen zukommt. Das zweite ist, dass man nicht unterschätzen darf, dass die internationalen Schiedsrichter in ihren jeweiligen Ländern in der Regel auch die Top-Schiedsrichter sind. Dadurch ist die Qualität der Zusammenarbeit eine ganz andere. Das ist damit vergleichbar, als würde man in der Bundesliga immer nur mit Schiedsrichtern pfeifen, die auch Playoffs pfeifen. Das macht schon einen Unterschied.
Es ist auch interessant zu sehen, wie die einzelnen Philosophien aufeinandertreffen. Mit einem Spanier und einem Italiener zusammen zu pfeifen, ist schon anderes, weil sie eine andere Idee von Basketball haben. Sie leben das auch anders. Das ist schon schön, weil man sich deshalb auch austauschen und Erfahrungen sammeln kann. Bei internationalen Einsätzen verbringt man ja den ganzen Vormittag miteinander. Die meisten Leute kenne ich von Lehrgängen oder von Sommerturnieren, so dass man meistens auch eine gewisse Bindung hat. Wobei ich auch sagen muss, dass sich das verringert, wenn ich arbeiten muss, d.h. die Post durchschaue) oder ähnliches. Dann bin ich meistens auf dem Hotelzimmer.
Der größte Unterschied ist, dass man das Spiel gefühlt mehr laufen lassen kann, weil man – die Euroleague würde ich jetzt mal auslassen – die Klubs nicht so oft sieht und damit die persönlichen Konflikte zwischen Trainer bzw. Spieler und Schiedsrichter sich auf gravierende Sachen beschränken. Wenn ich eine Mannschaft in der Saison fünf, sechs Mal sehe, dann ist es ein ganz anderes Umgehen. Das kann positiv sein, dass man einfach nur guckt und alle wissen Bescheid oder dass man auch mal sagt: „Das war ein Fehler“. Das kann aber auch umgedreht sein, dass wenn sich etwas angestaut hat, sich das dann weiter in die Spiele trägt. Das ist international nicht der Fall. Es ist ein stückweit professioneller, weil die Beteiligten auch wissen, dass sie – übertrieben gesagt – den Schiedsrichter im Zweifel nicht wiedersehen. Dann machen sie auch weniger.
Maik Zeugner: Sie haben verschiedene Mentalitäten angesprochen. Allerdings muss man sich im Spiel schon etwas annähern und eine Linie finden!?
Oliver Krause: Das ist das eine. Man muss aber auch wissen, wie man mit bestimmten Coaches umzugehen hat. Das Problem ist, wir sprechen zwar alle Englisch, aber bei den wenigsten ist Englisch die Muttersprache. Ein Beispiel aus meiner eigenen Karriere: Ich habe mal zu einem Amerikaner im Spiel „Shut up“ gesagt. Der Spieler ist daraufhin ausgerastet und bekam ein technisches Foul. Im britischen Englisch ist es eine normale Redewendung. Im britischen Englisch heißt es „Sei ruhig“ – zwar etwas stärker, aber noch die nette Form. Für die Amerikaner ist es ein Angriff, weil es als „Halt‘s Maul“ interpretiert wird. Allein solche Sachen können natürlich schon zu Konflikten führen, wenn man einfach nur das falsche Wort wählt, ohne dass man es will. Wenn dann die Kommunikation auf der Stecke bleibt, weil man nicht auf einen Nenner kommt, wird es kompliziert. Wobei man dazu sagen muss, das sind die Top-Schiedsrichter aus ihren Ländern. Die meisten verstehen ihr Handwerk und wissen, was sie zu tun und zu lassen haben, wenn sie aufs Feld gehen. Das hat man nicht zuletzt bei der Europameisterschaft, speziell ab dem Viertelfinale gesehen.
Maik Zeugner: Sie sind schon über zehn Jahre Bundesligaschiedsrichter. Hat sich das Schiedsrichterwesen verändert oder ist es immer noch so wie früher?
