Seiten aus dem Playbook: FC Bayern München unter Dejan Radonjic

Wie hat der FC Bayern München Petteri Koponen und Derrick Williams in sein Offensivsystem integriert? Welche Spielzüge hat Trainer Dejan Radonjic zudem installiert? Die Videoanalyse gibt Aufschluss.

Was war die Königsverpflichtung des FC Bayern München zu dieser Saison? Die von Petteri Koponen, oder die von Derrick Williams? Hinsichtlich Williams‘ Vita als NBA-Profi und zweiter Draft-Pick sowie seiner individuellen Qualität mag die Frage hinfällig sein, doch blickt man auf die Integration der beiden Neuzugänge in das Offensivsystem der Münchener, scheint die Frage durchaus berechtigt.

Von einem System war gegen den FC Barcelona in den Schlusssekunden nicht die Rede wert, beim EuroLeague-Heimpiel Mitte März ging es vielmehr um Eier. Koponen traf über Jaka Blazic den Gamewinner mit der Schlusssirene und hielt damals die Playoff-Hoffnungen der Bayern noch am Leben. Dem Guard gelang dies aus dem Eins-gegen-Eins, mit einem Crossover-Dribbling hinter dem Rücken, das Koponens Verteidiger ins Straucheln brachte. Und dennoch agiert Koponen umso effizienter, wenn er ballabseits eingesetzt wird – so wie in folgendem Spielzug …

Pin-Down für Koponen

… welcher explizit auf Koponen zugeschnitten scheint. Denn vor allem für den Wurfspezialisten sieht man die Bayern das Play laufen. Zu Beginn des Spielzugs geht der Aufbauspieler mit beiden Big Men in ein Pick-and-Roll über, nach der zweiten Aktion rotiert der blockstellende Big Man nach unten und stellt einen Pin-Down (ein ballferner Block mit Blickrichtung zur Baseline) für Koponen – woraus der Guard von oben den Dreier nehmen soll.

Was zeichnet einen guten Schützen aus? Es geht nicht (nur) darum, auf der bevorzugten Stelle zu stehen, auf einen Pass zu warten und nach dem Catch abzudrücken. Vielmehr muss sich der Schütze Räume erschließen.

Koponen versteht es, sich auf der Weakside seines Verteidigers zu entledigen. Zum einen kommt in diesem Play Koponens Verteidiger auch die Rolle des Help-Verteidigers zu. Denn nach dem zweiten Pick-and-Roll rollt Münchens Big Man hart zum Korb ab – ist eine Hilfe nötig? Zum anderen täuscht Koponen einen Cut Richtung Baseline an und verlädt so seinen Verteidiger. Geht es um off-Screen-Aktionen, ist Koponen eindeutig Münchens Primäroption.

Fake Hand-Off / Pin-Down

Auch in folgendem Spielzug kommt Koponen zum Wurf. In der ersten Sequenz des folgenden Videos nimmt der Guard dabei den frühen Ausstieg aus dem Spielzug. Koponen erhält per Hand-Off den Ball, schickt per Richtungswechsel seinen Verteidiger in den Block des Big Man und netzt nach zwei Dribblings und einem step-back ein.

Jener Hand-Off wird in dem Spielzug jedoch meist nur angetäuscht, vielmehr stellt der Ballhandler nach dem Cut am Big Man vorbei einen Pin-Down in der Ecke – woraus sich zahlreiche Optionen ergeben.

Mit dem Pin-Down und dem anschließenden Hand-Off verstehen es die Bayern, die Gegner zum Switchen zu zwingen. Wenn es um das Ausnutzen von Mismatches geht, sind die Münchener stark; das zeigt sich auch in der Early Offense.

Pin-Down / Hand-Off

Auch in folgendem Spielzug sind zwei Hand-Offs integriert, was verdeutlicht, welche essentielle Rolle die Ballübergabe im Offensivsystem von Trainer Dejan Radonjic einnimmt.

Ein Hand-Off mit anschließendem Ball-Screen des Big Man; kurz darauf der Dribble Hand-Off an der Seite, aus dem ein weiterer Ball-Screen folgen kann; und auf alle Fälle steht der Big Man wieder mit einem Block bereit: Das sind viele Aufgaben für die Verteidigung, welche sich mitunter wieder nicht anders helfen kann als zu switchen. In zwei der drei ersten Aktionen des Videos trifft Nihad Djedovic den Dreier über den Big Man.

Der Ausstieg aus dem Spielzug kann auch früher erfolgen – direkt nach dem ersten Hand-Off, nach dem der Big Man einen Wurfschirm stellt. In allen drei Aktionen des folgenden Videos übernimmt Vladimir Lucic den Ball am Flügel. Wie er attackiert und seine Mitspieler in Szene setzt, ist ein Beweis seiner Vielseitigkeit. Im Video davor ist dies auch an seiner Post-up-Aktion zu verdeutlichen.

Hand-Off / Staggered Ball-Screens

Die Aktion des Hand-Offs mit anschließendem Ball-Screen sowie einem weiteren Ball-Screen dahinter kann auch direkt erfolgen – wie bei folgendem Spielzug. Hier übergibt nicht der Spieler auf der Position Drei, sondern der Vierer den Ball an der Seite.