Oliver Krause: Es ist deutlich besser geworden. Wir sind in Europa – aus meinem Einblick – die klare Nummer Eins, was das Schiedsrichterwesen angeht. Die Bundesliga hat vor vielen Jahren erkannt, dass es notwendig ist, dass die Schiedsrichter gut sind, wenn man ein gutes Produkt haben will. Die Mentalität „Alle brauchen sie, keiner will sie“, welche in unteren Ligen manchmal ein Problem ist, gibt es in der Bundesliga nicht. Es ist viel Zeit und viel Geld investiert worden, um da eine richtige Struktur hineinzubringen. Das gab es früher nicht. Meine erste BBL-Saison war 1999/00, glaube ich. Danach bin ich wieder abgestiegen. Früher gab es bei der Bewertung der Schiedsrichter ein Punktesystem. Ich bin damals mit zwei Hundertstel abgestiegen. Zwei, drei Jahre später bin ich wieder aufgestiegen. Das war ganz anders. Da gab es Tests. Wenn man bestanden hat, war man drin, und wenn nicht, war man wieder draußen. Mittlerweile haben wir zum Beispiel auch Verhaltenstrainer, die uns schulen. Wir haben die Möglichkeit des Instant Replay. Diese Software ermöglicht es uns auch, Clips zu schneiden. Ich hatte das jetzt in Italien bei der Europameisterschaft dabei. Wenn man das den Kollegen dort zeigt, fallen die vom Glauben ab, dass das geht. Selbst die ACB-Kollegen standen mit offenem Mund da und wollen es ihrer Liga vorstellen. Es ist schon so, dass die BBL, was das Schiedsrichterwesen betrifft, mittlerweile Vorreiter in Europa ist.
Maik Zeugner: Sie wohnen im Großraum Halle, welcher basketballerisch nicht gerade günstig gelegen ist, wenn man die BBL betrachtet. Ist die lange Anreise für Sie ein Problem?
Oliver Krause: Jeder hat da andere Rhythmen. Bei mir ist es so, dass ich immer vorher ins Hotel fahre und mindestens zwei Stunden vor einem Spiel schlafe und dann dusche. Ich hasse es, frühaufzustehen. Wenn ich z.B. in Bremerhaven sonntags um 17.00 Uhr pfeifen würde, würde ich schon am Samstag anreisen. Dann kann ich ausschlafen, gehe frühstücken und habe so meine Pause. Ich nehme mir vor dem Spiel sehr viel Zeit, um auch ausgeruht zu sein. Nach dem Spiel fahre ich dann aber meist gleich nach Hause.
Maik Zeugner: Es sind nicht nur zwei Stunden am Spieltag, die man für den Basketball als Schiedsrichter investiert. Abgesehen von der Abreise: Gerade als Hauptschiedsrichter muss man ja auch Zeit in die Vorbereitung und Nachbereitung investieren. Wie viel Zeit geht für ein Spiel drauf?
Oliver Krause: Das ist unterschiedlich. Das kann man schlecht sagen. Es fängt damit an, dass ich meine Crew eine gute Woche vor dem angesetzten Spiel einlade inkl. Treffpunkt, Anreise usw. Da geht es spätestens los. Dann schaue ich natürlich, mit wem ich pfeife. Jede Schiedsrichterkombination muss auch etwas anders vorbereitet werden. Wenn ich mit Robert [Lottermoser, Anm. d. Red.] und Moritz [Reiter, Anm. d. Red.] pfeife, ist es anders, als wenn ich mit zwei Rookies pfeifen würde. Da bereit man die Spiele auch unterschiedlich vor. Meistens schneide ich ein paar Clips zusammen, von denen ich sage, das ist wichtig und darüber will ich nochmal reden.
Vor dem Spiel geht dafür eine Stunde mit der Crew im Rahmen der Vorbesprechung drauf. Während des Spiels werden wir auch gecoacht. Entweder durch Leute vor Ort oder von zuhause aus anhand der Livebilder. Im letzten Fall geht dann gleich nach Spielende eine E-Mail beim Crew-Chief ein, in der die Szenen, die man sich ansehen soll, zugesendet werden. Wir schauen uns im Anschluss diese Szenen an, rufen den Coach an und sprechen die Szenen durch. Das kann schon mal eine Stunde dauern. Es hängt auch davon ab, was vorgefallen ist. Wenn es schwierige Sachen waren, kann auch mal das Spiel komplett zerpflückt werden und die Crew macht in der folgenden Woche ein Telefonkonferenz zur Auswertung. Das ist aber eher selten der Fall.
Maik Zeugner: Es gibt die Basketballregeln an sich. Dann gibt es noch die Regelinterpretationen. Gibt es seitens der Liga noch separate Vorgaben? Hin und wieder ist zu lesen, dass zum Beispiel das Auftaktdribbling in der Bundesliga lockerer gesehen wird, als in unteren Ligen.
Oliver Krause: Beim Auftaktdribbling wüsste ich nicht, dass die Bundesliga da was anderes macht. Es ist eher so, dass man das nicht sieht, weil es sehr schnell ist. Außerdem darf man sich nicht dadurch täuschen lassen, dass es komisch aussieht. Ganz oft ist es so: Wenn man es sich in der Zeitlupe ansieht, erkennt man in der Nachbereitung oft, dass es kein Schrittfehler war. Das liegt an der Schnelligkeit der Spieler. Der Ball verlässt die Hand, und dann bewegt er sich. Das sieht manchmal seltsam aus – gerade auch bei Linkshändern –, weil sie es umgedreht machen. In dem Fall gibt es keine Vorgaben.
Aber es gibt beispielsweise klare Vorgaben bei Beurteilung von Kontakten oder auch zum Verhalten. So da stehen [Oliver Krause demonstriert die sog. „Jesus Haltung“], geht halt nicht. Klar sind es Emotionen. Dennoch ist diese Geste klar untersagt.
Bei anderen Dingen hängt es auch vom einzelnen Schiedsrichter ab, ob er gleich ein technisches Foul gibt oder ob er anderweitig versucht das im Sinne des guten Willens zu regeln. Allerdings gibt es klare „no goes“, die allen bekannt sind, auch den Trainern.
Dieses Jahr zum Beispiel sollen wir noch mehr darauf achten, dass die Mannschaftsbankbereiche eingehalten werden. Es gibt klare Vorgaben, die wir umsetzen sollen, wenn Trainer auf das Spielfeld laufen. Mit Verwarnung bzw. gleich einem technischen Foul – das ist unterschiedlich. Das Gute daran ist, dass die Vereine diese Vorgaben kennen. Den Coaches wird das auch vorgestellt. Sie bekommen die gleiche Präsentation, die wir auch haben. Dadurch sind Coaches und Schiedsrichter auf dem gleichen Wissensstand. Das macht die Arbeit deutlich einfacher, da man dem Trainer sagen kann, „Du weißt, was vereinbart ist“. Umgedreht gilt dies natürlich auch für die Trainer, die auch sagen können, „Mensch Oli, zwei Hände sind doch Foul. War das nicht so?“.
Die Liga kontrolliert auch die Einhaltung dieser Vorgaben durch die Schiedsrichter. Das kann dazu führen, dass der Schiedsrichter, wenn er sie nicht einhält, auch mal gesperrt wird. Ein großes Problem waren z.B. die unsportlichen Fouls in der Transition. Das hat sich jetzt eingepegelt, nachdem es zwischen Vereinen, der Liga und den Schiedsrichtern abgestimmt und dann umgesetzt wurde. Sowas gibt es jedes Jahr.
Was mich tatsächlich ab und zu stört, ist, dass die Kommentatoren im Fernsehen teilweise diese Vorgaben bzw. die Regeln nicht kennen. Wenn Situationen falsch erklärt werden, kann der Zuschauer auch die Entscheidung des Schiedsrichters nicht verstehen. Das ist schwierig. Der Basketball hat sich natürlich auch über die Jahre entwickelt. Bestimmte Sachen muss man jedes Jahr reinbringen. Wenn das dann nicht kommuniziert wird, wird es zum Problem.
Maik Zeugner: Wenn wir jetzt bei absichtlichen Fouls im Fastbreak bleiben. Gibt es da auch Diskussionen zwischen den Schiedsrichtern? Das Thema wird ja oft ziemlich heiß diskutiert.
Oliver Krause: Das ist genau der Punkt. Das heißt ja nicht mehr absichtliches Foul. Es gibt nur ein unsportliches Foul. Es gibt klare Vorgaben, wie das zu bewerten ist. Solange es eine basketballtypische Aktion ist, d.h. der Verteidiger vor dem Spieler ist und sogar den Ball trifft, dann ist ein unsportliches Foul nicht die richtige Entscheidung. Die Regeln sagen: Kontakt von hinten oder von der Seite. Da fängt das Problem an. Es ist eine schnelle Situation. Sehr gute Verteidiger schaffen es immer, vor den Angreifer zu kommen. Nur die schlechten Verteidiger machen den Kontakt von hinten. Die meisten überholen den Angreifer und stellen sich vor ihn. Die Auswirkung ist genau die gleiche, aber es ist kein unsportliches Foul.