In der ersten Szene zelebrieren die Münchener eine exzellente Ballbewegung – samt Kickout, zwei Swing-Pässen, ehe doch der Abroller unter dem Korb gefunden wird. Diese Aktion illustriert das Verständnis der Münchener, Vorteile aus einem Spielzug zu forcieren und Optionen zu finden.

Side Pick-and-Rolls

Manchmal ist es auch ganz simpel: In folgendem Play laufen die Münchener zwei seitliche Pick-and-Rolls, durch zwei verschiedene Offensivpaare: erst der Spieler auf der Zwei mit dem auf der Vier, danach schließt sich ein Eins-Fünfer Pick-and-Roll an.

Dabei schneidet der blockstellende Big Man vom Weakside-Zonenrand zum ballstarken Flügel, was die Verteidigung auf Trab hält. Es kann noch ein drittes Pick-and-Roll folgen, zwischen dem Spieler auf der Zwei und dem Center. So zwingen die Bayern letztlich viele Defensivspieler in das Verteidigen des Pick-and-Rolls. Irgendwann wird sich daraus schon ein Vorteil ergeben.

In der ersten Aktion schließt Danilo Barthel den Angriff ab. Der Nationalspieler tut dies per Pick-and-Pop und anschließendem Attackieren des Closeouts. Barthel versteht es in dieser Saison noch besser, per Catch-and-Drive zu agieren. Dies gepaart mit seinem verbesserten Distanzwurf erweitert das Offensivspiel des Low-Post-Dominantors um eine weitere Dimension.

Derrick Williams: Post-ups

Was in den bisherigen Aktionen auffällt: Für Derrick Williams als Primäroption laufen die Bayern kaum Spielzüge. Der Forward punktet sehr selten als Abroller nach einem Pick-and-Roll, womit er im zuvor erwähnten „Side Pick-and-Roll“-Play auch nicht in Erscheinung treten mag. In den BBL-Spielen seit dem letzten Nationalmannschaftsfenster schloss Williams nur viermal als Abroller ab (Anteil an gesamten Offensivaktionen: 4,7%).

Vielmehr parken die Bayern Williams in den Spot-up-Bereich, wo der Forward mit seinem Distanzwurf und seiner Antrittsschnelligkeit aber auch enormen Schaden anrichten kann. Gehen die Münchener primär über Williams, dann gerne aus dem Eins-gegen-Eins – vor allem im Post-up.

Dies erfolgt nicht aus einem ausgeklügelten Spielzug, vielmehr bezieht Williams schon früh Position am Zonenrand. Mitunter macht sich ein Flügelspieler über einen Cross-Screen am Flügel bereit, um dort Williams zu bedienen – wie in den ersten beiden Aktionen:

Was bei Williams’ Post-up-Aktionen auffällt: Er sucht hierbei sehr häufig den Wurf im Zurückfallen. Sind diese Abschlüsse mit Williams’ schnellem Spin-Move und seiner Athletik zu verteidigen? Kaum. Doch sind diese Fadeaway-Jumper aus der Mitteldistanz wirklich effiziente Würfe? Kaum.

Es würde Williams auch unberechenbarer machen, wenn er aus dem Post-up mehr den Weg zum Korb suchen würde. Mal über die Mitte gehen, sich durchpowern oder einen Hakenwurf anbringen. Dann würde es der Forward vielleicht auch schaffen, zumindest mehr Fouls nach Post-ups zu ziehen.

Mit seinem Spin-Move stellt Williams dennoch BBL-Verteidiger vor Probleme. Wie schnell sich Williams dreht, zeigt er in folgender Aktion gegen Luke Sikma. Geht es um Eins-gegen-Eins-Aktionen, könnte Williams mitunter noch mehr mit dem Gesicht als mit dem Rücken zum Korb agieren.

Derrick Williams: Back-Screen Alley-Oop

Seit dem WM-Quali-Fenster hat Williams nur einmal nach einem ballfernen Block abgeschlossen. Eine Möglichkeit, Williams noch besser einzusetzen? Nicht immer kann der Forward per Alley-Oop einfliegen, doch genau so nutzen die Münchener Williams in folgendem Spielzug, in dem ein Back-Screen den Einflug vorbereitet.

Wichtig hierbei: der Cut von Vladimir Lucic bzw. Robin Amaize zur Weakside, um ihren und damit einen potentiellen Help-Verteidiger aus der Aktion zu nehmen. Solche Alley-Oop-Anspiele stellen dennoch eher ein Special-Play dar, Pin-Down-Spielzüge für Koponen scheinen da mehr in das System integriert zu sein. Womit man Koponen mehr die Rolle des Go-to-Guys innerhalb des Systems zuschreiben kann, Williams hingegen den Bayern einen Bonus gibt.

Einen individuell ungemein starken. Überhaupt besticht bei den Münchenern so sehr die individuelle Qualität, als dass ein dickes Playbook vielleicht gar nicht nötig ist. Die hier aufgeführten Spielzüge zeigen dennoch, dass die Plays der Bayern mit multioptionalen Ausstiegen daherkommen. Wenn sie sich von der Struktur her auch ähneln mögen – Vorteile zu suchen, Mismatches auszunutzen und offene Würfe nach Extrapässen zu finden, verstehen die Bayern ungemein stark.


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