Das ist für den Schiedsrichter manchmal auch schwer zu entscheiden, da er sich ja mitbewegt und unter Umständen einen Verteidiger nicht im Blickfeld hat oder sich die Spieler zwischen Pfiff und Blickkontakt weiter bewegt haben. Wenn ein anderer Schiedsrichter einen besseren Blick hat, dann soll er deshalb auch seine Wahrnehmung mitteilen. Dieses Thema wurde auch im Zwischenlehrgang der letzten Saison behandelt, um ein gleiches Maß unter den Schiedsrichtern zu erreichen Allerdings hat das auch viel mit Wahrnehmung auf dem Feld zu tun.
Maik Zeugner: Seit letzter Saison gibt es auch die Möglichkeit, alle Spiele auch im Re-Live zu sehen. Hat sich dadurch etwas für die Schiedsrichter geändert?
Oliver Krause: Es ist deutlich besser geworden für uns. Wir sind alle mit iPads ausgestattet worden und bekommen mit dem Ende dies Spiel dieses auf unser iPad geladen. So können wir uns di e Szenen noch in der Kabine ansehen. Das Gute daran ist, dass die Qualität der Aufnahmen hervorragend ist. Die Bundesliga hatte schon seit ca. fünf Jahren einen Standard, wie Spiele aufzuzeichnen waren. Trotzdem war das qualitativ nicht so gut. Jetzt haben wir ein hochauflösendes Bild, was für die Vor- und Nachbereitung nützlich ist. Wir haben auch eine Software, mit der jeder Crew-Chief zum Spiel einen Bericht einstellen kann, d.h. mit Minutenangaben eine Szene beschreiben kann. In der Rückrunde kann ich mir dann ansehen, ob es zwischen Spielern „Stress“ einer bestimmten Partei gab. Wenn da was steht, kann ich mir das ansehen und bin vorbereitet.
Ich dachte, dass durch die Möglichkeit, alle Spiele zu sehen, mehr Druck auf die Schiedsrichter ausgeübt wird, wie z.B. im Fußball. In der Euroleague gibt es acht Kameras. Da kann jeder Ausball nachgesehen werden. Das geht in der BBL nicht. Die Kontrollierbarkeit durch die Live-Bilder hat damit nicht, wie ich es erwartet hätte, einen zusätzlichen Druck aufgebaut. Davon bin ich eigentlich ausgegangen – dass es viel mehr Diskussionen gibt. Wenn im Fußball ein Elfmeter nicht gegeben wird, ist am Montag die Zeitung voll damit. Das ist im Basketball nicht der Fall. Das spricht dafür, dass die Qualität der Schiedsrichter und unserer Entscheidungen gar nicht so schlecht sein kann.
Maik Zeugner: Einhergegangen ist die Einführung des Instant Replay. Welche Erfahrungen haben Sie damit? Denken Sie, dass es ein dynamisches System ist, d.h. die Situationen, in denen es genutzt werden darf, auch erweitert werden?
Oliver Krause: Es kommt auf jeden Fall zu Verschiebungen. Dieses Jahr sind noch drei Situationen dazu gekommen. Es geht darum, die richtige Entscheidung zu treffen und Gerechtigkeitslücken zu schließen. Das System halte ich für gut. Es entbindet uns aber nicht davon, erstmal zu entscheiden. Es soll ein Hilfstool sein. Der Technik stehe ich offen gegenüber. Ich hatte letztes Jahr ein Spiel in Bremerhaven. [Anm. der Redaktion: 10. Spieltag: Eisbären Bremerhaven vs ratiopharm ulm].[1] Ich war mir zwar sicher, dass der letzte Wurf in der Zeit war, habe aber trotzdem nachgeschaut. Es ist auch eine Frage der Wahrnehmung. In dieser Situation war es gut, das Instant Replay zu haben. Ich habe letztes Jahr in Frankfurt eine falsche Entscheidung anhand des Instant Replay getroffen. [Anm. der Redaktion: 26. Spieltag: FRAPORT SKYLINERS vs. Artland Dragons] Damals gab es noch keine Frame-by-Frame-Lösung. Ich konnte damals quasi nur Start und Stop drücken. Ich habe damals immer den Punkt erwischt, als der Ball schon in der Luft war. Nach dem Spiel bekam ich ein Foto geschickt, auf dem zu sehen war, dass der Wurf nicht hätte zählen dürfen. Das habe ich im Spiel nicht einstellen können. Das Instant Replay ist verbessert worden: Jetzt haben wir eine Frame-by-Frame-Lösung. Anhand dieser Bilder kann man das genau beurteilen. Es wird auch weiterhin noch strittige Situationen geben, aber meiner Meinung nach ist es eine gute Sache. Es geht einfach darum, fair zu sein. Wir haben jetzt die Möglichkeit, zu schauen, wenn jemand nach einem Freiwurf den Ball berührt, ob es ein oder zwei Punkte sind. Weiterhin haben wir die Möglichkeit, wenn es ein Foul gibt und das Bauchgefühl aufgrund der Reaktion der Spieler sagt, vielleicht hat man es nicht richtig gesehen, da muss mehr sein, dass man dann nochmal ansehen kann. Es gab in der vergangenen Saison eine Situation, bei der die Schiedsrichter erst ein normales Foul pfeifen und dann auf unsportlich entscheiden. In der Nachbetrachtung hätte sogar ein disqualifizierendes Foul sein können. Um in dieser Situation Fairness zu schaffen, finde ich das gut, dass das Einsatzgebiet erweitert worden ist.
Maik Zeugner: Wir haben im letzten Jahr eine statistische Analyse der Schiedsrichterentscheidungen (Fouls) gemacht. Aufgrund der Tatsache, dass wir nicht jeden Pfiff einzeln erfasst haben, musste die Annahme zugrunde gelegt werden, dass der Hauptschiedsrichter im Vorfeld auf die wichtigsten Sachen eingeht und im Spiel Einfluss auf die beiden anderen Schiedsrichter nimmt. Kann man das so sehen?
Oliver Krause: Es hängt schon davon ab, welcher Schiedsrichter auf dem Feld ist und wie ein Spiel geleitet wird. Wenn man Boris [Schmidt, Anm. d. Red.] als „Hardliner“ kannte, dann waren es trotzdem nicht seine Spiele, in denen die meisten Fouls gepfiffen wurden. Es war glaube ich Benni [Benjamin Barth, Anm. d. Red.], der relativ wenig gepfiffen hat und war damit sogar noch vor Robert [Lottermoser, Anm. d. Red.]. Man hätte denken können, dass unter Robert [Lottermoser, Anm. d. Red.] die wenigsten Entscheidungen fallen und bei Boris [Schmidt, Anm. d. Red.] die meisten. Wenn man sich die Auswertung ansieht, dann stellt aber man fest, dass dem nicht so ist. Natürlich hat der Crew-Chief einen Einfluss drauf. Das hängt aber auch davon ab, wie wir im Team funktionieren, d.h. von der Tagesform jedes Einzelnen. Im Zweifel liegt die Verantwortung bei allen, im Besonderen aber beim Crew-Chief. Er soll dafür sorgen, dass es funktioniert. Entweder kann man sich „zurücklehnen“, wenn es läuft oder man muss eingreifen. Ich habe schon Spiele als Crew-Chief gepfiffen, da hatte ich das erste von mir gepfiffene Foul vor der Halbzeit, weil die anderen beiden Schiedsrichter das super gemacht haben. In solchen Fällen brauche ich nichts machen und besonders einzugreifen. Es gibt aber auch Situationen, in denen man eingreifen und mehr Entscheidungen treffen muss, damit alles im Rahmen bleibt. Wenn man nicht sieht, wann man eingreifen muss, dann schaukelt sich das so hoch, so dass man es schlecht wieder unter Kontrolle bekommt. Wenn man sagt, „Wir müssen jetzt mal was tun“, dann ist es meist schon zu spät. Als Schiedsrichter muss ich merken, wann ich im Spiel eingreifen muss. Dann kommen die Mannschaften auch wieder von alleine zur Ruhe. Bei meinem ersten Spiel diese Saison Braunschweig gegen Bamberg wurde am Anfang gefühlt auch ein bisschen viel gepfiffen. Auch der Trainer meinte, „Wollt ihr wirklich so viel pfeifen?“. Aber sie haben dann aufgehört. Am Ende ist man mit 39 Fouls rausgegangen, eine super Zahl. Hätte man am Anfang nicht so viel gepfiffen, wären es wahrscheinlich mehr geworden, weil es sich dann hochspielt. Daher ist Autorität, Präsenz, Spielverständnis und Gefühl, aber auch eine Akzeptanz bei den Trainern wichtig. Man merkt natürlich, dass erfahrene Schiedsrichter deshalb eine höhere Akzeptanz genießen als jüngere. Dass die Schiedsrichter dann mehr pfeifen, ist normal.
Maik Zeugner: Wenn wir von Akzeptanz reden, dann hat das auch mit Verständnis, sprich auch ein stückweit mit Kommunikation zu tun. Nun ist es nicht zielführend, jede Entscheidung zu kommentieren. Auf der anderen Seite sollen die Trainer und Spieler auch verstehen, warum so entschieden wurde und nicht anders. Wie schafft man es da, eine Balance zu finden?
Oliver Krause: Man muss zwei Sachen unterscheiden: Es gibt die permanenten „Laberer“, die immer erzählen. Mit denen brauche ich nicht reden, das bringt nichts. Wenn jemand eine ganz konkrete Frage hat, dann bekommt er auch eine ganz konkrete Antwort. Wenn das so einfach wäre, wäre das Thema damit erledigt.
In der Regel gefällt dem Coach die Antwort aber nicht. Er fragt ja in einer Situation, in der er sich benachteiligt fühlt. Dann wird es schwierig. Es gibt einen schönes Satz dazu: „If you don’t like the answer, don’t ask the question“. Das ist ein Problem, bei dem ich dann, wenn es zu viel wird, auch eine Grenze ziehen muss. Ein Basketballspiel ist keine Talkshow. Wer eine konkrete Frage stellt, „Warum habt ihr das so entschieden“, der bekommt auch immer eine konkrete Antwort. Wenn aber jemand sagt „Das ist Schrittfehler“ oder „Das sind drei Sekunden“, dann ist das keine Frage, sondern eine subjektive Bewertung. Wenn er fragen würde: „Warum sind das keine drei Sekunden?“, dann könnte ich ihm sagen: „Der Spieler ist rausgegangen“ oder „Okay, das hab ich übersehen“. Das ist das Problem bei der Kommunikation. Das andere Problem ist, dass es ja zwei Trainer gibt, und beide ganz genau schauen, was der Kollege auf der Gegenseite macht und was der darf. Was der eine darf, das fordert auch der andere ein. Wenn man also zu viel auf der einen Seite zulässt, wird es schnell zur Talkshow und das soll es auf keinen Fall werden. Das möchte auch kein Zuschauer sehen. Die Zuschauer kommen ja nicht, um uns quatschen zu sehen, sondern weil sie Körbe sehen wollen. Frage – Antwort: ja; Talkshow: nein.
Maik Zeugner: Ist es für Schiedsrichter ein Unterschied, in welchen Hallen sie pfeifen, sprich ob in Weißenfels, Braunschweig oder Berlin? Das Spielfeld ist überall gleich, aber die Hallen sind doch unterschiedlich.
Oliver Krause: Klar gibt es Unterschiede. Aber ich hab keine Angst, in bestimmte Hallen zu fahren. Die Wahrnehmung in einer großen, weitläufigen Halle ist ganz anders, als in einer kleinen Arena, in der ich gefühlt auch von außen gedrückt werde. Das hat aber was mit Wahrnehmung auf dem Feld zu tun, nicht mit dem Spiel an sich. Durch die Halle alleine lasse ich mich also nicht beeinflussen.
Natürlich ist es für jemanden, der das erste Mal in der Mercedes-Benz-Arena pfeift, etwas anderes. Aber das Feld ist in allen Hallen gleich groß. Wenn man merkt, da ist jemand neu, dann geht man halt mal raus und sagt, schau hier, das Feld ist 28 mal 15 Meter. Das war letzte Woche 28 mal 15 und es ist diese Woche auch 28 mal 15. Schon nimmt man einem Neuling den Druck.
Vor allem die Lautstärke in einer Halle kann eine Rolle
siel. Das ist eine Konzentrationsfrage. Eine laute Halle ist insoweit viel anstrengender,
weil es schwieriger ist, sich zu konzentrieren. Ich selbst pfeife daher mit
einer Art Ohropax, mit denen ich mich unterhalten, aber das Umfeld weitgehend
ausblenden kann. Das erleichtert es mir, die Konzentration hochzuhalten.